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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.03.1999
Aktenzeichen: 1 BvR 1625/98
Rechtsgebiete: BVerfGG, ZPO


Vorschriften:

BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
ZPO § 234 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1625/98 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Frau G...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Klaus Thieme-Garmann und Partner, Beatusstraße 15 a, Koblenz -

gegen den Beschluß des Landgerichts Koblenz vom 7. Juli 1998 - 6 S 164/98 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Grimm, Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 8. März 1999 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Versagung von Prozeßkostenhilfe.

I.

Die Beschwerdeführerin begehrte im Ausgangsverfahren von ihrem Ehemann aus eigenem Recht Schmerzensgeld, weil dieser die gemeinsamen Kinder mehrfach sexuell mißbraucht hatte. Das Amtsgericht wies die Klage ab, weil der Beschwerdeführerin nach der ständigen Rechtsprechung zu Schadensersatzansprüchen bei sogenannten "Schockschäden" kein Anspruch zustehe.

Die Beschwerdeführerin legte gegen das amtsgerichtliche Urteil zunächst keine Berufung ein, beantragte jedoch beim Landgericht Prozeßkostenhilfe für die Durchführung der Berufung sowie für den Fall der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Das Landgericht hat mit dem angegriffenen Beschluß die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe versagt, da das Amtsgericht einen Schmerzensgeldanspruch in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu Recht abgelehnt habe.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihres Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Sie macht geltend, daß kein Grund ersichtlich sei, warum eine Mutter Schmerzensgeld erhalte, wenn sie von dem Tod ihrer Kinder, nicht jedoch, wenn sie von einem sexuellen Mißbrauch ihrer Kinder erfahre. Die Beschwerdeführerin hat, nachdem das Landgericht die Bewilligung von Prozeßkostenhilfe abgelehnt hatte, weder einen Wiedereinsetzungsantrag gestellt noch sonst ihre Berufung in irgendeiner Weise befördert.

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor. Der von der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Maß das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Einfluß auf die zivilrechtliche Rechtsprechung zum Schadensersatz- und Schmerzensgeldanspruch bei sogenannten Schockschäden hat, kann zwar nicht von vornherein verfassungsrechtliche Relevanz abgesprochen werden. Sie ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bisher nicht geklärt. Bei der Prüfung der Annahme muß aber bereits absehbar sein, daß sich das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung mit der Grundsatzfrage befassen muß. Kommt es auf sie hingegen nicht entscheidungserheblich an, ist eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG nicht geboten (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). So liegt es hier.

Es ist deutlich abzusehen, daß die Beschwerdeführerin auch im Fall einer Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht keinen Erfolg haben würde. Denn das Landgericht müßte den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozeßkostenhilfe wegen Versäumung der Berufungsfrist des § 516 ZPO ablehnen. Auch ein (erneuter) Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könnte keinen Erfolg haben. Die Beschwerdeführerin hat nach der Versagung der Prozeßkostenhilfe durch den angegriffenen Beschluß keinen formgerechten Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO gestellt. Das hätte sie aber tun müssen (vgl. dazu Zöller, ZPO, 21. Aufl., 1999, § 234 Rn. 8; Meyer, NJW 1995, S. 2139 <2140>). Da sie es versäumt hat, kann ihre Berufung, mithin auch ihr Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe, selbst bei einem Erfolg der Verfassungsbeschwerde keinen Erfolg haben.

Die Rechtsprechung billigt einem Berufungsführer zwar Wiedereinsetzung zu, wenn nach einem ablehnenden Beschluß über den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe auf die Gegenvorstellung des Berufungsführers hin der vom Berufungsgericht anfänglich falsch beurteilte Prozeßkostenhilfe-Antrag auf der Grundlage des ursprünglichen Vorbringens doch noch positiv beschieden wird (vgl. Meyer, a.a.O., S. 2141). Das verlangt aber nicht, auch im Fall einer erfolgreichen Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin Wiedereinsetzung zu gewähren. Dafür ließe sich zwar anführen, daß in einem solchen Fall die Ablehnung des Prozeßkostenhilfe-Antrags allein auf der verfassungswidrigen Beurteilung des Fachgerichts basierte. Dagegen spricht jedoch das Institut der Rechtskraft, deren Eintritt durch die Einlegung der Verfassungsbeschwerde grundsätzlich nicht gehemmt wird (vgl. BVerfGE 93, 381 <385>).

Das Erfordernis, nach einer ablehnenden Entscheidung über den Antrag auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe rechtzeitig - mit Kostenrisiko - Wiedereinsetzung zu beantragen und Berufung zu erheben, dient der Rechtssicherheit. Der Gegner des Ausgangsverfahrens hat andernfalls keine Gewißheit darüber, ob das Urteil trotz Ablaufs der Berufungsfrist Bestand hat oder nicht. Auf eine solche Gewißheit hat er aber einen Anspruch, der seinerseits in der rechtsstaatlichen Funktion der Rechtskraft verfassungsrechtlich fundiert ist (vgl. BVerfGE 47, 146 <161>). Der Umstand, daß die Beschwerdeführerin Verfassungsbeschwerde gegen den landgerichtlichen Beschluß im Prozeßkostenhilfe-Verfahren erhoben hat, entband sie deshalb nicht von der Pflicht, einen form- und fristgerechten Wiedereinsetzungsantrag zu stellen und Berufung zu erheben.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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