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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 17.06.1998
Aktenzeichen: 1 BvR 2386/94
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2386/94 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Frau B...,

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Dr. Ernst Bitterhoff, Damaschkestraße 39, Berlin -

gegen

den Beschluß des Verwaltungsgerichts Berlin vom 4. November 1994 - VG 31 A 327.94 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Grimm, Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 17. Juni 1998 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen die Ablehnung eines Investitionsantrags des Anmelders nach § 21 des Investitionsvorranggesetzes (InVorG).

I.

1. Die Beschwerdeführerin stellte 1993 einen Investitionsantrag als Anmelder nach § 21 InVorG, der unter Anordnung der sofortigen Vollziehung abgelehnt wurde. Über die daraufhin erhobene Klage ist noch nicht entschieden. Den gleichzeitig gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage hat das Verwaltungsgericht mit dem angegriffenen Beschluß abgelehnt:

Der Antrag habe zum Ziel, die Sperrwirkung des § 21 Abs. 6 Satz 1 InVorG zugunsten der Beschwerdeführerin wiederherzustellen. Bei der Interessenabwägung überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids, von dessen Rechtmäßigkeit nach summarischer Prüfung auszugehen sei. Die erforderliche Glaubhaftmachung der Berechtigung an dem streitgegenständlichen Grundstück nach § 21 Abs. 1 InVorG fehle. Enteignungen nach dem Aufbaugesetz der Deutschen Demokratischen Republik, die nach den Entschädigungsgesetzen entschädigungspflichtig gewesen seien, lösten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts grundsätzlich keine Rückübertragungsansprüche nach dem Vermögensgesetz aus. Etwas anderes gelte nur beim Vorliegen besonderer Umstände. Solche Umstände seien weder behauptet noch glaubhaft gemacht worden. Die Beschwerdeführerin habe darüber hinaus kein hinreichend konkretes Vorhaben im Sinne der §§ 2 und 3 InVorG unterbreitet und auch keine ausreichenden Unterlagen zu dessen Finanzierung eingereicht.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 103 Abs. 1 GG und ihres Grundrechts auf ein faires Verfahren.

II.

Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor.

1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG).

Es ergibt sich unmittelbar aus den gesetzlichen Grundlagen, der dazu vorliegenden fachgerichtlichen Rechtsprechung und dem Schrifttum, daß effektiver Rechtsschutz, wie ihn Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet, in Eilverfahren der vorliegenden Art nicht wie in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, die sich gegen den Sofortvollzug des einem Drittinvestor erteilten Investitionsvorrangbescheids richten, eine umfassende Sach- und Rechtsprüfung des materiellen Rechtsschutzbegehrens erfordert.

a) In den zuletzt genannten Fällen führt die Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes nach § 12 Abs. 3 Satz 4 InVorG für den Anmelder zum Erlöschen des Rückübertragungsanspruchs nach dem Vermögensgesetz, wenn mit der tatsächlichen Durchführung der vom Drittinvestor zugesagten Investition nachhaltig begonnen worden ist. Der Rechtsschutz des Berechtigten nach dem Vermögensgesetz wird wegen dieser vermögensrechtlichen Folge nach dem Investitionsvorranggesetz in aller Regel in das Eilverfahren vorverlagert. Effektiver Rechtsschutz kann unter diesen Umständen nur gewährt werden, wenn sich das Verwaltungsgericht nicht auf eine lediglich summarische Prüfung des in der Hauptsache geltend gemachten Begehrens beschränkt, sondern - in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht - eine umfassende Prüfung dieses Begehrens vornimmt (vgl. BVerfGE 88, 76 <81>; 89, 113 <117>; siehe auch Beschlüsse der 1. Kammer des Ersten Senats vom 9. Mai 1994 <VIZ 1994, S. 473> und vom 30. Dezember 1997 - 1 BvR 1474/92 - <Umdruck S. 4>).

b) Verfahren, in denen die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs oder der Klage gegen die Ablehnung eines Investitionsvorrangbescheids nach § 21 InVorG versagt wird, haben nach übereinstimmender Auffassung der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung und des Schrifttums für den Anmelder von Rückübertragungsansprüchen keine dem § 12 Abs. 3 Satz 4 InVorG vergleichbaren nachteiligen Folgen.

Die Regelungen des § 12 InVorG gelten nur für Fälle, in denen ein Investitionsvorrangbescheid erlassen worden ist, nicht jedoch für die Ablehnung eines Antrags auf Erlaß eines solchen Bescheids. Diese vermag nicht den Rückübertragungsanspruch des Anmelders zu gefährden und beläßt es bei den Verfügungsbeschränkungen, die zu dessen Gunsten in § 3 Abs. 3 bis 5 VermG normiert sind. Die Ablehnung führt auch nicht wie in den Fällen des Erlasses des Investitionsvorrangbescheids dazu, daß gemäß § 12 Abs. 1 InVorG der Suspensiveffekt von Widerspruch und Klage ausgeschlossen ist. Durch sie wird, wenn sie angefochten wird, nicht einmal die zugunsten des Anmelders im Eigeninvestitionsverfahren wirkende Sperrklausel des § 21 Abs. 6 InVorG tangiert, solange über Widerspruch und Klage, die gemäß § 80 Abs. 1 VwGO aufschiebend wirken, nicht entschieden ist. Durch die Anordnung des Sofortvollzugs kann die Behörde allerdings erreichen, daß die Sperrwirkung auch bei Einlegung von Widerspruch und Klageerhebung ausgesetzt bleibt. Das erforderliche öffentliche Interesse kann darin liegen, den Vermögenswert durch Einleitung eines Verfahrens nach § 4 InVorG einer investiven Verwendung zuzuführen. Der Anmelder hat dann aber die Möglichkeit, gegen die Vollzugsanordnung mit einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 VwGO) vorzugehen und auf diesem Wege die Sperrwirkung des § 21 Abs. 6 Satz 1 InVorG wiederherzustellen (zum Ganzen vgl. VG Berlin, ZOV 1994, S. 217 f.; Schneider, in: Rodenbach/Söfker/Lochen, Kommentar zum Investitionsvorranggesetz, § 21 Rn. 52 f. <Stand: 1995>; Uechtritz, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, Investitionsvorranggesetz, § 21 Rn. 49; Kuhn, in: Lesch/Ley/Racky/Winterstein/Kuhn, Investitionsvorranggesetz, 2. Aufl. 1996, § 21 Rn. 66; Wolfers, Das Investitionsvorrangverfahren, 1996, Rn. 1062 ff.).

Mehr stand im Ausgangsverfahren auch für die Beschwerdeführerin nicht auf dem Spiel. Daß sie mit ihrem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gescheitert ist, hat nur zur Folge, daß es bei der Aussetzung der Sperrwirkung des § 21 Abs. 6 Satz 1 InVorG infolge des Sofortvollzugs des Ablehnungsbescheids bleibt. Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Rückübertragungsanspruch wird dadurch nicht gefährdet. Will die Behörde die Verfügungsbeschränkungen des § 3 Abs. 3 bis 5 VermG aufheben, bedarf es der Einleitung eines neuen Investitionsvorrangverfahrens für die in Rede stehenden Flurstücke. In diesem Verfahren wäre die Beschwerdeführerin gemäß § 5 InVorG anzuhören; sie könnte dabei wiederum selbst - gegebenenfalls neue - investive Maßnahmen ankündigen. Im Fall der Erteilung eines Investitionsvorrangbescheids an einen Dritten stünde ihr nach den §§ 12 und 23 InVorG ausreichender Rechtsschutz zur Verfügung. Es ist unter diesen Umständen nicht ersichtlich, daß das Verwaltungsgericht nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG hätte verpflichtet sein können, das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO mehr als einer nur summarischen Prüfung zu unterziehen.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte angezeigt (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

a) Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geltend macht, sind ihre Rügen unzulässig. Der Zulässigkeit steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen.

aa) Nach diesem Grundsatz ist bei im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Entscheidungen regelmäßig die Erschöpfung des Rechtswegs auch in der Hauptsache geboten, wenn sich dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Möglichkeit bietet, der Grundrechtsverletzung abzuhelfen. Das ist im allgemeinen der Fall, wenn mit der Verfassungsbeschwerde ausschließlich Grundrechtsverletzungen geltend gemacht werden, die sich auf die Hauptsache beziehen. Allerdings müssen Beschreitung und Erschöpfung des Hauptsacherechtswegs im Einzelfall für den Beschwerdeführer zumutbar sein. Das Bundesverfassungsgericht behandelt deshalb Verfassungsbeschwerden gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes in den genannten Fällen dann als zulässig, wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen Aufklärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann (vgl. BVerfGE 79, 275 <278 f.>).

bb) Danach ist die Beschwerdeführerin mit ihren Rügen einer Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG auf den Hauptsacherechtsweg zu verweisen.

(1) Mit diesen Rügen macht die Beschwerdeführerin Grundrechtsverletzungen geltend, die sich auf die Hauptsache beziehen. Das gilt auch - und vor allem - insoweit, als sie sich gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Glaubhaftmachung ihrer Restitutionsberechtigung wendet und in diesem Zusammenhang die Auslegung und Anwendung von § 21 InVorG und § 1 VermG durch die Verwaltungsgerichte angreift. Das Verwaltungsgericht hat den von der Beschwerdeführerin mit der Klage angefochtenen Ablehnungsbescheid einer nur summarischen Rechtmäßigkeitskontrolle unterzogen. Ob dieser Bescheid tatsächlich, wie es aufgrund dieser Prüfung angenommen hat, rechtmäßig ist, wird abschließend erst das Hauptsacheverfahren - auf der Grundlage der dort vorzunehmenden Vollprüfung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht - ergeben. In ihm besteht erforderlichenfalls auch die Möglichkeit, den mit der Verfassungsbeschwerde geltend gemachten materiellen Grundrechtsverletzungen abzuhelfen.

(2) Die Beschreitung und Erschöpfung des Hauptsacherechtswegs ist der Beschwerdeführerin auch zumutbar. Ihr entsteht durch die Verweisung auf diesen Rechtsweg kein schwerer Nachteil. Zwar geht der Beschwerdeführerin, weil es dabei bleibt, daß die aufschiebende Wirkung der Klage nicht wiederhergestellt wird, die in § 21 Abs. 6 Satz 1 InVorG vorgesehene Sperrwirkung endgültig verloren. Der von ihr geltend gemachte Rückübertragungsanspruch wird aber dadurch, wie ausgeführt, nicht gefährdet. Ob er als glaubhaft gemacht angesehen werden kann und auch die weiteren Voraussetzungen des § 21 InVorG erfüllt sind, hängt von gegebenenfalls ergänzendem Vortrag der Beschwerdeführerin und weiterer Sachaufklärung durch das Verwaltungsgericht ab.

b) Mit ihren Rügen, durch die angegriffene Entscheidung würden ihre Rechte aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG und das Gebot eines fairen Verfahrens verletzt, kann die Beschwerdeführerin in der Sache nicht durchdringen.

aa) Daß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG bei der Ablehnung von Investitionsanträgen nach § 21 InVorG für Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die summarische Überprüfung des Ablehnungsbescheids nicht ausschließt, ist bereits dargelegt worden. Art. 103 Abs. 1 GG und die Gewährleistung eines fairen, rechtsstaatlichen Grundsätzen verpflichteten gerichtlichen Verfahrens zwingen zu keiner anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung, weil ihnen, was Maß und Intensität verwaltungsgerichtlicher Kontrolle im Eilverfahren anbelangt, keine schärferen Maßstäbe entnommen werden können.

bb) Soweit die Beschwerdeführerin schließlich zur Begründung ihrer vorbezeichneten Rügen geltend macht, das Verwaltungsgericht habe Aufklärungsmöglichkeiten, die ihm zur Verfügung gestanden hätten, nicht genutzt, wendet sie sich gegen die Gestaltung des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens und gegen die Feststellung des für die verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung maßgeblichen Sachverhalts. Beides ist vornehmlich Sache des jeweils zuständigen Fachgerichts und unterliegt grundsätzlich nicht der Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>). Daß das Verwaltungsgericht bei Wahrnehmung seiner tatrichterlichen Aufgaben Bedeutung und Reichweite von Grundrechten grundlegend verkannt oder sachfremde Erwägungen angestellt haben könnte, ist nicht ersichtlich. Auch führt die Beschwerdeführerin in der Verfassungsbeschwerde nicht aus, daß und aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgericht die Notwendigkeit einer weiteren Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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