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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 10.05.1999
Aktenzeichen: 2 BvR 2259/97
Rechtsgebiete: BVerfGG, BtMG, StGB, GVG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 23 Abs. 1 Satz 2
BVerfGG § 92
BtMG § 30a Abs. 2 Nr. 2
StGB § 52
StGB § 53
GVG § 132 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 2259/97 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn C...

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Joachim Albert, Herzogstraße 10 A, Düsseldorf -

gegen

a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. Oktober 1997 - 2 StR 520/96 -,

b) das Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Juni 1996 - 115-7/96 -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Winter, Hassemer gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 10. Mai 1999 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage derselben Tat im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG sowie einer tatbestandlichen Bewertungseinheit von zwei Handlungen im Sinne des Betäubungsmittelgesetzes.

1. Der Beschwerdeführer wurde zuerst wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, danach auch wegen unerlaubten bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG verurteilt.

a) Durch ein Berufungsurteil, das hier nicht angegriffen ist, verurteilte ihn das Landgericht unter anderem wegen Besitzes von 16,78 g Heroin. Dem lag die Annahme zugrunde, er habe diese Drogenmenge von einem anderen als Pfand für Spielschulden erhalten.

b) Durch das angegriffene erstinstanzliche Urteil verurteilte das Landgericht ihn unter anderem wegen bewaffneten Handeltreibens mit rund 6,5 kg Heroin. Es verhängte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem vorgenannten Berufungsurteil eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren. Diesem Urteil liegen folgende Feststellungen, auch zur Herkunft der 16,78 g Heroin, zugrunde:

Im Januar 1995 erhielt der Beschwerdeführer von einem gewissen A. 7 kg Heroin zur Aufbewahrung. Der Beschwerdeführer vermittelte A. einen Abnehmer für 500 g dieses Heroins. Die übrigen 6,5 kg bot A. dem Beschwerdeführer zum Kauf an. Dieser entnahm aber nur 20 g, die er als Probe für Kaufinteressenten in einem Pkw verwahrte. Die übrigen knapp 6,5 kg Heroin wurden in den Kofferraum eines anderen Pkw verbracht. Den Schlüssel dazu nahm A. an sich, der dann ohne Benutzung dieses Fahrzeugs verreiste. In der Nacht des 4. Februar 1995 brachen zwei Personen, S. und Ö., den Kofferraum des Pkw auf und nahmen das Heroin weg. Der Beschwerdeführer ermittelte dessen Verbleib und zwang S. unter Anwendung von Gewalt und Drohung mit einer Schußwaffe zur Herausgabe. Danach brachte er das Heroin in die Wohnung eines gewissen S. Dort bewahrte er es auf, um es später selbst zu verkaufen. Am 10. Februar 1995 wurde er verhaftet. Dabei wurden in seinem Pkw 16,78 g Heroin gefunden, die zu den Proben gehörten, welche er der ursprünglichen Gesamtmenge entnommen hatte.

2. Das Landgericht nahm an, durch die Verurteilung wegen Besitzes der 16,78 g Heroin sei die Strafklage im Hinblick auf die gewaltsame Wiederbeschaffung der 6,5 kg Heroin nicht verbraucht. Zwar liege eine Bewertungseinheit vor. Jedoch habe das Berufungsgericht, das noch von einem anderen Sachverhalt ausgegangen war, diese weitere Handlung nicht berücksichtigen können.

3. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision des Beschwerdeführers (BGHSt 43, 252 ff.). Er führte aus, er neige zu der Auffassung, daß auch dann, wenn materiell-rechtlich eine Bewertungseinheit anzunehmen sei, nicht notwendigerweise bezüglich aller Teilakte auch eine Tat im prozessualen Sinne vorliegen müsse. Jedoch komme es darauf nicht an, da im vorliegenden Fall keine Bewertungseinheit gegeben sei. Eine Bewertungseinheit des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln liege nur vor, wenn mehrere Teilmengen gleichzeitig zum Zwecke der Weiterveräußerung erworben worden seien. Der Besitzerwerb an der ursprünglichen Gesamtmenge sei zur Zeit der Wiedererlangung der rund 6,5 kg Heroin beendet gewesen. Die Wegnahme dieses Heroins durch S. habe eine Zäsur gebildet. Die gewaltsame Wiederbeschaffung weise auch eine andere Handlungsqualität auf. Die Gleichzeitigkeit des anschließenden Besitzes zweier Teilmengen ändere nichts am Vorliegen verschiedener Taten.

II.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Art. 103 Abs. 3 GG. Als Folge seiner Annahme, es liege eine Bewertungseinheit vor, wird zudem die Verhängung zweier Einzelstrafen in Frage gestellt.

Der Beschwerdeführer meint, tateinheitliche Handlungen im Sinne des § 52 StGB seien grundsätzlich auch eine Tat im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG. Bereits mit seiner anfänglichen Inbesitznahme der Gesamtmenge des Heroins habe eine Bewertungseinheit vorgelegen. Alle nachfolgenden Teilakte seien dadurch zur Tateinheit verbunden. Der zeitweilige Besitzverlust sei nicht geeignet, eine Zäsur anzunehmen, zumal er von Anfang an gewußt habe, wer das Rauschgift gestohlen hatte. Eine Bewertungseinheit ergebe sich auch daraus, daß die Teilmenge von 16,78 g sich ununterbrochen in seinem Besitz befunden habe. Die Unmöglichkeit des tatrichterlichen Erfassens von Teilakten einer mehraktigen Tat, die in der Anklageschrift nicht erwähnt wurden, sei kein Grund, von mehreren prozessualen Taten auszugehen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (§ 93a Abs. 2 Buchst. a BVerfGG), da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden sind (vgl. BVerfGE 23, 191 <202>; 45, 434 <435 f.>; 56, 22 <27 ff.>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchst. b BVerfGG); denn sie ist teilweise unzulässig, teilweise hat sie in der Sache keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich der Grundsatz "ne bis in idem" im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG auf den geschichtlichen Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluß hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (vgl. BVerfGE 23, 191 <202>; 45, 434 <435>; 56, 22 <28>). Ob verschiedene Urteile dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG betreffen, muß unabhängig von dem materiell-rechtlichen Konkurrenzverhältnis im Sinne der §§ 52, 53 StGB beurteilt werden (vgl. BVerfGE 45, 434 <435 f.>; 56, 22 <28>). Zwar wird in der Regel eine einheitliche Tat im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG vorliegen, wenn es materiell-rechtlich um eine Handlung im Sinne von § 52 StGB geht. Jedoch sind Ausnahmen verfassungsrechtlich möglich (vgl. BVerfGE 56, 22 <32 ff.>).

b) In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt ist der Maßstab für die verfassungsrechtliche Überprüfung der materiell-rechtlichen Konkurrenzlage einerseits und der Tatidentität im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG andererseits (vgl. BVerfGE 45, 434 <435 f.>). Bei ersterer geht es grundsätzlich um die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts, die den Fachgerichten übertragen ist. Deren Entscheidungen kann das Bundesverfassungsgericht nur beanstanden, wenn sie objektiv willkürlich getroffen wurden. Die Frage, ob dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG vorliegt, unterliegt dagegen in vollem Umfang der verfassungsrechtlichen Nachprüfung.

2. Daran gemessen kann im vorliegenden Fall eine Grundrechtsverletzung nicht festgestellt werden.

a) Soweit es um die Frage geht, ob die beiden getrennt abgeurteilten Handlungen eine Bewertungseinheit und damit eine Tat im Sinne des § 52 StGB darstellen, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Der Beschwerdeführer hat entgegen §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG nicht vorgetragen, daß dem angegriffenen Urteil des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs ein Anfrageverfahren gemäß § 132 Abs. 3 GVG vorausgegangen war. Der 2. Strafsenat hatte aufgrund eines Beschlusses vom 19. März 1997 bei den anderen Strafsenaten angefragt, ob deren Rechtsprechung der Entscheidung entgegenstehe, daß selbst bei Annahme einer tatbestandlichen Bewertungseinheit, wie im landgerichtlichen Urteil, Strafklageverbrauch nicht eingetreten sei. Dazu hatten sich der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs durch Beschluß vom 7. Mai 1997 - 1 ARs 8/97 = NStZ 1997, S. 508, der 3. Strafsenat durch Beschluß vom 7. Mai 1997 - 3 ARs 7/97 -, der 4. Strafsenat durch Schreiben des Vorsitzenden vom 6. Mai 1997 - 4 ARs 9/97 - und der 5. Strafsenat durch Beschluß vom 15. Mai 1997 - 5 ARs 18/97 - geäußert. Das angegriffene Urteil des 2. Strafsenats erging unter Berücksichtigung dieser Äußerungen. Das Bundesverfassungsgericht kann dieses Urteil, durch das die landgerichtliche Annahme überholt ist, es liege eine Bewertungseinheit vor, nicht anhand des Willkürmaßstabes überprüfen, da jeder Vortrag des Beschwerdeführers zum Anfrageverfahren fehlt.

b) Soweit die Verfassungsbeschwerde die Frage des Vorliegens derselben Tat im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG betrifft, ist von den Feststellungen im angegriffenen tatrichterlichen Urteil auszugehen. Davon entfernt sich der Beschwerdeführer mit der Annahme, er habe stets gewußt, wo sich die 6,5 kg Heroin befunden hatten; insofern ist sein Vorbringen unbeachtlich. Soweit er sich auch auf Feststellungen des Berufungsurteils, die nicht in Rechtskraft erwachsen sind (vgl. BGHSt 43, 102 ff.), stützt, gehen seine Ausführungen gleichfalls fehl.

Zu entscheiden ist danach nur, ob der Besitz von 16,78 g Heroin im Fahrzeug und das Vorrätighalten der gewaltsam zurückerlangten rund 6,5 kg Heroin in der Wohnung des S. zum Verkauf nach natürlicher Auffassung denselben Lebenssachverhalt betreffen (vgl. BVerfGE 56, 22 <28>). Dies ist zu verneinen. Denn die auf beide Drogenmengen bezogenen Handlungen des Beschwerdeführers betrafen verschiedene Tatobjekte an verschiedenen Orten. Allein die zeitliche Überschneidung des Besitzes beider Mengen führt nicht dazu, daß doch dieselbe Tat vorlag.

Auch die Absicht des Beschwerdeführers, die 16,78 g Heroin als Probe für Kaufinteressenten zu verwenden und die 6,5 kg Heroin an solche Interessenten zu verkaufen, verbindet die beiden Lebenssachverhalte nicht zu einer Tat. Das Bundesverfassungsgericht hat nur für den Sonderfall einer endgültigen Gewissensentscheidung bei der Verweigerung des Wehr- und Ersatzdienstes angenommen, daß verschiedene Handlungen aufgrund einer einheitlichen inneren Tatseite im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG dieselbe Tat darstellen (vgl. BVerfGE 23, 191 <203 ff.>; Beschluß des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1984 - 2 BvR 100/84 -, NJW 1984, S. 1675 f.). Damit ist die vorliegende Fallkonstellation nicht vergleichbar. Der gewaltsame Besitzerwerb an den 6,5 kg Heroin beruhte auf einem neuen, gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG auch anders qualifizierten Entschluß.

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht, daß beide Teilmengen des Heroins ursprünglich aus einer Gesamtmenge stammten. Zwar handelte es sich bei dem anfänglichen Besitz der Gesamtmenge möglicherweise um einen Lebenssachverhalt, dem der fortdauernde Besitz der 16,78 g als unselbständiger Teil zugeordnet werden könnte. Dieser Sachverhalt liegt jedoch der Verurteilung gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG nicht zugrunde.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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