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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 11.03.2005
Aktenzeichen: 10 B 2462/04
Rechtsgebiete: BauO NRW


Vorschriften:

BauO NRW § 35 Abs. 3
In einem gegen die Baugenehmigung für eine Windenergieanlage geführten verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren kann eine in Bezug auf die Windenergieanlage erstellte Immissionsprognose oder -messung auch dann verwertbar sein, wenn sie sich nicht unmittelbar auf das Grundstück des Antragstellers bezieht.
Tatbestand:

Die Antragsteller begehrten die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung zweier Windenergieanlagen. Das im Außenbereich gelegene Grundstück der Antragsteller ist von den Standorten der zwischenzeitlich fertiggestellten Anlagen 680 m beziehungsweise 750 m entfernt. Die im Baugenehmigungsverfahren erstellte Immissionsprognose, deren Plausibilität durch eine spätere Immissionsmessung bestätigt wurde, ergab für einen zwischen dem Grundstück der Antragsteller und den Anlagenstandorten festgelegten Immissionspunkt einen Beurteilungspegel von 42,6 dB(A) in der ungünstigsten Nachtstunde. Der Antrag blieb in beiden Instanzen erfolglos.

Gründe:

Das VG hat die im Rahmen der §§ 80a Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO erforderliche Interessenabwägung zu Lasten der Antragsteller vorgenommen. Die diese Interessenabwägung tragenden Gründe werden durch das Beschwerdevorbringen, das der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, nicht widerlegt.

Bei der in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Überprüfung der Sach- und Rechtslage spricht alles dafür, dass der genehmigte Betrieb der beiden bereits errichteten Windenergieanlagen geschützte Rechtspositionen der Antragsteller nicht unzumutbar beeinträchtigt.

Dies gilt insbesondere für die durch den Betrieb der Anlagen verursachten Geräuschimmissionen.

Nach ständiger Rechtsprechung der Bausenate des beschließenden Gerichts können im Außenbereich gelegene Wohnhäuser nicht die für Wohngebiete maßgeblichen Schutzmaßstäbe für sich in Anspruch nehmen, sondern lediglich den Schutzmaßstab eines Misch- oder Dorfgebiets (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 3.9.1999 - 10 B 1283/99 -, NVwZ 1999, 1360).

Die Antragsteller - deren Wohngrundstück unstreitig im Außenbereich liegt - kann daher, was die Lärmbeeinträchtigung durch benachbarte Windenergieanlagen angeht, nur die Einhaltung eines Immissionsrichtwertes von tagsüber 60 dB(A) und 45 dB(A) während der Nachtstunden beanspruchen (Nr. 6.1 Satz 1 Buchstabe c der TA Lärm). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Werte - bezogen auf ihr Grundstück - nicht eingehalten werden können.

Den angefochtenen Baugenehmigungen liegt ein Schalltechnisches Gutachten des Ingenieurbüros R. & H. vom 29.11.2002 - ergänzt am 19.8.2003 sowie am 12.11.2003 - zu Grunde, das zwar keine konkrete Prognose des auf dem Grundstück der Antragsteller im Zusammenhang mit dem Betrieb der Windenergieanlagen zu erwartenden Beurteilungspegels enthält, gleichwohl aber hinreichend sichere Rückschlüsse auf einen - was die Antragsteller angeht - nachbarverträglichen Anlagenbetrieb zulässt.

Das Gutachten geht in seiner letzten Ergänzung vom 12.11.2003 davon aus, dass sich durch den Lärm der im Streit befindlichen pitch-gesteuerten Windenergieanlagen an dem auf dem Grundstück H. 54 gelegenen Immissionspunkt IP5 unter Einbeziehung des Lärms einer weiteren benachbarten Windenergieanlage in der ungünstigsten Nachtstunde ein Beurteilungspegel von 42,6 dB(A) ergibt, wobei die Immissionsbeiträge der hier in Rede stehenden Anlagen lediglich 34,3 dB(A) beziehungsweise 37,1 dB(A) ausmachen. Die Gutachter haben dabei einen leistungsreduzierten und damit schalloptimierten Betrieb der Anlagen (Reduzierung der elektrischen Leistung auf 800 kW und Begrenzung der Rotordrehzahl auf 14,7 U/min) vorausgesetzt und einen Zuschlag von 2,5 dB(A) zur Abschätzung der oberen Vertrauensbereichsgrenze eingerechnet. Der IP5 liegt südwestlich des auf dem Grundstück der Antragsteller aufstehenden Wohngebäudes und damit näher zu den noch weiter südwestlich gelegenen Standorten der vorhandenen Windkraftanlagen. Während der Abstand zwischen dem IP5 und den Windkraftanlagen etwa 600 m beziehungsweise 490 m beträgt, sind die Anlagen vom Wohngebäude der Antragsteller rund 680 m beziehungsweise 750 m entfernt. Da der von einer Lärmquelle erzeugte Schalldruckpegel bei zunehmender Entfernung von der Lärmquelle abnimmt, spricht alles dafür, dass die Immissionsbeiträge der hier zu prüfenden Windenergieanlagen am Wohngebäude der Antragsteller deutlich niedriger liegen, als die für den IP5 mittels Ausbreitungsrechnung im alternativen Verfahren gemäß DIN ISO 9613-2 prognostizierten Immissionsbeiträge, das heißt niedriger als 34,3 dB(A) beziehungsweise 37,1 dB(A).

Die Antragsteller haben ihre Einwände gegen die Plausibilität der Immissionsprognose, die durch eine am 20.2.2004 von den Gutachtern der K. vorgenommene Immissionsmessung am IP1 (Ersatzwohnhaus auf dem Grundstück R. 24 in Ra.) bestätigt worden ist, angesichts der niedrigen prognostizierten Immissionsbeiträge, die eine Überschreitung der Richtwerte auf ihrem Grundstück nahezu ausgeschlossen erscheinen lassen, nicht ausreichend substanziiert. Dies betrifft sowohl die Frage eines angeblich um 1 dB(A) zu niedrig angenommenen Schallleistungspegels als auch etwaige Zuschläge für die behaupteten besonderen Auffälligkeiten der Anlagengeräusche.

Mit Blick auf die Entfernung der Anlagen zum Wohngebäude der Antragsteller ist auf der Grundlage des Beschwerdevorbringens auch nicht erkennbar, dass die sonstigen behaupteten Beeinträchtigungen durch den Betrieb der Anlagen die Schwelle der Zumutbarkeit überschreiten und deshalb den Antragstellern gegenüber rücksichtslos sind. Insbesondere ist keine Beeinträchtigung durch unzulässigen Schattenwurf zu erwarten. Das im Baugenehmigungsverfahren vorgelegte Schattenwurfgutachten des Planungsbüros S. gelangt zu dem Ergebnis, dass für den auf dem Grundstück der Antragsteller bestimmten Immissionsort SR09 im ungünstigsten Fall eine Beschattungsdauer von insgesamt etwas weniger als 30 h/a und eine reale Beschattungsdauer von 4:44 h/a anzunehmen ist. Solche Werte sind nach den Hinweisen des Arbeitskreises Lichtimmissionen des Länderausschusses für Immissionsschutz zur Ermittlung und Beurteilung der optischen Immissionen von Windenergieanlagen zumutbar (vgl. Landesumweltamt - LUA - Nordrhein-Westfalen, Materialien Nr. 63, Windenergieanlagen und Immissionsschutz, 2002, Nr. 5.2.2).

Was die von den Antragstellern als "Bewegungssuggestion" beschriebene optische Wirkung der Anlagen angeht, hängt die Beantwortung der Frage, ob diese durch das Drehen der Rotorblätter erzeugte optische Wirkung rücksichtslos ist, von den Umständen des Einzelfalles und nicht zuletzt von dem Abstand zwischen der Anlage und dem betroffenen Wohnbereich ab. Der Senat neigt dazu, jedenfalls bei einem Abstand jenseits der 300 m insoweit keinen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme anzunehmen (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 2.4.2003 - 10 B 1572/02 - ).

Dass - wie die Antragsteller behaupteten - beim Betrieb der umstrittenen Anlagen ein so genannter "Diskoeffekt" auftritt, hervorgerufen durch Lichtreflexe auf den Anlagenteilen, wird durch die Beschwerde angesichts der Einschätzung des Landesumweltamtes, wonach derartige Lichtreflexe entsprechend dem Stand der Technik in Bezug auf die Oberflächenbeschaffenheit der modernen Anlagen kein besonderes Problempotenzial mehr darstellen (vgl. LUA Nordrhein-Westfalen, Materialien Nr. 63, Windenergieanlagen und Immissionsschutz, 2002, Nr. 5.3), nicht ausreichend belegt.

Soweit die Antragsteller Beeinträchtigungen geltend machen, die mit der Bausubstanz der Windenergieanlagen zusammenhängen - etwa die bedrängende Höhe, Verstöße gegen Abstandflächenvorschriften oder blinkende Gefahrenfeuer zur Nachtkennzeichnung als Luftfahrthindernis -, können sie damit die begehrte Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht zu ihren Gunsten beeinflussen. Insoweit fehlt es schon am erforderlichen Rechtsschutzinteresse für diese Entscheidung, da sie die Beseitigung der bereits errichteten Anlagen im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes nicht erreichen können.

Was das umfangreiche Beschwerdevorbringen im Übrigen angeht, weist der Senat darauf hin, dass im verwaltungsgerichtlichen Streit um die einem Dritten erteilte Baugenehmigung der betroffene Nachbar Abwehransprüche gegen die Baugenehmigung nur aus solchen öffentlich-rechtlichen Vorschriften herleiten kann, die - bezogen auf den konkreten Fall - zumindest auch seinem Schutz zu dienen bestimmt sind (nachbarschützende Vorschriften). Eine Aufhebung der Baugenehmigung wegen Verstoßes gegen nicht nachbarschützende Vorschriften kann er dagegen nicht verlangen.

Im Hinblick auf diese Grundsätze sind Teile des Beschwerdevorbringens von vornherein nicht geeignet, den geltend gemachten Anspruch der Antragsteller auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Widersprüche gegen die den Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen zu stützen. Dies gilt beispielsweise für die Behauptung der Antragsteller, die Baugenehmigung für die Windenergieanlage auf dem Flurstück 44 sei - unabhängig von der Beeinträchtigung eigener materieller Rechtspositionen - mangels eines zu Grunde liegenden Bauantrags und mangels Beteilung bestimmter Fachbehörden im Baugenehmigungsverfahren rechtswidrig. Nichts anderes gilt für die Behauptung, die Windenergieanlagen seien wegen abweichender Bauausführung - gemeint sind eine geringfügige Veränderung der Gesamthöhe und eine geringfügige Verschiebung des Standortes - von den Baugenehmigungen nicht gedeckt. Ebenso wenig nachbarschützend sind Vorschriften, die den Schutz von Natur und Landschaft einschließlich des Landschaftsbildes und der Fauna bezwecken.

Ob der maßgebliche Gebietsentwicklungsplan und/oder der Flächennutzungsplan der Gemeinde Ra. im Hinblick auf den dargestellten Windeignungsbereich BOR 30 unwirksam sind, spielt für einen Abwehranspruch der Antragsteller gegen die umstrittenen Windenergieanlagen ebenfalls keine Rolle. Gegen die im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierten Anlagen können sie lediglich die Verletzung des in § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB verankerten Rücksichtsnahmegebotes geltend machen.

Soweit die Antragsteller vortragen, die angefochtenen Baugenehmigungen beträfen zwei von insgesamt mehr als drei in engem räumlichen Zusammenhang genehmigten Windenergieanlagen, sodass statt der Baugenehmigungsverfahren immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren hätten durchgeführt werden müssen, verhilft auch dies der Beschwerde nicht zum Erfolg. Der Senat hat in der Vergangenheit entschieden, dass die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes über das vereinfachte Genehmigungsverfahren gemäß § 19 BImSchG und die Vorschriften, die die Zuständigkeit für die Erteilung einer diesbezüglichen Genehmigung regeln, keinen Nachbarschutz vermitteln (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.3.2003 - 10 B 2088/02 -, m.w.N.).

Der 22. Senat des beschließenden Gerichts hat entschieden, dass bei der im Rahmen der §§ 80, 80a VwGO erforderlichen Interessenabwägung die verfahrensrechtlichen Vorschriften des § 10 BImSchG allein keine Rechtsposition des Nachbarn gegen die baurechtliche Genehmigung einer Windenergieanlage begründeten, da § 10 BImSchG nicht zu den Verfahrensvorschriften gehöre, bei denen ausnahmsweise Nachbarschutz allein auf Grund der Möglichkeit gewährt werden müsse, dass infolge des verkürzten Verfahrens der erforderliche Nachbarschutz nicht sichergestellt sei. Auch aus den Vorschriften über das Erfordernis einer Umweltverträglichkeitsprüfung sei kein nachbarliches Abwehrrecht herzuleiten (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7.1.2004 - 22 B 1288/03 -).

Die grundsätzliche Entscheidung darüber, ob im Hinblick auf eine europarechtskonforme Auslegung der innerstaatlichen Verfahrensvorschriften und die jüngste Rechtsprechung des BVerwG zum Begriff der "Windfarm" (vgl. BVerwG, Urteil vom 30.6.2004 - 4 C 9.03 -, NVwZ 2004, 1235; OVG Rh.-Pf., Beschluss vom 25.1.2005 - 7 B 12114/04.OVG und 7 E 12117/04.OVG -) an diesen bisher vertretenen Rechtsansichten der Bausenate festzuhalten ist, muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Für die Antragsteller ergibt sich durch die Aussparung der besagten Fragenkomplexe im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes letztlich kein unzumutbarer Nachteil, da angesichts der oben geschilderten Prognoseergebnisse Anhaltspunkte für eine unzulässige Beeinträchtigung des ihnen gehörenden Wohngrundstücks nicht ersichtlich sind.

Die Ausführungen der Beschwerde zu den sich nach Auffassung der Antragsteller aus der Richtlinie 2002/49 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.6.2002 über die Bewertung und Bekämpfung von Umgebungslärm (EGRL 49/2002) ergebenden individuellen Rechten genügt nicht den Anforderungen des § 146 Abs. 4 VwGO. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Erstellung eines Lärmminderungskonzeptes durch eine Lärmkartierung nach festgesetzten Bewertungskriterien und durch die Annahme von Aktionsplänen sowie die Veröffentlichung lärmrelevanter Daten in einem bis etwa 2013 reichenden Zeitraum. In welcher Weise dies sich in den streitgegenständlichen Baugenehmigungsverfahren hätte auswirken können und woraus sich der von der Beschwerde behauptete Drittschutz zu Gunsten der Antragsteller ableiten lassen könnte, bleibt unklar.

Was schließlich die Unfallgefahren angeht, auf die sich die Antragsteller zur Begründung ihres Aussetzungsantrags berufen, ist das Beschwerdevorbringen unsubstanziiert. Der pauschale Hinweis auf die bloße Möglichkeit, dass sich Teile des Rotors lösen oder Eisbrocken von den Rotorblättern geschleudert werden könnten, genügt unter Berücksichtigung der Entfernung zwischen den Windenergieanlagen und dem Grundstück der Antragsteller nicht, um eine über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Gefährdung ihres Grundstücks darzulegen, die die gleichwohl erteilten Baugenehmigungen als rücksichtslos erscheinen lässt.

Ende der Entscheidung

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