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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 15.05.2006
Aktenzeichen: 1 B 04.1893
Rechtsgebiete: BayBO


Vorschriften:

BayBO Art. 6 Abs. 9
BayBO Art. 7 Abs. 5 Satz 1
Eine Abstandsfläche kann aus tatsächlichen Gründen nicht überbaut werden (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 3 BayBO), wenn auf ihr weder ein Gebäude noch eine bauliche Anlage, von der Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen (Art. 6 Abs. 9 BayBO), errichtet werden kann.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

1 B 04.1893

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Anfechtung einer Baugenehmigung für eine Werbeanlage (Fl.Nr. ****** Gemarkung **********);

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 12. Mai 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Langer

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 9. Mai 2006

am 15. Mai 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Mai 2004 wird geändert.

Der Bescheid der Stadt I********* vom 22. Mai 2003 und der Widerspruchsbescheid der Regierung *** ********** vom 16. Oktober 2003 werden aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Klägerin nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für eine Werbeanlage.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. **** Gemarkung I********t. Das in etwa dreieckige, für den Gebrauchtwagenhandel genutzte Grundstück verengt sich an seinem östlichen Ende auf den letzten 10 Metern von knapp 2 m auf 0,20 bis 0,30 m. Südlich des Grundstücks verläuft die T******-*****-Straße (Fl.Nr. ******* im Eigentum der Beklagten). Nördlich grenzt in diesem Bereich das Grundstück Fl.Nr. ****** an.

Die Beklagte erteilte der Beigeladenen mit Bescheid vom 22. Mai 2003 die Genehmigung, auf dem Bürgersteig der T******-*****-Straße entlang dem östlichen Ende des Grundstücks der Klägerin im Abstand von wenigen Zentimetern zur Grundstücksgrenze eine Doppelwerbetafel im "Euro-Format" (Breite jeweils 3,80 m, insgesamt ca. 7,60 m; Höhe jeweils 2,75 m, mit Sockel jeweils 3,30 m) zu errichten. Die Beigeladene hat das Vorhaben ausgeführt.

Den von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies die Regierung *** ********** mit Widerspruchsbescheid vom 16. Oktober 2003 zurück. Die Abstandsflächenvorschriften fänden auf aufgeständerte, freistehende Werbetafeln wie die der Beigeladenen keine Anwendung, weil von ihnen keine Wirkungen wie von Gebäuden ausgingen. Aber auch bei Anwendung der Abstandsflächenvorschriften seien Nachbarrechte der Klägerin nicht verletzt, weil der spitz zulaufende Zwickel des Grundstücks Fl.Nr. **** aus tatsächlichen Gründen nicht mit einem Gebäude bebaubar sei. Die Errichtung sonstiger baulicher Anlagen, wie etwa einer Werbeanlage, sei dort zwar weiterhin möglich, wobei eine Werbeanlage allerdings faktisch deshalb ausscheide, weil sie durch die davor stehenden Tafeln der Beigeladenen verdeckt wäre. Der Konflikt zwischen den Nutzungsinteressen der Klägerin und der Beigeladenen sei nach dem Grundsatz der Priorität zugunsten der Werbeanlage der Beigeladenen zu lösen.

Auch die Klage gegen die Baugenehmigung blieb erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12.5.2004). Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Werbeanlage der Beigeladenen grundsätzlich Abstandsflächen einzuhalten habe. Diese dürften sich auf das Grundstück der Klägerin erstrecken, weil es in dem betroffenen Grundstücksstreifen nicht überbaubar sei. Eine dort allenfalls zu errichtende Werbeanlage sei im Hinblick auf die der Beigeladenen nach dem Prioritätsprinzip bereits erteilte Baugenehmigung sinnlos, weil eine Werbewirkung nicht mehr gegeben sei. Im Übrigen sei eine Werbeanlage auf dem Grundstück der Klägerin auch unzulässig, weil die hierfür erforderliche schriftliche Zustimmung zur Abstandsflächenübernahme auf das nördlich gelegene Grundstück Fl.Nr. ****** im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung an die Beigeladene nicht vorgelegen habe, wohingegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung gegenüber der Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. ****** bestandskräftig geworden sei.

Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung mit Beschluss vom 16. Januar 2006 wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zugelassen.

Die Klägerin macht mit der Berufung - im Wesentlichen im Anschluss an die Gründe des Zulassungsbeschlusses - geltend, dass das Prioritätsprinzip nicht geeignet sei, Zulässigkeitsmängel bei dem Vorhaben der Beigeladenen zu überwinden. Die Annahme, das Grundstück der Klägerin sei nach Genehmigung der Werbeanlage der Beigeladenen aus tatsächlichen Gründen nicht mehr sinnvoll überbaubar, stelle einen unzulässigen Zirkelschluss dar. Ferner sei es rechtsfehlerhaft, nur der Klägerin entgegenzuhalten, dass sich Abstandsflächen einer auf ihrem Grundstück errichteten Werbeanlage auf das Grundstück Fl.Nr. ****** erstrecken würden, wenn dasselbe auch für die Werbeanlage der Beigeladenen gelte.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 12. Mai 2004 zu ändern und den Bescheid der Stadt I********* vom 22. Mai 2003 sowie den Widerspruchsbescheid der Regierung *** ********** vom 16. Oktober 2003 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass sich der Begriff der Überbaubarkeit im Sinne des Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO nur auf Gebäude, nicht aber auf sonstige bauliche Anlagen beziehe; mit einem Gebäude sei das Grundstück der Klägerin, soweit sich darauf Abstandsflächen der Werbeanlage der Beigeladenen erstreckten, nicht bebaubar. Würde man eine Bebaubarkeit mit sonstigen baulichen Anlagen genügen lassen, so wäre die Vorschrift nicht praktikabel oder hätte keinen sinnvollen Anwendungsbereich; denn eine Bebaubarkeit mit irgendeiner baulichen Anlage werde sich kaum je ausschließen lassen. Die Überbaubarkeit des Grundstücks sei zudem aus rechtlichen Gründen ausgeschlossen, weil die Klägerin keine schriftliche Zustimmung zur Abstandsflächenübernahme auf das nördlich gelegene Grundstück Fl.Nr. ****** beigebracht habe. Schließlich wäre eine Werbeanlage auf dem Grundstück der Klägerin auch deshalb rechtlich unzulässig, weil die dabei nach Süden einzuhaltende Abstandsfläche zu mehr als der Hälfte auf der T******-*****-Straße (Fl.Nr. ******) liegen würde.

Die Beigeladene und der Vertreter des öffentlichen Interesses haben sich nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die von der Beklagten erteilte Baugenehmigung für die Errichtung der Werbeanlage (Art. 62 Satz 1, Art. 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 BayBO) verstößt gegen - im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu prüfende - Vorschriften, die dem Schutz der Klägerin dienen (Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, Art. 73 Abs. 1 BayBO, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Für das Vorhaben der Beigeladenen gelten die - nachbarschützenden - Abstandsflächenvorschriften der Bayerischen Bauordnung (1.). Die von der Doppelwerbetafel einzuhaltenden Abstandsflächen erstrecken sich unzulässigerweise zum Teil auf das Grundstück der Klägerin und verletzen diese dadurch in ihren Rechten (2.).

1. Mit dem Verwaltungsgericht ist davon auszugehen, dass die Werbeanlage der Beigeladenen den Abstandsflächenvorschriften unterliegt, weil von ihr Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen (Art. 6 Abs. 9 BayBO).

Ob "andere bauliche Anlagen" im Sinne des Art. 6 Abs. 9 BayBO eine gebäudeähnliche Wirkung haben, ist vor allem anhand der Zielsetzung des Abstandsflächenrechts, eine ausreichende Belichtung, Besonnung und Lüftung sicherzustellen (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayBO), zu bestimmen. In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ist weitgehend anerkannt, dass größere Werbeanlagen, wie insbesondere Werbetafeln im "Euro-Format", unter diesen Gesichtspunkten einem Gebäude vergleichbar sind (vgl. BayVGH vom 25.10.1985 Az. 1 B 83 A.135; vom 29.10.2001 Az. 14 ZB 00.2798; vom 28.6.2005 Az. 15 BV 04.2876 = BayVBl. 2006, 114 = BauR 2006, 363 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte und zur Literatur; gegen die Geltung der Abstandsflächenvorschriften BayVGH vom 13.8.1997 Az. 2 B 93.4024 = BayVBl. 1998, 502 = NVwZ 1998, 620 zu einem anders gelagerten Sachverhalt als dem hier zu beurteilenden). Nach den in der Baugenehmigungs- (Bl. 33) und der Verwaltungsgerichtsakte (Bl. 4) befindlichen Fotographien besteht auch ohne Beweisaufnahme durch Augenschein kein Zweifel daran, dass die Wirkungen der Doppelwerbetafel (Gesamtbreite von 7,60 m bei einer Höhe - mit Sockel - von 3,30 m) insbesondere im Hinblick auf die Belichtung der dahinter liegenden Grundstücke denen einer Gebäudewand entsprechen.

2. Die Werbeanlage der Beigeladenen verstößt gegen das Gebot, dass Abstandsflächen auf dem (Bau-) Grundstück selbst liegen müssen (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO). Die nach Norden hin einzuhaltende Abstandsfläche mit einer Tiefe von 3 m (Art. 6 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO) befindet sich fast ausschließlich auf Nachbargrundstücken, nämlich dem Grundstück der Klägerin sowie - was für den Nachbarschutz der Klägerin mittelbar von Bedeutung ist (siehe unten 2 b aa) - dem Grundstück Fl.Nr. ******. Die Erstreckung auf das Grundstück der Klägerin ist nicht zulässig, weil die Klägerin nicht zugestimmt hat und einer Überbauung der Abstandsfläche weder rechtliche noch tatsächliche Gründe entgegenstehen (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO).

a) Die Abstandsfläche darf sich nicht deshalb auf das Grundstück der Klägerin erstrecken, weil der hierfür in Anspruch genommene Bereich des Grundstücks aus tatsächlichen Gründen nicht überbaut werden kann (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 3 BayBO).

aa) Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es für die Beurteilung der Überbaubarkeit eines Nachbargrundstücks im Sinne des Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO nicht allein auf eine mögliche Bebauung mit einem Gebäude (Art. 2 Abs. 2 BayBO) an; "überbaubar" ist eine Abstandsfläche vielmehr auch dann, wenn auf ihr eine andere bauliche Anlage, von der Wirkungen wie von einem Gebäude ausgehen und für die deshalb die Abstandsflächenvorschriften gelten (Art. 6 Abs. 9 BayBO), errichtet werden kann.

Der Sprachgebrauch des Zweiten Teils der Bayerischen Bauordnung ("Das Grundstück und seine Bebauung") geht ersichtlich von einem Gleichklang zwischen den Begriffen der Bebauung bzw. Bebaubarkeit einerseits und dem Begriff der baulichen Anlage andererseits aus. So bezieht sich zum Beispiel der Begriff des "bebauten Grundstücks" in Art. 5 BayBO nicht nur auf Grundstücke, auf denen sich ein Gebäude befindet, sondern ganz allgemein auf solche, die mit baulichen Anlagen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 BayBO bebaut sind (vgl. Taft in Simon/Busse, BayBO, RdNr. 13 zu Art. 5). Wo eine Einschränkung auf bestimmte bauliche Anlagen beabsichtigt ist, ist dies in der jeweiligen Vorschrift deutlich zum Ausdruck gebracht, so etwa in Art. 4 BayBO, der (schon seiner Überschrift nach) nur die Bebauung eines Grundstücks mit einem Gebäude regelt. Eine solche grundsätzliche Einschränkung nur auf Gebäude besteht für den Anwendungsbereich der Abstandsflächenvorschriften nicht; die detaillierte Regelung des Art. 6 Abs. 1 bis 8 BayBO bezieht sich zwar unmittelbar nur auf Gebäude, gilt jedoch sinngemäß auch für die Beurteilung anderer baulicher Anlagen, wenn von ihnen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen (Art. 6 Abs. 9 BayBO).

Soweit nicht einzelne Bestimmungen spezielle Regelungen enthalten, ist daher im systematischen Zusammenhang der Abstandsflächenvorschriften von einem einheitlichen anlagenbezogenen Anwendungsbereich auszugehen, der sowohl Gebäude als auch gebäudeähnlich wirkende andere bauliche Anlagen umfasst. Dies gilt auch für den Begriff der Überbaubarkeit im Sinne des Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO, was nicht zuletzt durch den Sinn und Zweck dieser Vorschrift bestätigt wird. Der Nachbar soll nicht ohne seine Zustimmung (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 1 BayBO) durch die Erstreckung "fremder" Abstandsflächen auf sein Grundstück künftiger eigener Bebauungsmöglichkeiten verlustig gehen, für die er selbst Abstandsflächen auf dem Grundstück benötigen würde; deshalb müssen in die Beurteilung der Überbaubarkeit alle abstandsflächenrechtlich relevanten Vorhaben und nicht nur Gebäude einbezogen werden. Entgegen der Auffassung der Beklagten führt diese Auslegung des Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO auch nicht zu unlösbaren praktischen Schwierigkeiten. Die Bauaufsichtsbehörde muss bei der Überprüfung der Überbaubarkeit nicht, wie die Beklagte meint, "jedwede denkbare und undenkbare sonstige Anlage in Betracht ziehen", sondern nur solche, die den Abstandsflächenvorschriften unterliegen würden. Etwaige Schwierigkeiten bei der Beurteilung, ob danach eine Bebauung des Nachbargrundstücks im Einzelfall möglich ist, stellen sich nicht grundsätzlich anders dar als sonst bei der Anwendung von Art. 6 Abs. 9 BayBO.

Das Grundstück der Klägerin ist in dem betroffenen Bereich zwar nicht mit einem Gebäude, jedoch ohne weiteres etwa mit einer - derjenigen der Beigeladenen vergleichbaren und lediglich um wenige Zentimeter nach Norden versetzten - Werbeanlage bebaubar, wovon im Übrigen auch der Widerspruchsbescheid und das Urteil des Verwaltungsgerichts ausgehen. Da eine solche Werbeanlage - ebenso wie die der Beigeladenen (siehe oben 1) - den Abstandsflächenvorschriften unterliegen würde, ist das Grundstück der Klägerin in dem betroffenen Bereich tatsächlich überbaubar im Sinne des Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 3 BayBO.

bb) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Prioritätsprinzip.

Nach dem Prioritätsprinzip kann zwar nicht nur eine vorhandene (rechtmäßig oder bestandskräftig errichtete) Bebauung die Zulässigkeit späterer Vorhaben einschränken, sondern bereits das Stellen eines Bauantrags. Wenn beispielsweise in einem Mischgebiet (§ 6 Abs. 1 BauNVO) nur noch ein Wohngebäude errichtet werden darf, ohne das diesen Gebietstyp kennzeichnende Mischungsverhältnis von Wohnen und nicht wesentlich störendem Gewerbe "zum Kippen" zu bringen, dann hängt die Genehmigungsfähigkeit von zwei konkurrierenden Wohnbauvorhaben davon ab, für welches der Bauantrag früher gestellt wurde.

Diese Grundsätze können hier aber nicht herangezogen werden, weil bei dem (früheren) Vorhaben, der Werbeanlage der Beigeladenen, eine Genehmigungsvoraussetzung, nämlich die Nichtüberbaubarkeit des Grundstücks der Klägerin, bei Erteilung der Genehmigung nicht erfüllt war (und bis heute nicht erfüllt ist). Die gegenteilige, der Regierung folgende Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das Grundstück der Klägerin nicht überbaubar sei, weil eine dort errichtete Werbeanlage durch die nach dem Prioritätsprinzip genehmigte Werbeanlage der Beigeladenen verdeckt werde und damit mangels Werbewirkung wirtschaftlich sinnlos sei, überzeugt nicht. Denn mit dieser Argumentation wird die Werbeanlage der Beigeladenen, deren Genehmigungsfähigkeit erst zu beurteilen ist, als bereits vorhanden unterstellt, um anschließend aus dem Vorhandensein dieser Werbeanlage auf die mangelnde (wirtschaftlich sinnvolle) Überbaubarkeit des Grundstücks der Klägerin zu schließen, die wiederum Voraussetzung für die Genehmigungsfähigkeit der Werbeanlage ist.

b) Die Erstreckung der Abstandsfläche auf das Grundstück der Klägerin ist auch nicht deshalb zulässig, weil sie aus rechtlichen Gründen nicht überbaut werden kann (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 2 BayBO).

aa) Der Umstand, dass bei der Errichtung einer Werbeanlage auf dem Grundstück der Klägerin Abstandsflächen einzuhalten wären, die sich nach Norden hin größtenteils auf das Grundstück Fl.Nr. ****** erstrecken würden, begründet jedenfalls in der vorliegenden Fallkonstellation keine Unbebaubarkeit aus rechtlichen Gründen.

Die Frage, ob ein Grundstück als aus rechtlichen Gründen nicht bebaubar anzusehen ist, wenn ein Vorhaben dort nur mit einer Abstandsflächenübernahme auf ein Nachbargrundstück (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 1 BayBO) verwirklicht werden kann, muss hier nicht allgemein beantwortet werden. Denn im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit, dass nicht nur die Abstandsfläche einer eventuellen Werbeanlage auf dem Grundstück der Klägerin sich auf das Grundstück Fl.Nr. ****** erstrecken würde, sondern dasselbe - in einem nur unwesentlich geringerem Maße - auch für die entsprechende nördliche Abstandsfläche der Werbeanlage der Beigeladenen gilt. Wenn die Beklagte in dieser Situation im Falle der Beigeladenen auf die Vorlage einer schriftlichen Zustimmung der Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. ****** zur Abstandsflächenübernahme verzichtet oder deren stillschweigende Duldung unterstellt - was beides keine korrekte Verfahrensweise darstellt -, so muss sie wenigstens so konsequent sein, hinsichtlich der Bebaubarkeit des Grundstücks der Klägerin von denselben Annahmen auszugehen; dann aber hätte sie das Grundstück der Klägerin nicht als aus rechtlichen Gründen unbebaubar behandeln dürfen. Nicht angängig ist jedenfalls die gleichsam "gespaltene" Argumentation im Urteil des Verwaltungsgerichts (Seite 7 unten/Seite 8 oben), einerseits der Klägerin bei der Prüfung der Bebaubarkeit ihres Grundstücks das Fehlen einer schriftlichen Zustimmung zur Abstandsflächenübernahme entgegenzuhalten und andererseits zugunsten der Werbeanlage der Beigeladenen die im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung noch gar nicht eingetretene Bestandskraft der Baugenehmigung gegenüber der Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. ****** anzuführen.

bb) Das Grundstück der Klägerin ist schließlich auch nicht deshalb aus rechtlichen Gründen unbebaubar, weil die Abstandsfläche, die von einer dort zu errichteten baulichen Anlage nach Süden hin einzuhalten wäre, sich wiederum auf ein Nachbargrundstück, nämlich das Grundstück Fl.Nr. ****** der Beklagten, erstrecken würde.

Bei dem Grundstück Fl.Nr. ****** handelt es sich um eine öffentliche Verkehrsfläche (T******-*****-Straße), die nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 7 BayBO in die freizuhaltende Abstandsfläche eingerechnet wird. Dabei darf nicht nur, wie die Beklagte meint, höchstens die Hälfte der Abstandsfläche auf der öffentlichen Verkehrsfläche liegen; vielmehr darf sich die Abstandsfläche gegebenenfalls vollständig auf die öffentliche Verkehrsfläche erstrecken, solange sie nur nicht über die Hälfte ihrer Breite, also über die Mittellinie der Straße, hinausreicht (vgl. Dhom in Simon/Busse, BayBO, RdNr. 75 zu Art. 6). Angesichts der Breite der mehrspurigen T******-*****-Straße ist das hier bei der in Betracht kommenden Bebauung nicht zu befürchten.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene keinen Antrag gestellt hat und somit kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) liegen nicht vor.

Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt (§ 72 Nr. 1 Halbsatz 2, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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