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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.03.2006
Aktenzeichen: 1 C 05.3053
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BGB


Vorschriften:

VwGO § 164
ZPO § 106
BGB § 197 Abs. 1 Nr. 3
Der aus einer rechtskräftigen gerichtlichen Kostenlastentscheidung folgende Kostenerstattungsanspruch verjährt gemäß § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB in 30 Jahren.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

1 C 05.3053

In der Verwaltungsstreitsache

wwege Anfechtung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Schweinestalls (Kostenausgleich gemäß § 106 ZPO);

hier: Beschwerde des Beigeladenen zu 1 gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 21. Oktober 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Langer

ohne mündliche Verhandlung am 9. März 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Beigeladene zu 1 trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über einen Kostenerstattungsanspruch des Klägers, gegen den der Beklagte und der Beigeladene zu 1 im Kostenfestsetzungsverfahren insbesondere die Einrede der Verjährung geltend gemacht haben.

Der Kläger hatte als Nachbar die dem Beigeladenen zu 1 erteilte Baugenehmigung für einen Schweinestall angefochten. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 17. September 1997 (Az. M 9 K 96.2473) abgewiesen. Im Berufungsverfahren erklärten die Parteien die Hauptsache übereinstimmend für erledigt. In dem Beschluss vom 5. April 2001 (Az. 1 B 98.949), mit dem das Verfahren eingestellt und die Unwirksamkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts festgestellt wurde, erlegte der Verwaltungsgerichtshof dem Kläger zwei Drittel sowie dem Beklagten und dem Beigeladenen zu 1 jeweils ein Sechstel der Verfahrenskosten beider Instanzen auf.

Nach dem klageabweisenden Urteil des Verwaltungsgerichts hatte der Kostenbeamte mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. März 1998 die notwendigen Aufwendungen, die dem Beigeladenen zu 1 durch die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht entstanden sind, auf insgesamt 9.731,99 DM festgesetzt. Im Hinblick auf die Kostenteilung im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs beantragte der Kläger unter dem 10. März 2005, die Kosten gemäß § 106 ZPO auszugleichen und den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20. März 1998 entsprechend zu ändern. Hiergegen erhob der Beklagte die Einrede der Verjährung. Auch der Beigeladene zu 1 berief sich auf Verjährung und machte außerdem die Verwirkung des Anspruchs des Klägers sowie einen eigenen Erstattungsanspruch geltend.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11. April 2005 lehnte der Kostenbeamte beim Verwaltungsgericht den Antrag vom 10. März 2005 ab, weil dieser "verfristet" sei.

Auf die Erinnerung des Klägers hin hob das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 21. Oktober 2005 den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. März 2005 (richtig: vom 11. April 2005) auf und wies den Kostenbeamten an, erneut über den Antrag auf Kostenausgleich nach der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass eine Rückerstattung bereits beglichener Kosten nicht nur im Klageweg, sondern auch über eine Rückfestsetzung im Kostenfestsetzungsverfahren verlangt werden könne. Im Kostenfestsetzungsverfahren seien materiellrechtliche Einwendungen und Einreden nur zu berücksichtigen, wenn sie offenkundig oder unstreitig sein. Der im Rahmen des Kostenausgleichs geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch des Klägers sei in diesem Sinne weder offensichtlich verjährt noch offensichtlich verwirkt.

Mit der Beschwerde macht der Beigeladene zu 1 geltend, dass der Kostenerstattungsanspruch des Klägers der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliege und deshalb - für den Kostenbeamten offenkundig - mit Ablauf des Jahres 2004 verjährt sei.

Der Beigeladene zu 1 beantragt,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 21. Oktober 2005 aufzuheben.

Der Kläger beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt den angefochtenen Beschluss. Darüber hinaus macht der Kläger geltend, dass eine Verjährung des Kostenerstattungsanspruchs weder offenkundig noch überhaupt eingetreten sei, weil der Anspruch mit dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs dem Grunde nach rechtskräftig festgestellt sei und deshalb der 30-jährigen Verjährung unterliege.

II.

Die gemäß § 146 Abs. 1 VwGO statthafte Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11. April 2005 zu Recht aufgehoben, weil der Kostenbeamte den Antrag des Klägers vom 10. März 2005 nicht mit der Begründung ablehnen durfte, dass der Erstattungsanspruch verjährt oder verwirkt sei.

1. Hinsichtlich der - unter den Beteiligten nicht strittigen - Statthaftigkeit des vom Kläger beschrittenen Wegs, die (teilweise) Erstattung der von ihm beglichenen Verfahrenskosten im Kostenfestsetzungsverfahren (§ 164 VwGO; § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 103 ff. ZPO) zu verlangen, wird auf die Ausführungen im Beschluss des Verwaltungsgerichts (Seiten 5/6 unter II.1.) verwiesen.

2. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass dem Begehren des Klägers auf Kostenausgleich die Einrede der Verjährung und die Einwendung der Verwirkung nicht entgegengehalten werden konnten.

a) Der Senat schließt sich - wie das Verwaltungsgericht - der in Rechtsprechung und Literatur ganz überwiegend vertretenen Auffassung an, dass im Kostenfestsetzungsverfahren materiell-rechtliche Einwendungen und Einreden gegen den prozessualen Kostenerstattungsanspruch grundsätzlich nicht zu berücksichtigen sind. In dem auf Praktikabilität und Effektivität angelegten Verfahren entscheidet der Kostenbeamte lediglich über die Höhe der gemäß der Kostengrundentscheidung zu erstattenden Kosten. Mit materiell-rechtlichen Einwendungen und Einreden, die außerhalb dieses Rahmens liegen, kann sich der Kostenschuldner gegen die Vollstreckung aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss im Wege der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO oder mit einem Rechtsbehelf nach § 775 Nrn. 4, 5 ZPO wehren. Ausnahmsweise sind Einwendungen und Einreden dann zulässig, wenn sie unstreitig oder offenkundig sind (vgl. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung BayVGH vom 14.7.2003 NVwZ-RR 2004, 227 = BayVBl 2004, 284; VGH BW vom 25.8.1989 BWVBl 1990, 15; aus der Literatur - neben den vom Verwaltungsgericht angeführten Nachweisen - außerdem Neumann in Sodan/Ziekow, VwGO, RdNr. 21 f. zu § 164; Redeker/von Oertzen, VwGO, 14. Aufl., RdNr. 4 zu § 164).

b) Ein solcher Fall eines für den Kostenbeamten "offenkundigen" Gegenrechts des Beigeladenen zu 1 liegt hier nicht vor.

aa) Der Anspruch ist nicht offenkundig verjährt. Die Verjährungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs sind durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (BGBl I S. 3138) grundlegend neu geordnet worden. Danach erscheint sowohl die Auffassung vertretbar, dass ein Kostenerstattungsanspruch der neuen regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) unterliegt, als auch die Auffassung, dass ein Kostenerstattungsanspruch als "rechtskräftig festgestellter Anspruch" im Sinne von § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB weiterhin in 30 Jahren verjährt. Im ersteren Fall wäre die Verjährung zum Ablauf des Jahres 2004 und damit vor dem Antrag vom 10. März 2005 eingetreten (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB, Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB), im letzteren Fall wäre der Anspruch des Klägers noch nicht verjährt. Welcher der beiden Auffassungen - mit ihren für die Entscheidung erheblichen Konsequenzen - zu folgen ist, ist nicht ohne weiteres zu beantworten und damit für den Kostenbeamten jedenfalls nicht "offenkundig".

Der Kostenbeamte hätte den Antrag des Klägers aber auch dann nicht ablehnen dürfen, wenn man materiell-rechtliche Einwendungen und Einreden im Kostenfestsetzungsverfahren für uneingeschränkt zulässig hielte (so wohl, jedenfalls für Verjährung und Verwirkung, Geiger in Eyermann, VwGO, 11. Aufl., RdNr. 5 zu § 164). Nach Auffassung des Senats bemisst sich die Verjährung eines Kostenerstattungsanspruchs nach der - hier noch nicht abgelaufenen - 30-jährigen Frist des § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB für rechtskräftig festgestellte Ansprüche. Durch die gerichtliche Entscheidung über die Kosten des Verfahrens - hier im Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 5. April 2001 - entsteht, soweit ein Beteiligter dadurch berechtigt wird, ein dem Grunde nach unbedingter und, wenn die Entscheidung im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar ist, zugleich fälliger Kostenerstattungsanspruch. Mit der Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung werden die Kostenentscheidung und der hierauf beruhende Kostenerstattungsanspruch zum Gegenstand einer rechtskräftigen Feststellung. § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB setzt keinen Leistungstitel voraus; unter die Vorschrift fallen auch Feststellungsurteile, zum Beispiel ein solches, das nur ganz allgemein die Ersatzpflicht eines Schädigers ausspricht (BGH vom 3.11.1988 NJW-RR 1989, 215 zu dem § 197 BGB n.F. entsprechenden § 218 BGB a.F.). Dies rechtfertigt es, § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB auf einen Kostenerstattungsanspruch anzuwenden, auch wenn dieser erst im Kostenfestsetzungsbeschluss dem Betrage nach beziffert wird (so im Ergebnis auch die weitaus überwiegende Meinung; vgl. Heinrichs in Palandt, BGB, 65. Aufl., RdNr. 11 zu § 197; Grothe in Münchener Kommentar zum BGB, 4. Aufl. [Ergänzungsband 1a, 2003], RdNr. 16 zu § 197; aus der nach der Neuordnung des Verjährungsrechts ergangenen Rechtsprechung wie hier OLG Stuttgart vom 15.11.2005 Az. 8 W 513/05 und 8 W 514/05, Juris, mit weiteren Nachweisen; offenlassend BVerwG vom 20.7.2004 RPfleger 2005, 53). Der im Kostenausgleich nach § 106 ZPO zu berücksichtigende Erstattungsanspruch des Klägers ist damit noch nicht verjährt.

bb) Zutreffend hat das Verwaltungsgericht schließlich, was mit der Beschwerde nicht ausdrücklich angegriffen wird, festgestellt, dass der Kostenerstattungsanspruch des Klägers auch nicht, geschweige denn "offenkundig", verwirkt ist. Es sind keine Umstände ersichtlich, die die späte Geltendmachung des Anspruchs als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen.

3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 154 Abs. 2, Abs. 3 Halbsatz 1 VwGO. Zu den Kosten des Verfahrens zählen auch die außergerichtlichen Aufwendungen des Klägers, nicht aber Aufwendungen des Beklagten. Der Beklagte ist als Beteiligter des Hauptverfahrens zwar im Rubrum aufgeführt; an dem Beschwerdeverfahren ist er jedoch nicht beteiligt, weil er kein Rechtsmittel eingelegt hat und somit die Frage, ob ein Erstattungsanspruch des Klägers gegenüber dem Beklagten verjährt oder verwirkt ist, im Beschwerdeverfahren nicht mehr im Streit war.

Eine Streitwertfestsetzung ist nicht erforderlich, weil die Gerichtsgebühr als fester Betrag (50 Euro) erhoben wird (Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 [zu § 3 Abs. 2] GKG).

Ende der Entscheidung

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