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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 10.07.2006
Aktenzeichen: 1 CS 06.407
Rechtsgebiete: VwGO, BayBO, BauGB


Vorschriften:

VwGO § 161 Abs. 2
VwGO § 122 Abs. 2 Satz 2
VwGO § 130
VwGO § 146 Abs. 4 Satz 6
BayBO Art. 6 Abs. 2 Satz 1
BayBO Art. 6 Abs. 5
BayBO Art. 7 Abs. 3
BauGB § 34 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

In der Verwaltungsstreitsache

1 CS 06.407

wegen

Anfechtung von zwei Baugenehmigungen für die Errichtung von zwei Doppelhaushälften (Fl.Nr. ***** Gemarkung ******);

Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs;

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts ******* vom 28. Dezember 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König,

ohne mündliche Verhandlung am 10. Juli 2006 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Das Verfahren wird eingestellt.

Die Nrn. I und II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ******* vom 28. Dezember 2005 sind wirkungslos geworden.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten stritten über die Vollziehbarkeit von zwei Baugenehmigungen.

Die Antragstellerin ist Eigentümerin des unbebauten Grundstücks Fl.Nr. *** Gemarkung K*****. Mit Bescheiden vom 18. Mai 2005 erteilte das Landratsamt E******** den Beigeladenen Baugenehmigungen für die Errichtung von zwei Doppelhaushälften auf dem südlich angrenzenden, in südlicher Richtung ansteigenden Grundstück Fl.Nr. *****. Nach den Bauvorlagen waren östlich der östlichen Haushälfte eine Doppelgarage und nordwestlich der anderen Haushälfte ein Stellplatz mit einer Stützmauer entlang der Grenze geplant. Die Antragstellerin legte jeweils Widerspruch ein und beantragte beim Verwaltungsgericht München die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Rechtsbehelfe (M 9 SN 05.2536). Mit Bescheiden vom 27. Juli 2005 änderte das Landratsamt die Baugenehmigungen. Neben anderen Änderungen wurde der Abstand der nördlichen Außenwand des Doppelhauses von der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin von 4,00 m auf 4,50 m vergrößert; ferner übernahmen die Beigeladenen mit einer "Zustimmungserklärung gem. Art. 7 Abs. 5 Bayer. Bauordnung" die Abstandsfläche der südlichen Außenwand des Doppelhauses zum Teil auf das in ihrem Eigentum stehende Grundstück Fl.Nr. *****, eine Wegefläche, die der Erschließung der Grundstücke Fl.Nrn. *****, ***** und ****** dient.

Die Antragstellerin legte auch die Änderungsbescheide Widersprüche ein, erklärte den beim Verwaltungsgericht anhängigen Antrag mit Zustimmung des Antragsgegners für erledigt und beantragte im August 2005 erneut vorläufigen Rechtsschutz.

Das Verwaltungsgericht hat das für erledigt erklärte Verfahren eingestellt und die Kosten dem Antragsgegner auferlegt, weil die Widersprüche wegen einer Verletzung der Abstandsflächenvorschriften voraussichtlich Erfolg gehabt hätten.

Im Verfahren gegen die geänderten Baugenehmigungen hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung mit Beschluss vom 28. Dezember 2005 abgelehnt. Wie in einem Hinweisschreiben des Berichterstatters näher erläutert worden sei, halte das Doppelhaus die Abstandsflächen nunmehr ein. Die Bedenken gegen die Wirksamkeit der Abstandsflächenübernahme seien durch eine Ergänzung der Erklärungen ausgeräumt. Auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht seien Rechte der Antragstellerin nicht verletzt.

Gegen diese Entscheidung richtete sich die Beschwerde der Antragstellerin.

Mit Schreiben vom 1. Juni 2006 hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass der Beschwerde zwar wohl nicht aus den von der Antragstellerin näher dargelegten Gründen stattzugeben sein werde. Es spreche jedoch einiges dafür, dass die beiden Baugenehmigungen aus anderen, die Doppelgarage und die Stützmauer betreffenden Gründen gegen Vorschriften des Genehmigungsmaßstabs (Art. 73 Abs. 1 BayBO) verstießen, die Rechte der Antragstellerin schützten. Diese Gründe dürften zu berücksichtigen sein. Daraufhin verzichteten die Beigeladenen gegenüber dem Landratsamt auf die Errichtung der Doppelgarage und der Stützmauer. Im Hinblick hierauf hat die Antragstellerin den Rechtsstreit mit Schriftsatz vom 3. Juli 2006 für erledigt erklärt. Der Antragsgegner hatte dem bereits vorab zugestimmt.

Die Beigeladenen haben sich nicht geäußert.

II.

Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, weil der Rechtsstreit aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der beiden Hauptbeteiligten beendet worden ist. Infolge der Erledigung sind die Nrn. I. und II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts ******* vom 28. Dezember 2005 wirkungslos geworden (§ 173 VwGO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 1 ZPO).

Die Entscheidung, dass der Antragsgegner die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt, beruht auf § 161 Abs. 2 VwGO. Nach dieser Vorschrift ist im Fall der Erledigung unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen über die Kosten zu entscheiden. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, die Verfahrenskosten dem Beteiligten aufzuerlegen, der voraussichtlich unterlegen wäre. Nach diesem Maßstab hat der Antragsgegner die Kosten zu tragen. Denn wenn sich der Rechtsstreit nicht erledigt hätte, hätte der Senat den Beschluss des Verwaltungsgerichts geändert und die aufschiebende Wirkung angeordnet, weil die Widersprüche gegen die Baugenehmigungen vom 18. Mai 2005 in der Fassung der Bescheide vom 27. Juli 2005 Erfolg gehabt hätten. Den Beigeladenen dürfen keine Kosten auferlegt werden, weil sie keinen Antrag gestellt haben (§ 154 Abs. 3 VwGO). Dass sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen, ist schon deswegen billig (§ 162 Abs. 3 VwGO), weil auch sie unterlegen sind.

Die Erfolgsaussichten der Widersprüche ergaben sich allerdings nicht aus den von der Antragstellerin zur Begründung der Beschwerde gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO dargelegten Gründen, die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich allein für die Beschwerdeentscheidung maßgebend sind (1.). Die beiden Baugenehmigungen dürften aber aus Gründen gegen Rechte der Antragstellerin schützende Vorschriften des Genehmigungsmaßstabs verstoßen haben (Art. 73 Abs. 1 BayBO § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), die, ohne dargelegt zu sein, ausnahmsweise zu berücksichtigen gewesen wären, weil sie mit einem offensichtlichen Mangel der angefochtenen Entscheidung zusammenhingen (2.).

1. Die im Beschwerdeschriftsatz vom 15. Februar 2006 dargelegten Gründe hätten dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verholfen. Das gilt nicht nur für den behaupteten Verfahrensfehler (a), sondern auch für das Abstandsflächenrecht (b) und das Einfügungsgebot (c)

a) Der Beschwerde wäre nicht wegen eines Mangels des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht stattzugeben gewesen. Der von der Antragstellerin gerügte Verstoß gegen § 122 Abs. 2 Satz 2 VwGO lag nicht vor.

Nach dieser Vorschrift sind Beschlüsse über die Aussetzung der Vollziehung (§ 80, § 80 a VwGO) stets zu begründen. Das Begründungsgebot verpflichtet das Gericht, die für seine Entscheidung wesentlichen Fragen in der Entscheidung zu behandeln. Dieser Anforderung genügt der Beschluss des Verwaltungsgerichts auch insoweit, als wegen der Erwägungen zum Abstandsflächenrecht im Wesentlichen auf ein Hinweisschreiben des Berichterstatters Bezug genommen wird (Seite 4 des Entscheidungsabdrucks). Es ist anerkannt, dass zur Begründung eines Beschlusses auf eine genau bezeichnete, in einem anderen Verfahren ergangene Entscheidung des Gerichts verwiesen werden darf (Kilian in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 122 RdNr. 22 mit weiteren Nachweisen). Ebenso wenig erscheint es bedenklich, wenn sich das Gericht den Inhalt eines in demselben Verfahren ergangenen Schreibens des Berichterstatters, das alle Beteiligten erhalten haben, zur näheren Begründung eines Teils seiner Entscheidung zueigen macht.

b) Nachbarrechte wurden auch nicht durch die in der Beschwerde angesprochenen Mängel der Bauvorlagen verletzt.

Die Bauvorlagen entsprechen zwar (auch) insoweit nicht den Anforderungen der Bauvorlagenverordnung (BauVorlV), als im Erdgeschossgrundriss weder die Grundstücksgrenzen noch die Abstandsflächen dargestellt sind (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. e BauVorlV) und die Darstellung des vorhandenen und des künftigen Geländes in den Schnitten bzw. den Ansichten (§ 8 Abs. 2 Nr. 3 und 4 BauVorlV) unzureichend ist. Mit Bauvorlagen dieser Qualität hätte sich das Landratsamt nicht zufrieden geben sollen.

Allein wegen dieser Mängel stand der Antragstellerin aber kein Abwehrrecht gegen die Baugenehmigung zu, weil die Anforderungen an Bauvorlagen nicht den Zweck haben, die Rechte der Nachbarn zu schützen (vgl. Gaßner/Würfel in Simon/Busse, BayBO, Art. 67 RdNr. 84). Eine unter Verstoß gegen diese Anforderungen erteilte Baugenehmigung kann vom Nachbarn vielmehr nur dann mit Erfolg angegriffen werden, wenn die Bauvorlagen hinsichtlich nachbarrechtsrelevanter Merkmale nicht hinreichend bestimmt sind und infolge dessen eine Verletzung von Nachbarrechten bei der Ausführung des Bauvorhabens nicht ausgeschlossen werden kann (OVG Berlin vom 17.10.2003 BauR 2004, 987; OVG NRW vom 14.11.2001 BRS 64 Nr. 122). Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich nicht, dass solche Mängel in Bezug auf die Abstandsflächenvorschriften vorliegen.

Den Maßangaben in den Tekturlageplänen lässt sich hinreichend deutlich entnehmen, dass die dem Grundstück der Antragstellerin zugewandte nördliche Seite des Doppelhauses einschließlich der beiden "fiktiven" Wandteile, welche die im Bereich der Hauseingänge geplanten Vorbauten auf der Nordseite abschließen, nicht länger als insgesamt 16 m werden darf (Länge der "Hauptwand": 14,64 m; Länge der "fiktiven" Wandteile: jeweils 0,68 m). Die Änderung gegenüber der ursprünglichen Planung, bei der die beiden "fiktiven" Wandteile jeweils 1,00 m lang waren, käme in den genehmigten Bauvorlagen zwar deutlicher zum Ausdruck, wenn auch eine entsprechende Revision in den Erdgeschossgrundrissen erfolgt wäre. Gleichwohl besteht nach den Änderungsbescheiden kein Zweifel, dass insoweit die neuen Lagepläne maßgebend sind.

Die für die Berechnung der Tiefe der Abstandsflächen maßgeblichen Wand- und Giebelhöhen (Art. 6 Abs. 3 Sätze 2 und 5 BayBO) lassen sich trotz fehlender Maßangaben anhand der im Maßstab 1:100 dargestellten Ansichten bestimmen. Die Berechnung, die das Verwaltungsgericht auf dieser Grundlage vorgenommen hat, weist nach summarischer Prüfung keine Fehler auf. Die Berechnung ist aus nachbarlicher Sicht auch insofern unbedenklich, als sie von dem vorhandenen ("natürlichen") Gelände ausgeht (vgl. Art. 6 Abs. 3 Satz 2 BayBO) und nicht von dem geplanten Geländeniveau, bei dem sich - zulasten der Antragstellerin - geringere Wandhöhen ergeben würden.

Auch die geplanten Grenzabstände und damit die Tiefe der Flächen, die für die Einhaltung der Abstandsflächen auf dem Baugrundstück (Abs. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO) zur Verfügung stehen, lassen sich den genehmigten Lageplänen mit der erforderlichen Genauigkeit entnehmen. Auf der dem Grundstück der Antragstellerin zugewandten Nordseite ist der Grenzabstand bei dem Doppelhaus in den Tekturlageplänen jeweils mit 4,5 m vermaßt. Dieser Abstand ist groß genug, um eine nach Art. 6 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz BayBO (16 m-Privileg) berechnete Abstandsfläche der nördlichen Außenwand des Doppelhauses auf dem Baugrundstück einhalten zu können. Dasselbe gilt hinsichtlich der Abstandsfläche der östlichen Giebelwand für den östlichen Grenzabstand, der nach dem Lageplan etwa 7 m (Südostecke) bzw. etwa 8 m (Nordostecke) beträgt. Dass die Voraussetzungen für die Anwendung des 16 m-Privilegs auf diesen beiden Gebäudeseiten erfüllt seien, wurde von der Beschwerde nur mit dem, wie bereits dargelegt wurde, nicht mehr durchgreifenden Einwand in Frage gestellt, dass die Gesamtlänge der Nordwand des Hauptgebäudes mehr als 16 m betrage (zur Anwendbarkeit des 16 m-Privilegs im Übrigen unter 2.). Bei der Westseite hat die Beschwerde übersehen, dass in die Abstandsfläche die Fläche der angrenzenden B***straße bis zur Hälfte eingerechnet wird (Art. 6 Abs. 7 BayBO). Jedenfalls aus diesem Grund wird auf dieser Gebäudeseite eine nach Art. 6 Abs. 4 BayBO berechnete Abstandsfläche eindeutig eingehalten. Auf der Südseite haben die Beigeladenen die Abstandsfläche zum Teil auf ihr angrenzendes Wegegrundstück Fl.Nr. ***** übernommen (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternative 1 BayBO). Soweit ersichtlich, ist die Übernahme mit der nachträglichen Zustimmung der Beigeladenen wirksam geworden. Die Beschwerde behauptet zwar das Gegenteil, legt aber hierzu keine überzeugenden Gründe dar. Davon abgesehen, dürfte sich die südliche Abstandsfläche wohl auch ohne Übernahme auf das Wegegrundstück erstrecken; denn dieses Grundstück kann wohl aus tatsächlichen und rechtlichen Gründen nicht überbaut werden (Art. 7 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 Alternativen 2 und 3 BayBO).

c) Auch hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Beurteilung hat die Beschwerde keinen Grund aufgezeigt, der geeignet gewesen wäre, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung in Frage zu stellen.

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin erscheint es nach den vorliegenden Plänen und Fotografien nicht fraglich, dass das dreigeschossig wirkende Gebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. *** (B***str. **) zur Umgebung im Sinn von § 34 Abs. 1 Satz 1 VwGO gehört und damit den Rahmen hinsichtlich des Nutzungsmaßes mitbestimmt. Die Frage kann aber offen bleiben, weil Rechte der Antragstellers nicht schon durch eine Überschreitung des Rahmens, sondern nur dann verletzt würden, wenn das Vorhaben wegen seiner Höhe und seiner Anordnung auf dem Baugrundstück aus dem Blickwinkel des Grundstücks der Antragstellerin "rücksichtslos" erscheinen und sich aus diesem Grund nicht einfügen würde. Die Beschwerde hat zwar in Bezug auf das Doppelhaus eine solche Wirkung behauptet. Sie hat sich aber mit der näher begründeten und - wenn man nur das Doppelhaus in den Blick nimmt -zutreffenden Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass eine erdrückende Wirkung wohl nicht vorliege, nicht auseinandergesetzt.

2. Die beiden Baugenehmigungen haben die Rechte der Antragstellerin jedoch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit aus anderen, mit der Doppelgarage und der Stützmauer zusammenhängenden Gründen verletzt.

a) Diese Gründe hätte ausnahmsweise berücksichtigen müssen, obwohl sie nicht im Sinn von § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO dargelegt worden sind.

Nach dem Wortlaut von § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO prüft das Beschwerdegericht in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zwar nur die vom Beschwerdeführer dargelegten Gründe. Im Hinblick auf die dem Gericht obliegende Verpflichtung, durch eine in der Sache richtige Entscheidung effizienten Rechtsschutz zu gewährleisten (Art. 19 Abs. 4 GG), sind - nach Anhörung der Beteiligten (§ 108 Abs. 2 VwGO in entsprechender Anwendung), die mit dem Schreiben vom 1. Juni 2006 erfolgt ist - aber auch andere entscheidungserhebliche Gründe berücksichtigen, wenn sie ohne weiteres zu ersehen sind (Meyer-Ladewig/Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/ Pietzner, VwGO, § 146, RdNrn. 13f ff. [15]; ähnlich: Eyermann/Happ, VwGO, 12. Aufl., § 146 RdNr. 27 und Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl., § 146 RdNr. 43; vgl. auch Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl., § 146 RdNr. 114 [mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstandes], der zwar primär eine dem Wortlaut der Vorschrift folgende Auslegung für richtig hält, aber Einschränkungen "in Fällen der Offensichtlichkeit" nicht ausschließt). Jedenfalls sind zwar nicht dargelegte, aber ohne weiteres zu erkennende Mängel der angefochtenen Entscheidung zu berücksichtigen, wenn sie Gesichtspunkte betreffen, die "im Ansatz" bereits in das Verfahren eingeführt sind (BayVGH [8. Senat] vom 27.8.2002 BayVBl 2003, 304)

Nach diesem Maßstab hätte der Senat den Bedenken nachgehen müssen, die sich ergaben, wenn die Doppelgarage auf der Ostseite des Doppelhauses und die dem Stellplatz auf der Westseite dienende Stützmauer in die Prüfung einer möglichen Nachbarrechtsverletzung einbezogen werden. Denn zum einen ist es ein offensichtlicher Mangel, dass dies unterblieben ist; zum anderen berührt der Mangel die von der Beschwerde angesprochenen Fragen der Bestimmtheit der Bauvorlagen, des Abstandsflächenrechts und des Rücksichtnahmegebots.

b) Bezieht man die Doppelgarage und die Stützmauer in die Prüfung ein, ergibt sich, dass die Baugenehmigungen mit großer Wahrscheinlichkeit in abstandsflächenrechtlicher (aa) und möglicherweise auch bauplanungsrechtlicher Hinsicht (bb) im Sinn von § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO Rechte der Antragstellerin verletzt hätten.

aa) Es erscheint fraglich, ob das Garagengebäude, auf dessen Ausführung die Beigeladenen verzichtet haben, die Abstandsfläche, die vor seiner dem Grundstück der Antragstellerin zugewandten nördlichen Außenwand angefallen wäre, auf dem Baugrundstück eingehalten hätte (1), und ob die Stützmauer ohne Abstandsfläche an der Grenze hätte errichtet werden dürfen (2).

(1) Bei der Abstandsfläche der nördlichen Garagenaußenwand dürfte ein Verstoß gegen das Gebot des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO vorgelegen haben, dass die Abstandsfläche auf dem Baugrundstück liegen muss, soweit sie sich nicht auf ein Nachbargrundstück erstrecken darf.

Ausgehend von dem "Urgelände" (= natürliche Geländeoberfläche) war die nördliche Außenwand der Garage etwa 5,10 m hoch (vgl. die Ostansicht in den Bauvorlagen). Auf das "Urgelände" war nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 BayBO abzustellen, weil eine Festlegung der Geländeoberfläche weder ausdrücklich erfolgt war, noch angenommen werden kann, dass eine neue Geländeoberfläche, die durch eine im Zuge der Baumaßnahmen geplante Veränderung des Geländes geschaffen wird, mit der Baugenehmigung als maßgebend festgelegt sein sollte. Letzteres verbot sich hier schon deswegen, weil die im Zuge der Baumaßnahme geplanten Veränderungen des Geländes in den Bauvorlagen zwar angedeutet, aber nicht eindeutig dargestellt sind.

Bei einer Wandhöhe von 5,10 m und einem Grenzabstand von 3 m (vgl. den Tekturlageplan) wäre die vor der Nordwand der Doppelgarage anfallende Abstandsfläche aber nur dann auf dem Baugrundstück eingehalten worden (Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO), wenn das 16 m-Privileg des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO hätte angewendet werden können. Dies erscheint jedoch zweifelhaft.

Das 16 m-Privileg stand für das Garagengebäude nur noch einmal zur Verfügung (Art. 6 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BayBO), weil das Garagengebäude auf der Ostseite an der Grenze stehen sollte. Zwar bleibt ein Grenzanbau, der durch eine gesetzliche Abweichung abstandsflächenrechtlich privilegiert ist, im Rahmen von Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO unberücksichtigt (Koch/Molodovsky/ Famers, BayBO, Anm. 8.4.3.3. zu Art. 6 mit weiteren Nachweisen). Die Voraussetzungen der hier in Betracht kommenden Privilegierung gemäß Art. 7 Abs. 4 BayBO waren jedoch nicht erfüllt. Wiederum ausgehend von dem "Urgelände" war die Grenzwand des Garagengebäudes nämlich im Mittel nicht, wie nach Art. 7 Abs. 4 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO maximal zulässig, 3 m hoch, sondern etwa 4,2 m.

Die Anwendung des - nur einmal zur Verfügung stehenden - 16 m-Privilegs dürfte in entsprechender Anwendung der Grundsätze der Entscheidung des Großen Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 17. April 2000 (VGH n. F. 53, 89 = BayVBl 2000, 252) geschlossen gewesen sein, weil die Abstandsflächentiefe des Art. 6 Abs. 4 BayBO vor mehr als einer Außenwand unterschritten wurde. Das Garagengebäude hielt die gesetzlichen Abstandsflächen des Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO nämlich nicht nur auf der Nordseite, sondern auch auf der Westseite nicht ein, auf der es (nach dem Tekturlageplan) in einem Abstand von rund 1 m von dem Erker des Hauptgebäudes bzw. von rund 1,30 m von dem Vorbau im Bereich des Hauseingangs errichtet werden sollte.

Zwar hätten die Tiefen der auf der Westseite der Doppelgarage und der Ostseite des Hauptgebäude anfallenden Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung auf der Grundlage von Art. 7 Abs. 3 BayBO zusammen auf die halbe Höhe der östlichen Garagenwand verkürzt werden können. Eine solche Abweichung war aber nicht erteilt worden.

Absehen davon wäre die Abweichung wohl auch nicht ohne Folgen für das 16 m-Privileg geblieben. Nach dem bereits zitierten Beschluss des Großen Senats vom 17. April 2000 kann das 16 m-Privileg im Regelfall des Art. 6 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO nicht mehr angewendet werden, wenn für eine dritte Außenwand eine Abweichung von Art. 6 Abs. 4 BayBO zugelassen werden muss, um die Abstandsfläche auf dem Baugrundstück bzw. ohne Überdeckung (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 BayBO) einhalten zu können. Übertragen auf den hier gegebenen Fall, dass das 16 m-Privileg gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 1 BayBO nur einmal zur Verfügung steht, entfällt "Privileg" bereits dann, wenn für eine zweite Außenwand eine Abweichung erforderlich ist. Nach dem Beschluss des 26. Senats des Verwaltungsgerichtshofs vom 11. Juni 2002 (BayVBl 2003, 470 = BRS 65 Nr. 126) bleibt die Zulassung einer Abweichung nach Art. 7 Abs. 3 BayBO, die nur im Verhältnis der beiden Gebäude zueinander wirkt (BayVGH vom 1.7.1992 BayVBl 1993, 241), zwar ohne Folgen für die Anwendung des 16 m-Privilegs. Es ist jedoch fraglich, ob dies auch dann gilt, wenn es nicht um die Gebäudeseite geht, auf der die Garage "in der" Abstandsfläche des Hauptgebäudes errichtet wird (das wäre beim Vorhaben der Beigeladenen die östliche Giebelwand gewesen), sondern um die Gebäudeseite, bei der die Abweichung - wie hier - zur Folge hätte, dass sich an eine im Sinn des Beschlusses des Großen Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. April 1986 (VGH n. F. 39, 9 = BayVBl 1986, 397) "abstandsflächenrelevante" Außenwand nach einer geringen - hier nur etwa 1,30 m breiten - Unterbrechung eine weitere "abstandsflächenrelevante" Außenwand anschließt, und wenn beide Außenwände zusammen länger als 16 m sind (vgl. auch Dhom in Simon/ Busse, BayBO, Art. 6 RdNr. 258). Jedenfalls hätte bei der Ausübung des durch Art. 7 Abs. 3 BayBO eingeräumten Ermessens berücksichtigt werden müssen, wie sich dieser geringe Gebäudeabstand im Hinblick auf die vom Abstandsflächenrecht geschützten Belange der Belichtung und Lüftung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayBO) auf das Grundstück der Antragstellerin auswirkt.

(2) Auch bei der Stellplatzmauer dürfte ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO vorgelegen haben.

Soweit es die in diesem Punkt völlig unzureichenden Bauvorlagen erkennen lassen, sollte für den Stellplatz, der wohl (anstelle der durch Revision gestrichenen Garage) in der Nordwestecke des Baugrundstücks geplant war, und für die Zufahrt zu diesem unmittelbar an der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin eine etwa 2 m hohe und etwa 9 m lange Stützmauer errichtet werden. Eine Mauer dieser Höhe hätte wohl Wirkungen wie ein Gebäude gehabt (Art. 6 Abs. 9 BayBO), so dass sie Abstandsflächen hätte einhalten müssen. Eine Vorschrift, die die Errichtung unmittelbar an der Grenze zulässt, ist nicht ersichtlich. Die gesetzliche Abweichung des Art. 7 Abs. 4 BayBO hätte schon deswegen nicht herangezogen werden können, weil die Mauer nicht die Längenbegrenzung des Art. 7 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 1 BayBO von 8 m je Grundstücksgrenze einhält. Damit kann offen bleiben, ob eine entsprechende Anwendung von Art. 7 Abs. 4 BayBO auf eine einem Stellplatz dienende Stützmauer in Betracht gekommen wäre.

bb). Bei Einbeziehung der Doppelgarage und der Stützmauer in die Prüfung erschien es auch nicht ausgeschlossen, dass das Vorhaben das im Einfügungsgebot des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme verletzt. Maßgebend für diese Beurteilung wäre die das Nutzungsmaß (Gebäude- bzw. Anlagenhöhe), die Bauweise und die überbaubare Grundstücksfläche berührende Gesamtwirkung des Vorhabens gewesen. Diese ergab sich dadurch, dass die beiden Baugenehmigungen aus dem Blickwinkel des Grundstücks der Antragstellerin von West nach Ost gesehen in einer die gesamte Länge des Grundstücks (rund 33 m) erfassenden, nur durch den erwähnten geringen Abstand zwischen der östlichen Haushälfte und der Garage unterbrochenen Abfolge die Errichtung

- einer etwa 2 m hohen und etwa 9 m langen Stützmauer unmittelbar an der Grenze,

- eines Doppelhauses mit einer rund 8,80 m hohen Außenwand in einem Abstand von 4,5 m von der Grenze sowie

- einer Doppelgarage mit einer rund 5,10 m hohen Außenwand in einem Abstand von 3 m von der Grenze

zuließen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG.



Ende der Entscheidung

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