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Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.08.2009
Aktenzeichen: 1 CS 09.287
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BauNVO, BayBO 1998


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 80 a Abs. 3
VwGO § 146
BauGB § 34 Abs. 2
BauNVO § 3 Abs. 2
BauNVO § 3 Abs. 4
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 1
BauNVO § 15 Abs. 1 Satz 2
BayBO 1998 Art. 52 Abs. 3 Satz 1
BayBO 1998 Art. 70 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

1 CS 09.287

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Anfechtung einer Baugenehmigung für eine Einrichtung für betreutes Wohnen auf Fl.Nr. 475/5 Gemarkung *********** ** ******** (Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klagen);

hier: Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 2. Januar 2009,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 1. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof König, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Müller, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Häberlein

ohne mündliche Verhandlung am 25. August 2009

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin zu 1, die Antragsteller zu 2 und 3, die Antragstellerin zu 4, die Antragsteller zu 5 und 6, der Antragsteller zu 7 sowie die Antragstellerin zu 8 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen jeweils zu einem Sechstel. Die Antragsteller zu 2 und 3 sowie die Antragsteller zu 5 und 6 tragen ihren Kostenanteil jeweils als Gesamtschuldner.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 22.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen eine Teilbaugenehmigung und eine Baugenehmigung zum Umbau eines ehemaligen Gasthofes in eine Einrichtung für sozialpsychiatrisch betreutes Wohnen.

1. Der Beigeladene ist Eigentümer des nördlich der circa 5 m breiten Straße "**********" gelegenen, circa 2.800 m² großen Grundstücks Fl.Nr. 475/5 Gemarkung *********** ** ********, das mit einem als Denkmal geschützten, seit mehreren Jahren leer stehenden Gastwirtschaftsgebäude ("**********") bebaut ist. Die Antragsteller sind Eigentümer der im Osten, Süden und Westen benachbarten Grundstücke Fl.Nrn. 478/2 (Antragstellerin zu 1), 473/6 (Antragsteller zu 2 und 3), 478/17 (Antragstellerin zu 4), 478/20 (Antragsteller zu 5 und 6), 478/6 (Antragsteller zu 7) und 474/1 (Antragstellerin zu 8). Die Grundstücke liegen am nordöstlichen Rand des Ortsteils *********** im Gemeindegebiet von ****** ** ********. Der Ortsteil *********** ist mit Ausnahme des Gebäudes auf dem Grundstück des Beigeladenen mit Ein- und Zweifamilienhäusern bebaut.

Im Oktober 2007 beantragte der Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau des ehemaligen Gasthofes in eine Einrichtung für "Betreutes Wohnen". Im September 2008 beantragte er die Erteilung einer Teilbaugenehmigung für den Abbruch der "Tenne" und den Neubau des Kellergeschosses im südöstlichen Teil des Gebäudes. Mit Bescheid vom 19. September 2008 erteilte das Landratsamt Rosenheim dem Beigeladenen die Teilbaugenehmigung und mit Bescheid vom 13. November 2008 die Baugenehmigung. Gegen beide Bescheide erhoben die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München Klagen, über die noch nicht entschieden ist.

Nach dem genehmigten Betriebskonzept des Beigeladenen soll das Gebäude als sozialtherapeutische Langzeiteinrichtung für psychisch kranke Menschen (insgesamt 35 Personen) genutzt werden. Die genehmigten Eingabepläne sehen vor, dass der nordwestliche Teil des Gebäudes mit einer Grundfläche von circa 272 m² im Wesentlichen erhalten bleibt. Der ehemalige südöstliche Wirtschaftsteil mit einer Grundfläche von circa 156 m² soll abgebrochen und durch einen Anbau ersetzt werden. Die Höhe der Außenwände des Gebäudes soll wie bisher 8 m betragen. Die südöstlichen Gebäudeecke weist zur öffentlichen Straße "**********" einen Abstand von circa 1 m auf. In den genehmigten Eingabeplänen sind 22 Einzel- bzw. Doppelzimmer mit insgesamt 43 Betten im Erd-, Ober- und Dachgeschoss sowie ein Zimmer für die Heimleitung/Stationszimmer und ein Aufenthaltsraum im Erdgeschoss dargestellt. In Nr. C.1. des Bescheids ist als Auflage zur "Art der Nutzung" Folgendes bestimmt: "Es darf nur eine Anlage betrieben werden, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege der Bewohner des Baugebiets dient. Nicht zulässig ist der Betrieb eines Krankenhauses oder einer krankenhausähnlichen Einrichtung bzw. einer Anlage, die nicht dem Wohnen dient, sondern in der die Nutzer lediglich untergebracht sind (Anlage für soziale bzw. gesundheitliche Zwecke)."

2. Am 4. Dezember 2008 beantragten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht München vorläufigen Rechtsschutz gegen die Teilbaugenehmigung und gegen die Baugenehmigung. Mit Beschluss vom 2. Januar 2009 lehnte das Verwaltungsgericht die Anträge ab. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus: Es könne offen bleiben, ob sich die Teilbaugenehmigung mit Erlass der Baugenehmigung erledigt habe. Für die Ablehnung des Antrags gegen die Teilbaugenehmigung sprächen jedenfalls dieselben Gründe wie für die Ablehnung des Antrags gegen die Baugenehmigung. Die Baugenehmigung sei hinreichend bestimmt und widerspruchsfrei. Aus den genehmigten Bauvorlagen und der Betriebsbeschreibung ergebe sich eindeutig der Umfang des genehmigten Vorhabens. Auflage C.1. stehe hierzu nicht in Widerspruch. Durch das Vorhaben würden Nachbarrechte der Antragsteller nicht verletzt. Dass das Landratsamt das Vorhaben nicht nach den Verfahrensbestimmungen der alten Fassung der Bayerischen Bauordnung (Art. 72 und Art. 73 BayBO 1998), sondern nach neuem Recht (Art. 59 und Art. 68 BayBO 2008) genehmigt habe, obwohl der Beigeladene keine Erklärung nach Art. 83 Abs. 1 BayBO 2008 abgegeben habe, sei unerheblich. Der Prüfungsumfang sei nach beiden Fassungen gleich, weil das Vorhaben als Sonderbau zu qualifizieren sei. Es handele sich um ein Heim im Sinn von § 1 Abs. 1 Satz 2 Heimgesetz. Das nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 3 BauNVO zu beurteilende Vorhaben stehe nicht in Widerspruch zu bauplanungsrechtlichen Vorschriften. Es sei nach § 3 Abs. 1, Abs. 2 und Abs. 4 BauNVO in dem faktischen reinen Wohngebiet zulässig. Das Vorhaben diene dem Wohnen und wahre den Gebietscharakter. Nach der Betriebsbeschreibung verweilten die Bewohner in der Einrichtung auf längere Dauer und fänden dort ihren Lebensmittelpunkt. Sie seien nicht zwangsweise, sondern freiwillig untergebracht. Die eigene Gestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sei gewährleistet. Ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO liege ebenfalls nicht vor. Das Gebäude falle nach seinen Maßen nicht derartig aus dem Rahmen, dass es seine Umgebung dominiere und dadurch den Charakter des Gebiets verändere. Es sei gegenüber der Wohnbebauung der Antragsteller nicht rücksichtslos. Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liege insbesondere nicht deswegen vor, weil die Erschließung unzureichend sei oder Stellplätze fehlten. Angesichts des Personenkreises, der in der Einrichtung wohne, sei kein derart hohes Verkehrsaufkommen zu erwarten, dass die bestehende Erschließungsstraße ihrer Funktion nicht mehr gerecht werden könne oder zum Schutz der Anwohner eine höhere Anzahl von Stellplätzen nachzuweisen sei. Auch Abstandsflächenvorschriften seien nicht verletzt. Hinsichtlich der südwestlichen, zum Grundstück Fl.Nr. 478/17 der Antragstellerin zu 4 gerichteten Außenwand könne der Beigeladene jedenfalls teilweise das Abstandsflächenprivileg des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO in Anspruch nehmen. Zwar überschreite die Abstandsfläche vor dieser Außenwand wohl die Mitte der Straße "**********". Eine Verletzung der Rechte der Antragstellerin zu 4 sei dennoch nicht anzunehmen, weil dem Beigeladenen insoweit ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung zustehe.

Mit Bescheid vom 16. März 2009 ergänzte das Landratsamt den Bescheid vom 13. November 2008 durch Zulassung einer Abweichung von der Einhaltung der nach Westen erforderlichen Abstandsflächen. Außerdem wurde klargestellt, dass nach Auflage C.1. "unter Anwendung des § 3 Abs. 4 BauNVO ein Wohngebäude zulässig ist, das ganz oder teilweise der Betreuung oder Pflege der Bewohner (nicht des Baugebietes) dient." Die Antragsteller bezogen diesen Bescheid in das Klageverfahren und in das vorläufige Rechtsschutzverfahren ein.

3. Mit der Beschwerde wenden sich die Antragsteller gegen diese Entscheidung. Sie machen geltend: Die Baugenehmigung sei nichtig, weil sie entgegen Art. 64 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht von dem Bauantrag gedeckt sei. Die Auflage C.1. stehe in Widerspruch zu dem Bauantrag; nach diesem solle das Vorhaben nicht nur den Bewohnern des Baugebiets, sondern auch auswärtigen Personen dienen. Mit der Auflage sei ein "aliud" genehmigt worden; in dem Baugebiet wohnten derzeit nur etwa 30 bis 40 Personen; dagegen seien 43 Unterbringungsplätze beantragt worden. Auch sei die Auflage zweckwidrig und verstoße gegen Art. 36 Abs. 3 BayVwVfG, weil für eine sozialtherapeutische Langzeiteinrichtung für psychisch kranke Menschen mit 43 Plätzen kein Bedarf in einem Baugebiet, das lediglich von 30 bis 40 Personen bewohnt werde, bestehe.

Das Bauvorhaben verletze den Anspruch der Antragsteller auf Erhaltung der Gebietsart. Bei dem Vorhaben handele es sich nicht um ein im reinen Wohngebiet zulässiges Wohngebäude im Sinn von § 3 Abs. 2 und Abs. 4 BauNVO, sondern um eine Anlage für soziale Zwecke nach § 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts diene es nicht dem Wohnen. Die erforderliche Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises der Bewohner der Einrichtung sei nicht gewährleistet. Die Raumaufteilung ermögliche keine private Lebensführung, weil für den einzelnen Bewohner kein baulich abgeschlossener Raum vorhanden sei, der ihm eine Rückzugsmöglichkeit biete. Dass die Bewohner nicht zwangsweise untergebracht würden, sei unerheblich.

Das Vorhaben sei zudem nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig, weil es nach seinem Umfang der Eigenart des Baugebiets widerspreche. Die vorgesehene Unterbringung von bis zu 43 Menschen auf engstem Raum stehe in Widerspruch zu der lockeren, kleinteiligen Umgebungsbebauung mit Ein- und Zweifamilienhäusern.

Die im Baugenehmigungsbescheid vorgeschriebene Anzahl von fünf Stellplätzen sei nicht einmal für das notwendige Personal der Einrichtung ausreichend. Bei der Auflage C.4., wonach erforderliche Stellplätze in einem Freiflächengestaltungsplan darzustellen seien, handele es sich nicht um einen Auflagenvorbehalt, sondern um eine Regelung nach § 3 Nr. 1, § 7 Abs. 3 Nr. 12 BauVorlV. Die Stellplatzsatzung der Gemeinde ****** ** ******** schreibe nach § 5 Abs. 1 in Verbindung mit Nr. 1.4 der Anlage 1 für "sonstige Wohnheime" einen Stellplatz für je zwei Betten, für die geplanten 43 Betten somit 21 Stellplätze vor. Gehe man, wie das Verwaltungsgericht, von einer Belegung der Einrichtung mit 35 Personen aus, müssten zumindest 17 Stellplätze nachgewiesen werden. Ein Vorhaben mit 17 Stellplätzen sei in der Umgebung aber ohne Vorbild und völlig überdimensioniert. Die Errichtung von 17 Stellplätzen auf dem Baugrundstück führe wohl zu einer erheblichen Beeinträchtigung der schützenswerten Belange des Gebiets nach Art. 3 c Abs. 2 BayNatSchG.

Wegen der erforderlichen Anzahl der Stellplätze und wegen der zu erwartenden Verkehrsbelastung verletze das Vorhaben auch das Rücksichtnahmegebot. Aufgrund der geringen Breite der Erschließungsstraße "**********" von nur 2,5 m sei mit einer Errichtung der Stellplätze in unmittelbarer Nähe zu den Grundstücken der Antragsteller und mit einer unzumutbaren Behinderung der Zufahrten zu den Nachbargrundstücken zu rechnen. Bereits jetzt müssten Fahrzeuge bei Begegnungsverkehr auf die Grundstückszufahrten ausweichen.

Die im Ergänzungsbescheid vom 16. März 2009 erteilte Abweichung verletze jedenfalls die Antragstellerin zu 4 in ihren Rechten. Es liege kein vom Regelfall abweichender atypischer Sonderfall vor, der die Abweichung rechtfertige. Der Anbau, für den die Abweichung erteilt worden sei, diene nicht der Erhaltung eines Baudenkmals; vielmehr handele es sich insoweit um einen Neubau. Der Anbau sei auch bei geringeren Wandhöhen mit den Belangen des Denkmalschutzes vereinbar.

Durch die Aufhebung der Beschränkung nach Auflage C.1., dass die Anlage nur der Betreuung und Pflege der Bewohner "des Baugebietes" dienen dürfe, könne die Nichtigkeit des Bescheides in der ursprünglichen Fassung nicht beseitigt werden. Im Übrigen verletze auch die geänderte Baugenehmigung den Gebietserhaltungsanspruch der Antragsteller, weil die Nutzung des Gebäudes nunmehr jedermann offenstehe und sich die Art des Baugebiets mit der Unterbringung von 43 Menschen in dem Bauvorhaben nachhaltig verändere. Außerdem könne nicht mehr ausgeschlossen werden, dass das Vorhaben als Anlage für soziale Zwecke genutzt werde.

Auch die Teilbaugenehmigung, sollte sie nach Erlass der Baugenehmigung noch wirksam sein, verletze den Gebietserhaltungsanspruch der Antragsteller. Sie sei unbestimmt, weil sich aus ihr nicht ergebe, welches Nutzungskonzept verfolgt werde. Unter einem "Betreuten Wohnen" könnten verschiedene Nutzungsarten verstanden werden. Das vom Beigeladenen vorgelegte Betriebskonzept vom 27. Oktober 2008 sei erst nach dem Erlass der Teilbaugenehmigung erstellt worden. Die Antragsteller seien aufgrund der Unbestimmtheit in ihren Rechten verletzt. Die fehlende Betriebsbeschreibung deute zudem darauf hin, dass ein Fall des "Etikettenschwindels" vorliege und eine zulässige Nutzung nur vorgeschoben sei.

Die Antragsteller beantragen (sinngemäß),

den Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 2. Januar 2009 zu ändern und die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen den Bescheid vom 19. September 2008 sowie den Bescheid vom 13. November 2008 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 16. März 2009 anzuordnen.

Der Antragsgegner und der Beigeladene beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner macht geltend: Der Anspruch der Antragsteller auf Einhaltung der Gebietsart werde durch das Bauvorhaben nicht verletzt. Das Vorhaben sei eine Einrichtung im Sinn von § 3 Abs. 4 BauNVO. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts reiche es aus, wenn die das Wohnen prägenden Merkmale in der Betreuungseinrichtung noch im Grundsatz erhalten blieben. Dieser Anforderung entspreche das Vorhaben des Beigeladenen. Dass nach dem Betriebskonzept nicht alle Betreuten in Einzelzimmern untergebracht seien und deshalb nicht genügend Rückzugsmöglichkeiten hätten, sei unerheblich. Das Vorhaben verstoße auch nicht gegen § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO. Die Größe des Vorhabens und die Erhöhung der Bevölkerungszahl führten nicht zu einem "Umschlagen" des Gebietscharakters. Die zu erwartende Verkehrszunahme sei als sozialadäquat hinzunehmen. Im Übrigen habe auch die frühere Gaststätte ein erhebliches Verkehrsaufkommen verursacht. Die Baugenehmigung sei nicht widersprüchlich. Der Begründung des Bescheids sei zu entnehmen, dass die Nutzung der Einrichtung nicht auf die Bewohner des Baugebiets beschränkt sein solle. Es handele sich insoweit um ein Schreibversehen. Dass lediglich fünf Stellplätze vorgegeben seien, führe nicht zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung. Nach Nrn. 1.9 und 1.10 der Stellplatzsatzung der Gemeinde sei für Altenwohnheime bzw. für Langzeit- und Kurzzeitpflegeheime je 12 bzw. 15 Betten ein Stellplatz zu errichten. Wende man diese Regelungen auf eine Einrichtung für betreutes Wohnen entsprechend an, seien die genehmigten fünf Stellplätze ausreichend. Gegebenenfalls erforderliche weitere Stellplätze seien nach Auflage C. 4. des Bescheids in einem Freiflächengestaltungsplan nachzuweisen. Im Bedarfsfall könnten zusätzliche Stellplätze auf der Südostseite und auf der Nordseite des Grundstücks nachgewiesen werden. Auch hinsichtlich der Einhaltung der Abstandsflächenvorschriften habe das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden.

Der Beigeladene macht geltend, dass die Baugenehmigung Rechte der Antragsteller nicht verletze. Das Vorhaben sei im reinen Wohngebiet zulässig. Betreutes Langzeitwohnen mit dem Ziel, Menschen mit seelischer Behinderung wieder in ein eigenständiges Leben einzugliedern, falle unter den Begriff des Wohnens nach § 3 Abs. 2 und Abs. 4 BauNVO. Ob der Betreuungs- oder Pflegezweck vorherrsche, sei unerheblich. Die teilweise Belegung der Zimmer mit zwei Personen schließe ein Wohnen nicht aus. Im Übrigen seien die Schlaf- und Wohnbereiche meistens nur einem Bewohner zugeordnet, so dass die Privatsphäre gewährleistet sei. Bei dem Vorhaben handele es sich nicht um ein Krankenhaus oder eine Anlage für soziale Zwecke; als Personal würden keine Ärzte angestellt. Das Rücksichtnahmegebot werde nicht verletzt. Eine größere Wohndichte in dem Gebiet führe nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen der Nachbarn. Die Dimensionierung des Gebäudes habe sich gegenüber der früheren Gaststätte nicht verändert. Nach dem Nutzungskonzept sei die Einrichtung nicht auf 43, sondern auf 35 Personen ausgerichtet. Eine für die Anwohner unzumutbare Zunahme der Verkehrsbelastung sei nicht zu erwarten. Die Stellplatzsatzung der Gemeinde vermittle keinen Nachbarschutz. Die Bewohner der Einrichtung würden keine eigenen Fahrzeuge besitzen. Die Baugenehmigung sei nicht widersprüchlich. Aus der Auflage C.1. ergebe sich unzweifelhaft, dass eine Einrichtung nach § 3 Abs. 4 BauNVO vorliege. Auch die Teilbaugenehmigung verletze keine Rechte der Antragsteller. Sie sei mit Erlass der Baugenehmigung gegenstandslos geworden. Das Nutzungskonzept vom 27. Oktober 2008 sei vor dem Erlass der Baugenehmigung vorgelegt worden. Der Vorwurf des "Etikettenschwindels" sei ebenfalls unbegründet. Fehlende Stellplätze auf dem Baugrundstück könnten nur dann zu einer Verletzung des Rücksichtnahmegebots führen, wenn die bestimmungsgemäße Nutzung der Nachbargrundstücke nicht mehr gewährleistet sei. Dies sei nicht der Fall. Die Behauptung, dass die Kraftfahrzeuge auf den Zufahrten der Grundstücke der Nachbarn parken würden, sei unzutreffend. Im Übrigen seien die Grundstücke der Antragsteller vorbelastet. Die frühere Gaststätte habe mehr An- und Abfahrtsverkehr verursacht als dies bei dem Bauvorhaben der Fall sein werde.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die Baugenehmigungsakte Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber nicht begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Anträge, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Teilbaugenehmigung vom 19. September 2008 (A.) und gegen die Baugenehmigung vom 13. November 2008 in der nunmehr maßgeblichen Fassung des Ergänzungsbescheids vom 16. März 2009 (B.) anzuordnen, zu Recht abgelehnt.

A. Hinsichtlich der Teilbaugenehmigung ist der Antrag unzulässig. Die Teilbaugenehmigung für den Abbruch der "Tenne" der ehemaligen Gastwirtschaft und den Neubau des Kellergeschosses im südöstlichen Gebäudeteil ist mit dem Erlass des Baugenehmigungsbescheids vom 13. November 2008 gegenstandslos geworden. Da die Baugenehmigung, wie sich aus den genehmigten Bauvorlagen ergibt, auch den Abbruch des "Bestandes" im südöstlichen Gebäudeteil und die Errichtung des darunter liegenden Kellergeschosses zum Gegenstand hat, hat sich die Teilbaugenehmigung erledigt; sie kann daher nicht mehr Gegenstand von Nachbarrechtsbehelfen sein (BayVGH vom 29.4.2009 - 1 CS 08.2352 - juris mit weiteren Nachweisen). Im Übrigen ist der Antrag auch deswegen unzulässig, weil die Antragsteller bezüglich der Teilbaugenehmigung nicht antragsbefugt sind; es ist weder ersichtlich noch haben die Antragsteller aufgezeigt, in welcher Weise sie durch den Abbruch der "Tenne" und die Errichtung des Kellergeschosses im südöstlichen Gebäudeteil in ihren Nachbarrechten verletzt sein könnten.

B. Hinsichtlich der Baugenehmigung ist der Antrag zwar zulässig, aber nicht begründet. Dem nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO für die Beschwerdeentscheidung in erster Linie (zu dieser Einschränkung vgl. BayVGH vom 27.8.2002 BayVBl 2003, 304; vom 10.7.2006 - 1 CS 06.407 - juris) maßgebenden Beschwerdevorbringen ist nach summarischer Prüfung nicht zu entnehmen, dass die Baugenehmigung gegen Rechte der Antragsteller schützende Vorschriften verstößt, die im Genehmigungsverfahren zu prüfen waren (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 72 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 BayBO 1998, Art. 83 Abs. 1 BayBO).

Den Antragstellern steht mit großer Wahrscheinlichkeit kein Abwehrrecht gegen den Umbau der früheren Gaststätte in eine Einrichtung für betreutes Wohnen zu. Ein solches Recht dürfte sich weder infolge einer Abweichung der Baugenehmigung von dem Bauantrag (1.) noch wegen einer Verletzung des Gebietsbewahrungsanspruchs (2.) oder des nachbarschützenden bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots (3.) ergeben. Auch ein Verstoß gegen die Antragstellerin zu 4 schützende Abstandsflächenvorschriften liegt wohl nicht vor (4.).

1. Den Antragsteller dürfte gegen das Vorhaben nicht deswegen ein Abwehrrecht zustehen, weil die Baugenehmigung nicht von dem Bauantrag gedeckt ist.

Ob ein Verstoß gegen Art. 67 Abs. 1 Satz 1 BayBO 1998 (= Art. 64 Abs. 1 BayBO) vorlag, weil es sich bei Beschränkung der zugelassenen Nutzung auf ein Wohngebäude zur Betreuung oder Pflege der Bewohner "des Baugebiets" in Auflage C.1. der Baugenehmigung nicht nur um ein unbeachtliches Schreibversehen handelte und diese Beschränkung von dem Beigeladenen nicht beantragt worden war, muss nicht entschieden werden. Selbst wenn die Baugenehmigung insoweit nicht von dem Bauantrag gedeckt sein sollte, wären hierdurch Nachbarrechte der Antragsteller nicht verletzt. Allein die objektive Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung begründet kein Abwehrrecht der Nachbarn. Im Übrigen wäre eine Abweichung der Baugenehmigung von dem Bauantrag jedenfalls mit dem Erlass des Ergänzungsbescheides, mit dem klargestellt wurde, dass (nur) ein Wohngebäude zulässig ist, das ganz oder teilweise der Betreuung oder Pflege der Bewohner (und nicht den Bewohnern des Baugebietes) dient, ausgeräumt. Zwar ist für die Beurteilung, ob eine Baugenehmigung Rechte eines Nachbarn verletzt, grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung - hier des Baugenehmigungsbescheids vom 13. November 2008 - maßgebend. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Tatsachen- oder Rechtsänderungen sind aber zu berücksichtigen, wenn sie sich - wie hier - zugunsten des Bauherrn auswirken (vgl. BVerwG vom 23.4.1998 NVwZ 1998, 1179).

2. Die Antragsteller dürften auch kein Abwehrrecht aufgrund eines Gebietsbewahrungsanspruchs (Gebietserhaltungsanspruchs) haben.

Der Gebietsbewahrungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3 BauNVO) oder - wie hier - in einem "faktischen" Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB) das Recht, sich gegen hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässige Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch beruht auf der Erwägung, dass die Grundstückseigentümer durch die Lage ihrer Anwesen in demselben Baugebiet zu einer Gemeinschaft verbunden sind, bei der jeder in derselben Weise berechtigt und verpflichtet ist. Im Hinblick auf diese wechselseitig wirkende Bestimmung von Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) hat jeder Eigentümer - unabhängig davon, ob er tatsächlich beeinträchtigt ist - das Recht, sich gegen eine "schleichende Umwandlung" des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (BVerwG vom 16.9.1993 BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546; vom 23.8.1996 BVerwGE 101, 364 = NVwZ 1997, 384; vom 2.2.2000 NVwZ 2000, 679; vom 18.12.2007 NVwZ 2008, 427; BayVGH vom 14.7.2006 BayVBl 2007, 334; vom 31.3.2008 - 1 ZB 07.1062 - juris; vom 26.5.2008 - 1 CS 08.881 - juris). In einem "faktischen" Baugebiet ist der Anspruch in räumlicher Hinsicht auf die Grundstücke begrenzt, die zur näheren Umgebung (§ 34 Abs. 2 Satz 1 BauGB) des Baugrundstücks zählen (BVerwG vom 20.8.1998 NVwZ-RR 1999, 32). Der Gebietsbewahrungsanspruch umfasst auch den Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets nach § 34 Abs. 2 BauGB, § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO (vgl. BVerwG vom 13.5.2002 NVwZ 2002, 1384; BayVGH vom 2.1.2008 BauR 2008, 649; vom 26.5.2008 BauR 2008, 1556; OVG Hamburg vom 5.6.2009 - 2 Bs 26/09 - juris).

Nach diesem Maßstab verletzt die Baugenehmigung aller Voraussicht nach den Gebietsbewahrungsanspruch der Antragsteller nicht. Das Vorhaben dürfte in dem Baugebiet, in dem sich die Grundstücke der Antragsteller und das Baugrundstück befinden, nach der Art der baulichen Nutzung zulässig sein. Die Eigenart der näheren Umgebung des Baugrundstücks, zu der auch die Anwesen der Antragsteller gehören, entspricht nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten einem reinen Wohngebiet. In diesem Gebiet dürfte das Vorhaben (allgemein) zulässig sein, weil es sich wohl um ein Wohngebäude nach § 3 Abs. 2 und Abs. 4 BauNVO handelt (a). Entgegen der Auffassung der Antragsteller dürfte das Vorhaben auch nicht deswegen ausnahmsweise unzulässig sein, weil es nach seinem Umfang der Eigenart des Gebiets widerspricht (§ 34 Abs. 2 BauGB, § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO) (b). Im Übrigen wäre das Vorhaben in dem reinen Wohngebiet auch dann nicht schlechthin unzulässig, wenn es - wie die Antragsteller meinen - als Anlage für soziale Zwecke einzustufen wäre. Denn solche Anlagen sind in einem reinen Wohngebiet ausnahmsweise zulässig (§ 3 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO).

a) Bei dem Bauvorhaben handelt es sich wohl um ein Wohngebäude im Sinn von § 3 Abs. 2 und Abs. 4 BauNVO, das ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege seiner Bewohner dient.

Der Begriff des Wohnens nach § 3 BauNVO ist durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie die Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet. Nach der durch die Vierte Verordnung zur Änderung der Baunutzungsverordnung vom 27. Januar 1990 (BGBl. I S. 132) eingeführten Bestimmung des § 3 Abs. 4 BauNVO gehören zu den nach § 3 Abs. 2 sowie den nach §§ 2, 4 bis 7 BauNVO zulässigen Wohngebäuden aber auch solche, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen. Mit der Bestimmung sollte "klargestellt" werden, dass zum "Wohnen" auch das Wohnen mit Betreuung und Pflege gehört (vgl. Beschluss des Bundesrats BR-Drs. 354/89, Seite 2). Damit sollte der Begriff des Wohnens auf bis dahin im Wohngebiet nicht zulässige Pflegeeinrichtungen ausgedehnt werden (BVerwG vom 25.3.1996 NVwZ 1996, 893; BayVGH vom 27.10.1999 VwRR 2000, 230). Die Gleichstellung dieser Einrichtungen mit Wohngebäuden nach § 3 Abs. 2 BauNVO erfolgte vor dem Hintergrund, dass derartige Einrichtungen in aller Regel für die Umgebung keine stärkeren Belastungen mit sich bringen als eine sonstige Wohnnutzung (NdsOVG vom 27.7.1994 BRS 56 Nr. 186; Jäde in Jäde/Dirnberger/ Weiss, BauGB/BauNVO, 5. Aufl., § 3 BauNVO Rn. 12 f.). Wenn die für das Wohnen konstituierenden Merkmale im Mindestmaß noch erfüllt sind, liegt ein Wohngebäude im Sinn von § 3 Abs. 2 und 4 BauNVO auch dann vor, wenn der Betreuungs- und Pflegezweck gegenüber dem Wohnaspekt überwiegt (BayVGH vom 27.10.1999 a.a.O.; OVG NRW vom 23.7.1998 BauR 1999, 141; OVG Hamburg vom 27.4.2004 NVwZ-RR 2005, 396; Bielenberg in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, § 3 RdNrn. 2, 10; Stock in König/Röser/Stock, BauNVO, § 3 RdNr. 30). Wann dies der Fall ist, lässt sich nicht abstrakt, sondern nur nach den Umständen des Einzelfalls beurteilen. Die Nutzung ist abzugrenzen von Krankenhäusern oder krankenhausähnlichen Einrichtungen sowie von Einrichtungen, in denen nicht mehr "gewohnt" wird, sondern in denen die Bewohner lediglich "untergebracht" sind (BayVGH vom 27.10.1999 a.a.O.). Unter § 3 Abs. 4 BauNVO können auch Einrichtungen fallen, bei deren Bewohnern aufgrund ihrer Betreuungs- und Pflegebedürftigkeit eine selbständige Haushaltsführung und Lebensgestaltung in den Hintergrund tritt oder sogar aufgegeben wird (NdsOVG vom 21.8.2002 ZfBR 2003, 281; OVG SA vom 23.3.2006 BauR 20056, 2107 [nur Leitsatz]; Jäde, a.a.O.). "Betreutes Wohnen" in einem Wohnheim für psychisch Kranke (OVG NRW vom 9.1.1997 - 7 A 2175795 - juris) und ein Wohnheim für altersverwirrte Menschen ohne medizinische Leitung, in dem die Bewohner mit eigenen Möbeln wohnen und von ihren Hausärzten betreut werden, fallen unter § 3 Abs. 4 BauNVO (NdsOVG vom 21.8.2002 - 1 LB 140/02 - juris; OVG Hamburg vom 27.4.2004 BauR 2004, 1571). Maßgeblich für die Erfüllung des Wohnbegriffs sind das Nutzungskonzept und seine grundsätzliche Verwirklichung, nicht das individuelle und mehr oder weniger spontane Verhalten einzelner Bewohner (vgl. BVerwG vom 25.3.1996 a.a.O.).

Nach diesen Maßstäben dürfte es sich bei dem Bauvorhaben um ein Wohngebäude im Sinn von § 3 Abs. 4 BauNVO handeln. Nach dem genehmigten Betriebskonzept ist ein betreutes Langzeitwohnen für 35 Personen geplant (der Senat hält diese Zahl und nicht die Anzahl der Betten für maßgeblich). Zielgruppe der Einrichtung sind Menschen mit seelischer Behinderung, die aufgrund der chronisch verlaufenden Erkrankung (noch) nicht oder nicht mehr selbständig leben können und deshalb eine betreute Wohnform und individuelle Therapieangebote benötigen. Die Aufnahme in die Einrichtung und der Aufenthalt sind freiwillig. Das erforderliche Mindestmaß an selbstbestimmtem Wohnen mit privaten Rückzugsmöglichkeiten für die einzelnen Bewohner dürfte gewährleistet sein. Die Bewohner leben alleine oder zu zweit in eigenen Zimmern, die von ihnen selbst möbliert werden können. Dass Sanitäranlagen, Küche und Aufenthaltsraum überwiegend nur gemeinschaftlich benutzbar sind und in Doppelzimmern untergebrachte Bewohner möglicherweise keinen Einfluss darauf haben, mit wem sie ihren Wohnraum teilen, steht dem nicht entgegen, solange der Aufenthalt in der Einrichtung freiwillig erfolgt (vgl. BayVGH vom 27.10.1999 a.a.O.). Ebenso wenig steht der Möglichkeit zur selbständigen Lebensführung entgegen, dass die Bewohner aufgrund ihrer Behinderung wohl teilweise oder ganz auf Betreuung angewiesen sind. Eine ständige medizinische Versorgung, welche die Einrichtung mit einem Krankenhaus gleichstellen könnte, findet nicht statt. Die Einrichtung beschäftigt keinen eigenen Arzt, sondern lediglich eine Person für die Heimleitung, einen Psychiatriepfleger, einen Arbeitstherapeuten, einen Sozial- oder Heilpädagogen, vier Pflegekräfte, eine Hauswirtschafterin sowie Honorarkräfte für die Nachtbereitschaft. Die medizinische Betreuung wird von externen Ärzten, die von den Bewohnern ausgewählt werden können, sichergestellt.

b) Das Bauvorhaben verletzt wohl auch nicht deshalb den Anspruch der Antragsteller auf Gebietsbewahrung, weil es nach seinem Umfang der Eigenart des Baugebiets widerspricht.

Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind die in den §§ 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Die Eigenart eines Baugebiets wird in erster Linie durch die für den Gebietstyp maßgebliche allgemeine Zweckbestimmung, aber auch durch die sonstigen Festsetzungen eines Bebauungsplans bestimmt (OVG Hamburg vom 5.6.2009 - 2 Bs 26/09 - juris). Handelt es sich - wie hier - um ein "faktisches" Baugebiet ist ergänzend zu der allgemeinen Zweckbestimmung vor allem auf den sich aus den örtlichen Verhältnissen ergebenden besonderen Charakter des Baugebiets abzustellen. Ein Widerspruch zur Eigenart eines Gebiets liegt vor, wenn sich das Vorhaben wegen seines Umfangs signifikant von dem Vorhandenen abhebt. Insoweit geht § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO davon aus, dass eine - primär das Maß der baulichen Nutzung berührende - größere Quantität im Einzelfall auch eine andere Qualität zur Folge haben und damit auch im Hinblick auf die Art der baulichen Nutzung rechtlich erheblich sein kann. Ein Vorhaben kann wegen der Größe der geplanten baulichen Anlage nicht nur hinsichtlich des Nutzungsmaßes, sondern auch der Art der baulichen Nutzung nach anders zu beurteilen sein als ein kleineres Vorhaben derselben Nutzungsart (BVerwG vom 16.3.1995 NVwZ 1995, 899). Ein Widerspruch zur Eigenart eines Gebiets ergibt sich dabei insbesondere dann, wenn das Vorhaben den Charakter des Gebiets durch eine auf seinem Umfang beruhende dominierende Wirkung verändert (vgl. BVerwG vom 29.7.1991 NVwZ 1991, 1078). Diese Wirkung kann insbesondere dann eintreten, wenn sich die geplante Anlage nach ihrer Fläche und ihrer Höhe erheblich von den vorhandenen, den Gebietscharakter prägenden Anlagen unterscheidet. Das kann etwa der Fall sein, wenn ein nach Art und Maß der baulichen Nutzung grundsätzlich zulässiger Gewerbebetrieb wegen seiner aus dem Rahmen fallenden Betriebsgröße oder wegen des Zu- und Abfahrtsverkehrs, den er nach sich zieht, der Eigenart eines bestimmten Baugebiets widerspricht (vgl. BVerwG vom 4.5.1988 NJW 1988, 3168; vom 16.3.1995 NVwZ 1995, 899; BayVGH vom 26.5.2008 BauR 2008, 1556). Nach diesen Maßstäben dürfte das Bauvorhaben nach seinem Umfang der Eigenart des reinen Wohngebiets nicht widersprechen. Zwar wird die Eigenart des Wohngebiets, in dem sich das Baugrundstück und die zur näheren Umgebung zählenden Grundstücke befinden, wohl in erster Linie durch Ein- und Zweifamilienhäuser geprägt; die frühere Gaststätte dürfte infolge der Betriebsaufgabe nicht (mehr) zu berücksichtigen sein (zur sog. nachprägenden Wirkung einer aufgegebenen Nutzung vgl. BVerwG vom 2.10.2007 ZfBR 2008, 52; BayVGH vom 27.11.2008 - 1 ZB 06.594 - juris). Hieraus ergibt sich aber noch kein Widerspruch der geplanten Einrichtung zur Eigenart des Wohngebiets. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, überschreiten die baulichen Dimensionen des Gebäudes den durch die Umgebung gesteckten Rahmen nicht. Nach den von den Beteiligten vorgelegten Lageplänen hebt sich das Vorhaben hinsichtlich seiner Grundfläche vor allem von dem Wohngrundstück Fl.Nr. 474/1 auf dem westlich gelegenen Wohngrundstück nicht derart signifikant ab, dass es den Charakter des reinen Wohngebietes verändern würde. Auch hinsichtlich der Gebäudehöhe fällt das Vorhaben nicht aus dem Rahmen der Umgebungsbebauung. Wie den von den Antragstellerin im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Fotografien (vgl. Gerichtsakte des Verwaltungsgerichts Seite 85 ff.) zu entnehmen ist, dürfte das Bauvorhaben mit einer Traufhöhe von 8 m und einer Firsthöhe von 10,94 m nicht wesentlich höher sein als die in unmittelbarer Nachbarschaft ebenfalls mit drei Geschossen (E+I+D) errichteten Gebäude auf den Grundstücken Fl.Nrn. 474/1 und 478/17. Auch mit einer im Widerspruch zur Eigenart des reinen Wohngebiets stehenden Intensivierung der Nutzung ist wohl nicht zu rechnen. Ein atypisches, über das im reinen Wohngebiet übliche Maß hinausgehendes Verkehrsaufkommen, das mit der Eigenart des Gebiets nicht mehr zu vereinbaren wäre, ist schon deshalb nicht zu erwarten, weil die Bewohner der Einrichtung aufgrund ihrer Betreuungsbedürftigkeit in der Regel nicht über eigene Fahrzeuge verfügen werden. Die durch die Versorgung der Bewohner und deren Transport zu ihren Arbeitsplätzen bedingte Zunahme des An- und Abfahrtsverkehrs dürfte über das in einem Wohngebiet übliche Maß nicht hinausgehen.

3. Das genehmigte Vorhaben verletzt nach summarischer Prüfung auch nicht das nach § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu beachtende nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme.

Ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liegt voraussichtlich nicht deswegen vor, weil das Vorhaben einen zusätzlichen Stellplatzbedarf auslöst und die Erschließung unzureichend ist. Dabei kann offen bleiben, ob in den genehmigten Bauvorlagen die nach Art. 52 Abs. 3 Satz 1 BayBO 1998 (= Art. 47 Abs. 1 Satz 2 BayBO) in Verbindung mit der Satzung über die Herstellung von Stellplätzen und Garagen der Gemeinde ****** ** ******** vom 11. November 2003 erforderlichen Stellplätze vorgesehen sind (der dem Bauantrag beigefügte Lageplan, in dem auf der Südseite des Baugrundstücks fünf Stellplätze eingetragen sind, enthält keinen Genehmigungsvermerk). Zwar sind bei Änderungen baulicher Anlagen oder ihrer Nutzung Stellplätze in solcher Zahl und Größe herzustellen, dass diese die durch die Änderung zusätzlich zu erwartenden Kraftfahrzeuge aufnehmen können. Die Pflicht zur Herstellung einer ausreichenden Zahl von Stellplätzen soll aber nicht die Nachbarn schützen; die Vorschrift dient vielmehr ausschließlich dem öffentlichen Interesse an der Entlastung der öffentlichen Verkehrsflächen vom ruhenden Verkehr (BayVGH vom 21.4.2004 - 20 B 02.2396 - juris mit weiteren Nachweisen; vom 23.1.2008 - 15 ZB 06.3019 - juris). Rechte der Nachbarn werden nur verletzt, wenn die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze zu Beeinträchtigungen führt, die dem Nachbarn bei Abwägung aller Umstände unzumutbar sind. Das kann etwa der Fall sein, wenn der durch den Stellplatzmangel bewirkte Park- oder Parksuchverkehr den Nachbarn unzumutbar beeinträchtigt oder wenn die bestimmungsgemäße Nutzung des Nachbargrundstücks nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich ist (vgl. NdsOVG vom 14.3.1997 BauR 1997, 983 f.; OVG NRW vom 10.7.1998 BauR 1999, 237 ff.; OVG Bremen vom 18.10.2002 BauR 2003, 509 ff.; HessVGH vom 12.5.2003 BRS 66 Nr. 190; VGH BW vom 10.1.2008 BauR 2009, 470).

Dass bei dem Vorhaben des Beigeladenen diese Folgen zu erwarten wären, ist nach dem Beschwerdevorbringen nicht anzunehmen. Ein für die Antragsteller unzumutbarer An- und Abfahrtsverkehr der Bewohner der Einrichtung ist, wie ausgeführt, schon deswegen nicht zu erwarten, weil diese aufgrund ihrer Betreuungsbedürftigkeit in der Regel nicht über eigene Fahrzeuge verfügen werden. Auch weist die Straße "**********" nach den von den Beteiligten vorgelegten Katasterkarten nicht nur eine Straßenbreite von 2,5 m, sondern von circa 5 m auf. Der damit vorhandene öffentliche Verkehrsraum dürfte ausreichen, um den durch das Vorhaben bedingten zusätzlichen Verkehr aufzunehmen. Aus der Stellplatzsituation dürfte sich eine Verletzung des Rücksichtnahmengebots ebenfalls nicht ergeben und zwar unabhängig davon, ob nach Auflage C.4. des Genehmigungsbescheids auf dem Baugrundstück mehr als fünf Stellplätze zu errichten sind und errichtet werden können. Daraus, dass, wie die Antragsteller meinen, gegebenenfalls erforderliche (weitere) Stellplätze in unmittelbarer Nähe ihrer Grundstücke errichtet werden könnten, ergibt sich noch kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot. Die Befürchtung, dass Bewohner oder Besucher der Einrichtung aufgrund fehlenden öffentlichen Parkraums unberechtigt die Zufahrten zu den Grundstücken der Antragsteller in Anspruch nehmen werden, hält der Senat für unbegründet.

4. Ebenso wenig dürfte das Bauvorhaben zulasten der Antragstellerin zu 4 Abstandsflächenvorschriften verletzten.

Zwar entsprach das umgebaute Gebäude nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten auf seiner Südwestseite nicht den abstandsflächenrechtlichen Vorschriften, weil die Abstandsfläche auf dieser Seite entgegen Art. 6 Abs. 7 BayBO 1998 teilweise um bis zu 0,5 m über die Straßenmitte hinausreichte. Der darin liegende Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO wurde aber wohl durch die mit dem Ergänzungsbescheid vom 16. März 2009 zugelassene Abweichung (Art. 70 Abs. 1 BayBO 1998 = Art. 63 Abs. 1 BayBO) ausgeräumt. Die Einwände der Antragsteller gegen die Rechtmäßigkeit der Abweichung greifen wohl nicht durch.

Wie das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen hat, ist durch das Vorhandensein des als Denkmal geschützten ehemaligen Gaststättengebäudes mit noch nutzbarer, einen wirtschaftlichen Wert darstellender Bausubstanz eine atypische Situation gegeben, die die Zulassung einer Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften grundsätzlich rechtfertigt (vgl. BayVGH vom 15.11.2005 - 2 CS 05.2817 - juris; vom 18.10.2005 - 1 ZB 04.1597 - juris; vom 8.9.2008 - 1 CS 08.1380 - juris; vgl. auch BVerwG vom 16.5.1991 NVwZ 1992, 162). Besonderheiten, im Hinblick auf die das Vorliegen einer atypischen Situationen zu verneinen wäre, liegen nicht vor. Zwar soll der südöstliche Teil des Gebäudes ("Tenne"), in dessen Bereich die Abstandsfläche auf der Südwestseite nicht eingehalten wird, abgebrochen und neu errichtet werden. Da der größere nordwestliche Gebäudeteil als Baudenkmal geschützt ist, sprechen jedoch gewichtige Gründe dafür, den neuen Teil nicht etwa mit einer geringeren Wandhöhe oder nach Nordosten versetzt zu errichten, sondern mit den Maßen und an dem Standort der ehemaligen "Tenne". Nur bei dieser Bauausführung bleibt das Erscheinungsbild des stattlichen ehemaligen Einfirsthofes erhalten. Dass die Abweichung unter Berücksichtigung der Anforderungen des Abstandsflächenrechts und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen der Antragsteller mit den öffentlichen Belangen nicht zu vereinbaren wäre, wird von den Antragstellern nicht geltend gemacht. Hierfür gibt es im Übrigen auch keine Anhaltspunkte. Insbesondere ist, wie ausgeführt, nicht anzunehmen, dass die Nutzung des umgebauten Gebäudes als Einrichtung des betreuten Wohnens zu erheblichen Störungen der Anwesen der Antragsteller führen wird.

5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 und Satz 2 sowie § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen werden für erstattungsfähig erklärt, weil dieser einen Antrag gestellt und sich damit dem Risiko ausgesetzt habt, selbst Kosten auferlegt zu bekommen (§ 162 Abs. 3, § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 39 Abs. 1, § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2 und § 52 Abs. 1 GKG. Sie orientiert sich an Nr. 1.5 Satz 1 und Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2004 (NVwZ 2004, 1327).

Ende der Entscheidung

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