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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 17.04.2008
Aktenzeichen: 11 B 08.30038
Rechtsgebiete: AufenthG, QRL


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
AufenthG § 60 Abs. 7
QRL Art. 4 Abs. 4
QRL Art. 8
QRL Art. 9
QRL Art. 10
QRL Art. 15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

11 B 08.30038

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Asylrechts;

hier: Berufung der Beklagten und des Beteiligten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 2. Mai 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 11. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Festl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Breit, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Beck

aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2008

am 17. April 2008

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 2. Mai 2003 wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu je einem Fünftel.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor Vollstreckungsbeginn Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger zu 1), seine Ehefrau, die Klägerin zu 2), und ihre drei Kinder, die Kläger zu 3), 4) und 5), nach ihren Angaben russische Staatsangehörige tschetschenischer Volkszugehörigkeit, beantragten am 21. August 2001 die Gewährung von Asyl in der Bundesrepublik Deutschland.

Bei der Anhörung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 23. Oktober 2001 gab der Kläger zu 1) an, in D***** in Dagestan geboren zu sein und die letzten 24 Jahre vor seiner Ausreise aus dem Heimatland am 9. August 2001 auf dem Landwege in der Stadt Chasavjurt in Dagestan gelebt zu haben. Seine Eltern lebten noch in seinem Geburtsdorf. Er sei als LKW-Fahrer und Schweißer tätig gewesen. Seinen Wehrdienst habe er 1979 in Deutschland geleistet. Sein Heimatland habe er hauptsächlich wegen des Krieges verlassen. Er sei selbst nicht im Krieg gewesen, habe jedoch Soldaten und Verletzten geholfen. Deswegen sei er verfolgt worden; er sei auch von der Polizei festgenommen worden. Eine Handgranate sei in seinen Innenhof geworfen worden und er habe verschiedene Zettel mit Drohungen erhalten. Es hätten Durchsuchungen stattgefunden. Er sei gefragt worden, ob er Waffen versteckt habe. Jedes Mal sei er geschlagen worden. Ein Bekannter bei der Polizei habe ihn gewarnt, dass es das nächste Mal sein könne, dass er nicht mehr zurückkomme. Er sei drei- bis viermal von der Polizei festgenommen worden, jeweils zwei, drei Tage und Nächte. 1999, vielleicht im Mai, hätten sechs bewaffnete Soldaten zwei schwer verletzte Soldaten zu ihm gebracht. Sie seien drei Tage und Nächte geblieben. Er habe Verbände gemacht und den Soldaten zu essen gegeben. Im Jahr 2000 habe es dann angefangen, dass er festgenommen worden sei. Die Polizei habe ihn beschuldigt, dass sich an bestimmten Tagen Soldaten bei ihm aufgehalten hätten. Sie hätten ihn beschuldigt, weil er Tschetschene sei. Bei seiner Rückkehr befürchte er, dass er totgeschlagen werde. Wenn dies nicht von der Regierungsseite erfolge, dann von Menschen anderer Nationalitäten. In der Stadt Chasavjurt gebe es 20 Nationalitäten und wegen dieser vielen Nationalitäten Probleme und Reibereien. Ein Hauptgrund für die Ausreise sei auch, dass die Kinder nicht auf die Schule hätten gehen können. Die Kinder sollten ein normales Leben führen und auch lernen können. Für seine Ehefrau, die Klägerin zu 2), würden die gleichen Gründe gelten.

Die Klägerin zu 2), die nach den Angaben des Klägers zu 1) nur tschetschenisch spricht, gab schriftlich an, dass ihr Mann und sie (nur) das Problem hätten, dorthin zu kommen.

Durch Bescheid vom 5. April 2002 lehnte das Bundesamt die Anträge der Kläger auf Anerkennung als Asylberechtigte ab und sprach aus, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sowie Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Die Kläger wurden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb eines Monats nach der Bekanntgabe des Bescheides, im Falle der Klageerhebung innerhalb eines Monats nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens, zu verlassen; andernfalls würden sie in die Russische Föderation oder in einen anderen aufnahmebereiten bzw. zu ihrer Rücknahme verpflichteten Staat abgeschoben. Auf die Gründe des Bescheides wird Bezug genommen.

Gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes erhoben die Kläger am 19. April 2002 Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg, wobei sich die Kläger zuletzt nicht mehr gegen die Ablehnung ihrer Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte wandten. Mit Urteil vom 2. Mai 2003 hob das Verwaltungsgericht Würzburg die Ziffer 2 und die Androhung der Abschiebung in die Russische Föderation in Ziffer 4 Satz 2 des Bescheides des Bundesamtes vom 5. April 2002 auf und verpflichtete die Beklagte festzustellen, dass bei den Klägern die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen. Das Verwaltungsgericht ging davon aus, dass den Klägern aufgrund ihrer tschetschenischen Volkszugehörigkeit eine Rückkehr nach Tschetschenien, aber auch in die übrige Russische Föderation, nicht zumutbar sei.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung beantragen der Bundesbeauftragte für Asylangelegenheiten und die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesamt, die Klage unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 2. Mai 2003 abzuweisen. Zur Begründung wird vorgetragen, die angefochtene Entscheidung weiche von der Spruchpraxis des erkennenden Senats ab, der in seinem Urteil vom 31. Januar 2005 (Az. 11 B 02.31597) festgestellt habe, dass tschetschenischen Volkszugehörigen in der Regel in weiten Teilen der Russischen Föderation eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stehe. Weiter beziehen sich die Berufungskläger auf ihre Ausführungen in den Zulassungsanträgen vom 14. und 26. Mai 2003.

Die Kläger beantragen, die Berufung zurückzuweisen. Eine generelle Bejahung des Bestehens einer inländischen Fluchtalternative für jeden tschetschenischen Asylsuchenden enthalte die Entscheidung des erkennenden Senats vom 31. Januar 2005 nicht. Der Kläger zu 1) und seine Familie seien vorverfolgt ausgereist. Der Kläger zu 1) habe unwiderlegt und nachvollziehbar vorgetragen, tschetschenischen Soldaten und Verletzten geholfen zu haben. Er sei dadurch in das Visier der russischen Polizei und damit der russischen Staatsmacht geraten. Zwar existiere (noch) kein Haftbefehl oder Anklageschrift gegen ihn, den russischen Sicherheitsbehörden sei aber offensichtlich der Umstand der Hilfeleistung gegenüber tschetschenischen Widerstandskämpfern/Soldaten bekannt gewesen, da er seitens der Polizei hierauf mehrfach angesprochen worden sei. Er sei wiederholt festgenommen und auch geschlagen worden. Da der Kläger zu 1) und seine Familie von der russischen Staatsmacht in Verbindung mit einer den tschetschenischen Separatismus unterstützenden Tätigkeit gebracht worden seien, müsse bei ihrer Rückreise mit asylerheblichen Übergriffen gerechnet werden, die der russischen Staatsmacht zuzuordnen seien.

Für die Anhörung des Klägers zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 14. April 2008, das vom Kläger übergegebene Schriftstück und die vom Senat in den Rechtsstreit eingeführten Unterlagen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen. Weiter hat der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung einen vorsorglichen Beweisantrag gestellt, auf dessen Inhalt ebenfalls Bezug genommen wird.

Ergänzend wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, insbesondere auch auf die Liste der zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Erkenntnismittel nach dem Stand vom 1. Februar 2008, sowie den beigezogenen Vorgang des Bundesamtes verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Klägern zu Unrecht Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zuerkannt. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts war die Klage der Kläger gegen den Bescheid des Bundesamts vom 5. April 2002 abzuweisen.

Da der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylVfG auf die im Zeitpunkt seiner Entscheidung bestehende tatsächliche und rechtliche Situation abzustellen hat, ist die Prüfung der Frage, ob den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist (vgl. § 3 Abs. 1 AsylVfG n.F.) bzw. sie sonst Abschiebungsschutz beanspruchen können, anhand des § 60 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl. I S. 1970), insoweit in Kraft getreten am 28. August 2007, vorzunehmen.

Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, der inhaltlich der Regelung des früheren § 51 Abs. 1 AuslG entspricht (vgl. Begründung des Entwurfs der Bundesregierung für das Zuwanderungsgesetz, BT-Drs. 15/420 S.91), darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen eines asylrelevanten Merkmals durch eine der in § 60 Abs. 1 Satz 4 AufenthG genannten Kräfte bedroht ist. Einer Gefährdung des Lebens und der persönlichen Freiheit stehen allgemeiner Auffassung zufolge (vgl. z.B. BVerfG vom 4.2.1959 BVerfGE 9, 174/181; BVerfG vom 2.7.1980 BVerfGE 54, 341/357; BVerfG vom 10.7.1989 BVerfGE 80, 315/333) Bedrohungen der körperlichen Unversehrtheit gleich; in § 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG hat dies nunmehr auch positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden. Beeinträchtigungen anderer Rechtsgüter als Leib, Leben oder persönliche Freiheit begründen einen Anspruch auf Schutz vor politischer Verfolgung dann, wenn sie nach ihrer Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaates aufgrund des dort herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (vgl. BVerfG vom 2.7.1980, ebenda). Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorliegt, sind gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG Art. 4 Abs. 4 sowie Art. 7 bis 10 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. EU Nr. L 304/12; nachfolgend "Qualifikationsrichtlinie" - QRL - genannt) ergänzend anzuwenden.

Die Beantwortung der Frage, welche Wahrscheinlichkeit die in § 60 Abs. 1 AufenthG vorausgesetzte Gefahr aufweisen muss, hängt davon ab, ob der Schutz suchende Ausländer seinen Herkunftsstaat bereits auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt ausgereist ist (vgl. BVerfG vom 10.7.1989 a.a.O.; BVerwG vom 26.3.1985 BVerwGE 71, 175 ff.). War er noch keiner asylrechtlich beachtlichen Bedrohung ausgesetzt, kommt es bei der anzustellenden Prognose darauf an, ob ihm bei verständiger Würdigung aller Umstände seines Falles politische Verfolgung mit "beachtlicher" Wahrscheinlichkeit droht (vgl. BVerwG vom 29.11.1977 Buchholz 402.23 § 28 AuslG Nr. 11). Wurde ein Ausländer demgegenüber bereits im Herkunftsland politisch verfolgt, so greift zu seinen Gunsten ein herabgestufter Wahrscheinlichkeitsmaßstab ein: Er muss vor erneuter Verfolgung "hinreichend sicher" sein (vgl. BVerfG vom 2.7.1980, a.a.O., S. 360). Dieser herabgestufte Wahrscheinlichkeitsmaßstab ist auch bei solchen Ausländern anzuwenden, die persönlich unverfolgt ausgereist sind, jedoch einer Gruppe angehören, deren Mitglieder im Herkunftsstaat zumindest regional kollektiv verfolgt wurden (vgl. BVerwG vom 9.9.1997 BVerwGE 105, 204/208). Das gilt auch dann, wenn diese (regionale) Gefahr als objektiver Nachfluchttatbestand erst nach der Ausreise des Schutzsuchenden auftritt; denn für den Angehörigen einer solchen Gruppe hat sich das fragliche Land nachträglich als Verfolgerstaat erwiesen (vgl. BVerwG vom 9.9.1997, ebenda). Beschränkt sich die Gruppenverfolgung auf einen Teil des Herkunftslandes, so kommt für die gruppenzugehörigen Personen in diesem Staat nur ein Gebiet als inländische Fluchtalternative in Betracht, in dem sie vor Verfolgung "hinreichend sicher" sind (vgl. BVerwG vom 9.9.1997, ebenda).

Die Grundsätze zum Prognosemaßstab gelten - zumindest im Kern - auch nach der ausdrücklichen Übernahme zahlreicher Normen der Qualifikationsrichtlinie in das deutsche Recht fort. Denn nach Art. 4 Abs. 4 QRL, der gemäß § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG ergänzend anzuwenden ist, stellt der Umstand, dass der Schutz suchende Ausländer bereits verfolgt wurde oder er einen sonstigen ernsthaften Schaden (vgl. Art. 15 QRL) erlitten hat bzw. er von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, einen ernsthaften Hinweis darauf dar, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist, es sei denn, es sprechen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Ausländer erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Die in Deutschland richterrechtlich entwickelten Grundsätze über den anzuwendenden Prognosemaßstab entsprechen dem im Wesentlichen (vgl. Marx, AsylVfG, 6. Aufl. 2005, RdNr. 286 zu § 1; in diese Richtung auch BVerwG vom 20.3.2007 BayVBl 2007, 632 ff, wo darauf hingewiesen wird, dass die in Art. 4 Abs. 4 QRL vorgesehene Beweiserleichterung auf tatsächlicher Ebene nur im Falle einer Vorverfolgung eingreift).

Die Kläger zu 2) bis 5) wurden vor ihrer Ausreise nicht individuell verfolgt. Der Senat hat auch erhebliche Zweifel, ob das vom Kläger zu 1) vorgetragene Verfolgungsschicksal bereits die Annahme einer Vorverfolgung rechtfertigt. Letztlich kann diese Frage dahingestellt bleiben, da den Klägern bei ihrer Ausreise im August 2001 eine inländische Fluchtalternative zur Verfügung stand. Es ist deshalb auch unerheblich, ob Tschetschenen zu der Zeit, als die Kläger die Russische Föderation verlassen haben, in Teilen dieses Landes kollektiv verfolgt wurden. Die Frage, ob die in Tschetschenien selbst lebenden Tschetschenen damals kollektiv verfolgt wurden, stellt sich im vorliegenden Verfahren ohnehin nicht, da die Kläger aus Dagestan stammen. Die Kläger gehören ferner keiner Gruppe an, deren Mitglieder in der Russischen Förderation heute allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu diesem Kollektiv im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL verfolgt werden.

Die Klägerin zu 2) hat selbst keine Asylgründe geltend gemacht. Soweit er Kläger zu 1) vorgetragen hat, dass die gleichen Gründe auch für seine Ehefrau geltend würden, können dem Vortrag des Klägers zu 1) keine Verfolgungsmaßnahmen staatlicher Stellen oder nichtstaatlicher Akteure gegenüber der Ehefrau entnommen werden. Die pauschale Behauptung des Klägers zu 1), dass er und seine Familie verfolgt worden seien, ist hierfür nicht ausreichend. Durchsuchungen, Festnahmen, Verhöre erfolgten nach dem Vortrag des Klägers zu 1), weil ihm eine Hilfeleistung an tschetschenische Widerstandskämpfer vorgeworfen wurde, die er nach seinem Vortrag auch selbst ausgeführt hatte. Schriftliche Drohungen der Nachbarschaft galten nach dem Vortrag des Klägers zu 1) ihm selbst. Nähere Angaben zu den geltend gemachten Drohungen der Nachbarschaft machte der Kläger zu 1) im Übrigen nicht. Soweit am 9. Mai 2000 eine Handgranate in den Innenhof des Wohnhauses der Kläger geworfen wurde - eine Handlung, deren der Kläger zu 1) seine Nachbarn verdächtigt -, haben die Kläger diesen Vorfall nicht zum Anlass genommen, um internationalen Schutz zu erstreben. Denn die Bejahung einer Vorverfolgung setzt regelmäßig voraus, dass der Ausländer seinen Heimatstaat in nahem zeitlichem Zusammenhang mit einer erlittenen Verfolgung verlassen hat (vgl. BVerwG vom 20.11.1990 BVerwGE 87, 141/147; BVerwG vom 25.7.2000 BVerwGE 111, 334/337). Es kann daher dahinstehen, ob die Kläger hier polizeilichen Schutz in Anspruch hätte nehmen können.

Für die Kläger zu 3), 4) und 5) wurde vorgetragen, dass sie die Schule nicht hätten besuchen können. Hierzu führte der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung aus, dass seine Kinder in der Schule von anderen Kindern gequält worden seien. Man habe den Kindern gesagt, sie sollten sich nach Tschetschenien verdrücken. Dass den Kindern hierbei über übliche Streitigkeiten zwischen Kindern hinausgehende Gewalt angetan worden sei, wurde nicht vorgetragen. Soweit zusätzlich geltend gemacht wurde, dass die Kinder von den Lehrern benachteiligt worden seien, wurde mit diesem allgemeinen Vorwurf keine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte dargetan. Schwierigkeiten tschetschenischer Kinder, eine Schule zu besuchen, und diskriminierende Behandlung einzelner Kinder werden von dem Menschenrechtszentrum Memorial nur hinsichtlich der Kinder nicht registrierter tschetschenischer Familien bzw. Umsiedler genannt und Vorfälle nur aus Moskau und Karbadino-Balkarien berichtet (vgl. S. 29/30 der aus dem Jahr 2002 stammenden Ausarbeitung "Nach der Flucht aus Tschetschenien").

Entsprechend dem Vortrag des Klägers zu 1) bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung geht der Senat davon aus, dass er zwei verwundete tschetschenische Kämpfer - vermutlich im September 1999 - drei Tage in seinem Haus beherbergt und versorgt hatte. Der Kläger zu 1) hat diesen Vorfall zusammenhängend, nachvollziehbar und mit Details angereichert erzählt. Weiter hält der Senat für glaubhaft, dass die Polizei sein Haus beginnend etwa im Mai 2000 und endend im Mai 2001 3-4 mal durchsucht, nach Waffen gesucht hat und dass er bei der ersten Durchsuchung von den Polizisten auch geschlagen wurde. Den Vortrag im Anhörungsverfahren vor dem Bundesamt, dass er jedes Mal geschlagen worden sei, hat der Kläger bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten. Der Kläger ist weiter dreimal im Anschluss an die Durchsuchungen von der Miliz mitgenommen und jeweils - entsprechend dem näher geschilderten Ablauf - bis zum Ende des nächsten Tages festgehalten worden. Zu Misshandlungen ist es während der Festnahmen nicht gekommen. Die Durchsuchungen und Festnahmen des Kläger zu 1) erfolgten aufgrund seiner tschetschenischen Volkszugehörigkeit, die Polizei wollte offensichtlich überprüfen, inwieweit der Kläger angesichts seiner humanitären Hilfe bereit wäre, sich auch darüber hinaus für eine tschetschenische Unabhängigkeit zu engagieren. Der Senat hat erhebliche Zweifel, ob diese staatlichen Maßnahmen bereits eine asylrechtlich relevante Vorverfolgung des Klägers zu 1) darstellen. Soweit der Kläger zu 1) eine Bedrohung durch seine Nachbarn geltend gemacht hat, fehlt es zum einen bezüglich der schriftlichen Drohungen an konkreten Angaben über deren Inhalt und Ernsthaftigkeit, zum anderen wird auf die entsprechenden Ausführungen bei der Ehefrau Bezug genommen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist eine Verfolgung dann eine politische, wenn sie dem einzelnen in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Geht es dabei um Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, so stellt generell jede derartige nicht ganz unerhebliche Maßnahme staatlicher Stellen, die an asylerhebliche Merkmale, insbesondere die politische Überzeugung oder Betätigung eines Betroffenen anknüpft, politische Verfolgung dar, ohne dass es insoweit noch auf eine besondere Intensität oder Schwere des Eingriffs ankommt (vgl. BVerfG vom 15.2.2000, InfAuslR 2000, 254/257; BVerwG vom 25.7.2000, BVerwGE 111, 334/338). Nicht nur eine Inhaftierung von drei Tagen (vgl. BVerwG vom 20.11.1990 BVerwGE NVwZ 1991, 382/383), sondern bereits eine solche von zwei Tagen ist nach Art und Schwere jedenfalls dann von asylerheblicher Intensität, wenn ein derartiger Vorfall mit Misshandlungen einhergeht (vgl. BVerwG vom 20.11.1990 BVerwGE 87, 141/145 f.). Weiter setzt die Zuerkennung einer Flüchtlingseigenschaft grundsätzlich den Kausalzusammenhang Verfolgung - Flucht - Asyl voraus. Der asylrechtlich geforderte Kausalzusammenhang zwischen politischer Verfolgung und Flucht fehlt, wenn ein Asylbewerber nach erlittener politischer Verfolgung noch längere Zeit im Heimatland verbleibt und in dieser Zeit dort unbehelligt und verfolgungsfrei leben kann (vgl. BVerfGE 80, 315/344). Soweit der Kläger zu 1) im Mai 2000 zwei Tage ohne richterliche Anordnung festgehalten und bei der vorausgehenden Durchsuchung des Wohnhauses auch geschlagen wurde, ist der Kläger zu 1) danach nicht ausgereist. Bis zu seiner Ausreise im August 2001 ist es zu keinen weiteren körperlichen Misshandlungen gekommen. Die Inhaftierungen haben sich jeweils nur auf einen Zeitraum von zwei Tagen erstreckt, einen Zeitraum, in dem auch in einem Rechtsstaat eine polizeiliche Freiheitsentziehung ohne richterlichen Beschluss möglich ist (vgl. Art. 104 Abs. 2 Satz 3 GG). Soweit der Kläger zu 1) in seiner Anhörung vorgetragen hat, dass er während der Vernehmungspausen von Männern in Zivil bedroht worden sei, hat der Kläger hierzu über diese allgemeine Aussage hinaus keine näheren Angaben gemacht. Es ist dem Senat aufgefallen, dass der Kläger zu 1) die Angaben von sich aus schneller, detailgenauer gemacht hat, als es um seine Hilfeleistung an die verwundeten tschetschenischen Kämpfer ging. Konkrete Angaben, wie die Festnahmen im Einzelnen abliefen, machte er erst auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts und schilderte auch weniger Details. Von dem vernehmenden Beamten wurde der Kläger zu 1) nicht bedroht. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass der Kläger zu 1) wiederholt festgenommen und jeweils für zwei Tage festgehalten wurde. Art. 9 Abs. 1 Buchst. a QRL verpflichtet den Rechtsanwender, den Schweregrad eines staatlichen Verhaltens auch danach zu beurteilen, ob sich gleichartige Eingriffsmaßnahmen wiederholt haben. Die ohne konkreten Tatverdacht erfolgten polizeilichen Festnahmen - die Hilfeleistung an die tschetschenischen Kämpfer wurde dem Kläger zu 1) strafrechtlich nicht zur Last gelegt - könnten daher möglicherweise in ihrer Gesamtheit als asylerheblich angesehen werden, insbesondere da der Kläger zu 1) befürchten musste, dass es wieder zu einer solchen Festnahme kommen könnte. Soweit der Kläger zu 1) darüber hinaus vorgetragen hat, dass er befürchten musste, das nächste Mal längere Zeit festgehalten zu werden, hat der Kläger zu 1) hierfür keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen. Die Aussage des Polizisten, dass er beim nächsten Mal nicht mehr so einfach wieder gehen könne, könnte genauso gut als eine Art "Warnung" verstanden werden, der Polizei keinen Anlass zu bieten, ihn erneut festzunehmen.

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts ist aber anerkannt, dass Maßnahmen trotz der Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale aus dem Bereich politischer Verfolgung herausfallen können, wenn sie der staatlichen Selbstverteidigung oder dem Schutz von Rechtsgütern dienen. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen, die der Staat im Bereich der Terrorismusabwehr ergreift, wenn und soweit er sich dabei auf die Abwehr des Terrorismus beschränkt und nicht unter dem Deckmantel behaupteter Terrorismusbekämpfung politische Verfolgung betreibt. Derartige Maßnahmen können repressiver oder präventiver Art sein. Sie müssen sich, um asylerheblich zu sein, nicht notwendig gegen konkret Tatverdächtige richten, sondern können auch Unbeteiligte treffen, soweit sie terroristischen Aktivitäten vorbeugen oder diese aufklären sollen. Dies kann auch die Möglichkeit einschließen, Unbeteiligte kurzfristig in Haft zu nehmen, um z.B. ihre Identität zu überprüfen (vgl. BVerfG vom 15.2.2000 a.a.O. S. 257 f.; BVerwG vom 25.7.2000 a.a.O. S. 339).

Hier haben die Durchsuchungen und Festnahmen zu einer Zeit stattgefunden, als in Tschetschenien offene Kriegshandlungen stattfanden. Dabei kam es bei den Kampfhandlungen in Tschetschenien nicht nur zu zahlreichen Opfern unter der Zivilbevölkerung, sondern es wurde auch über massive Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch tschetschenische Banden und Rebellen berichtet. Dazu gehörten Folterung und Ermordung russischer Soldaten und kooperationswilliger Tschetschenen, Verschleppung und Vergewaltigung von Frauen, Plünderungen und die bewusste Kampfführung aus und in zivilen Anlagen und Gebäuden. So hatten sich tschetschenische Rebellen zum Teil Zugang zu Dörfern auch gegen den Willen der Bevölkerung erzwungen und diese so zu Angriffszielen russischer Bombardierungen gemacht (vgl. Lageberichte des Auswärtigen Amtes vom 22.5.2000 und vom 24.4.2001). Die Suche nach Waffen bei dem Kläger zu 1) und die Befragungen könnten daher aus einem legitimen Sicherheitsinteresse der Polizeikräfte an der Grenze zu Tschetschenien erfolgt sein. Dafür spricht zum einen, dass die dagestanischen Sicherheitskräfte das Wohnhaus des Klägers zu 1) erstmals im Mai 2000 nach Waffen durchsuchten und nicht schon im Anschluss an die Beherbergung von verletzten Tschetschenen und dass die Durchsuchungen in größeren Zeitabständen stattfanden. Zum anderen hatten sich auch Familienmitglieder des Klägers zu 1) nach dessen Vortrag in der Vergangenheit für die tschetschenische Unabhängigkeit eingesetzt. Zu erheblichen körperlichen Misshandlungen, die ein Indiz dafür sein können, dass das staatliche Vorgehen das angemessene Maß der Terrorbekämpfung übersteigt, und in eine asylerhebliche Verfolgung umschlägt (vgl. BVerwG vom 25.7.2000 a.a.O. S. 340 f.), ist es während der Festnahmen nicht gekommen. Es spricht daher sehr viel dafür, dass es sich bei den geschilderten staatlichen Maßnahmen um ordnungsrechtliche Maßnahmen und keine Verfolgungsmaßnahmen handelte. Letztlich kann diese Frage aber offen gelassen werden, da dem Kläger zu 1) bei seiner Ausreise im August 2001 in Inguschetien eine inländische Fluchtalternative (bzw. ein interner Schutz im Sinne von Art. 8 QRL i.V.m. § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG) zur Verfügung stand.

Nicht jeder, der in einem Landesteil unmittelbarer oder mittelbarer staatlicher Verfolgung ausgesetzt ist, bedarf notwendig des Schutzes im Ausland. Er kann unter bestimmten Voraussetzungen auf verfolgungsfreie Teile seines Heimatstaates verwiesen werden. Eine inländische Fluchtalternative setzte nach bisheriger obergerichtlicher Rechtsprechung voraus, dass der Asylsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor politischer Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm dort auch keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen gleichkommen, sofern diese existentielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht bestünde (vgl. BVerfG vom 10.7.1989 a.a.O. S. 343 f.; BVerwG vom 15.5.1990 BVerwGE 85, 139/146; BVerwG vom 20.11.1990 a.a.O. S. 148). Diese Grundsätze gelten im Kern auch nach Inkrafttreten der Qualifikationsrichtlinie weiter (vgl. Art. 8 Abs. 1 und 2 QRL und BayVGH vom 31.8.2007 11 B 02.31724). In seinen Urteilen vom 29. Mai 2008 hat das Bundesverwaltungsgericht (vgl. Pressemitteilung vom 29.5.2008) die Anforderungen der inländischen Fluchtalternative mit Blick auf Art. 8 QRL allerdings dahingehend präzisiert, dass von dem Betroffenen nur dann vernünftigerweise erwartet werden kann, sich in einem anderen Teil seines Herkunftslandes aufzuhalten, wenn ihm dort jedenfalls keine existenzielle Gefährdung droht. Für die Gewährung von Flüchtlingsschutz ist unerheblich, ob diese Gefährdung an seinem Herkunftsort in gleicher Weise besteht. Der Betroffene ist demnach unverfolgt ausgereist, wenn festgestellt werden kann, dass er in anderen Landesteilen vor politischer Verfolgung sicher war, und sich nicht feststellen lässt, dass ihm in diesen Landesteilen die erwähnten Nachteile und Gefahren drohten.

Als inländische Fluchtalternative für Tschetschenen kam in der Zeit nach dem Ausbruch des zweiten Tschetschenienkrieges in erster Linie Inguschetien in Betracht. Nach der im Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. August 2001 (vgl. S. 11) wiedergegebenen Darstellung des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) haben bis zur Mitte des Jahres 2001 ca. 250.000 Tschetschenen (zeitweise) Zuflucht in Inguschetien gesucht. Ermöglicht wurde dieser Zustrom durch einen Erlass des damaligen inguschischen Präsidenten Ruslan Auschew, der die Grenzen jener Teilrepublik für die Flüchtlinge öffnete (vgl. Ausarbeitung von Memorial "Nach der Flucht aus Tschetschenien", Moskau 2002, S. 42). Solange Auschew an der Spitze Inguschetiens stand, erhielten sie dort nicht nur eine Grundversorgung in Flüchtlingslagern und besaßen - wenn auch auf sehr niedrigem Niveau - Anspruch auf verschiedene Sozialhilfeleistungen (vgl. Stellungnahme des Auswärtigen Amtes gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 23.6.2000), so dass ihre Versorgung grundsätzlich sichergestellt war (so ausdrücklich das Schreiben des UNHCR an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 29.10.2003, S. 6 Mitte); diese Personen waren dort auch vor Verfolgungshandlungen des russischen Staates geschützt (vgl. die auf S. 24 des Memorial-Jahresberichts 2005 enthaltene Aussage, der zufolge Inguschetien das einzige Subjekt der Russischen Föderation war, in dem tschetschenische Binnenflüchtlinge "in Sicherheit leben konnten").

Zu einem Wandel der Verhältnisse in Inguschetien kam es erst, nachdem im Jahr 2002 Präsident Auschew durch seinen "moskauorientierten" Nachfolger Sjasikow abgelöst wurde (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 24.5.2004 "Tschetschenien und die tschetschenische Bevölkerung in der Russischen Föderation", S. 16). Im Mai 2002 wurde ein Repatriierungsplan vorgestellt, der die Auflösung der Flüchtlingslager in Inguschetien und eine Rückführung der Bürgerkriegsflüchtlinge nach Tschetschenien vorsah (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe vom 24.5.2004, S. 17). Seit dem Ende des Jahres 2002 wurde die Gas- und Wasserversorgung in den Zeltlagern abgestellt (vgl. Mütter für den Frieden "Bericht zur Lebenssituation tschetschenischer IDP?s", S. 2). Es wurden Lager geschlossen; dem UNHCR wurde der Austausch beschädigter Zelte in anderen Camps nicht mehr gestattet (vgl. Schreiben des UNHCR vom 29.10.2003, S. 7). Vom Herbst 2003 an führten Milizionäre und Soldaten Kontrollen vor den Lagern durch (vgl. Mütter für den Frieden a.a.O.). Der UNHCR erwähnt für die zweite Hälfte des Jahres 2003 eine verstärkte Stationierung russischer Sicherheitskräfte in Inguschetien, wobei ihre Präsenz namentlich in der Umgebung der Ansiedlung von Binnenflüchtlingen spürbar gestiegen sei; seither nähmen die Berichte über Festnahmen in Inguschetien - vor allem durch tschetschenische Sicherheitskräfte - zu (vgl. Schreiben vom 29.10.2003, Seite 6 f.). Nach Darstellung von Amnesty International entstanden bereits etwa seit Anfang 2003 zahlreiche permanente Kontrollpunkte rund um die Flüchtlingslager in Inguschetien, an denen es immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen kam (vgl. Schreiben an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 16.4.2004, Seite 5 unten). Seit der Jahresmitte 2003 führten russische Streitkräfte auch in Inguschetien Militäroperationen durch, die denen in Tschetschenien ähneln würden; sie seien insbesondere mit willkürlichen Festnahmen, Misshandlungen, Plünderungen und anderen schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen einhergegangen (vgl. Amnesty International im Schreiben an den Bayer. Verwaltungsgerichtshof vom 16.4.2004, Seite 6). Wenn Memorial vor diesem Hintergrund feststellt, seit 2003 sei "Inguschetien keine Insel der Sicherheit mehr für Menschen aus Tschetschenien", während Tschetschenen dort bis dahin "ohne Angst vor dem nächsten Milizionär" hätten leben können (vgl. "Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation Juni 2003 - Mai 2004", S. 6), so verdeutlicht das, dass diese Teilrepublik bis zu der dargestellten Wende der Verhältnisse eine sichere Zufluchtsregion war. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich diese Wende schon Ende 2001 abzeichnete - Ende Dezember 2001 wurde Ruslan Auschew zum Rücktritt gezwungen - und Inguschetien um die Jahreswende 2001/2002 seine Funktion als sicherer Zufluchtsort zu verlieren begann. Denn im August 2001 bestanden hierfür keine Anhaltspunkte, so dass von den Klägern - sollten sie in Dagestan einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt gewesen sein - erwartet werden konnte, sich dort aufzuhalten.

Die Kläger gehören weiter keiner Gruppe an, deren Mitglieder in der Russischen Föderation heute allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu diesem Kollektiv im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL verfolgt werden. Denn weder in Tschetschenien selbst noch in anderen Teilen Russlands drohen den dort bereits auf Dauer ansässigen Angehörigen dieser Ethnien oder Tschetschenen, die aus dem westlichen Ausland zurückgekehrt sind, Maßnahmen, denen nach § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL ggf. Rechtserheblichkeit zukommt, in derartiger Häufigkeit, dass die Voraussetzungen einer Gruppenverfolgung als erfüllt angesehen werden können.

Eine Gruppenverfolgung liegt vor, wenn die Gruppe als solche Ziel einer politischen Verfolgung ist, so dass im landesweiten, regionalen oder lokalen Bereich jedes einzelne Mitglied allein deswegen, weil es die gruppenspezifischen Merkmale aufweist, politische Verfolgung zu befürchten hat. Damit die Regelvermutung eigener Verfolgung grundsätzlich allen Gruppenangehörigen ohne Rücksicht darauf zugute kommen kann, ob sich die Verfolgungsmaßnahmen in ihrer Person verwirklicht haben, ist erforderlich, dass jedes im Verfolgungsgebiet im Verfolgungszeitraum lebende Gruppenmitglied nicht nur möglicherweise, latent oder potentiell, sondern wegen der Gruppenzugehörigkeit aktuell gefährdet ist, weil den Gruppenangehörigen insgesamt politische Verfolgung droht. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt, sondern dass die Verfolgungshandlungen im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht, weil auch keine verfolgungsfreien oder deutlich weniger gefährdeten Zonen oder Bereiche vorhanden sind. Dabei kann die Gruppenverfolgung vom Staat ausgehen oder auch von privater Seite, die dem Staat jedoch zurechenbar ist (vgl. BVerwG vom 8.2.1989 InfAuslR 1989, 248 ff.; BVerwG vom 15.5.1990 BVerwGE 85, 139 ff.).

Aus den zur Verfügung stehenden und in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismitteln ergibt sich nicht, dass die Gruppe der Tschetschenen derzeit in Tschetschenien, Dagestan oder anderen Teilen der Russischen Föderation Verfolgungshandlungen in einer derartigen Quantität und Qualität befürchten muss, dass daraus für die Kläger aus der Tatsache, dass sie Tschetschenen sind, die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht (vgl. im einzelnen BayVGH vom 31.8.2007 a.a.O.). Aus dem neuesten Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13. Januar 2008 und aus der neuesten Ausarbeitung von Memorial (vgl. "Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation August 2006 - Oktober 2007" S. 4) ergibt sich insbesondere, dass sich die Sicherheitslage für die Tschetschenen in Tschetschenien, in dem Gebiet, in dem über die schwersten Menschenrechtsverletzungen berichtet worden war, weiter verbessert hat. So hat sich die Sicherheit der Zivilbevölkerung in Tschetschenien mittlerweile stabilisiert. Razzien, "Säuberungsaktionen", Plünderungen und Übergriffe durch russische Soldaten und Angehörige der tschetschenischen Sicherheitskräfte, aber auch Guerilla-Aktivitäten und Geiselnahmen der Rebellen haben nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen und internationalen Organisationen deutlich abgenommen. Zwar hat sich die Sicherheitslage in anderen Teilrepubliken der Russischen Föderation nicht verbessert oder - wie in Inguschetien - sogar verschlechtert. Die hier insbesondere aktuell genannten und dokumentierten Zahlen von "Entführungen" bzw. von Maßnahmen der Freiheitsberaubung (vgl. z.B. in Inguschetien in den ersten acht Monaten 2007 "Entführung" insgesamt von 22 Personen, 7 "Entführungen" 2007 in Dagestan, Ausarbeitung von Memorial S. 90 f., 97 f., 128 f.) erreichen aber bereits von ihrer Häufigkeit nicht die für die Bejahung einer Gruppenverfolgung erforderliche Dichte.

Da die Kläger somit weder vorverfolgt ausgereist sind noch sich die Russische Föderation für die Kläger als tschetschenische Volkszugehörige nachträglich als Verfolgerstaat erwiesen hat, findet auf sie der allgemeine asylrechtliche Prognosemaßstab der "beachtlichen Wahrscheinlichkeit" Anwendung. Die Kläger müssen bei einer Rückkehr in die Russische Föderation oder im Anschluss an eine Abschiebung dorthin aber nicht befürchten, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. Art. 9 f. QRL zu erleiden.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine Verfolgungsgefahr vor, wenn dem Asylsuchenden bei verständiger, nämlich objektiver Würdigung der gesamten Umstände seines Falles politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, so dass ihm nicht zuzumuten ist, im Heimatstaat zu bleiben oder dorthin zurückzukehren. Dabei ist eine "qualifizierende" Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Asylsuchenden Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann, so dass eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar erscheint (vgl. BVerwG vom 23.2.1988 Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 80; vom 23.7.1991 BVerwGE 88, 367; vom 5.11.1991 BVerwGE 89, 162). Soweit Art. 4 Abs. 3 QRL, der als Einzelnorm nicht unmittelbar in das deutsche Recht übernommen wurde, individuelle Prüfkriterien vorgibt, werden hier nur Anforderungen wiedergegeben, die schon bisher im Asylverfahren als Einzelumstände zu berücksichtigen waren (vgl. Art. 24, 25 AsylVfG).

Solange der Tschetschenien-Konflikt nicht endgültig gelöst ist, ist zwar davon auszugehen, dass die russischen Behörden abgeschobenen Tschetschenen besondere Aufmerksamkeit widmen. Dies gilt insbesondere für solche Personen, die sich in der Tschetschenienfrage engagiert haben bzw. denen die russischen Behörden ein solches Engagement unterstellen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 26). Dabei sind längere Befragungen bei der Einreise zu Aufenthalt und Aktivitäten im Ausland möglich. Nicht auszuschließen sind nach erfolgter Einreise kurzfristige Festnahmen und sog. "vorbeugende Befragungen" durch die Polizei, um eventuelle Kontakte zu gewalttätigen Kämpfern aufzudecken (vgl. Antwort des Auswärtigen Amtes vom 26.2.2008 auf eine Anfrage des Verwaltungsgerichts Köln). Soweit diese kurzfristigen Festnahmen und Befragungen dem Ziel dienen, Terroristen bzw. terrorverdächtige Personen aufzuspüren, stellen entsprechende Handlungen der staatlichen Organe, sofern sie sich auf die Terrorabwehr beschränken (vgl. oben), von vornherein keine asylerhebliche Verfolgung dar. Vorliegend fehlt es an Umständen, die Anlass zu der Befürchtung geben könnten, diese Schranken würden bei den Klägern nicht eingehalten.

Dass die russischen oder tschetschenischen Sicherheitskräfte ein über die routinemäßige Überprüfung rückkehrender Tschetschenen hinausgehendes Interesse an der Ehefrau sowie den Söhnen und der Tochter haben (Kläger 2 bis 5), wurde von ihnen selbst zu Recht nicht geltend gemacht. Aber auch der Kläger zu 1) muss nicht befürchten, entweder bei der Einreise oder im weiteren Verlauf seines Aufenthalts in der Russischen Föderation Maßnahmen im Sinne von § 60 Abs. 1 AufenthG, Art. 9 f. QRL ausgesetzt zu sein.

Dabei hält es der Senat nicht für ausgeschlossen, dass der Kläger zu 1) sorgfältiger überprüft wird als die übrigen Familienmitglieder. Dies könnte der Fall sein, da der Kläger zu 1) bereits vor seiner Ausreise von den russischen Behörden dahingehend überprüft wurde, ob er sich aktiv für die tschetschenische Unabhängigkeit einsetze. Zum anderen könnte der Kläger zu 1) besondere Aufmerksamkeit durch die Behörden erfahren, da sich Familienmitglieder (Vater und Brüder) in der Vergangenheit für die tschetschenische Unabhängigkeit eingesetzt haben. Insoweit unterstellt der Senat den Vortrag des Klägers zu 1), dass in Verhören seines Bruders J**** im Jahre 2005 im Heimatland dieser auch nach dem Kläger zu 1) befragt wurde, als wahr; eine Beweiserhebung war daher nicht veranlasst. Bei einer Sicherheitsüberprüfung des Klägers zu 1) sind aber mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine asylerheblichen Übergriffe zu befürchten. Dies ergibt sich aus der Vorgeschichte des Klägers zu 1) sowie bestehenden Erkenntnissen über die Verfolgung von Angehörigen von Tschetschenen und aus vorliegenden Berichten über abgeschobene tschetschenische Asylbewerber.

Der Kläger zu 1) ist bereits vor seiner Ausreise von der Polizei überprüft worden. Er ist dabei dreimal für kurze Zeit festgenommen und befragt worden. Dabei geht der Senat davon aus, dass es bei diesen kurzfristigen Aufenthalten auf der Dienststelle zu keinen asylerheblichen Übergriffen gekommen ist (vgl. oben). Die Behörden haben offensichtlich jeweils der Einlassung des Klägers zu 1) geglaubt, dass er die tschetschenischen Kämpfer nicht unterstütze und nur seinen Beruf ausübe. Ein strafrechtlicher Vorwurf ist dem Kläger zu 1) nicht gemacht worden. Es bestehen damit keine konkreten Anhaltspunkte, dass der Kläger zu 1) bei einer erneuten Überprüfung bei oder nach seiner Einreise nunmehr asylerheblichen Übergriffen ausgesetzt sein wird.

Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass er bei seiner Rückreise politische Verfolgung im Hinblick auf die Verfolgung von Familienmitgliedern zu befürchten habe, fehlen hierfür ebenfalls konkrete Anhaltspunkte. Aus dem dem Gericht übergebenen Dokument über eine Asylanerkennung seines Bruders vor dem "cour nationale du droit d?asile" ergibt sich, dass sein Bruder Y**** bereits 1995 zu sieben Jahren Haft vom örtlichen Gericht in Chasavjurt verurteilt worden ist. Aus dem Kontext der wiedergegebenen Gründe ist zu schließen, dass diese Verhaftung wegen angenommener Aktivitäten für die tschetschenische Unabhängigkeit erfolgte. Zu einer Verfolgung anderer Familienmitglieder führte dies jedoch nicht. Dem Kläger zu 1) ist deswegen kein strafrechtlicher Vorwurf gemacht worden; es kam - anders als bei den Verhören seines Bruders - zu keinen Misshandlungen bei seiner Befragung. Soweit der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung zunächst vorgetragen hatte, dass sein Bruder I****** verschleppt worden sei, musste er auf Nachfrage einräumen, dass er nur wisse, dass sein Bruder während des Krieges verschwunden sei. Wie der Kläger zu 1) zudem berichtet hat, leben seine Eltern - sein Vater hatte sich in der Vergangenheit für Dudajev eingesetzt -, sein jüngster Bruder und mehrere Schwestern noch in seinem Geburtsort D*****. Mit Ausnahme der Tatsache, dass hier mehrmals Durchsuchungen stattgefunden haben sollen, haben diese Personen aber offensichtlich keine Schwierigkeiten dort zu leben. Auch hier wird nur Anlass gesehen, die Familienmitglieder ggf. sicherheitsrechtlich zu überprüfen, Aktivitäten anderer Familienmitglieder werden ihnen jedoch nicht angelastet. Dies deckt sich auch mit den vorliegenden Erkenntnissen aus Tschetschenien, dass, soweit es zu einer "Sippenhaft" komme, diese Praxis sich auf zwei klar umgrenzte Fallgestaltungen beschränke. Zum einen wird von durch Sicherheitsbehörden organisierten Geiselnahmen von Familienangehörigen mutmaßlicher Rebellen berichtet, durch die diese zur Aufgabe gezwungen werden sollen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S.18); zum anderen werden Verwandte von Personen mit Repressionen überzogen, die sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt haben (vgl. Ausarbeitung von Memorial "Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation Juli 2005 - Juli 2006" S. 59). Von keiner dieser Fallgruppen kann hier jedoch ausgegangen werden. Auch aus der Tatsache, dass sich die Behörden in Verhören des Bruders J**** nach dem Kläger zu 1) erkundigt haben, kann nicht geschlossen werden, dass der Kläger zu 1) bei seiner Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen befürchten muss. Es ist davon auszugehen, dass der Bruder wahrheitsgemäß geantwortet hat, dass sich sein Bruder mit seiner Familie in Deutschland aufhält. Diesen Aufenthalt kann der Kläger zu 1) nach seiner Rückkehr mit entsprechenden Papieren belegen. Aus der Tatsache, dass der Kläger zu 1) in Deutschland Asyl begehrt hat, hat er nach den vorliegenden Erkenntnissen jedoch keine Repressionen zu befürchten (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 26).

Soweit Menschenrechtsorganisationen teilweise berichtet hatten, dass abgeschobene Tschetschenen bereits in Zusammenhang mit dem Einreisevorgang ihrer Freiheit beraubt, misshandelt oder erpresst worden seien, haben sich die Berichte bezüglich aus Deutschland rückgeführter Tschetschenen nicht bestätigt (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.12.2004 Abschnitt III.1). Die Bundesregierung hat am 2. Dezember 2004 in ihrer Antwort auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten der FDP im Deutschen Bundestag ausgeführt, das Auswärtige Amt gehe über die Botschaft Moskau Hinweisen auf Festnahme oder Misshandlungen bei der Einreise von aus Deutschland in die Russische Förderation rückgeführten Personen nach. Aus den Jahren 2003 und 2004 sei kein einziger Fall bekannt, in dem sich diesbezügliche Berichte bestätigt hätten (vgl. BT-Drs. 15/4465). Diese Aussage bedarf mit Blickrichtung auf die seither verstrichene Zeit keiner Korrektur. Auch nach dem neuesten Lagebericht liegen dem Auswärtigen Amt keine gesicherten Erkenntnisse darüber vor, dass Russen tschetschenischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückführung besonderen Repressionen ausgesetzt sind.

Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat in ihrer Ausarbeitung vom 11. Februar 2004 zwar behauptet, der Tschetschene A******* ********, der Deutschland am 11. November 2003 in Vollzug seiner Ausreiseverpflichtung auf dem Luftweg verlassen habe, sei nach seiner Ankunft in Moskau festgenommen und unter Abnahme seiner Barmittel eine Woche lang inhaftiert worden. Das Auswärtige Amt ist dieser Darstellung bereits in der am 14. Juni 2004 gegenüber dem Bundesamt abgegebenen Stellungnahme entgegengetreten. Der Betroffene sei am Flughafen Scheremetjewo 2 vielmehr von Verwandten sowie einem Anwalt von Memorial in Empfang genommen worden. Allerdings habe man ihn - eigenen Angaben zufolge - bei der Passkontrolle aufgehalten, da er keinen Auslandspass besessen habe. Er sei nach den Gründen für seine Passlosigkeit sowie danach befragt worden, ob er politisches Asyl beantragt und welche Einstellung man in Deutschland gegenüber Tschetschenen habe. Nach vier Stunden habe man ihn gehen lassen; er lebe nunmehr mit seiner Familie in A****. Dass man ihm die mitgeführten Geldmittel abgenommen habe, treffe nicht zu. Angesichts der Detailfülle und der Genauigkeit, mit der das Auswärtige Amt im Schreiben vom 14. Juni 2004 die Vorgänge bei der Einreise dieses Tschetschenen geschildert hat, bestehen für den Verwaltungsgerichtshof keine Zweifel, dass die behördliche Darstellung, nicht aber die seitens der Gesellschaft für bedrohte Völker verbreitete Version den tatsächlichen Geschehensablauf zutreffend wiedergibt.

Vor diesem Hintergrund kann auch der Behauptung der gleichen Menschenrechtsorganisation nicht gefolgt werden, der am 5. Februar 2004 nach Russland abgeschobene I***** ********** sei "ohne Lebenszeichen verschwunden" (vgl. Stellungnahme der Gesellschaft für bedrohte Völker zur Situation tschetschenischer Flüchtlinge auf dem Territorium der Russischen Föderation in der im Februar 2004 aktualisierten Fassung S.25). Das gilt umso mehr, als die Gesellschaft für bedrohte Völker die Behauptung, das Untertauchen dieses Tschetschenen finde seine Ursache in staatlichen Maßnahmen, ausdrücklich als bloße Mutmaßung darstellt ("Es ist davon auszugehen, dass er vom russischen Geheimdienst FSB mitgenommen wurde"), ohne dass Tatsachen genannt werden, die einen solchen Geschehensablauf erhärten würden.

Der Fall I******* zeigt zudem, dass etwaigen Zwischenfällen bei der Einreise dadurch wirksam vorgebeugt werden kann, dass der Zurückkehrende bereits am Flughafen von Menschenrechtsorganisationen erwartet wird. Denn A******* ******** konnte die Beendigung seiner Befragung durch russische Sicherheitskräfte am Flughafen eigener Darstellung zufolge dadurch erreichen, dass er darauf hinwies, von Personen erwartet zu werden, die auf Ersuchen des Roten Kreuzes tätig würden (vgl. Schreiben des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt vom 14.6.2004).

Die seitens der Gesellschaft für bedrohte Völker (vgl. Ausarbeitung vom Februar 2004) als Beispiele für die Gefahren, die abgeschobenen Tschetschenen behauptetermaßen bereits beim Passieren der Einreisekontrollen drohen würden, angeführten Fälle "T******* ******" und "V**** ******" rechtfertigen nicht nur deshalb keine abweichende Beurteilung, weil sie sich spätestens im Jahr 2002 zugetragen haben und sie deshalb für die Beurteilung des heutigen und künftigen russischen Umgangs mit ehemaligen tschetschenischen Asylbewerbern nicht mehr vorbehaltlos aussagekräftig sind. Im Fall "U*****" fehlt vor allem jeder positive Nachweis dafür, dass diesem Tschetschenen seitens der russischen Staatsgewalt bei oder nach der Wiedereinreise Unbill widerfahren ist. Die unterbliebene Kontaktaufnahme mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen rechtfertigt einen solchen Schluss nicht ohne weiteres, zumal sich aus der Darstellung der Gesellschaft für bedrohte Völker nicht ergibt, ob der Betroffene überhaupt davon wusste, dass er auf dem Flughafen von Vertretern humanitärer Hilfsorganisationen erwartet wurde. Im Fall "S*****" schließlich kam es auch nach den Angaben der Gesellschaft für bedrohte Völker weder beim Passieren der Einreisekontrollen noch im Anschluss daran zu einem Freiheitsentzug. Sollte es zutreffen, dass diesem Tschetschenen beim Grenzübertritt mitgeführte Dokumente abgenommen wurden, läge darin kein asylerheblicher Eingriff, zumal sich der Zweck von Heimreisescheinen und ähnlichen Unterlagen, wie sie abgeschobenen Asylbewerbern typischerweise ausgestellt werden, in der Ermöglichung der Wiedereinreise erschöpft.

Soweit in der neuesten Ausarbeitung von Memorial ausgeführt wird, dass Rückkehrer oder Abgeschobene höhere Risiken zu befürchten hätten als der Rest der Bevölkerung (vgl. "Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation August 2006 - Oktober 2007" S. 15), gilt diese Vermutung anhand der gegebenen Begründung und der genannten Vergleichsfälle jedenfalls nicht für die Kläger. Wie in dem Bericht von Svetlana Gannuschkina ausgeführt wird, konnte früher nicht bestätigt werden, dass Rückkehrer im Vergleich zur dort lebenden Bevölkerung besonders gefährdet oder verfolgt werden. Als Grund für eine nunmehrige Änderung wird die "Tschetschenisierung des Konfliktes" in Tschetschenien genannt, wonach die zentralen Bundestruppen das Recht auf Gewaltausübung auf die lokalen tschetschenischen Truppen übertragen haben. Diese würden die tschetschenische Bevölkerung gut kennen, ein Rückkehrer könne sich hier nicht mehr verstecken. Da man nicht wisse, wo und weshalb er im Ausland gewesen sei, dränge sich auch die Vermutung auf, er habe vielleicht gar mit den Aufständischen zusammengearbeitet.

Diese Vermutung kann unabhängig von der Tatsache, dass von einer Rückkehrgefährdung nur in Tschetschenien berichtet wird, der Heimatort der Kläger aber in Dagestan liegt, in Bezug auf aus Deutschland abgeschobenen Kläger nicht gelten. Da russische Staatsangehörige in aller Regel nicht ohne Vorlage eines russischen oder sowjetischen Reisepasses wieder in die Russische Föderation einreisen können (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 28), die Kläger jedoch nach eigener Darstellung nicht (mehr) über Reisepässe verfügen, müsste ihnen vor einer Abschiebung oder einer freiwilligen Heimkehr durch eine russische Auslandsvertretung ein Rückreisedokument ausgestellt werden. Dazu kommt es nur, wenn zuvor die Identität der betroffenen Person durch die Innenbehörden der Russischen Föderation überprüft wurde (vgl. Schreiben des Auswärtigen Amtes an das erkennende Gericht vom 3.3.2006). Gleiches gilt für die Zeit nach dem Inkrafttreten des europäisch-russischen Rückübernahmeabkommens, da eine Rückübernahme nach Art. 2 Abs. 2 dieses Abkommens voraussetzt, dass die Russische Föderation dem Übernahmeersuchen eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft zugestimmt und sie der rückzuübernehmenden Person ein Reisedokument ausgestellt hat. Die russischen Stellen wissen mithin sowohl vor als auch nach dem Inkrafttreten dieses Vertrages rechtzeitig vor einer Abschiebung über die Identität des Betroffenen und seinen Herkunftsort Bescheid. Den örtlichen Behörden können ggf. durch Vorlage des Rückreisedokuments und weiterer Papiere Aufenthalt und Zweck des Aufenthalts in Deutschland nachgewiesen werden.

Auch die von Memorial geschilderten Einzelfälle rechtfertigen wegen fehlender Vergleichbarkeit der Fallgestaltungen nicht die Prognose, die Kläger hätten bei oder im Anschluss an eine Wiedereinreise in die Russische Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Rechtssinne zu gewärtigen. In dem geschilderten Fall des Rustam M., der Tschetschenien nur besuchte, konnten die Behörden sich nicht in der oben geschilderten Weise über Aufenthaltsort und Zweck des Aufenthalts im Ausland vergewissern. Hinzu kommt, dass Rustam M. aus Ägypten und damit aus einem arabischen Land einreiste, das in Gestalt der "Moslembrüder" über eine militante islamistische Szene verfügt.

M****** *******, ein 24 Jahre alter Kriegsflüchtling kehrte im August 2006 von Frankreich aus, wo ihm kein asylrechtlicher oder ähnlicher Schutz gewährt worden sei, in sein Heimatdorf in Tschetschenien zurück. Wenn er dort nach einiger Zeit - offenbar ohne Probleme - einen Inlandspass erhielt, so zeigt das, dass selbst junge Männer in einem Alter, in dem sie dem erhöhten Verdacht der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten oder der Bereitschaft dazu ausgesetzt sind, bei der Rückkehr nach Tschetschenien dort keinen administrativen Schwierigkeiten ausgesetzt sind, die einem legalen Aufenthalt in diesem Landesteil entgegenstehen. Als einige Tage später Milizionäre am Haus von M****** ******* vorsprachen und seinen Angehörigen mitteilten, dieser solle sich bei der Miliz melden, da man noch einige Fragen wegen seiner Registrierung an ihn habe, kam er nach Darstellung von Memorial dieser behördlichen Aufforderung nicht nach, sondern zog zu Verwandten in ein anderes Dorf. Durch diese Nichtbefolgung einer behördlichen Vorladung zusammen mit seinem Ausweichen an einen anderen Ort als den, an dem er registriert war oder registriert werden wollte, hat er naturgemäß einen Verdacht auf sich gezogen, der allen erkennbaren Umständen nach dafür ursächlich war, dass das von ihm nunmehr bewohnte Haus von Sicherheitskräften umstellt wurde. Als G****** dadurch ein weiteres Besorgnispotenzial gegen seine Person schuf, dass er einen Fluchtversuch unternahm, sei - mit für ihn tödlichen Folgen - von der Schusswaffe Gebrauch gemacht worden.

Das außerdem angeführte Schicksal von B***** ******* kann für die Prognose, was nicht vorbelastete, aus Westeuropa zurückkehrende ehemalige tschetschenische Asylsuchende in ihrer engeren Heimat zu befürchten haben, schon deshalb nicht herangezogen werden, weil es sich bei B***** ******* um eine Person handelt, die nach der Darstellung von Memorial in Russland zur Fahndung ausgeschrieben und von der Ukraine an die Russische Föderation ausgeliefert worden war. Dass der gegen diesen Tschetschenen erlassene Haftbefehl zu Recht bestand, muss aus dem Umstand erschlossen werden, dass er nach den Angaben seines Anwalts die Beteiligung an einem 2004 begangenen Raub gestanden hatte und die Miliz versucht habe, ihn zum Eingeständnis anderer Verbrechen, "die er gar nicht begangen hatte", zu bewegen. Diese Formulierung kann so verstanden werden, dass die Richtigkeit des Raubvorwurfs nicht in Abrede gestellt wurde.

Bei der Beantwortung der Frage, ob aus Westeuropa zurückkehrende ehemalige tschetschenische Asylsuchende, in deren Person keine besonderen, asylrechtlich relevanten Risiken vorliegen, in der Russischen Föderation mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung im Sinn von § 60 Abs. 1 AufenthG zu erwarten haben, darf schließlich nicht außer Betracht bleiben, dass die Russische Föderation den Vollzug des mit der Europäischen Union geschlossenen Rückübernahmeabkommens gefährden würde, sollte sich herausstellen, dass Tschetschenen, die in ihren Herkunftsstaat zurückkehren, entweder in Tschetschenien selbst oder in einem anderen Landesteil in einer Weise behandelt werden, die erneut einen Anspruch auf internationalen Schutz auslösen würde. An der Umsetzung dieses Abkommens aber besitzt die Russische Föderation deshalb erkennbar ein gewichtiges Interesse, weil es Bestandteil eines zwischen der Europäischen Union und dem Kreml ausgehandelten "Pakets" ist, zu dem auch ein die Reisemöglichkeiten zwischen den beteiligten Staaten verbesserndes Abkommen über Visaerleichterungen gehört (vgl. das Dokument Nr. 2006/0064 [CNS] des Rates der Europäischen Union vom 27.4.2006, Seite 2). Dass Russland vor allem an Erleichterungen im Reiseverkehr mit den Staaten der Europäischen Union gelegen ist, zeigt der Umstand, dass die Duma das diesbezügliche Abkommen und das politisch daran gekoppelte Rückübernahmeabkommen sehr zügig - nämlich bereits am 14. Februar 2007 - ratifiziert hat (vgl. "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2007, Abschnitt 2.7).

Die Kläger müssen bei ihrer Rückkehr in die Russische Föderation auch nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit befürchten, Übergriffen anderer Bevölkerungsgruppen ausgesetzt zu sein, die sich der russische Staat nach § 60 Abs. 1 Satz 4 Buchst. c AufenthG bzw. Art. 6 Buchst. c QRL dann zurechnen lassen müsste, falls er nicht willens oder nicht in der Lage wäre, vor solchen Angriffen Schutz zu bieten. Nach Darstellung der Nichtregierungsorganisation "Sova" gab es 2007 in der Russischen Föderation etwa 600 Verletzte und 69 Tote bei fremdenfeindlichen Angriffen (vgl. "Erkenntnisse des Bundesamtes" März 2008 S. 7). Setzt man diese Zahlen in Relation zu den 142 Millionen Menschen (vgl. "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2007, S. 13), die in der Russischen Föderation leben und von denen viele den mehr als hundert anerkannten ethnischen Minoritäten angehören (vgl. Abschnitt II.1.b des Lageberichts des Auswärtigen Amtes vom 26.3.2004), kann nicht davon gesprochen werden, rassistisch motivierte Übergriffe seien in diesem Land in herausragender Häufigkeit zu verzeichnen.

Nach den Erkenntnissen des Bundesamtes (vgl. die detailgenauen Darstellungen in Abschnitt 2.7 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2005 und in Abschnitt 1.2.1 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom November 2006) kam es Mitte August 2005 im südrussischen Jandyki und Ende August 2006 im karelischen Kondopoga zu gewaltsamen Ausschreitungen zwischen Tschetschenen und Angehörigen anderer Volksgruppen. Diese Vorkommnisse, bei denen die Gewaltaktionen in wesentlicher Hinsicht auch von der tschetschenischen Seite ausgingen und bei denen die Tschetschenen keineswegs nur leidender Teil waren (es wurden in beiden Fällen Angehörige anderer Ethnien durch tschetschenische Schlägertrupps zu Tode geprügelt; vgl. die detailgenauen Darstellungen in Abschnitt 2.7 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2005 und in Abschnitt 1.2.1 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom November 2006), stehen vereinzelt dar. Den in der Russischen Föderation ansonsten zu verzeichnenden xenophoben Vorkommnissen, die insbesondere von rechtsradikalen russischen Kräften verübt wurden, fielen nahezu ausnahmslos nur Angehörige anderer Volksgruppen - namentlich Schwarzafrikaner, Asiaten mit mongolischem Erscheinungsbild, Menschen aus dem indischen Kulturkreis, andere Kaukasier als Tschetschenen sowie auch ethnische Russen - zum Opfer (vgl. die Aufstellung in Abschnitt 2.8 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Februar 2007; ferner Abschnitt 2.1 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Februar 2008"; Abschnitt 2.2 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Juli 2007; Abschnitt 4.3 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Dezember 2005, Seite 18 f. der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Juni 2005; Seite 6 f. des Memorial-Jahresberichts 2005 und Seite 21 der Ausarbeitung der Gesellschaft für bedrohte Völker von November 2005 "Schleichender Völkermord in Tschetschenien").

Hierbei wird nicht verkannt, dass fremdenfeindliche Ressentiments in der russischen Gesellschaft während der letzten Jahre zugenommen haben und sie sich insbesondere gegen Tschetschenen und andere Kaukasier richten (Lagebericht vom 13.1.2008, S. 9/10). Rechtsextremistische Aktivitäten sind jedoch schwerpunktmäßig in bestimmten Städten wie z.B. in Moskau, St. Petersburg und Regionen wie z.B. Nishnij Novgorod und Rostov am Don zu verzeichnen ("Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Februar 2008 S. 6). So fielen allein zwölf der 2006 aus rassistischen Beweggründen getöteten Personen einem Bombenanschlag zum Opfer, den rechtsextremistisch motivierte Jugendliche am 21. August 2006 auf einem Markt in Moskau verübten, wobei auch diese Tat überwiegend Asiaten, aber keinen einzigen Tschetschenen traf ("Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2006, Abschnitt 2.5). Bereits im ersten Halbjahr 2007 gab es bei Übergriffen aus ethnischem Hass in Moskau 24 Tote und 113 Verletzte, in St. Petersburg 4 Tote und 64 Verletzte sowie in Nishnij Novgorod 34 Verletzte (vgl. "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom September 2007 S. 12). Von dem multiethnischen Dagestan, aus dem die Kläger kommen und in dem auch relativ viele Tschetschenen leben, wird zwar von ehtnischen Spannungen zwischen den Volksgruppen berichtet (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 21), nicht aber von Übergriffen auf tschetschenische Volkszugehörige. Auch der neueste Bericht von Memorial, der die Zunahme der Fremdenfeindlichkeit in der Russischen Föderation bestätigt und von Diskriminierungen von Tschetschenen berichtet ("Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation" August 2006 - Oktober 2007 S. 17 f.), kann hier keinen einzigen Übergriff nennen. Für die Befürchtung des Klägers zu 1), dass er in Chasavjurt von Menschen anderer Nationalitäten verfolgt werde, gibt es daher keine aktuellen Anhaltspunkte. Soweit es dort zu Auseinandersetzungen zwischen den Volksgruppen während der offenen Kampfhandlungen in Tschetschenien gekommen sein mag, wie der Kläger zu 1) in der mündlichen Verhandlung berichtet hat, hat sich die Sachlage hier mittlerweile verändert.

Das Bundesamt hat im Bescheid vom 23. Oktober 2001 auch aus heutiger Sicht zu Recht ausgesprochen, dass bei den Klägern keine Abschiebungshindernisse in Bezug auf die Russische Föderation vorliegen. Die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG, die als im Entscheidungszeitpunkt geltendes Recht zu berücksichtigen sind (vgl. oben S. 5), liegen nicht vor.

Keiner der Kläger muss mit dem erforderlichen Grad an Wahrscheinlichkeit befürchten, bei seiner Rückreise in die Russische Föderation gefoltert oder einer sonstigen, mit der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) unvereinbaren Behandlung zugeführt zu werden (§ 60 Abs. 2, 5 und 11 AufenthG in Verbindung mit den dort in Bezug genommenen Bestimmungen der Qualifikationsrichtlinie). Zwar wird von Nichtregierungsorganisationen und unabhängigen Beobachtern von Foltermaßnahmen dagestanischer Sicherheitskräfte berichtet (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 21). Auch in anderen Teilen der russischen Föderation kommt es bei Verhaftungen, Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft immer wieder zu Folter und grausamer oder erniedrigender Behandlung durch Polizei und Ermittlungsbehörden (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 23). Dabei sind derartige Übergriffe staatlicher Stellen nicht gegen spezielle Bevölkerungsgruppen gerichtet (vgl. a.a.O. S. 21/23). Die Rechtsverletzungen sind insbesondere dort zu verzeichnen, wo sich Personen längere Zeit in staatlichem Gewahrsam befinden. So berichtet Memorial bei Verhaftungen in Dagestan über Folterungen bei 10 Hafttagen (Vorwurf, gemeinschaftlich mit Komplizen Terroranschläge in Dagestan geplant zu haben, "Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation" August 2006 bis Oktober 2007, S. 130), keine Anwendung gesetzeswidriger Methoden bei einem Verhör von 3 Tagen (S. 132), sowie 10 Tage Folterung bei einer Verhaftung (Verdacht, Mitglied einer Verbrechergruppe zu sein sowie anschließende Verurteilung aufgrund des "Geständnisses", S. 132/133). Auch Human Rights Watch berichtet in einer Dokumentation vom 13. November 2006 über Folter in Tschetschenien, dass es Haftanstalten gebe, in denen gegenüber Häftlingen Folter mittels näher bezeichneter Methoden angewendet und durch Drohungen psychischer Druck auf die Gefangenen ausgeübt werde (vgl. Abschnitt 1.2.5 der "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Januar 2007).

Da gegen die Kläger 2) bis 5) nicht einmal ein entfernter Verdacht vorliegt, dessentwegen sie konkret befürchten müssen, in der Russischen Föderation in Haft genommen zu werden und der Kläger zu 1) bei seiner Rückkehr nur mit kurzfristigen Festnahmen durch staatliche Stellen rechnen muss, wobei es keine konkreten Anhaltspunkte dafür gibt, dass es hierbei zu Misshandlungen kommen wird (vgl. oben), müssen die Kläger auch nicht konkret damit rechnen, bei ihrer Rückkehr Foltermethoden oder sonstigen unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlungen oder Bestrafungen ausgesetzt zu sein. Auch für die Bejahung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK genügt eine bloße, wenn auch durch Präzedenzfälle bestätigte Möglichkeit, es könnte zu einer unmenschlichen bzw. erniedrigenden Behandlungen oder Bestrafung kommen, nicht. Vielmehr muss insoweit eine "beachtliche Wahrscheinlichkeit" für eine derartige Rechtsgutsverletzung sprechen (vgl. BVerwG vom 13.8.1990 NVwZ-RR 1991, 215; vom 17.4.2008 10 B 28/08). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verlangt, damit ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK festgestellt werden kann, ebenfalls die "reale Gefahr" (vgl. EGMR vom 20.3.1991 NJW 1991, 3079/3080) bzw. das "ernsthafte Risiko" (vgl. EGMR vom 30.10.1991 NVwZ 1992, 869/870) einer konventionswidrigen Behandlung.

Weiter sind die Kläger bei einer Abschiebung in die Russische Föderation und Niederlassung an ihrem Heimatort in Dagestan nicht an Leib, Leben oder Freiheit im Sinne von § 60 Abs. 7 AufenthG gefährdet. Die Kläger sind weder einer erheblichen individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG bzw. Art. 15 Buchst. c QRL) noch resultiert eine derartige Gefahr aus einer mangelhaften Versorgung mit Lebensmitteln und ungenügenden Erwerbsmöglichkeiten. Derartige Befürchtungen wurden auch von den Klägern nicht geäußert.

Der Senat verkennt nicht, dass nach der eingetretenen Beruhigung der Lage in Tschetschenien die Nachbarrepubliken, auch Dagestan, Unruheherde geblieben sind. Anschläge von Rebellen richten sich gezielt gegen Sicherheits- und Verwaltungsstrukturen, politische Führungskader, Polizeiautos und -patrouillen, Bahnlinien, Gas- und Stromleitungen und öffentliche Gebäude (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 21; "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Oktober 2007 S.1). Allerdings sind jedoch in Dagestan die terroristischen Angriffe erheblich zurückgegangen. In einer Pressekonferenz am 21. Dezember 2007 in Moskau hat der dagestanische Präsident Muchu Aliev berichtet, dass im Jahre 2007 nur noch ein terroristischer Überfall stattgefunden habe (2005 noch 47 terroristische Überfälle und 2006 noch 18, vgl. "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom Februar 2008 S.3). Der Terroranschlag, der am 26. Juli 2007 stattfand, galt dem stellvertretenden Mufti Dagestans; er und sein Bruder kamen bei der Explosion des Wagens ums Leben, eine dritte Person wurde verletzt (vgl. "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom September 2007 S. 8 und vom Oktober 2007 S.3). Bei Anschlägen durch Extremisten sind 2007 mehr als 30 Sicherheitskräfte ums Leben gekommen (vgl. den genannten Bericht des dagestanischen Präsidenten). Am 11. Februar 2008 ging an einer Straße am Stadtrand von Chasavjurt eine Bombe hoch, als ein Lastkraftwagen mit Polizisten vorbeifuhr. Bei der Explosion wurde ein Polizist durch einen Splitter verletzt (vgl. Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2008 S. 4). Bei den dokumentierten Angriffen von Rebellen einerseits sowie Spezialoperationen der staatlichen Sicherheitskräfte zum Aufspüren von Rebellen andererseits (vgl. z.B. "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom März 2008 S. 2/4, "Erkenntnisse des Bundesamtes" vom April 2008 S. 3/4) sind jedoch nach den aktuellen Berichten keine Opfer bei unbeteiligten Zivilpersonen zu beklagen. Eine erhebliche individuelle Bedrohung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der Kläger im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG lässt sich vor diesem Hintergrund selbst dann nicht bejahen, wenn man berücksichtigt, dass die dem Gericht zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel wohl nicht die Gesamtheit aller einschlägigen Vorkommnisse dokumentieren. Es kann daher auch dahinstehen, ob im Hinblick auf § 60 Abs. 7 Satz 3 AufentG eine auf die Kläger zugeschnittene besondere - konkrete - Gefährdungssituation vorliegen muss (vgl. VGH Mannheim vom 8.8.2007 NVwZ 2008, 447/449).

Erhebliche Probleme der Kläger bei ihrer notwendigen Registrierung bei der Rückkehr in die Russische Föderation, die den Aufenthalt legalisiert und Voraussetzung für den Zugang zu Sozialhilfe, zu staatlich geförderten Wohnungen, zum (prinzipiell) kostenlosen Gesundheitssystem, zum legalen Arbeitsmarkt sowie für den Bezug von Kindergeld und Rente ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 27, Memorial "Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation" August 2006 - Oktober 2007 S.8/9), sind nicht zu erwarten. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses (ein von russischen Auslandsvertretungen in Deutschland ausgestelltes Passersatzpapier reicht nicht aus) und nachweisbarer Wohnraum. Da die Kläger in Dagestan geboren sind und dort bis zu ihrer Ausreise gewohnt haben, dürfte es für sie keine größeren Schwierigkeiten geben, in Dagestan ihren Inlandspass und ihre Registrierung zu erhalten. Unabhängig von der Frage, ob sie nach jahrelanger Abwesenheit (sofort) in ihr Wohnhaus zurückkehren können, wird zumindest eine vorübergehende Unterkunftsmöglichkeit bei ihren Verwandten bestehen. Auch für nicht aus Dagestan kommende Tschetschenen ist eine Registrierung in Dagestan grundsätzlich leichter möglich als in anderen Regionen außerhalb Tschetscheniens wie z.B. Moskau, unter anderem weil Wohnraum als Registrierungsvoraussetzung dort erheblich billiger ist (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 13.1.2008 S. 26). Für die Zeit bis zur Erlangung der Registrierung werden die Kläger ihren Unterhalt bestreiten können. Denn neben der Tatsache, dass die Eltern des Klägers zu 1) sowie einige seiner Geschwister in Dagestan leben, könnten die Kläger, sofern sie bereit wären, die Bundesrepublik Deutschland freiwillig zu verlassen, Rückkehrhilfen nach dem REAG-/GARP-Programm in Anspruch nehmen. Auf derartige Zuwendungen besteht nach dem Wortlaut der einschlägigen Verwaltungsrichtlinie zwar kein Rechtsanspruch; es ist jedoch nicht ersichtlich, warum den Klägern derartige Mittel vorenthalten werden sollten, zumal sie Gleichbehandlung mit anderen diesem Programm unterfallenden Personen verlangen können. Die hiernach zu gewährende Starthilfe beträgt nach den im Jahr 2007 geltenden Sätzen 250,-- €; daneben kann ggf. eine Reisebeihilfe von bis zu 100,-- € gewährt werden. Von diesem Betrag müssen nicht die Kosten der Rücktransports per Flugzeug, Bahn oder Omnibus bestritten werden, da diese bei freiwilliger Ausreise - Verfügbarkeit entsprechender Haushaltsmittel vorausgesetzt - nach dem REAG-/GARP-Programm von der deutschen öffentlichen Hand getragen werden. Da die Hilfe, die die Kläger nach dem REAG-/GARP-Programm zu erwarten haben, der Höhe nach dem Mehrfachen eines durchschnittlichen Monatseinkommens in der Russischen Föderation entspricht (vgl. Erkenntnisse des Bundesamts vom April 2006, S.8), reicht sie selbst dann aus, um die Zeit bis zur Registrierung zu überbrücken, wenn diese anfänglich verweigert werden sollte. Der Zeitraum bis zur Registrierung beträgt nämlich selbst in Moskau und in St. Petersburg, wo es nach den zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen rigide Zuzugsbeschränkungen gibt, längstens einige Monate (vgl. auch BayVGH vom 24.10.2007 11 B 03.30707). Weiter haben die männlichen Kläger Handwerkerberufe erlernt bzw. ausgeübt, die ihnen am besten die Möglichkeit geben werden, angemessenen Unterhalt für sich und ihre Familie zu verdienen.

Die Kläger sind bei einer Aufenthaltnahme in der Russischen Föderation auch nicht im Hinblick darauf einer erheblichen und konkreten Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ausgesetzt, weil sie aus dem Ausland zurückkehren und von der im Heimatland lebenden Bevölkerung vermutet werden könnte, dass sie viel Geld hätten. Soweit Memorial in seinem Bericht ausführt, dass ein Rückkehrer schnell zum Opfer von Erpressungsversuchen in Gestalt von Entführungen mit anschließenden Lösegeldforderungen werden könne, da man vermute, wer lange Zeit im Ausland gelebt habe, habe auch viel Geld, handelt es sich hierbei um eine bloße Spekulation, die zudem ausdrücklich nur für Tschetschenien genannt wird (vgl. "Zur Lage der Bewohner Tschetscheniens in der Russischen Föderation" August 2006 - Oktober 2007 S. 4/15). So wird von Memorial bei der Verhaftung von dem aus England 2006 nach Tschetschenien zu Besuch kommenden Muslim S************* ********, der bei einem Fluchtversuch verletzt und anschließend zur medizinischen Versorgung in die Klinik gebracht wurde, nur ausgeführt, dass Bekannte davon ausgehen, dass man ihn wahrscheinlich in Erwartung eines hohen Lösegeldes entführt hätte. Für diese Vermutung wird lediglich angeführt, dass sich A******* nie an militärischen Handlungen beteiligt hätte (vgl. S. 42 des genannten Berichts). Soweit für die Entlassung von Rustam M. von den Verwandten Geld gezahlt wurde, ist aus dem Bericht nicht ersichtlich, dass hier Lösegeld gefordert wurde. Im Übrigen ist dieser Fall mit den aus Deutschland zurückkommenden Klägern nicht vergleichbar (vgl. oben). Soweit Memorial selbst "Entführungen" in Dagestan dokumentiert hat, wobei als Entführung auch ein Fall genannt wird, in dem nach der Festnahme aufgrund der Ermittlungen nachträglich ein Strafverfahren gegen den Festgenommen eingeleitet wurde (vgl. S. 132), wird hier über keine Entführungen mit anschließenden Lösegeldforderungen berichtet (vgl. S.128 f. des genannten Berichts). Soweit die Angaben von Verwandten von Vermissten wiedergegeben werden, wonach einzelne Personen nach Festnahmen freigekauft werden konnten, handelt es sich hierbei weder um eine Rückkehrerproblematik noch werden hier nähere Angaben gemacht (vgl. S. 97 des genannten Berichts). Es verbleibt daher bei der oben dargestellten, belegten Einschätzung, dass die Kläger als Rückkehrer keine Repressalien, auch keine - nicht politisch motivierten - Lösegelderpressungen, zu befürchten haben. Im Übrigen konnten die Kläger als Asylsuchende in Deutschland kein Geld verdienen. Dies dürfte aufgrund der Lebensführung der Kläger nach der Rückkehr auch für ihr soziales Umfeld erkennbar sein.

Als unterlegene Partei haben die Kläger gemäß § 154 Abs. 1, § 159 Satz 1 VwGO die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe im Sinne von § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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