Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 12.08.2004
Aktenzeichen: 12 B 00.2288
Rechtsgebiete: BSHG


Vorschriften:

BSHG § 107
BSHG § 108
BSHG § 111
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Im Namen des Volkes

12 B 00.2288

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 27. Juni 2000,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau

ohne mündliche Verhandlung am 12. August 2004 folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

1. Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Erstattung (a) der Kosten der von ihr für die Hilfeempfängerin A. S. (HE) geleisteten Sozialhilfen und (b) der von ihr an einen dritten Sozialhilfeträger geleisteten Erstattungen.

Die HE, eine iranische Staatsangehörige, reiste im Juni 1995 legal in das Bundesgebiet ein zu ihrem in K. (Zuständigkeitsbereich der Klägerin) wohnhaften Ehemann. Die Klägerin gewährte ihr in der Zeit vom 1. Juli 1995 bis einschließlich Januar 1996 Sozialhilfeleistungen und wandte dafür 4.099 DM auf. Der Sozialhilfeträger P. gewährte der HE nach ihrem Umzug nach P. im Zeitraum 1. Februar 1996 bis einschließlich Dezember 1997 Sozialhilfeleistungen und wandte hierfür 17.659,69 DM auf.

2. Das Bundesverwaltungsamt bestimmte den Beklagten als kostenerstattungspflichtigen überörtlichen Träger der Sozialhilfe nach § 108 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) für den vorliegenden Hilfefall. Dieser sicherte der Klägerin Kostenerstattung ab 1. Juli 1995 mit Schreiben vom 29. Januar 1996 im Hilfefall der HE zu, wobei er auf die erhöhte Bagatellgrenze nach § 111 Abs. 2 BSHG n.F. hinwies.

Der Sozialhilfeträger P. machte zunächst beim Beklagten die Erstattung der Kosten der von ihm an die HE geleisteten Sozialhilfe geltend nach § 108 BSHG. Nachdem der Beklagte die Kostenerstattung verweigerte, machte er die Erstattung dieser Kosten bei der Klägerin nach § 107 BSHG (Kostenerstattung bei Umzug) geltend. Die Klägerin kam dem nach und machte beim Beklagten die Erstattung der Kosten der von ihr selbst an die HE geleisteten Sozialhilfe und auch die von ihr an den Sozialhilfeträger P. erstatteten Beträge geltend. Der Beklagte weigerte sich.

3. Die Klage mit dem Antrag,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die für A. S. in der Zeit zwischen dem 1.7.1995 und dem 31. Dezember 1997 aufgewendeten Sozialhilfekosten in Höhe von insgesamt 21.757,69 DM gemäß § 108 BSHG zu erstatten,

wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 27. Juni 2000 ab. In den Gründen führt das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus: Die Erstattung der von der Klägerin an den Sozialhilfeträger P. erstatteten Aufwendungen in Höhe von 17.659,69 DM scheide aus, weil die Erstattungsvorschriften des 9. Abschnitts des Bundessozialhilfegesetzes nur die Erstattung der Kosten für vom Erstattungsberechtigten an einen Hilfeempfänger gewährten Sozialhilfeleistungen erfasse, nicht aber die Erstattung von Erstattungsleistungen. Hinsichtlich der Kosten der von der Klägerin der HE gewährten Sozialhilfeleistungen scheitere die Erstattung an der Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG. Die von der Klägerin im Zeitraum 1. Juli 1995 bis einschließlich Januar 1996 aufgewandten Sozialhilfekosten in Höhe von 4.098 DM lägen unter der Bagatellgrenze von 5.000 DM.

4. Die Klägerin verfolgt mit ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung ihr Klagebegehren weiter. Sie trägt vor: Ihr Kostenerstattungsanspruch scheitere nicht an der Bagatellgrenze, weil der Beklagte zur Erstattung der gesamten aufgewandten Sozialhilfekosten in Höhe von 21.757,69 DM verpflichtet sei. Der Erstattungsanspruch nach § 108 BSHG erfasse auch die Kosten der von ihr nach § 107 BSHG wegen des Umzugs der HE an den Sozialhilfeträger P., den Sozialhilfeträger des Zuzugsortes, erstatteten Sozialhilfeaufwendungen. Das Gesetz sehe an keiner Stelle vor, dass derartige Kosten nicht erstattungsfähig seien. Im Gegenteil entfalle der Kostenerstattungsanspruch nach § 108 BSHG bei Übertritt aus dem Ausland nach seinem Absatz 5 nur dann, wenn für einen zusammenhängenden Zeitraum von drei Monaten keine Sozialhilfeleistungen mehr gewährt werden. Daher lasse der Umzug der HE in den Zuständigkeitsbereich des Sozialhilfeträgers P. den einmal nach § 108 BSHG begründeten Kostenerstattungsanspruch unberührt. Deshalb müssten zwangsläufig die Kosten für eine Kostenerstattung dem Sozialhilfeträger des Wegzugsortes erstattet werden, wenn er gemäß § 107 BSHG dem Sozialhilfeträger des Zuzugsortes zur Kostenerstattung verpflichtet sei. Weil das Gesetz in diesen Fällen dem Sozialhilfeträger des Zuzugsortes, hier P., eine Wahlmöglichkeit einräume, nämlich entweder den Sozialhilfeträger des Wegzugsortes nach § 107 BSHG oder den vom Bundesverwaltungsamt bestimmten überörtlichen Träger nach § 108 BSHG in Anspruch zu nehmen, müsse dann, wenn, wie hier, der Sozialhilfeträger des Zuzugsortes die Erstattung nach § 107 BSHG wähle, der Sozialhilfeträger des Wegzugsortes seine insoweit angefallenen Sozialhilfekosten von dem zur Kostenerstattung bestimmten überörtlichen Sozialhilfeträger, hier dem Beklagten, erlangen können. Die dem entgegenstehende Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtes sei mit Sinn und Zweck des § 108 BSHG unvereinbar, wonach die Belastungen, die einem örtlichen Sozialhilfeträger durch Zahlung von Sozialhilfeleistungen an Eingereiste, die weder im Ausland noch im Geltungsbereich des Bundessozialhilfegesetzes einen gewöhnlichen Aufenthalt haben, entstehen, durch einen entsprechenden Erstattungsanspruch gegen einen überörtlichen Sozialhilfeträger ausgeglichen werden.

5. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Unterlagen verwiesen.

II.

1. Über die zulässige Berufung der Klägerin konnte durch Beschluss entschieden werden, weil der Verwaltungsgerichtshof sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 130 a Satz 1 VwGO). Die Beteiligten wurden vorher gehört (§ 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO). Die Berufung ist unbegründet, weil Erstattungsbeträge, die ein Sozialhilfeträger einem anderen Sozialhilfeträger nach den Vorschriften des 9. Abschnitts des Bundessozialhilfegesetzes erstattet hat, keine erstattungsfähigen Kosten im Sinne dieser Vorschriften (§§ 103 ff. BSHG) sind (nachfolgend Nr. 1.1) und die Erstattung der Kosten, die die Klägerin bei der Erbringung von Sozialhilfeleistungen für die Hilfeempfängerin A. S. selbst aufwandte, an der Bagatellgrenze des § 111 Abs. 2 Satz 1 BSHG scheitert (nachfolgend Nr. 1.2).

1.1 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass (auch) nach § 108 BSHG nur die Kosten zu erstatten sind, die dem kostenerstattungsberechtigten Sozialhilfeträger in einem konkreten Hilfefall durch Gewährung von Sozialhilfeleistungen an einen Hilfeempfänger entstehen, aber nicht die Kosten von an dritte Sozialleistungsträger geleisteten Erstattungen (so auch BayVGH vom 30. Juni 2004, Az. 12 B 00.1250). Der Gesetzgeber wollte mit der Neuregelung des § 97 BSHG und der §§ 103 ff. BSHG das Kostenerstattungsrecht vereinfachen und die verwaltungskostenverursachenden Fälle der Kostenerstattung reduzieren (vgl. BT-Drs. 12/4748, S. 1 ff., 4, 109). Ziel des Gesetzgebers war, auch bei der Sozialhilfe Einsparungen zu erzielen und die Vorschriften zu vereinfachen (vgl. auch Bramann in Mergler/Zink, BSHG, Stand: Mai 2003, RdNrn. 45 ff. zu Abschnitt 9; Eichhorn/Fergen, Praxis der Sozialhilfe, 3. Aufl. 1998, S. 1401). Auch in der Literatur wird allgemein die Auffassung vertreten, dass die Kostenerstattung des 9. Abschnitts des Bundessozialhilfegesetzes nur die Kosten von unmittelbaren Hilfeleistungen und nicht von Erstattungsleistungen erfasst (vgl. W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, RdNrn. 3 und 6 am Ende zu § 103). Bramann (a.a.O., RdNrn. 15 und 32 zu § 103) hält die im Rahmen einer Kostenerstattung erstatteten Kosten ihrerseits nicht für erstattungsfähig. Auch Schoch (in LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, RdNr. 20 Vor § 103) hält nur die Kosten einer - rechtmäßig - geleisteten Sozialhilfe für erstattungsfähig. Der Klägerin ist zwar zuzugeben, dass dem Bundessozialhilfegesetz nicht ausdrücklich zu entnehmen ist, dass Erstattungskosten nicht zu erstatten seien. Aber immerhin formuliert § 111 Abs. 1 Satz 1 BSHG, dass die aufgewendeten Kosten zu erstatten sind, soweit die "Hilfe" diesem Gesetz entspricht. Im Anschluss daran bestimmt Satz 2 der Vorschrift, dass dabei die Grundsätze für die Gewährung von Sozialhilfe gelten, die am Aufenthaltsort des Hilfeempfängers zurzeit der Gewährung der Sozialhilfe bestehen. In § 107 BSHG ist die Rede von der Erstattung der Kosten der am Zuzugsort "erforderlich werdenden Hilfe". Alle diese Formulierungen sprechen dagegen, Erstattungskosten selbst als erstattungsfähig anzusehen. Von einer Vereinfachung kann auch keine Rede sein, wenn, folgte man der Auffassung der Klägerin, über die Rechtmäßigkeit derselben Sozialhilfeleistungen sowohl dann gestritten werden könnte, wenn die Erstattung der (unmittelbaren) Kosten der Sozialhilfeleistungen verlangt wird, als auch ein zweites Mal dann, wenn der im ersten Fall erstattungspflichtige Sozialhilfeträger vom dritten Sozialhilfeträger die Erstattung seiner Erstattungsleistungen verlangt.

Fehl geht der Einwand der Klägerin, wenn dem dritten Sozialhilfeträger ein Wahlrecht zwischen den Kostenerstattungsansprüchen nach §§ 107 und 108 BSHG zustehe, müsse der nach § 107 BSHG in Anspruch genommene Sozialhilfeträger, hier die Klägerin, seine Erstattungsleistungen nach § 108 BSHG bei dem vom Bundesverwaltungsamt zur Kostenerstattung bestimmten überörtlichen Träger, hier dem Beklagten, geltend machen können, weil dessen Pflicht zur Kostenerstattung nicht durch den Umzug des Hilfeempfängers, sondern nach § 108 Abs. 5 BSHG nur dann wegfalle, wenn dem Hilfeempfänger für einen zusammenhängenden Zeitraum von drei Monaten Sozialhilfe nicht zu gewähren war (so ausdrücklich auch Schoch, a.a.O., RdNr. 20 zu § 108). Dabei übersieht die Klägerin, dass § 108 Abs. 5 BSHG nur den Wegfall der Erstattungspflicht regelt. Sie regelt nicht das Entstehen und Bestehen des Erstattungsanspruches. Die Regelung greift nicht, wenn keine Erstattungspflicht mangels Erstattungsberechtigung besteht. So liegt der Fall hier. Mit dem Umzug der Hilfeempfängerin aus dem Zuständigkeitsbereich der Klägerin nach P. in den Zuständigkeitsbereich des dritten Sozialhilfeträgers P. waren die Voraussetzungen für eine Kostenerstattung nach § 108 BSHG nicht mehr gegeben (ebenso OVG RhPf vom 15.1.2004, Juris MWRE 101320400 nur Leitsatz; Bräutigam in Fichtner, BSHG, 1999, RdNr. 14 zu § 108; a.A. W. Schellhorn/H. Schellhorn, a.a.O., RdNr. 23 zu § 108, wonach der Sozialhilfeträger des Zuzugsortes Kostenerstattung sowohl nach § 108 als auch nach § 107 BSHG beanspruchen kann, dort ist jedoch keine Rede davon, dass der Sozialhilfeträger des Wegzugsortes die Erstattung seiner Erstattungsleistungen verlangen könnte). Die Voraussetzungen des § 108 BSHG fallen mit dem Wegzug des Hilfeempfängers aus dem Zuständigkeitsbereich des nach § 108 BSHG Erstattungsberechtigten weg. Anderes wäre mit Sinn und Zweck der Vorschrift kaum vereinbar, die an der Grenze des Geltungsbereichs des Gesetzes gelegene und die Sozialhilfeträger, die eine exponierte Verkehrslage aufweisen (z.B. internationale Flughäfen, Eisenbahnknotenpunkte, bedeutende Schiffshäfen), vor finanziellen Belastungen durch aus dem Ausland in die Bundesrepublik einreisende Hilfeempfänger schützt (vgl. dazu Bräutigam, a.a.O., RdNr. 2 am Ende zu Vorb §§ 103 ff.). Für den Sozialhilfeträger des Zuzugsortes, der ohnehin in den meisten Fällen kein "Grenzort-Sozialhilfeträger" ist, trifft der Schutzzweck des § 108 BSHG nicht zu. Im Übrigen wird er in aller Regel auch nicht auf den Schutz des § 108 BSHG angewiesen sein, weil ihn bereits § 107 BSHG schützt. Der Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG setzt schließlich nicht voraus, dass der Sozialhilfeträger des Wegzugsortes, hier die Klägerin, Sozialhilfeleistungen erbracht hat. Würde man der Auffassung der Klägerin folgen, könnte der Sozialhilfeträger des Grenz- und Wegzugsortes Kostenerstattung für Erstattungsleistungen nach § 108 BSHG verlangen, ohne jemals Sozialhilfeleistungen im konkreten Hilfefall erbracht zu haben. Es wäre auch systemwidrig und stünde mit der vom Gesetzgeber gewollten Vereinfachung nicht in Einklang, wenn ein erstattungsberechtigter Sozialhilfeträger ein und denselben Kostenerstattungsanspruch gegen mehrere erstattungspflichtige Sozialhilfeträger hätte. Der Gesetzgeber geht zwar davon aus, dass mehrere Erstattungsansprüche sich gegen einen erstattungspflichtigen Sozialleistungsträger richten können und hat deshalb insoweit in § 106 SGB X die Rangfolge bei mehreren Erstattungsberechtigten geregelt im Hinblick darauf, dass der Erstattungsverpflichtete nur einmal zur Erstattung verpflichtet ist (vgl. hierzu § 106 Abs. 3 SGB X). Für die Erstellung einer Rangfolge bei mehreren Erstattungspflichtigen sah der Gesetzgeber keinen Anlass. Nach alldem liegen jedenfalls in Fällen vorliegender Art die Voraussetzungen des § 108 BSHG nicht mehr vor; die Vorschrift schützt den Sozialhilfeträger des Grenzortes nicht mehr, wenn der Hilfeempfänger in den Zuständigkeitsbereich eines dritten Sozialhilfeträgers umzieht im Sinne des § 107 BSHG.

1.2 Der Beklagte ist auch nicht zur Erstattung der Kosten der von der Klägerin selbst für die Hilfeempfängerin geleisteten Sozialhilfe verpflichtet, weil dem die Bagatellgrenze des § 111 BSHG entgegensteht. Insoweit nimmt der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 130 b Satz 2 VwGO Bezug auf die Gründe des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichts.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO und auf die gemäß § 194 Abs. 5 VwGO maßgebliche vor dem 1. Januar 2002 geltende Fassung des § 188 Satz 2 VwGO.

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).



Ende der Entscheidung

Zurück