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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 14.10.2004
Aktenzeichen: 12 B 00.99
Rechtsgebiete: SGB X, BSHG, SGB III


Vorschriften:

SGB X § 102
BSHG § 44
SGB III F. 1998 § 102
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache

12 B 00.99

wegen Sozialhilfe (Kostenerstattung);

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. November 1999,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 14. Oktober 2004 am 14. Oktober 2004 folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. November 1999 wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Kosten der Arbeitstrainingsmaßnahme für Murat Korkmaz in der Werkstatt für Behinderte - Auhof während der Zeit vom 2. März bis zum 1. September 1998 in Höhe von 6.350,50 Euro zu erstatten.

III. Die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt die Beklagte. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten Kostenerstattung für eine in der Zeit vom 2. März 1998 bis zum 1. September 1998 durchgeführte Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich.

Nach dem Schulabschluss bewilligte die Beklagte mit Bescheid vom 1. August 1996 dem 1975 geborenen Behinderten berufsfördernde Leistungen zur Teilnahme im Arbeitstrainingsbereich bei den A.-Werkstätten in der Zeit vom 2. September 1996 bis zum 1. September 1997. Nach dem Zwischenbericht der anerkannten Werkstatt für Behinderte vom 10. Juli 1997 wurde der Behinderte nach einem nicht Erfolg versprechenden Einsatz im Bereich "Elektroschrottrecycling" im Metallbereich eingesetzt. Aufgrund seiner feinmotorischen Möglichkeiten wechselte der Behinderte im zweiten Halbjahr 1997 in den Holzbereich. Mit Bescheid vom 29. September 1997 wurde das Arbeitstraining bis zum 1. März 1998 verlängert. In einem weiteren Zwischenbericht vom 11. Februar 1998 beantragte die Werkstatt für Behinderte bei der Beklagten die Fortführung der Fördermaßnahme. Der Behinderte habe beachtliche Leistungsfortschritte im Holzbereich erreicht. Er könne unter Anleitung die Formatkreissäge bedienen und sei auch an die Arbeit am Drechselhalbautomat herangeführt worden. Ziel der Förderung sei das Weitermachen und Vertiefen der Arbeit an der Tischfräse sowie die sachgerechte Bedienung des Vierseitenhoblers. Bei weiterer Förderung könne der Behinderte einen differenzierten Arbeitsplatz erreichen und ausfüllen. Nach einem Besuch des Arbeitsamts bei der Werkstatt lehnte der Beklagte gegenüber dem Kläger die Fortsetzung der weiteren Förderung mit Schreiben vom 13. Mai 1998 ab. Beim Besuch der Werkstatt habe sich gezeigt, dass der Behinderte im praktischen Bereich nichts wesentliches mehr aufzunehmen vermöge. Er sei in seinem Arbeitsbereich einsetzbar. Mit Bescheid vom 19. August 1998 gewährte der Kläger die Fortführung des Arbeitstrainings vom 2. März bis zum 1. September 1998 als vorläufige Leistung nach § 44 BSHG und machte mit Schreiben vom selben Tag Kostenerstattung in Höhe von 12.420,49 DM bei der Beklagten geltend.

Mit Urteil vom 25. November 1999 hat das Verwaltungsgericht Ansbach die Klage abgewiesen. Die Beklagte sei nach § 102 Abs. 2 Nr. 2 SGB III nicht zur Förderung der Maßnahmen verpflichtet, weil der Behinderte ab dem 1. März 1998 bereits in den Betrieb der Werkstatt eingegliedert gewesen sei. Nach dem Zwischenbericht habe nicht die weiterbildende Förderung des Behinderten im Vordergrund gestanden, sondern eine weiterführende Qualifizierung.

Seine vom Verwaltungsgerichtshof zugelassene Berufung begründet der Kläger im wesentlichen damit, dass die Beklagte für die Fördermaßnahme zuständig war, weil auch das Arbeitstraining im zweiten Jahr darauf gerichtet gewesen sei, die Leistungsfähigkeit des Behinderten zu entwickeln. Erst nach Abschluss dieser Maßnahme sei das Erreichen eines differenzierten und verantwortungsvollen Arbeitsplatzes zu erwarten gewesen.

Er beantragt,

unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. November 1999 den Beklagten zu verpflichten, ihm die Kosten der Arbeitstrainingsmaßnahme für Murat Korkmaz in der Werkstatt für Behinderte - Auhof während der Zeit vom 2. März 1998 bis zum 1. September 1998 in Höhe von 6.350,50 Euro zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass der Behinderte bereits nach zwölf Monaten in der Lage war, mehr als nur ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Beim Arbeitstraining vom März bis August 1998 stand nicht mehr der Erwerb weiterer Kenntnisse im Vordergrund, sondern die Vertiefung bestehender Fähigkeiten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat Beweis erhoben durch die Einvernahme des Leiters der Werkstatt für Behinderte-Auhof und des Berufsberaters für Behinderte des Arbeitsamts Weissenburg. Hinsichtlich ihrer Aussagen wird auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 14. Oktober 2004 verwiesen. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung hat Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Erstattungsanspruch nach § 102 SGB X i.V.m. § 44 BSHG zu, weil die Beklagte vorrangig verpflichtet war, den Behinderten auch in der Zeit vom 2. März bis zum 1. September 1998 im Arbeitstrainingsbereich der anerkannten Werkstatt für Behinderte zu fördern.

Nach § 102 SGB III i.d.F. des Gesetzes zur Reform der Arbeitsförderung vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594) hat die Beklagte berufsfördernde Maßnahmen für Behinderte zu erbringen, um diese möglichst auf Dauer beruflich einzugliedern. Derartige Förderungen erhalten Behinderte während ihrer Teilnahme an Maßnahmen im Eingangsverfahren und im Arbeitstrainingsbereich, die die Werkstätten für Behinderte durchführen. Dagegen ist es Aufgabe des zuständigen Sozialhilfeträgers, Behinderten anschließend Gelegenheit zur Ausübung einer ihrer Behinderung entsprechenden Beschäftigung in einer Werkstatt für Behinderte zu bieten, sofern kein dritter Leistungsträger dafür eintreten muss.

Nach § 102 Abs. 2 Nr. 2 SGB III dient der Arbeitstrainingsbereich dazu, die Leistungsfähigkeit des Behinderten soweit wie möglich zu entwickeln oder zu erhöhen, sofern erwartet werden kann, dass der Behinderte nach Teilnahme an diesen Maßnahmen in der Lage ist, wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung zu erbringen. Dazu steht ein Zeitraum von zwei Jahren zur Verfügung. Über ein Jahr hinaus werden Leistungen nur erbracht, wenn die Leistungsfähigkeit des Behinderten weiterentwickelt werden kann. Die Aufgabe der Arbeitverwaltung endet allerdings nicht bereits dann, wenn die Leistungsfähigkeit des Behinderten einen Stand erreicht hat, bei dem er ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeit erbringt. Denn mit diesem Merkmal wird lediglich ein Mindestziel beschrieben, das dazu dient, die Förderungspflicht für Behinderte auszuschließen, die von Anfang an für die Beschäftigung in einer Werkstatt nicht geeignet sind (vgl. BSG vom 24.5.1984 FEVS 34, 303). Vielmehr ist im Arbeitstrainingsbereich die "Leistungsfähigkeit des Behinderten soweit wie möglich zu entwickeln", d.h., der Behinderte ist solange im Arbeitstrainingsbereich zu belassen, als eine Steigerung seiner Leistungsfähigkeit zu erwarten ist (vgl. Lauterbach in Gagel, SGB III, Band 1, Stand: Oktober 2002). Das gilt auch für das zweite Jahr im Arbeitstrainingsbereich. Nach § 102 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 SGB III kann die Förderung nur beendet werden, wenn die Leistungsfähigkeit des Behinderten auch mit zusätzlichen Trainingseinheiten nicht verbessert werden kann. Dass der Arbeitstrainingsbereich im Regelfall zwei Jahr umfasst, wird nunmehr durch § 40 Abs. 3 Satz 1 SGB IX ausdrücklich klargestellt.

Im vorliegenden Fall wurde der Behinderte zu Beginn des zweiten Jahres im holzverarbeitenden Bereich eingesetzt, wo er zunächst mit einfachen Tätigkeiten vertraut gemacht wurde. Dazu gehörte auch der Einsatz an halbautomatischen Holzverarbeitungsmaschinen, bei deren Bedienung ihn offenbar der Berufsberater des Arbeitsamts beobachtet hatte. Im letzten Halbjahr wurde der Behinderte an schwierigere, manuelles Geschick erfordernde Tätigkeiten herangeführt. Da die Leistungsfähigkeit des Behinderten nach Aussage des Leiters der Werkstatt für Behinderte im letzten Halbjahr noch gesteigert werden konnte, gehört auch dieser Zeitraum zum Arbeitstrainingsbereich, der von der Beklagten zu fördern war. Dass der Behinderte diese Fertigkeiten möglicherweise auch dann erlernt hätte, wenn er nach eineinhalb Jahren in den Arbeitsbereich eingegliedert worden wäre, ändert nichts daran, dass er ohne Unterbrechung den Arbeitstrainingsbereich durchlaufen hat, um anschließend auf einem qualifizierten Arbeitsplatz eingesetzt werden zu können.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

3. Auf die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung wird verzichtet, weil der Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, dass der Kläger nicht beabsichtigt, seine angefallenen außergerichtlichen Kosten vor der Rechtskraft des Urteils zu vollstrecken.

4. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.



Ende der Entscheidung

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