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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 23.09.2003
Aktenzeichen: 12 B 01.241
Rechtsgebiete: BSHG, SGB X


Vorschriften:

BSHG § 103 Abs. 3
SGB X § 53 Abs. 1 Satz 1, § 112
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 01.241

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 7. Dezember 2000,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Boese

ohne mündliche Verhandlung am 23. September 2003

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1. Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Erstattung der Kosten der Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt), die sie für J. M. (= Hilfeempfänger) in dem Leistungszeitraum 29. Oktober 1996 bis 27. Oktober 1998 aufgewandt hat.

Der Hilfeempfänger lebte im Zuständigkeitsbereich des Beklagten, der ihm in den Monaten September, Oktober und November 1995 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt hatte. Der Hilfeempfänger wurde am 1. Dezember 1995 verhaftet und in eine im Zuständigkeitsbereich der Klägerin gelegene Justizvollzugsanstalt verbracht. Am 28. Oktober 1996 wurde er aus der Justizvollzugsanstalt entlassen. Er beantragte am nächsten Tage bei der Klägerin die Gewährung von Sozialhilfe.

2. Die Klägerin machte u.a. mit Schreiben vom 29. Oktober 1996 die Erstattung der Kosten der dem Hilfeempfänger gewährten Hilfeleistungen gemäß § 103 Abs. 3 BSHG geltend. Der Beklagte erkannte mit Schreiben vom 4. November 1997 den Kostenerstattungsanspruch für die ab 29. Oktober 1996 erbrachten Sozialhilfeaufwendungen an und nahm, nach mehreren Schriftwechseln, diese Kostenzusicherung mit Schreiben vom 4. August 1998 zurück. Der Kostenerstattungsanspruch scheitere daran, dass der Hilfeempfänger während seiner Inhaftierung in der Justizvollzugsanstalt keine Leistungen der Sozialhilfe erhalten habe und daher diese Einrichtung nicht "in den Fällen des § 97 Abs. 2 BSHG als Hilfeempfänger verlassen" habe. Die Klägerin könne sich auch nicht auf die Kostenzusicherung vom 4. November 1997 berufen, weil diese mit Schreiben vom 4. April 1998 zurückgenommen worden sei. Die Rücknahme sei zulässig, weil § 112 SGB X sogar die Rückerstattung von bereits erstatteten Beträgen vorsehe, wenn die Beträge zu Unrecht erstattet worden seien.

2. Die Klägerin erhob am 7. September 1999 Klage zum Verwaltungsgericht und beantragte sinngemäß,

den Beklagten zu verurteilen, ihr die für J. M. in Höhe von 16.258,72 DM aufgewandten Kosten der im Zeitraum 29. Oktober 1996 bis 27. Oktober 1998 erbrachten Leistungen der Sozialhilfe zu erstatten.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, der Erstattungsanspruch nach § 103 Abs. 3 BSHG setze voraus, dass Sozialhilfe während des Einrichtungsaufenthalts, hier der Inhaftierung des Hilfeempfängers in der Justizvollzugsanstalt N., und vor der Entlassung aus der Einrichtung gewährt worden sein müsse. Das sei hier nicht der Fall.

3. Die Klägerin verfolgt mit ihrer vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung ihr Klagebegehren weiter.

Sie trägt vor, die Auffassung des Verwaltungsgerichtes widerspreche dem Willen des Gesetzgebers, der mit § 103 Abs. 3 BSHG die Anstaltsorte umfassend und unabhängig davon habe schützen wollen, ob der Hilfeempfänger vor seiner Entlassung aus der Einrichtung Sozialhilfeleistungen in der Einrichtung bezogen habe.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

4. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren und ohne mündliche Verhandlung erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Unterlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung der Klägerin war zurückzuweisen, weil der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch nicht besteht. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

a) Auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs setzt eine Kostenerstattungspflicht nach § 103 Abs. 3 BSHG voraus, dass schon während des vorherigen Einrichtungs- oder einrichtungsähnlichen Aufenthalts Sozialhilfe gewährt wurde (Urteil vom 14. März 2002, Az. 12 B 01.2150 und vom 10. April 2002, Az. 12 B 00.2245). In dem Urteil vom 14. März 2002 hat der Senat hierzu folgendes ausgeführt:

"§ 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG bezieht sich nach seinem Wortlaut nur noch auf eine Person, die in der Einrichtung im Sinne des § 97 Abs. 4 BSHG Sozialhilfe erhalten hat, denn die Bestimmung lautet: "Verlässt in den Fällen des § 97 Abs. 2 der Hilfeempfänger die Einrichtung und...". Bei einer Norm im Bundessozialhilfegesetz kann "Hilfeempfänger" nur der sein, der Sozialhilfe erhält. Außerdem verweist die Vorschrift ausdrücklich auf die "Fälle des § 97", also auf Sozialhilfefälle. Damit ist der Wortlaut insoweit klar und das Ergebnis entspricht auch den Intentionen des Gesetzgebers, die Kostenerstattungstatbestände einzuschränken (vgl. hierzu Zeitler, NDV 1994, 173/179). Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es nicht unerheblich, dass der Wortlaut der Vorschrift nun ausdrücklich auf den Hilfeempfänger abstellt, während die davor gültige Fassung des Gesetzes den Begriff des Hilfeempfängers nicht verwandt, sondern nur darauf abgestellt hat, dass "jemand" die Einrichtung verlässt. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber diese Formulierung absichtlich geändert hat, um dadurch größere Klarheit zu schaffen. Belegt wird das durch die Begründung (BT-Drs. 12/4401 S. 84). Diese lautet:

"Eine Kostenerstattung soll nur noch stattfinden, ...nach § 103 Abs. 3 durch den zuständig bleibenden Träger des gewöhnlichen Aufenthalts an den Träger des tatsächlichen Aufenthalts bei dessen Leistungsgewährung im Anschluss an eine Hilfe in einer Einrichtung, wenn die Hilfebedürftigkeit am Ort der Einrichtung innerhalb von einem Monat entsteht; die Kostenerstattung ist dann auf zwei Jahre begrenzt, ...".

Die Formulierung "im Anschluss an eine Hilfe in einer Einrichtung" macht deutlich, dass der Gesetzgeber von einer Hilfebedürftigkeit bereits in der Einrichtung, die verlassen wurde, ausgegangen ist. Wenn die Klägerin weiter meint, die Entstehungsgeschichte der Neufassung des § 103 Abs. 3 BSHG spreche gegen die Auslegung des Verwaltungsgerichts Regensburg, so trifft das also ebenso wenig zu, wie die Auffassung des Verwaltungsgerichts Berlin in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil vom 22. April 1999 (Juris-Nr.: MWRE 106399900), die Entstehungsgeschichte der Neufassung sei insoweit unergiebig.

Eine (andere) Auslegung der Norm entgegen ihrem ausdrücklichen Wortlaut ist auch nach ihrem Sinn und Zweck nicht geboten. Sinn und Zweck der Norm ist der Schutz der Anstaltsorte. Diese sollen vor zusätzlichen finanziellen Belastungen geschützt werden, die dadurch entstehen, dass sich in ihrem Bereich Heime, Anstalten und gleichartige Einrichtungen befinden. Wird aber eine Person erstmals nach Verlassen einer derartigen Einrichtung hilfebedürftig, besteht kein unmittelbarer Zusammenhang mehr mit ihrem Aufenthalt in der Einrichtung. Der Fall ist vielmehr dem vergleichbar, dass jemand in den Bereich des Sozialhilfeträgers, in dem sich die Einrichtung befindet, zuzieht und dort erstmals sozialhilfebedürftig wird. Auch in diesem Fall ist ein Schutz des Anstaltsortes nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat sich offensichtlich von dem Gedanken leiten lassen, dass in Fällen einer oft langjährigen Heimkostenübernahme durch Dritte, zum Beispiel durch einen anderen Leistungsträger, in denen eine sozialhilferechtliche Hilfebedürftigkeit also erst gar nicht entstanden ist und von daher die Hilfebedürftigkeit bei Verlassen der Einrichtung auch nicht "fortgeführt" werden kann, eine dauernde Verpflichtung des für den bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt zuständigen Sozialhilfeträgers nicht bejaht werden sollte. Der Fortfall eines nachwirkenden örtlichen Bezugs durch Zeitablauf bei Hilfe außerhalb von Einrichtungen entspricht auch der Regelung des § 107 BSHG. Ein bestehendes Leistungsverhältnis nach § 97 Abs. 2 BSHG erhält den örtlichen Bezug, so dass nach Verlassen der Einrichtung faktisch die Umzugsregelung gilt; liegt während der Heimunterbringung kein Leistungsverhältnis mit dem Träger des ursprünglichen Aufenthaltsortes vor, besteht ihm gegenüber kein örtlicher Bezug mehr, an den eine Nachwirkung anknüpfen könnte (Eichhorn/Fergen, Praxis der Sozialhilfe, 3. Aufl. 1998, S. 1451).

Auch aus dem Zusammenhang mit § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG lässt sich entgegen der Ansicht der Klägerin keine andere Auslegung ableiten. Richtigerweise erfasst § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG auch den Hilfeempfänger, der erstmals der stationären Hilfe in einer Anstalt bedarf, zuvor jedoch nicht hilfebedürftig war. § 103 Abs. 3 Satz 1 BSHG nimmt seinerseits auf § 97 Abs. 2 BSHG Bezug und verlangt deshalb, dass zunächst ein Fall des § 97 Abs. 2 BSHG vorgelegen hat. Ein Fall des § 97 Abs. 2 BSHG liegt aber nur dann vor, wenn jemand in der Anstalt, dem Heim oder der gleichartigen Einrichtung Sozialhilfe erhält, weil nur dann die örtliche Zuständigkeit eines Sozialhilfeträgers begründet wird. Schon allein aus der Bezugnahme auf § 97 Abs. 2 BSHG lässt sich daher ableiten, dass der Sozialhilfebezug bereits in der Einrichtung bestanden haben muss."

An dieser Rechtsauffassung hält der Senat fest.

b) Den von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch stützt auch nicht das Kostenanerkenntnis des Beklagten in seinem Schreiben vom 4. November 1997 ("... erkennt ihren Kostenerstattungsanspruch nach § 103 Abs. 3 BSHG ... für die ab 29.10.96 erbrachten Sozialhilfeaufwendungen bei Hilfegewährung innerhalb eines Monats ab Entlassung aus dem Gefängnis an."). Schon nach dem Wortlaut des Anerkenntnisses handelt es sich hierbei allenfalls um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, aber nicht um ein schuldbegründendes und konstitutives Anerkenntnis, das unabhängig von dem bestehenden Schuldgrund eine neue selbstständige weitere Verpflichtung schaffen sollte (vgl. dazu Thomas in Palandt, BGB, 57. Aufl. 1998, RdNr. 2 zu § 781). Der Beklagte stellte allenfalls fest, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Kostenerstattungsanspruch nach § 103 Abs. 3 BSHG zusteht. Er bestätigte den Anspruch in Beantwortung des Schreibens der Klägerin vom 29. Oktober 1996, mit dem diese gemäß § 111 Satz 1 SGB X ihren Kostenerstattungsanspruch geltend gemacht hatte, und setzte damit die Klägerin davon in Kenntnis, dass sie ihren Anspruch rechtzeitig geltend gemacht hatte, was (auch) Voraussetzung für dessen erfolgreiche Durchsetzung ist. Bei diesem Hintergrund ist mangels entgegenstehender Umstände das Anerkenntnis keine selbstständige und von § 103 Abs. 3 BSHG unabhängige Rechtsgrundlage für den Zahlungsanspruch. Es ist daher unerheblich, ob, wie das Verwaltungsgericht meint (ebenso W. Schellhorn/H. Schellhorn, BSHG, 16. Aufl. 2002, RdNr. 17 zu § 112), der Beklagte sein Anerkenntnis frei widerrufen konnte. Im Übrigen wäre ein Schuldanerkenntnis, auf das die Klägerin auch bei Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 103 Abs. 3 BSHG ihren Zahlungsanspruch stützen könnte, unwirksam und hätte vom Beklagten widerrufen werden können. Das legt nicht nur § 112 SGB X nahe, wonach zu Unrecht erstattete Beträge zurückzuerstatten sind. Sondern es ist auch zu beachten, dass ein konstitutives Anerkenntnis im Sozialrecht nicht zulässig ist. Auch ein solches Schuldanerkenntnis ist ein einseitig verpflichtender, abstrakter Vertrag, für den, wie für alle öffentlich-rechtlichen Verträge, nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB X gilt, dass er nur begründet, geändert oder aufgehoben werden kann, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. Entgegenstehende Rechtsvorschriften in diesem Sinne sind nicht nur formelle Gesetze oder Rechtsverordnungen, sondern auch allgemeine Rechtsgrundsätze des öffentlichen Rechts. Die konstitutive Anerkennung einer Schuld widerspricht nicht nur den Grundsätzen sparsamer Haushaltsführung, die auch der Beklagte zu beachten hat. Vielmehr ist die materielle Vertragsfreiheit begrenzt durch den Vorbehalt des Gesetzes nach § 31 SGB I und den im Rechtsstaatprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG wurzelnden Vorrang des Gesetzes. Danach ist es der Verwaltung untersagt, im Wege des Vertrages andere Rechtsfolgen zu setzen als sie gesetzlich vorgesehen sind. So läge der Fall aber hier. Die Klägerin müsste entgegen § 112 SGB X die vom Beklagten trotz Nichtvorliegens der Voraussetzungen des § 103 Abs. 3 BSHG erstatteten Kosten nicht zurückerstatten, weil dieser auf Grund eines wirksamen konstitutiven Anerkenntnisses nicht "zu Unrecht" die Kosten der von der Klägerin dem Hilfeempfänger geleisteten Sozialhilfe erstatten würde. Daher hat der Beklagte auch bei dieser Fallgestaltung sein Anerkenntnis wirksam widerrufen. Die mit der rechtzeitigen Geltendmachung des Erstattungsanspruchs und dem Anerkenntnis bezweckte alsbaldige Klarstellung gewährleistet dem Erstattung begehrenden Sozialleistungsträger keine absolute Rechtssicherheit, seinen Anspruch auf Dauer erfolgreich und unabhängig davon durchzusetzen, ob die in der gesetzlichen Kostenerstattungsvorschrift genannten Voraussetzungen vorliegen.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2 VwGO und auf § 188 Satz 2 VwGO. Der Senat hat die Entscheidung im Kostenpunkt nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt, weil er davon ausgeht, dass der Beklagte seine ohnehin nicht in nennenswerter Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten nicht vor der Rechtskraft dieses Urteils zu vollstrecken beabsichtigt.

3. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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