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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 27.04.2005
Aktenzeichen: 12 B 02.2580
Rechtsgebiete: BSHG, SGB X, BGB


Vorschriften:

BSHG § 93 b Abs. 2
SGB X § 58
BGB § 134 entsprechend
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 02.2580 12 B 02.2581 12 B 02.2585 12 B 02.2586 12 B 03.2589

Verkündet am 27. April 2005

In den Verwaltungsstreitsachen

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufungen der Kläger gegen die Urteile des Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg vom 8. Oktober 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27. April 2005

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufungen der Kläger werden zurückgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens zu je einem Fünftel. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger besuchen eine Werkstatt für Behinderte in M.. Die Parteien streiten über die Höhe der vom Beklagten, einem überörtlichen Träger der Sozialhilfe, zu zahlenden Vergütung für den Besuch der Werkstatt für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2001.

Die Kläger berufen sich auf eine Vergütungsvereinbarung nach § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG), die gegenüber der für das Jahr 2000 geltenden Vereinbarung eine Erhöhung der Vergütung für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 2001 vorsieht. Unterschrieben wurde der Vertrag am 1. Juni bzw. 4. Juli 2001. Der Beklagte verweigert die Bezahlung der höheren Vergütung mit dem Hinweis, dass ein rückwirkendes Inkraftsetzen einer Vereinbarung nach § 93 b Abs. 2 BSHG unzulässig sei.

Mit ihren Klagen begehren die Kläger jeweils die Verpflichtung des Beklagten, ihnen 287,81 € (entspricht 562,91 DM) und die Klägerin, ihr 301,69 € (entspricht 590,06 DM) zu bezahlen. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen mit Urteilen vom 8. Oktober 2002 abgewiesen. Die für das Jahr 2001 nach § 93 a Abs. 2 BSHG abgeschlossene Vergütungsvereinbarung sei am 4. Juli 2001 in Kraft getreten. Soweit sich die Vereinbarung eine Gültigkeitsdauer vom 1. Januar 2001 bis 31. Dezember 2001 beimesse, verstoße sie für den davor liegenden Zeitraum gegen § 93 b Abs. 2 Satz 3 BSHG. Das Gesetz verbiete eine zurückwirkende Vereinbarung der Vergütung vor dem Tag ihres Abschlusses.

Mit den zugelassenen Berufungen verfolgen die Kläger ihre Begehren auf erhöhte Vergütung weiter. Eine Auslegung des § 93 b Abs. 2 BSHG ergebe, dass das Rückwirkungsverbot nach Satz 3 nicht den Fall umfasse, in dem in der Vereinbarung ausdrücklich der Zeitpunkt des Inkrafttretens bestimmt ist. Der Satz 3 beziehe sich nur auf Satz 2 der genannten Bestimmung. Das Rückwirkungsverbot wolle nur verhindern, dass die Pflegesätze nach den entstandenen Kosten errechnet werden. Sie sollten vielmehr prospektiv ermittelt werden. Das sei im vorliegenden Fall geschehen. Materiell-rechtlich sei die Entgelterhöhung für das Jahr 2001, ausweislich des Protokolls der Sitzung der Landesentgeltkommission, am 13. November 2002 mit Zustimmung des Beklagten beschlossen worden.

Der Beklagte ist den Berufungen entgegengetreten. Die Vergütungsvereinbarung für das Jahr 2001 sei erst am 4. Juli 2001 in Kraft getreten. Ein Inkrafttreten bereits zum 1. Januar 2001 scheide wegen § 93 b Abs. 2 Satz 2 BSHG aus. Der Beschluss der Landesentgeltkommission vom 13. November 2000 enthalte lediglich eine Empfehlung für eine pauschale Erhöhung der Vergütung.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Streitsachen in der mündlichen Verhandlung zwar nicht ausdrücklich, aber im Zuge ihrer gemeinsamen Verhandlung stillschweigend (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl. 2003, RdNr. 6 zu § 93), zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden (§ 125 Abs. 1, § 93 Satz 1 VwGO). Die zulässigen Berufungen sind nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klagen zu Recht abgewiesen. Den Klägern steht die jeweils für die Zeit vom 1. Januar bis 30. Juni 2001 begehrte erhöhte Vergütung nicht zu, weil die am 4. Juli 2001 abgeschlossene Vergütungsvereinbarung für das Jahr 2001 bezüglich dieses Zeitraumes gegen das Rückwirkungsverbot des § 93 b Abs. 2 Satz 3 BSHG verstößt. Insoweit gelten die für das Jahr 2000 vereinbarten Vergütungen weiter (§ 93 b Abs. 2 Satz 4 BSHG). Der Senat nimmt auf die zutreffenden Ausführungen in den angegriffenen Urteilen Bezug (§ 130 b Satz 2 VwGO).

Im Hinblick auf die Berufungsvorbringen sei ergänzend noch ausgeführt:

Die fragliche Vergütungsvereinbarung vom 4. Juli 2001 ist nichtig, soweit sie auch für die Zeit vom 1. Januar 2001 bis 30. Juni 2001 abgeschlossen ist. Insoweit verstößt sie gegen Gesetzesrecht (§ 58 Abs. 1 SGB X, § 134 BGB entsprechend). § 93 b Abs. 2 Satz 3 BSHG erklärt ein rückwirkendes Inkrafttreten von Vereinbarungen oder Festsetzungen ohne Einschränkung für unzulässig. Damit ergibt sich aus § 93 b Abs. 2 Sätze 1 und 3 BSHG eine grundsätzliche Beschränkung des Beginns einer neuen Vereinbarung mit ihrem Abschluss. Zwar obliegt es nach Satz 1 in erster Linie den Vereinbarungsparteien, den Zeitpunkt des Inkrafttretens zu bestimmen. Die Regelung ist aber im Zusammenhang mit dem in Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift festgelegen Prinzip des prospektiven Pflegesatzes zu sehen. Diese umfassende Prospektivität der Vereinbarungen wird durch Satz 3 sichergestellt, da hiernach auch durch die Vereinbarung selbst ein rückwirkendes Inkrafttreten der Vereinbarungen nicht möglich ist. Das gilt nach herrschender Meinung (vgl. stellvertretend Münder in LPK-BSHG, 6. Aufl. 2003, RdNr. 24 zu § 93 b) generell, d.h. sowohl für die Variante des Satzes 1 wie die des Satzes 2. Die Meinung des Klägers, § 93 b Abs. 2 Satz 3 BSHG beziehe sich nur auf dessen Satz 2, ist schon vom Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt und wird abweichend von der herrschenden Meinung nur noch von Fichtner in Fichtner, BSHG, 1999, RdNr. 8 zu § 93 b vertreten. Satz 3 nennt u.a. gerade auch ein (zurückwirkendes) Vereinbaren und bezieht sich damit auf den Fall des Satzes 1, nämlich dass ein bestimmter Zeitpunkt des Inkrafttretens vereinbart wird. Bezüglich dieser Alternative kann er sich auf Satz 2 überhaupt nicht beziehen, weil in diesem Falle ein Zeitpunkt ja gerade nicht bestimmt ist. Auch die von den Klägern angezogene Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 14. Dezember 2000 (FEVS 52, 390) stützt ihre Auffassung nicht. Das Gericht hat darin nur festgestellt, dass das gesetzliche Verbot rückwirkender Vergütungsvereinbarungen die Schiedsstelle nicht hindere, gemäß § 93 b Abs. 2 Satz 2 BSHG im Schiedsspruch als Zeitpunkt seines Wirksamwerdens den Antragseingang bei der Schiedsstelle festzusetzen.

Das Rückwirkungsverbot des § 93 b Abs. 2 Satz 3 BSHG ist umfassend, d.h. die Parteien dürfen rückwirkende Vereinbarungen auch nicht für Zeiträume treffen, hinsichtlich derer zwar eine Vereinbarung nicht (mehr) bestand, die aber durch Verhandlungen ausgefüllt waren (vgl. Grube/Wahrendorf, SGB XII, Stand: 2005, RdNr. 10 zum wortgleichen § 77 Abs. 2 Satz 3 SGB XII). Den Klägern ist zwar zuzugeben, dass die Verfahrensdauer lang sein kann und die Einrichtungsträger die Dauer des Verfahrens nur sehr bedingt beeinflussen können. Diese können aber einem Hinauszögern des Wirksamwerdens der Vereinbarung dadurch begegnen, dass sie eben rechtzeitig die Schiedsstelle anrufen.

Die Kläger können sich auch nicht darauf berufen, die Vereinbarung sei tatsächlich schon früher abgeschlossen worden und der Beklagte habe der Entgelterhöhung zugestimmt. Denn der Beschluss der Landesentgeltkommission vom 13. November 2000, auf den sich die Kläger insoweit stützen, enthält lediglich eine Empfehlung für eine pauschale Erhöhung der Vergütung. Diese Empfehlung ist nicht rechtsverbindlich. Sie ist keine Entgeltvereinbarung im Sinne des § 93 Abs. 2 BSHG. Zudem fehlt der Landesentgeltkommission für derartige Vereinbarungen die Zuständigkeit. Deshalb kommt es auch nicht darauf an, ob der Beklagte in der genannten Sitzung der Landesentgeltkommission der Empfehlung mündlich oder schriftlich zugestimmt hat.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO. Der Verwaltungsgerichtshof hat keine Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt getroffen, weil er davon ausgeht, dass der Beklagte seine außergerichtlichen Kosten nicht vor Rechtskraft des Urteils zu vollstrecken beabsichtigt.

3. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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