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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 29.03.2006
Aktenzeichen: 12 B 04.1568
Rechtsgebiete: BSHG, SGB X


Vorschriften:

BSHG § 92 a Abs. 1
BSHG § 92 a Abs. 4
SGB X § 45
SGB X § 50
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 04.1568

Verkündet am 29. März 2006

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Sozialhilfe;

hier: Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. April 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dhom als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Grau, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 29. März 2006

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. April 2004 ist unwirksam, soweit die Verpflichtungsklage abgewiesen wurde. Insoweit wird das Berufungsverfahren eingestellt.

II. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2002 i.d.F. des Bescheides vom 30. August 2002 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 27. Oktober 2003, soweit dieser die Rückforderung betrifft, sowie das sich darauf beziehende Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. April 2004 werden aufgehoben.

III. Von den Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen trägt die Klägerin 1/5, die Beklagte 4/5. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Rückforderung von Sozialhilfeleistungen.

Die 1978 geborene Klägerin bezog mit ihrem Sohn vom 1. März bis 31. Juli 2002 von der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt. Aufgrund einer Anfrage beim Bundesamt für Finanzen wurden der Beklagten im Jahr 2000 freigestellte Kapitalerträge der Klägerin in Höhe von 43 DM bekannt. Daraufhin legte die Klägerin am 27. August 2002 einen auf sie lautenden Bausparvertrag bei der LBS vor, der zum 31. Dezember 2001 einen Kontostand in Höhe von 11.020,44 DM aufwies. Die monatlichen Beträge wurden von ihren Eltern eingezahlt. Weiter legte sie folgende von ihr und ihren Eltern unter dem 12. Januar 1996 unterschriebene Erklärung vor:

"Hiermit bestätige ich, Albina Heinz, die Rückzahlung der gesamten Bausparsumme bei Ablauf des Vertrages. Die Rückzahlung erfolgt an meine Eltern L. und A.H., da sie die monatlichen Raten an die LBS überweisen".

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin dem Verwaltungsgericht ein Schreiben der LBS vom 6. September 2002 und eine schriftliche Auskunft vom 20. April 2004 über Bausparkonten übergeben. Danach wurde der Bausparvertrag am 2. September 2002 auf die Eltern der Klägerin übertragen und das Guthaben am 30. Juni 2004 auf das Konto der Eltern der Klägerin ausgezahlt.

Unter dem 27. und 30. August (Änderungsbescheid) erging an die Klägerin ein Leistungsbescheid der Beklagten, in dem diese die in der Zeit vom 1. März 2002 bis 31. Juli 2002 erbrachten Leistungen in Höhe von 1.357,89 € zurückforderte. Die Klägerin habe im maßgeblichen Zeitraum mit dem Bausparvertrag über einzusetzendes Vermögen verfügt.

Mit Bescheid vom 28. August 2002 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Hilfe zum Lebensunterhalt ab 1. September 2002 unter Hinweis auf den Bausparvertrag ab.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob die Klägerin Klage zum Verwaltungsgericht mit dem Antrag, die Bescheide der Beklagten vom 27. August 2002 i.d.F. des Bescheides vom 30. August 2002 und vom 28. August 2002 sowie den Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 27. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für die Zeit vom 1. September 2002 bis 21. September 2002 Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Mit Urteil vom 22. April 2004 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Der Rückforderungsbescheid beinhalte konkludent auch die nach § 50 SGB X erforderliche Aufhebung gemäß § 45 SGB X. Die Klägerin habe als Inhaberin des fraglichen Bausparvertrages über einzusetzendes Vermögen verfügt. Der Bausparvertrag sei im Bedarfszeitraum auch nicht an ihre Eltern abgetreten worden. Die Erklärung vom 12. Januar 1996 sei keine Abtretung. Härtegründe seien weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch die Ablehnung der beantragten Hilfe zum Lebensunterhalt sei rechtmäßig. Die Klägerin sei am 1. September 2002 noch Inhaberin des Bausparvertrages gewesen. Zwar habe sie die Übertragung des Vertrages am 2. September 2002 auf ihre Eltern hilfebedürftig gemacht. Gleichwohl könne sie keine Leistungen beanspruchen, weil sie das ihr zur Verfügung stehende Vermögen zuerst hätte für sich verwenden müssen, auch wenn sie sich dadurch außer Stande setzte, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen. Das gelte jedenfalls dann, wenn es - wie hier - um das nachträgliche Erstreiten angeblich vorenthaltener Hilfe zum Lebensunterhalt gehe.

Mit der vom Senat zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren teilweise weiter. Sie habe im Bedarfszeitraum über kein einzusetzendes Vermögen verfügt. Sie sei zwar Inhaberin des Bausparvertrages gewesen, habe das von den Eltern eingezahlte Geld aber lediglich treuhänderisch verwaltet. Deshalb habe sie mit der Vereinbarung vom 12. Januar 1996 die Bausparsumme auch an ihre Eltern abgetreten. Nachdem sie aus ihrer Sicht auch nicht Inhaberin des Bausparvertrages gewesen sei, habe sie auch nicht grob fahrlässig im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gehandelt. Sie habe nie eigenes Geld auf den Bausparvertrag eingezahlt.

Die Beklagte ist der Berufung entgegengetreten. Die Klägerin sei bis 2. September 2002 Inhaberin des auf ihren Namen laufenden Bausparvertrages gewesen. Die Erklärung vom 12. Januar 1996 sei nicht als Abtretung zu sehen. Sie bewirke keinen Wechsel in der Gläubigerstellung. Die Eltern hätten daraus nicht die Forderung im eigenen Namen geltend machen können.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin die Verpflichtungsklage zurückgenommen und ihren Antrag entsprechend eingeschränkt.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die Klägerin hat die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen, soweit die Verpflichtung begehrt worden war, ihr für die Zeit vom 1. September bis 21. September 2002 Hilfe zum Lebensunterhalt in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Insoweit war das Berufungsverfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO analog) und das angegriffene Urteil für wirkungslos zu erklären (§ 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog).

2. Im Übrigen ist die Berufung, über die trotz Ausbleibens der Beklagten entschieden werden konnte (§ 102 Abs. 2 VwGO), zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 27. August 2002 i.d.F. des Bescheides vom 30. August 2002 und der Widerspruchsbescheid der Regierung von Unterfranken vom 27. Oktober 2003, soweit dieser die Rückforderung betrifft, sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Beklagte macht gegen die Klägerin einen Ersatzanspruch nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG und nicht einen Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X geltend. Das ergibt sich eindeutig aus den Gründen des angegriffenen Bescheids. So wird der festgestellte Sachverhalt nur unter die Tatbestandsvoraussetzungen des § 92 a Abs. 1 Satz 1 BSHG subsumiert und davon gesprochen, dass die Klägerin die Leistungsgewährung schuldhaft herbeigeführt habe. Weiter verneint der Bescheid - allerdings ohne nähere Begründung - das Vorliegen eines Härtefalls nach § 92 a Abs. 1 Satz 2 BSHG. Die §§ 45 und 50 SGB X sind nur mit dem Hinweis erwähnt, dass danach die gewährte Hilfe nur vom jeweiligen Hilfeempfänger und nach Aufhebung der Bewilligungsbescheide zurückgefordert werden könne. Offenbar hat die Beklagte den Weg über den Kostenersatz deshalb gewählt, weil sich dieser Anspruch insbesondere auch gegen Personen richtet, die die zu Unrecht gewährten Sozialhilfeleistungen nicht empfangen haben, wie das bei dem Kind der Klägerin der Fall war.

Die Anwendung des § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG setzt aber zwingend voraus, dass der oder die Bescheide aufgehoben wurden, durch die dem Leistungsempfänger Sozialhilfe bewilligt und auf dessen bzw. deren Grundlage ihm Sozialhilfe geleistet worden ist (BVerwG vom 20.11.1997 BVerwGE 105, 374 = FEVS 48, 243). Das ist hier nicht - auch nicht konkludent - geschehen. Eine Rücknahme der Bewilligungsbescheide käme hier allenfalls nach § 45 SGB X in Betracht. Der angegriffene Bescheid erwähnt diese Vorschrift nur pauschal, prüft aber das Vorliegen der dortigen Rücknahmevoraussetzungen nicht. Zwar wird im Rahmen des § 92 a Abs. 4 BSHG festgestellt, dass die Klägerin die Sozialhilfegewährung durch grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt habe. Eine konkludente Aufhebung der der Leistungsgewährung zugrunde liegenden Bewilligungsbescheide liegt darin aber nicht. Nach den Gründen des Bescheides ist die Beklagte davon ausgegangen, dass der Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X zwar die Aufhebung der Bewilligungsbescheide verlangt, für den Ersatzanspruch war man sich dieser Voraussetzung aber offensichtlich nicht bewusst und die Aufhebung deshalb auch nicht gewollt. Jedenfalls aber war für die Klägerin nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass mit dem Rückforderungsbescheid der oder die Bewilligungsbescheide - welche auch immer - aufgehoben werden sollten. Angesichts des Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot (§ 33 Abs. 1 SGB X) kann es keine Rolle spielen, dass sowohl beim Kostenersatz nach § 92 a Abs. 4 Satz 1 BSHG als auch bei der Rücknahme nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X ein Verschulden vorliegen muss.

3. Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2, § 161 Abs. 1, § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

4. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Ende der Entscheidung

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