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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 24.09.2008
Aktenzeichen: 12 B 06.2118
Rechtsgebiete: SchwbG


Vorschriften:

SchwbG a.F. § 62 Abs. 2
Zahlungen Dritter an ein Beförderungsunternehmen sind Fahrgeldeinnahmen im Sinn des § 62 Abs. 2 SchwbG a. F., wenn sie bezogen auf die Anzahl der verkauften Fahrkarten berechnet sind und die auf die einzelne Fahrkarte entfallenden Zahlungen gleichsam tarifauffüllend zusammen mit dem vom Fahrgast entrichteten Eigenanteil das genehmigte Beförderungsentgelt ergeben.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

Im Namen des Volkes

12 B 06.2118

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Schwerbehindertenrechts (Erstattung der Fahrgeldausfälle);

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. Juni 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Adolph,

den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann,

den Richter am Verwaltungsgerichtshof Emmert

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 24. September 2008

am 24. September 2008

folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1. Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Fahrgeldausfällen, die der Klägerin in den Jahren 1996 bis 1999 im Nahverkehr erstattet wurden, wobei es dem Beklagten im Berufungsverfahren nur noch um die Klärung der Frage geht, ob Zuschüsse, die die Stadt Kempten und der Landkreis Oberallgäu der Klägerin für bestimmte Arten von Fahrkarten gewährt haben, Fahrgeldeinnahmen im Sinn des § 62 Abs. 1 SchwbG sind. Im Übrigen wurde die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht angegriffen.

Die Regierung von Schwaben erstattete der Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Bescheiden vom 5. August 1997, 18. Mai 1998, 5. Mai 1999 und 20. April 2000 insgesamt 1.831.643,33 DM (936.504,34 €) für Fahrgeldausfälle durch die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter in den Jahren 1996 bis 1999. Mit Bescheid vom 17. Februar 2003 nahm die Regierung die vorgenannten Bescheide zurück, soweit sie den Umfang der Erstattungsansprüche regelten, setzte die Erstattungsbeträge neu fest und forderte die sich daraus in Höhe von 647.802,77 € ergebende Überzahlung zurück. Ein Widerspruch der Klägerin blieb ohne Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hob den Bescheid vom 17. Februar 2003 und den Widerspruchsbescheid der Regierung von Schwaben vom 16. Juni 2005 (fälschlich bezeichnet als Widerspruchsbescheid vom 13.6.2005) insoweit auf, als damit der Bescheid vom 5. August 1997 in höherem Umfang als 263,80 € und der Bescheid vom 18. Mai 1998 in höherem Umfang als 841,48 € sowie die Bescheide vom 5. Mai 1999 und vom 20. April 2000 teilweise zurückgenommen wurden und ein höherer Rückforderungsbetrag als 1.105,28 € festgesetzt wurde.

Der Senat macht sich die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Tatbestand des angefochtenen Urteils in vollem Umfang zu eigen und nimmt darauf Bezug (§ 130 b Satz 1 VwGO).

2. Der Beklagte hat Berufung eingelegt und trägt zur Begründung vor:

Gemäß des eindeutigen und damit einer Auslegung nicht zugänglichen Wortlauts des § 62 Abs. 2 SchwbG seien Fahrgeldeinnahmen lediglich die Erträge aus dem Fahrkartenverkauf zum genehmigten Beförderungsentgelt. Das verbiete es, allgemeine Zuschüsse zur Deckung eines Defizits oder etwa für die Beförderung von Schülern und Auszubildenden gewährte Ausgleichszahlungen als Fahrgeldeinnahmen im Sinn dieser Vorschrift zu behandeln. Berücksichtige man die der Klägerin von der Stadt Kempten und dem Landkreis Oberallgäu gewährten Zuschüsse, erhöhten sich die vom Beklagten nach § 62 SchwbG zu erbringenden Leistungen. Das führe zu einer rechtlich nicht vertretbaren Begünstigung der Klägerin.

Der Beklagte beantragt:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 22. Juni 2006 wird aufgehoben, soweit es der Klägerin für das Jahr 1996 mehr als 355.304,62 DM, für das Jahr 1997 mehr als 399.699,14 DM, für das Jahr 1998 mehr als 422.130,55 DM und für das Jahr 1999 mehr als 444.294,63 DM zugesprochen hat.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Rücknahme der Erstattungsbescheide sei schon deshalb rechtswidrig, weil die Regierung die insoweit zu beachtende Jahresfrist nicht eingehalten habe. Bereits im Herbst 2001 habe der Beklagte aufgrund der Rüge des Rechnungsprüfungsamtes Kenntnis von der unterschiedlichen Auslegung des Begriffs "Fahrgeldeinnahmen" gehabt. Weder der Wortlaut noch der Sinn und Zweck des § 62 SchwbG gäben Anhaltspunkte dafür, dass Leistungen Dritter, die zur Auffüllung verbilligt ausgegebener Fahrkarten bis zum genehmigten Beförderungsentgelt hinzugezahlt würden, keine Fahrgeldeinnahmen seien.

3. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Der Beklagte hat die Berufung entgegen der in der mündlichen Verhandlung vom Klägerbevollmächtigten vertretenen Ansicht lediglich beschränkt eingelegt. Er wendet sich nur insoweit gegen die mit dem angefochtenen Urteil ausgesprochene (weitgehende) Aufhebung des Rücknahmebescheids der Regierung von Schwaben vom 13. Februar 2003 und deren Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2005, als dem für die Jahre 1996 bis einschließlich 1999 höhere Erstattungsansprüche der Klägerin zugrunde liegen als 355.304,62 DM (181.664,36 €), 399.699,14 DM (204.362,92 €), 422.130,55 DM (215.831,92 €) und 444.294,63 DM (227.164,23 €). Das folgt zwar nicht aus dem in der Berufungsschrift vom 30. August 2007 enthaltenen (unbeschränkten) Antrag, wohl aber aus der Berufungsbegründung. Die Begründung des Zulassungsantrags im Schriftsatz vom 31. August 2006, auf die der Beklagte insoweit verweist, ergibt zweifelsfrei: Der Beklagte wendet sich auch im Berufungsverfahren von vornherein ausschließlich dagegen, dass das Verwaltungsgericht die Zahlungen, die der Landkreis Oberallgäu und die Stadt Kempten in den Jahren 1996 bis einschließlich 1999 an die Klägerin für näher bezeichnete Fahrkarten geleistet hat, als Fahrgeldeinnahmen behandelt und insoweit zugunsten der Klägerin höhere Erstattungsansprüche zugrunde gelegt hat als die angefochtenen Behördenbescheide. Dementsprechend hat der Beklagte im Schriftsatz vom 31. August 2006 bereits einleitend den Streitgegenstand einschränkend dahin umrissen, dass der (zusätzlich) begehrte Rückforderungsanspruch insgesamt 106.375,62 € betrage. Das entspricht ausweislich der dem Schriftsatz beigefügten Vergleichsberechnungen dem Rückforderungsanspruch, den der Beklagte über das angefochtene Urteil hinaus hätte, wenn die vorgenannten Zahlungen nicht als Fahrgeldeinnahmen behandelt würden.

II.

1. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid der Regierung von Oberbayern vom 17. Februar 2003 in der Gestalt deren Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2005 zu Recht auch insoweit aufgehoben, als er darauf beruht, dass Zahlungen der Stadt Kempten und des Landkreises Oberallgäu an die Klägerin für Jahres-Abo-Umweltkarten Erwachsene, Jahres-Abo-Umweltkarten Azubi, Tageskarten, Familientickets, Jahres-Abo-Karten Senioren und Abo-Karten Schüler nicht als Fahrgeldeinnahmen im Sinn des § 62 Abs. 2 SchwbG in der bis 10. Mai 2005 gültigen Fassung vom 26. August 1986 (BGBl I S. 1421) behandelt wurden.

Fahrgeldausfälle, die einem Unternehmen durch die unentgeltliche Beförderung von Schwerbehinderten im Nahverkehr entstehen, sind ihm nach Maßgabe des § 62 SchwbG a.F. zu erstatten (§ 59 Abs. 3 SchwbG a. F.). Gemäß § 62 Abs. 1 SchwbG a.F. richtet sich die Erstattung nach einem Vomhundertsatz der von den Unternehmern nachgewiesenen Fahrgeldeinnahmen im Nahverkehr. Fahrgeldeinnahmen im Sinne dieses Gesetzes sind alle Erträge aus dem Fahrkartenverkauf zum genehmigten Beförderungsentgelt (§ 62 Abs. 2 Halbsatz 1 SchwbG a. F.). Dazu gehören auch die der Klägerin in den Jahren 1996 bis einschließlich 1999 von der Stadt Kempten und dem Landkreis Oberallgäu für Jahres-Abo-Umweltkarten Erwachsene, Jahres-Abo-Umweltkarten Azubi, Tageskarten, Familientickets, Jahres-Abo-Karten Senioren und Abo-Karten Schüler geleisteten Zahlungen, deren Höhe sich im Einzelnen aus der dem Bescheid vom 17. Februar 2003 beigefügten Anlage "Änderung der Einnahmen in DM" (Bl. 194 der Beiakte 2) ergibt.

Eine Einschränkung des Begriffs der Fahrgeldeinnahmen auf Zahlungen, die die Klägerin unmittelbar von ihren Fahrgästen erhalten hat, lässt sich dem Wortlaut des § 62 Abs. 2 SchwbG entgegen der Ansicht des Beklagten nicht entnehmen. Zwar wird insoweit auf den "Fahrkartenverkauf ..." abgestellt. Allerdings sollen "alle Erträge" hieraus Fahrgeldeinnahmen sein. Damit umfasst der Begriff der Fahrgeldeinnahmen auch Zahlungen Dritter, die ihre Grundlage im Fahrkartenverkauf haben und sich als Entgelt für die Fahrkarte darstellen. Denn anders als etwa der engere Begriff des Beförderungsentgelts ist die in diesem Zusammenhang einschlägige betriebswirtschaftliche Bedeutung des Begriffs "Erträge" weit und bezeichnet allgemein alle Einnahmen, die einem Unternehmen in einer bestimmten Rechnungsperiode zufließen (vgl. Brockhaus Enzyklopädie, 19. Aufl. 1988).

Diese Wortauslegung wird durch den Entwurf der Bundesregierung zu dem damaligen § 60 Abs. 2 SchwbG (vgl. BT-Drs. 8/2453 S. 12) bestätigt, der u. a. ausführt:

"Durch die Umschreibung wird klargestellt, dass generelle Abgeltungszahlungen (z.B. Ausgleichszahlungen im Ausbildungsverkehr nach § 45 a PBefG) oder andere allgemeine Zuschüsse der öffentlichen Hand nicht in die Berechnung der nach § 62 SchwbG zu erstattenden Fahrgeldausfälle einbezogen werden. Andernfalls würden die Unternehmer mehr erhalten, als ihnen an tariflichen Beförderungsentgelten zusteht, die die Schwerbehinderten ohne die Vergünstigung selbst entrichten müssten.

Für den Begriff der Fahrgeldeinnahme ist unerheblich, ob das Entgelt für die Fahrkarte zum Teil vom Benutzer, von der öffentlichen Hand oder von dritter Seite gezahlt wird" (Hervorhebung durch den Senat).

Diese Klarstellung entspricht dem Verständnis des Bundesverwaltungsgerichts zum Begriff des Fahrgelds nach § 4 Abs. 1 des (aufgehobenen) Gesetzes über die unentgeltliche Beförderung von Kriegs- und Wehrdienstbeschädigten sowie von anderen Behinderten im Nahverkehr (vgl. Urteil vom 31. Januar 1975 Buchholz 442.010 § 4 UnBefG Nr. 3), das uneingeschränkt auch für § 62 Abs. 2 SchwbG a.F. gilt. Das zur unentgeltlichen Beförderung verpflichtete Unternehmen soll in pauschalierter Form das erhalten, was es von den Begünstigten erhalten würde, wenn diese nicht unentgeltlich befördert werden müssten. Das wäre im konkreten Fall das Beförderungsentgelt einschließlich der Zahlungen der Stadt Kempten und des Landkreises Oberallgäu. Insoweit handelt es sich nicht um allgemeine, insbesondere dem Defizitausgleich dienende Zuschüsse, sondern um einen Teil des andernfalls vom Fahrgast an das Unternehmen zu entrichtenden tariflichen Beförderungsentgelts. Nach dem unstreitigen Vorbringen der Klägerin werden die jeweiligen Zahlungen des Landkreises Oberallgäu und der Stadt Kempten bezogen auf die Anzahl der verkauften Fahrkarten errechnet. Die insoweit auf den einzelnen Fahrgast entfallenden Zahlungen und der vom Fahrgast für die jeweilige Fahrkarte entrichtete Eigenanteil ergeben zusammen das von der Regierung von Schwaben nach § 39 PBefG genehmigte Beförderungsentgelt. Die Zahlungen der Stadt Kempten und des Landkreises Oberallgäu sind tarifauffüllend und deshalb "Erträge aus dem Fahrkartenverkauf zum genehmigten Beförderungsentgelt" Fahrgeldeinnahmen im Sinn des § 62 Abs. 2 SchwbG a. F..

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Auf den Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat der Senat verzichtet, weil er davon ausgeht, dass die Klägerin vor Rechtskraft die Kostenentscheidung nicht vollstrecken wird.

3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Beschluss

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 106.375,62 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 3 GKG).

Rechtsmittelbelehrung

Nach § 133 VwGO kann die Nichtzulassung der Revision durch Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht in Leipzig angefochten werden.



Ende der Entscheidung

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