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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 03.03.2009
Aktenzeichen: 12 B 08.1384
Rechtsgebiete: SGB VIII, SGB X, SGB I


Vorschriften:

SGB VIII § 86 Abs. 2 Satz 2
SGB VIII § 86d
SGB VIII § 89c Abs. 1 Satz 1
SGB VIII § 89c Abs. 1 Satz 2
SGB X § 102 Abs. 1
SGB X § 105 Abs. 1 Satz 1
SGB I § 37 Satz 1
Zum Begriff "vor Beginn der Leistung" in § 86d SGB VIII.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 B 08.1384

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kinder- und Jugendhilfe- sowie Jugendförderungsrechts (Kostenerstattung);

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. Februar 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Adolph, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Emmert

ohne mündliche Verhandlung am 3. März 2009

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Erstattung der Kosten, die dem Kläger in der Zeit vom 17. Februar 2004 bis 31. März 2005 durch Maßnahmen der Jugendhilfe für den am 11. September 1993 geborenen T. entstanden sind.

T. wohnte seit 1997 bei seiner geschiedenen Mutter in S************, Landkreis Kronach. Ab 8. Oktober 2003 war er bei der Pflegefamilie M. in S******** ** *. untergebracht. Der Beklagte bewilligte hierfür Erziehungshilfe durch Vollzeitpflege gemäß § 33 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), weil die Unterbringung des T. in einer Pflegefamilie des Kreisjugendamtes notwendig sei, denn die Mutter fühle sich mit der Versorgung, Betreuung und Erziehung ihres Sohnes überfordert. Ursache seien Verhaltensauffälligkeiten (Diebstähle im schulischen und Familienumfeld) und der Umstand, dass T. in der Familie, in der Schule und in der Wohnortgemeinschaft weitgehend isoliert sei. Sein Vater erhielt einen Abdruck des Bewilligungsbescheides und erklärte seine Bereitschaft, den Sohn in seinem Haushalt aufzunehmen.

Am 27. November 2003 wurde T. vom weiteren Besuch der Volksschule W******* ausgeschlossen. Auch die Pflegeeltern wollten ihn nicht länger in ihrem Haushalt behalten. Der Vater des T. erklärte sich weiterhin bereit, ihn in seinem Haushalt aufzunehmen. Die Mutter, der das Aufenthaltsbestimmungsrecht für T. zustand, erteilte ihr Einverständnis dazu. Auch T. war einverstanden. Am darauffolgenden Tag wurde zwischen dem Jugendamt des Beklagten und dem Kindsvater die Möglichkeit einer Heimunterbringung erörtert. Der Vater erklärte sich bereit, T. in seinem Haushalt aufzunehmen und zu versuchen, die bestehenden Probleme durch Inanspruchnahme ambulanter und teilstationärer Hilfen zu lösen. Daraufhin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 10. Dezember 2003 die gewährte Erziehungshilfe durch Vollzeitpflege mit Ablauf des 1. Dezember 2003 ein.

Bereits am 12. Dezember 2003 informierte der Kläger den Beklagten über Schwierigkeiten bei der Unterbringung des T. in der Familie des Vaters. Dieser habe daher um Unterbringung des Kindes in einer heilpädagogischen Tagesstätte ersucht. Der Kläger meinte, dass die Kosten für jegliche Art von erzieherischer Hilfe vom Beklagten zu tragen seien, weil es um einen fortgesetzten erzieherischen Bedarf gehe, für den nach wie vor das Kreisjugendamt Kronach zuständig sei. Der Beklagte entgegnete, nachdem sich die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern über den Wohnsitzwechsel des Kindes zum Vater einig gewesen seien, sei für weitere erzieherische Hilfe das Jugendamt zuständig, in dessen Bezirk der Vater wohne. Es könne nicht von einer fortgesetzten Hilfe gesprochen werden, weil die Hilfe nach § 33 SGB VIII mit Bescheid vom 10. Dezember 2003 rückwirkend zum 1. Dezember 2003 beendet worden sei und neu zu prüfen sei, ob und welche erzieherischen Hilfen im Haushalt des Vaters in Frage kämen.

Nach streitigem Schriftwechsel übernahm der Kläger mit Bescheid vom 12. Mai 2004 in stets widerruflicher Weise ab April 2004 im Rahmen der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 32 SGB VIII die Kosten der teilstationären Betreuung des T. in der heilpädagogischen Tagesstätte in Ebern des Jugendhilfezentrums D******** *****, **************. Er sei nach § 85 Abs. 1, § 86d SGB VIII zur Entscheidung zuständig. Beim Beklagten machte er einen Kostenerstattungsanspruch nach § 89c SGB VIII geltend. Mit vorausgegangenem Bescheid vom 11. Mai 2004 bewilligte der Kläger in stets widerruflicher Weise die Kosten der Erziehungsbeistandschaft für T. gegenüber dem Verein für Soziale Dienstleistungen e. V., *******. Auch insoweit machte er einen Kostenerstattungsanspruch nach § 89c SGB VIII gegenüber dem Beklagten geltend. Beide Kostenerstattungsansprüche lehnte der Beklagte unter dem 13. Mai 2004 ab.

Mit der am 21. Januar 2005 beim Verwaltungsgericht Bayreuth eingegangenen Klage beantragte der Kläger, den Beklagten zu verpflichten, ihm für die in der Zeit vom 17. Februar 2004 bis zu einem allfälligen Zuständigkeitswechsel im Rahmen der Hilfe zur Erziehung für das Kind T. entstandene Aufwendungen in ambulanter und teilstationärer Form (Erziehungsbeistandschaft, Erziehung in einer Tagesstätte) gemäß § 89c SGB VIII zu erstatten, zuzüglich entsprechend §§ 291, 288 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anfallender Zinsen.

Zur Begründung gab er an, bei objektiver Betrachtung der Sachlage und der eingetretenen Entwicklung bei T. seit der eingestellten Jugendhilfeleistungen im Dezember 2003 bleibe festzustellen, dass ein Hilfebedarf auch nach der Unterbrechung immer fortbestanden habe und somit die örtliche Zuständigkeit für die zu gewährenden Jugendhilfeleistungen beim Jugendamt des Beklagten gelegen habe und weiterhin liege. Daran ändere auch nichts das beendete Pflegeverhältnis mit dem bestandskräftig gewordenen Einstellungsbescheid vom 10. Dezember 2003. Hierbei handle es sich nur um einen zeitlich begrenzten Wegfall von Annexleistungen. Es könne vom Gesetzgeber nicht gewollt sein, dass ein Träger der öffentlichen Jugendhilfe in einem Hilfeplanverfahren nach § 36 SGB VIII unter Beteiligung der Personensorgeberechtigten und in einer gemeinsamen Entscheidungsfindung im Oktober 2003 eine erzieherische Hilfe für unbedingt erforderlich halte und nicht einmal zwei Monate später diese Hilfe zur Erziehung beende, ohne jegliche Veränderung der Bedarfslage mit der weiteren Konsequenz, dass mit Wechsel des Aufenthaltsortes des Kindes eine neue örtliche Zuständigkeit das Ergebnis sei. Damit würde ein Raum geschaffen werden, der unausweichlich zu ungerechten Kostenbelastungen von kommunalen Gebietskörperschaften mehr oder weniger in Anspruch genommen werde, wobei auch der Gesichtspunkt einer effektiven Aufgabenwahrnehmung in der Jugendhilfe völlig in den Hintergrund gedrängt werde. Wenngleich die Grundbestimmung der örtlichen Zuständigkeiten nach § 86 SGB VIII keine Unterbrechung der Hilfe beschreibe und somit eine Regelungslücke bestehe, so sei diese Regelungslücke dadurch zu schließen, dass in sinngemäßer Anwendung der speziellen Regelung nach § 86a SGB VIII bei der örtlichen Zuständigkeit für Leistungen an junge Volljährige ein Wechsel der örtlichen Zuständigkeit bei einer unterbrochenen Hilfeleistung bis zu drei Monaten außer Betracht bleibe. Hier werde generell eine Fortsetzung der Leistungen angenommen. Der Beklagte habe dem Vater des T. bei dem Gespräch Anfang Dezember 2003 erzieherische Hilfe angeboten, aber diese überhaupt nicht umgesetzt. Aus den Einlassungen des Diplom-Sozialpädagogen (FH) S****** ergebe sich ausweislich eines Aktenvermerks vom 1. Dezember 2003 zudem, dass von einer zuständigkeitsrelevanten Unterbrechung der Leistung nicht ausgegangen werden könne, weil der eigentliche Hilfebedarf weiterbestanden habe.

Mit einem weiteren Bescheid vom 14. April 2005 bewilligte der Kläger ab 24. Januar 2005 in stets widerruflicher Weise für T. Hilfe zur Erziehung in Form von Heimerziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII in der Kinder- und Jugendhilfe St. *****, *******. Die zuletzt für T. bewilligten Jugendhilfeleistungen (Erziehungsbeistandschaft und Erziehung in einer Tagesgruppe) wurden mit Wirkung ab dem 24. Januar 2005 eingestellt. Beim Beklagten machte er wiederum Kostenerstattung gemäß § 89c SGB VIII geltend.

Der Beklagte meinte, mit dem Wechsel des T. in den Haushalt seines Vaters sei die Grundlage für eine Familienpflege entfallen. Die Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 33 SGB VIII sei daraufhin mit Bescheid des Beklagten vom 10. Dezember 2003 rückwirkend zum 1. Dezember 2003 beendet worden. Zweifelsfrei habe T. mit der Aufnahme im Haushalt seines Vaters seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort begründet. Ob und gegebenenfalls welche erzieherische Hilfe im Haushalt des Vaters, also unter völlig veränderten Rahmenbedingungen, erforderlich gewesen sei, sei zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar gewesen und habe deshalb von dem örtlich zuständigen Jugendamt geprüft und entschieden werden müssen. Die vom Kläger geleistete Hilfe sei deshalb gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII und nicht nach § 86d SGB VIII zu gewähren gewesen. Das Bundesverwaltungsgericht habe zwar in seinem Urteil vom 29. Januar 2004 festgestellt, dass keine neue Hilfeleistung vorliege, wenn die zur "Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlichen Maßnahmen und Hilfen ohne Unterbrechung gewährt worden sind". Bei T. habe aber weder ein unveränderter jugendhilferechtlicher Bedarf vorgelegen noch sei die Hilfe ohne Unterbrechung gewährt worden. Es habe sich somit um eine neue Leistung gehandelt. Eine analoge Anwendung der Drei-Monats-Frist des § 86a Abs. 4 Satz 2 SGB VIII werde vom Gesetz nicht gestützt. Es sei nicht erkennbar, weshalb durch den Zuständigkeitswechsel "eine effektive Aufgabenwahrnehmung in der Jugendhilfe völlig in den Hintergrund gedrängt" werden sollte.

Ab dem 1. April 2005 übernahm das Landratsamt Hildburghausen die Kosten für die Heimerziehung des T. in eigener örtlicher Zuständigkeit, weil T. dorthin verzogen ist.

Das Verwaltungsgericht Bayreuth verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 19. Februar 2007, dem Kläger die in der Zeit vom 17. Februar 2004 bis 31. März 2005 im Rahmen der Jugendhilfe zur Erziehung für T. entstandenen Aufwendungen in gesetzlich gebotener Höhe zu erstatten, zuzüglich der entsprechend §§ 291, 288 BGB ab Klageerhebung (21.1.2005) anfallenden Zinsen. Für die Gewährung dieser Leistungen sei gemäß § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII der Beklagte örtlich zuständig. Entscheidend sei dabei, im Bereich welchen örtlichen Jugendhilfeträgers mit den Leistungen begonnen worden sei und ob eventuell die Hilfeleistung unterbrochen worden sei. Die Jugendhilfeleistung für T. habe mit der Aufnahme von Hilfegesprächen durch das Jugendamt des Beklagten begonnen. Die Umstände, die zu diesem Zeitpunkt vorlagen, fixierten die Zuständigkeit. Wenn während des weiteren Verwaltungsverfahrens eine Änderung der Verhältnisse eintrete, die an sich zu einer Änderung der Zuständigkeit führen könnte, so bliebe diese Veränderung außer Betracht.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Senat mit Beschluss vom 27. Mai 2008 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassenen Berufung. Im Falle des T. sei ein qualitativ unveränderter, kontinuierliche Hilfe gebietender jugendhilferechtlicher Bedarf nicht gegeben. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts habe zum Zeitpunkt der Einstellung der Hilfe nach § 33 SGB VIII durch den Beklagten noch keine konkretisierte Wiederaufnahmeperspektive bestanden, denn eine konkrete Hilfe sei zu diesem Zeitpunkt nicht geplant gewesen. Das sei auch nicht aus dem allgemeinen Hinweis an den Vater zu schließen, sich bei Bedarf an das örtliche Jugendamt zu wenden. Der Hilfebedarf für T. sei deshalb nach dessen Wechsel in den Haushalt des anderen Elternteils und einer über Monate andauernden Unterbrechung neu zu prüfen und damit einhergehend auch die örtlichen Zuständigkeiten neu zu bestimmen.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 19. Februar 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sein Kostenerstattungsanspruch ergebe sich aus § 89c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. Es handle sich um eine einheitliche fortgesetzte Leistungsgewährung. Der jugendhilferechtliche Bedarf für T. habe qualitativ unverändert und kontinuierlich fortbestanden. Mit seinem Vater sei bereits am 1. Dezember 2003 die Möglichkeit der Inanspruchnahme stationärer, teilstationärer oder ambulanter Hilfe erörtert worden. Aus Sicht des Klägers sei bereits zu diesem Zeitpunkt absehbar gewesen, dass weiterhin ein Hilfebedarf bestehen würde. T. sei nur kurzfristig im Haushalt seines Vaters untergebracht gewesen, nachdem zunächst die Mutter als auch später die Pflegefamilie mit dessen Betreuung überfordert gewesen seien. Der Vater habe sich dann auch bereits Anfang Dezember 2003 mit dem Kläger aufgrund aufgetretener Schwierigkeiten mit T. in Verbindung gesetzt. Der Wechsel der Hilfemaßnahme innerhalb der Leistungsart "Hilfe zur Erziehung" sei dabei unerheblich.

Die Beteiligten haben auf die Durchführung der mündlichen Verhandlung verzichtet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die vom Senat zugelassene Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten im Ergebnis zu Recht verpflichtet, dem Kläger die in der Zeit vom 17. Februar 2004 bis 31. März 2005 durch eine Maßnahme der Jugendhilfe für das am 11. September 1993 geborene Kind T. entstandenen Kosten zu erstatten. Dabei besteht auch im Berufungsverfahren der Streit lediglich hinsichtlich der Frage der örtlichen Zuständigkeit fort.

1.1 Nur im Ergebnis zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, dem Kläger die in der Zeit vom 17. Februar 2004 bis 31. März 2005 im Rahmen der Jugendhilfe zur Erziehung für T. R. entstandenen Aufwendungen in gesetzlich gebotener Höhe zu erstatten, zuzüglich der entsprechend §§ 291, 288 BGB ab Klageerhebung (21.1.2005) anfallender Zinsen.

Der Senat folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die am 8. Oktober 2003 begonnene Hilfe für T. nicht dadurch unterbrochen oder gar beendet wurde, dass T. aus der Pflegefamilie M. in den Haushalt seines Vaters wechselte (dazu ausführlich unten). Damit scheidet aber der vom Verwaltungsgericht herangezogene § 89c Abs. 1 Satz 2 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII), der die Kostenerstattung unter den örtlich zuständigen Trägern bei vorläufiger Leistungsgewährung regelt, als Rechtsgrundlage aus. Nach dieser Vorschrift sind vom örtlichen Träger, dessen Zuständigkeit durch den gewöhnlichen Aufenthalt nach §§ 86, 86a und 86b SGB VIII begründet wird, dem örtlichen Träger die Kosten zu erstatten, der mit der Hilfeleistung seiner Verpflichtung nach § 86d SGB VIII nachgekommen ist.

Zu Unrecht ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger die Aufwendungen für Erziehungsbeistandschaft (§§ 27, 30 SGB VIII) und für Hilfe zur Erziehung durch teilstationäre Betreuung in einer Tagesgruppe und in Form von Heimerziehung (§§ 27, 32, 34 SGB VIII) im streitgegenständlichen Zeitraum ab dem 17. Februar 2004 an T. im Rahmen seiner Verpflichtungen nach § 86d SGB VIII erbracht hat. Zwar stand die örtliche Zuständigkeit seinerzeit nicht fest; jedenfalls hat der Beklagte nicht geleistet. Der T. hat sich aber vor Beginn der Leistung nicht im Zuständigkeitsbereich des Klägers (tatsächlich) aufgehalten. Für den Begriff "vor Beginn der Leistung" in § 86d SGB VIII kann dabei nichts anderes gelten als für denselben Begriff in § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII (vgl. dazu ausführlich BayVGH vom 13.8.1999 VGHE n.F. 52, 103 = FEVS 51, 370 = BayVBl 2000, 212; Kunkel in LPK-SGBVIII, 3. Aufl. 2006, § 86d RdNr. 7 i. V. mit § 86 RdNr. 7; Wiesner in Wieser, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 86 RdNr. 18). Begonnen hat die Leistung dann aber nicht erst mit der Erziehungsbeistandschaft ab dem 17. Februar 2004, sondern bereits mit der Aufnahme des T. in die Pflegefamilie M. am 8. Oktober 2003. Vor diesem Zeitpunkt wohnte T. aber noch bei seiner Mutter in S************ im Landkreis Kronach.

§ 89c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII scheidet als Rechtsgrundlage ebenfalls aus, weil kein Fall des § 86c SGB VIII vorliegt. Denn der Kläger leistete folgerichtig auch nicht als der bisher zuständige Leistungsträger ab dem 17. Februar 2004 weiter.

Die § 89c Abs. 3 und § 89 SGB VIII, die eine Kostenerstattung durch den überörtlichen Träger regeln, scheiden ebenfalls aus. Der Beklagte ist wie der Kläger örtlicher Träger (Art. 3 Abs. 1 Satz 1, Art. 12 Satz 1 des seinerzeit geltenden Bayerisches Kinder- und Jugendhilfegesetzes - BayKJHG - vom 18. Juni 1993 - GVBl 1993, 392).

1.2 Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers ergibt sich vielmehr aus § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X.

1.2.1 Enthält das Achte Buch Sozialgesetzbuch keine einschlägige spezielle Kostenerstattungsregelung, so ist auf die allgemeinen Regelungen im Zehnten Buch Sozialgesetzbuch über die Erstattungsansprüche von Leistungsträgern untereinander zurückzugreifen (BayVGH vom 29.4.2004 FEVS 56, 75; Wiesner, a. a. O., § 89 RdNr. 13). Denn von den §§ 112 ff. SGB X Abweichendes im Sinne von § 37 Satz 1 SGB I ergäbe sich nur dann aus den §§ 89 ff. SGB VIII, wenn diese Vorschriften jeden weiteren Erstattungsanspruch auf der Grundlage anderer Sachverhalte ausschließen würde. Das ist aber nicht der Fall, wie der Senat bereits wiederholt und in ständiger Rechtsprechung entschieden hat (BayVGH vom 13.8.1999 a. a. O.). Es war die erklärte Absicht des Gesetzgebers, mit den §§ 89 ff. SGB VIII die Lücken des Erstattungsrechts im Jugendhilferecht zu schließen (vgl. dazu BT-Drs. 9/95 S. 1724), nicht war aber beabsichtigt, die allgemeinen Erstattungsregelungen zu verdrängen. Demzufolge bleibt insbesondere § 105 SGB X zum Schutz des unzuständigen Leistungsträgers auch zwischen Jugendhilfeträgern anwendbar (BayVGH vom 1. 4. 2004 Az. 12 B 99.2510; NdsOVG vom 23.8.1989 FEVS 39, 378).

1.2.2 Der Anspruch auf Kostenerstattung aus § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X scheitert nicht an § 102 Abs. 1 SGB X. Denn der Kläger hat die Jugendhilfeleistungen nicht "aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig erbracht". Eine solche vorläufige Leistungserbringung aufgrund gesetzlicher Vorschriften liegt nur dann vor, wenn der angegangene Leistungsträger zwar zunächst nach den jeweiligen Vorschriften des materiellen Sozialrechts dem Berechtigten gegenüber zur Leistung verpflichtet ist, dabei aber entweder in Kenntnis von der Zuständigkeit eines anderen Leistungsträgers leistet oder sich noch erkennbar im Ungewissen darüber befindet, welcher andere Leistungsträger zuständig ist (Roos in von Wulffen, SGB X, 6. Aufl. 2008, § 102 RdNr. 6 m. w. N.). Das hätte auch vorausgesetzt, dass der Charakter der Erbringung einer vorläufigen Leistung von Anfang an festgestanden hat (BSGE 58, 119 = SozR 1300 § 104 Nr. 7).

Der Kläger war für die Gewährung der Hilfe zur Erziehung des T. im Zeitraum vom 17. Februar 2004 bis 31. März 2005 aber aufgrund gesetzlicher Vorschriften weder vorläufig noch endgültig zuständig. Gleichwohl kann von einer bewusst unzuständigen Leistungserbringung keine Rede sein.

1.2.3 Örtlich zuständiger Leistungsträger im Sinne des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB X war allein der Beklagte. Seine sachliche Zuständigkeit ist nicht streitig.

Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich aus § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII, der auf den vorausgehenden Satz 1 Bezug nimmt. Demnach ist der Träger örtlich zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich der Elterteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, bei dem das Kind seinerseits vor Beginn der Leistung zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, wenn - wie hier - beiden Elternteilen zwar die Personensorge gemeinsam zusteht, sie aber verschiedene gewöhnliche Aufenthalte haben.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Entscheidungsgründe des Verwaltungsgerichts, denen er in diesem Punkte folgt (siehe dazu bereits oben). Die Berufungsbegründung des Beklagten gibt lediglich noch Anlass zu folgenden ergänzenden Erwägungen:

Der Senat hat wiederholt entschieden, dass "Maßnahme" im Sinne des früheren § 85 Abs. 2 SGB VIII in der Fassung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes vom 26. Juni 1990 (BGBl. I S. 1163) nicht die Einzelmaßnahme, sondern die ununterbrochen andauernde Jugendhilfemaßnahme in ihrer Gesamtheit ist (BayVGH vom 28.7.1995 BayVBl 1996, 372 = FEVS 46, 277). Durch die Neufassung der Vorschrift durch das Erste Gesetz zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch vom 16. Februar 1993 (BGBl I S. 239) und die Tatsache, dass § 86 SGB VIII nicht mehr von Maßnahme, sondern von Leistung spricht, hat sich hieran nichts geändert. Die Begründung zum Gesetzentwurf nimmt auf den Leistungsbegriff des § 2 Abs. 2 SGB VIII Bezug (BT-Drs. 12/2866 S. 12), der die Leistungen nach Angeboten und Hilfen untergliedert. Hier geht es um eine Hilfe zur Erziehung und ergänzende Leistungen (§§ 27 bis 35, 36, 37, 39, 40 SGB VIII) nach § 2 Abs. 2 Nr. 4 SGB VIII. Folgerichtig stellt das Bundesverwaltungsgericht in der auch vom Beklagten zitierten Entscheidung vom 29. Januar 2004 (BVerwGE 120, 116 = FEVS 55, 310) fest, dass Leistung in diesem Sinne alle zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderliche Maßnahmen und Hilfen sind, sofern sie ohne Unterbrechung gewährt werden. Damit geht der Ansatz des Beklagten fehl, der den geforderten "qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarf" immer schon dann verneinen will, wenn die "Person des Erziehungsberechtigten" wechselt. Die angesprochene Fundstelle bei Wiesner (a. a. O., § 27 RdNr. 17) gibt für diese Überlegung nichts her. Unklar bleibt auch, was der Beklagte mit dem Wechsel in der Person des Erziehungsberechtigten meint, wenn - wie hier - beide Elternteile diesen Teil des elterlichen Sorgerechtes im Sinne des § 1626 BGB innehaben. Der Rückschluss, dass der erzieherische Bedarf sich ändert, wenn T. wegen Überforderung der Mutter schließlich in den Haushalt des Vaters wechselt, "dem ganz andere Kompetenzen und Rahmenbedingungen zur Verfügung standen", und damit nicht nur ein anderer erzieherischer Bedarf, sondern auch eine andere weil neue Leistung im Sinne des § 2 Abs. 2, § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII entsteht, ist nicht zwingend. Dass sich bei einem auf einen längeren Zeitraum ausgelegten Hilfeprozess die Schwerpunkte innerhalb des Hilfebedarfes verschieben und für die Ausgestaltung der Hilfe Modifikationen, Änderungen oder Ergänzungen bis hin zu einem Wechsel der Hilfeart erforderlich werden können, ist den Leistungen der Jugendhilfe immanent (BVerwG vom 29.1.2004 a. a. O.). Demzufolge beginnt eine zuständigkeitsrechtlich "neue" Leistung auch nicht allein deswegen, weil die geänderten oder neu hinzutretenden Jugendhilfemaßnahmen oder ein Teil davon einer anderen als der § 2 Abs. 2 SGB genannten Nummer 4 zuzuordnen ist.

Für die Anwendung des § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII hat das Verwaltungsgericht deshalb zutreffend auf den Zeitraum vor der (zuerst) gewährten Erziehungshilfe in Vollzeitpflege abgestellt, als T. noch bei seiner Mutter wohnte. Seinerzeit wurde der jugendhilferechtliche Bedarf des T. im Hilfeplan vom 9. Oktober 2003 festgestellt und umfassend beschrieben. Als "Ausgestaltung der Hilfe" im Hilfeplan und anlässlich der Jugendhilfekonferenz vom 14. Oktober 2003 wurde im Einvernehmen mit den Wünschen des beteiligten T. und der Sorgeberechtigten eine Vollzeitpflege ausgewählt, wobei die voraussichtliche Dauer der zu leistenden Hilfe "zunächst" für 2 Jahre vorgesehen wurde. Der hier festgestellte und eine Hilfe gebietende jugendhilferechtliche Bedarf bestand kontinuierlich und qualitativ unverändert fort, wenn auch im weiteren Verlauf verschiedene Einzelmaßnahmen ergriffen worden sind. Insbesondere kann von einer Unterbrechung oder gar einem Abbruch der so verstandenen "zuständigkeitsrechtlichen" Leistung nicht gesprochen werden, als T. in den Haushalt seines Vaters wechselte. Das erschließt sich ohne weiteres unter anderem aus den beiden Aktenvermerken vom 7. November 2003 und 1. Dezember 2003. Hier nimmt der sachbearbeitende Diplom-Sozialpädagoge (FH) S****** zu den Überlegungen Stellung, dass T. in den Haushalt seines Vaters wechseln solle, und hält fest, dass er mit dem Vater wegen der bestehenden Probleme des T. über die Möglichkeit einer Heimunterbringung gesprochen habe. Der Vermerk vom 1. Dezember 2003 endet mit der Feststellung, dem Vater sei dringend angeraten worden, erzieherische Hilfe für seinen Sohn T. in Anspruch zu nehmen. Selbst der Beklagte räumt in der Berufungsbegründung einen fortbestehenden "erzieherischen Bedarf" ein, den der Vater "mit ganz anderen Kompetenzen und Rahmenbedingungen erfüllen" könne, und bestätigt damit, dass der jugendhilferechtliche Erziehungsbedarf seinerzeit nicht in Wegfall geraten war. So fasst das Verwaltungsgericht zutreffend zusammen, dass begleitend zur Unterbringung beim Vater ohnehin von Anfang an angedacht war, bestehende Probleme durch eine Inanspruchnahme ambulanter oder teilstationärer Hilfen zu lösen, die im weiteren dann auch in Anspruch genommen wurden.

1.2.4 Die übrigen Tatbestandsvoraussetzungen für die Kostenerstattung sind ebenfalls erfüllt. Der Anspruch ist zudem nicht nach § 105 Abs. 2 und 3 SGB X eingeschränkt. Der Kläger hat ihn auch innerhalb der Frist des § 111 Satz 1 SGB X geltend gemacht.

1.3 Der Anspruch auf die Prozesszinsen leitet sich aus der entsprechenden Anwendung des § 291 BGB (vgl. BVerwG vom 22.2.2001 BVerwGE 114, 61/66) her; die Höhe des Zinssatzes aus Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EGBGB, § 288 Abs. 1 Satz 2 BGB.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 188 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO.

Von einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung hat der Senat abgesehen, weil er davon ausgeht, dass der Kläger nicht beabsichtigt, seine ohnehin nur in geringer Höhe angefallenen außergerichtlichen Kosten vor Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung zu vollstrecken.

4. Gründe für die Zulassung der Revision gibt es nicht (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Beschluss:

Der Streitwert wird auf 21.824,47 Euro (§ 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

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