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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 30.06.2008
Aktenzeichen: 12 BV 07.3472
Rechtsgebiete: BayKiBiG


Vorschriften:

BayKiBiG Art. 18 Abs. 1
BayKiBiG Art. 19
BayKiBiG Art. 22 Abs. 1
BayKiBiG Art. 23 Abs. 1
BayKiBiG Art. 23 Abs. 4
Eltern können die Förderung eines außerhalb der Gemeinde gelegenen Betreuungsplatzes weder aus Art. 23 Abs. 1 BayKiBiG noch aus Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayKiBiG beanspruchen; anspruchsberechtigt ist allein der Träger der Einrichtung.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

12 BV 07.3472

In der Verwaltungsstreitsache

Wegen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes;

hier: Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 04. Dezember 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Adolph, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Emmert

aufgrund mündlicher Verhandlung vom 18. Juni 2008

am 30. Juni 2008

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. Dezember 2007 wird in Nr. I. wie folgt gefasst:

"Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheids vom 4. Oktober 2006 und des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Würzburg vom 14. Dezember 2006 verpflichtet, festzustellen, dass zwingende persönliche Gründe den Besuch des Kindergartens des Beigeladenen durch das Kind ********* *********** im Kindergartenjahr 2006/2007 im Sinn des Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayKiBiG rechtfertigen."

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

1. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Kläger vom Beklagten die Förderung eines Kindergartenplatzes nach der Gastkinderregelung des Bayerischen Kinderbildungs- und -betreuungsgesetzes (BayKiBiG) beanspruchen können.

Mit Schreiben vom 30. August 2006 beantragte der Beigeladene eine "Finanzierungszusage" und bezog sich insoweit auf die am 15. November 2000 geborenen Tochter der Kläger, die seit dem 1. Dezember 2002 die Einrichtung des Beigeladenen in ******** besucht hatte. Die Kläger führten mit an den Beklagten gerichtetem Schreiben vom 28. September 2006 aus: Ihre Tochter befinde sich im letzten Kindergartenjahr und sei gut in ihre Gruppe integriert. Sie hätten deshalb trotz des Umzugs nach R***** die Kindertagesstätte nicht gewechselt, um ihrer Tochter einen zusätzlichen, für ihre Entwicklung schädlichen Umbruch zu ersparen. Zudem bestehe auf diese Weise die Möglichkeit, dass die Tochter gemeinsam mit ihren Freunden in eine (private) Grundschule eingeschult werde. Der Beklagte lehnte den Antrag mit an den Beigeladenen und die Kläger adressiertem Bescheid vom 4. Oktober 2006 ab. Der Beigeladene legte dagegen keinen Rechtsbehelf ein.

Das Landratsamt Würzburg wies den Widerspruch der Kläger mit Widerspruchsbescheid vom 14. Dezember 2006 zurück. Das Verwaltungsgericht Würzburg hat den Beklagten mit Urteil vom 4. Dezember 2007 unter Aufhebung der Behördenbescheide verpflichtet, den Betreuungsplatz für das Kind der Kläger im Kindergarten des Beigeladenen für das Betreuungsjahr 2006/2007 zu fördern.

Der Senat macht sich die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Tatbestand des angefochtenen Urteils in vollem Umfang zu eigen und nimmt darauf Bezug (§ 130 b Satz 1 VwGO).

2. Der Beklagte hat Berufung eingelegt und trägt zur Begründung vor:

Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, es bestehe ein Anspruch der Kläger nach Art. 23 Abs. 1 BayKiBiG, weil der Beklagte keine Bedarfsplanung im Sinn des Art. 7 Abs. 1 BayKiBiG durchgeführt habe und für die ihm angehörigen Kinder nicht ausreichend Betreuungsplätze vorweisen könne. Der Beklagte habe die für eine Bedarfsplanung erforderlichen Schritte eingehalten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 4. Dezember 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die vom Beklagten durchgeführte Bedarfsplanung sei unzureichend gewesen. Es sei lediglich über die Veränderungen der Kinderbetreuung nach dem Buchungszeitenmodell informiert worden. Die "Wünsche und Anregungen" habe der Beklagte nur in Bezug auf die vorhandenen Einrichtungen erfragt.

3. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die zulässige Berufung ist nur zu einem geringen Teil begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Unrecht verpflichtet, den vom Kind der Kläger belegten Betreuungsplatz im Kindergarten des Beigeladenen für das Kindergartenjahr 2006/2007 zu fördern. Einen darauf gerichteten Anspruch gewährt Art. 23 BayKiBiG den Klägern nicht (dazu 1.1). Die Kläger können aber, insoweit bleibt die Berufung ohne Erfolg, vom Beklagten die Feststellung beanspruchen, dass zwingende persönliche Gründe den Besuch des Kindergartens des Beigeladenen durch das Kind der Kläger im Kindergartenjahr 2006/2007 im Sinn des Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayKiBiG rechtfertigen (dazu 1.2). Hierauf richtet sich das eigentliche Klagebegehren, wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung klargestellt haben (§§ 88, 86 Abs. 3 VwGO).

1.1 Die Kläger können vom Beklagten eine kindbezogene Betriebskostenförderung zugunsten des Beigeladenen weder aus Art. 23 Abs. 1 BayKiBiG noch aus Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayKiBiG beanspruchen.

Das Bayerische Kinderbildungs- und betreuungsgesetz regelt im Abschnitt 1 des 5. Teils die inmitten stehende Betriebskostenförderung. Art. 18 Abs. 1 BayKiBiG bestimmt insoweit, dass freigemeinnützige und sonstige Träger von Kindertageseinrichtungen unter den Voraussetzungen des Art. 19 BayKiBiG und nach Maßgabe von Art. 22 BayKiBiG einen kindbezogenen Förderanspruch gegenüber den Gemeinden haben, in denen die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Sinn des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I haben, wenn sie den vollständigen Förderantrag bis 30. April des auf den Bewilligungszeitraums folgenden Jahres stellen. Schon der Wortlaut dieser Bestimmung lässt keine Zweifel daran, dass damit allein die Träger von Betreuungseinrichtungen abschließend als Anspruchsberechtigte benannt sind. Ebenso verdeutlicht der systematische Zusammenhang, den die Vorschrift durch die Verweisung auf Art. 19 und 22 BayKiBiG herstellt, dass es allein den Trägern obliegt, darüber zu entscheiden, ob sie eine gemeindliche Förderung in Anspruch nehmen und gegebenenfalls eine entsprechenden Antrag bei der Gemeinde stellen wollen. Denn Art. 19 BayKiBiG regelt die Voraussetzungen für einen Förderanspruch ausschließlich trägerbezogen. Art. 22 Abs. 1 BayKiBiG spricht nur von einem Förderanspruch des Trägers gegen die Gemeinde und begrenzt diesen Anspruch auf Kinder, die einen Platz belegen, der nach Art. 7 Abs. 2 BayKiBiG von der Gemeinde als bedarfsnotwendig bestimmt oder anerkannt wurde, oder für die die Gemeinde nach Maßgabe von Art. 23 BayKiBiG zur Förderung verpflichtet ist. Damit wird zugleich deutlich, dass Art. 23 BayKiBiG nach dem Willen des Gesetzgebers nicht den Kreis der Anspruchsberechtigten erweitern soll, sondern lediglich den Umfang des dem Träger zustehenden Förderanspruchs bestimmt. Dementsprechend bezieht sich das den Eltern in Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayKiBiG eingeräumte Antragsrecht lediglich auf die Klärung der für den Umfang der Förderung bedeutsamen Frage, ob zwingende persönliche Gründe die Wahl eines konkreten, außerhalb der Gemeinde gelegenen Betreuungsplatzes rechtfertigen (vgl. auch Jung/Lehner, Bayerisches Kinderbildungs- und Betreuungsgesetz, 1. Aufl. 2007, RdNr. 177 zu Art. 23).

Vor diesem Hintergrund kann die Anspruchsberechtigung entgegen der Ansicht des Beigeladenen nicht unter Hinweis darauf zugunsten der Eltern erweitert werden, die Gastkinderregelung (Art. 23 BayKiBiG) diene auch ihren Interessen. Gegenteiliges ergibt sich zugunsten der Kläger auch nicht mit Blick auf die Regelung des § 24 SGB VIII und das Wunsch- und Wahlrecht der Eltern (§ 5 Abs. 1 SGB VIII). Unabhängig davon, dass nach der bundesrechtlichen Bestimmung des § 24 Abs. 1 SGB VIII ein Kind lediglich vom vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt Anspruch auf den Besuch einer Tageseinrichtung hat, folgt daraus kein Anspruch des Kindes oder der Eltern auf Förderung eines (bestimmten) Betreuungsplatzes. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Eltern auch nicht berechtigt sind, den Anspruch des Trägers auf Förderung seiner Betriebskosten in eigenem Namen geltend zu machen. Für eine gesetzliche Prozessstandschaft bieten die Bestimmungen der Art. 18 ff BayKiBiG keinen Anhalt.

Im Ergebnis ist damit allein der Beigeladene berechtigt, eine Betriebskostenförderung von dem Beklagten zu beanspruchen. Insoweit hätte der Beigeladene bereits vor Abschluss eines Betreuungsvertrages mit den Klägern bei der Beklagten beantragen können, über eine Förderverpflichtung dem Grunde nach zu entscheiden. Auf diese Weise kann der Träger einer Einrichtung bereits vor der Entscheidung über die Aufnahme eines Kindes Klarheit über die Finanzierung erlangen (vgl. Jung/Lehner, a.a.O., RdNr. 60 zu Art. 7).

1.2. Die Berufung bleibt insoweit ohne Erfolg, als der Klageantrag auch das Begehren umfasst, den Beklagten zu der Feststellung zu verpflichten, dass zwingende persönliche Gründe den Besuch des Kindergartens des Beigeladenen durch das Kind der Kläger im Kindergartenjahr 2006/2007 im Sinn des Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayKiBiG rechtfertigen.

Nach der Härtefallregelung des Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayKiBiG kann die Aufenthaltsgemeinde in Ausnahmefällen auf Antrag der Eltern einen Betreuungsplatz außerhalb der Gemeinde fördern, wenn zwingende persönliche Gründe, die insbesondere die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit betreffen, die Wahl des Betreuungsplatzes rechtfertigen. Gründe in der Person der Eltern oder des Kindes sind zwingend im Sinn dieser Vorschrift, wenn sie etwa die Annahme eines von der Gemeinde nach Art. 7 Abs. 2 BayKiBiG als bedarfsnotwendig bestimmten oder anerkannten Platzes unmöglich oder unzumutbar machen (vgl. Bauer/Hundmeyer/Groner/Mehler/Obermeier-van Deun, Kindertagesbetreuung in Bayern, Stand: März 2008, RdNr. 5.1 zu Art. 23; Jung/Lehner, a.a.O., RdNr. 176 zu Art. 23). Solche zwingenden persönlichen Gründe bestanden, denn die Kläger haben unwidersprochen dargelegt, ihre Tochter habe die Kindertagesstätte des Beigeladenen seit November 2002 und damit seit nahezu vier Jahren besucht. In dieser Zeit habe sich die Tochter gut in ihre Gruppe eingelebt und feste Freundschaften geschlossen. Es sei deshalb für die Entwicklung ihrer Tochter schädlich, wenn sie im letzten Kindergartenjahr vor der Einschulung die Betreuungseinrichtung wechseln müsste.

Damit ist im konkreten Fall ein Härtefall hinreichend dargetan, auch wenn die von den Klägern angeführten Gründe nicht die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit betreffen. Art. 23 Abs. 4 Satz 1 BayKiBiG ist insoweit nur beispielhaft und schließt andere (zwingende) Gründe für die Wahl eines außerhalb der Gemeinde gelegenen Betreuungsplatzes nicht aus. Der Tochter der Kläger war es nicht zumutbar, vom Kindergarten des Beigeladenen in eine Betreuungseinrichtung im Gebiet des Beklagten zu wechseln. Sie hatte diesen Kindergarten bis zum Beginn des Kindergartenjahres 2006/2007 bereits seit nahezu vier Jahren besucht und wäre in dem für eine erfolgreiche Einschulung besonders bedeutsamen letzten Kindergartenjahr aus ihrer gewohnten Umgebung herausgerissen worden. Eine hinreichende Eingewöhnung in einen neuen Kindergarten wäre mit Blick auf die bevorstehende Einschulung kaum zu erwarten gewesen. Ein Verbleib der Tochter der Beklagten im Kindergarten des Beigeladenen war deshalb in dieser Phase der kindlichen Entwicklung zum Wohl des Kindes geboten.

2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 Satz 3, § 188 Satz 2 VwGO. Wie die o. a. Auslegung des Klageantrags ergibt, unterliegen die Kläger nur zu einem geringen Teil. Der Beigeladene hat keinen Antrag gestellt (§ 154 Abs. 3 VwGO).

3. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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