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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.01.2003
Aktenzeichen: 12 CE 02.3048
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, SGB X, BSHG, SGB III


Vorschriften:

VwGO § 123
VwGO § 146 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 4
VwGO § 147 Abs. 1
ZPO § 920 Abs. 2
SGB X § 23 Abs. 1 Satz 2
BSHG § 2 Abs. 1
BSHG § 76 Abs. 1
SGB III § 337 Abs. 2
SGB III § 337 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

12 CE 02.3048

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Sozialhilfe

(Antrag nach § 123 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. November 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 12. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Werner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Traxler, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Boese

ohne mündliche Verhandlung am 22. Januar 2003

folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 14. November 2002 wird der Antrag des Antragstellers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

II. Der Antragsteller trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe:

I.

Die Antragsgegnerin wendet sich gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem sie durch einstweilige Anordnung verpflichtet wurde, dem Antragsteller für November 2002 weitere Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 455 Euro mit der Maßgabe zu gewähren, dass sie berechtigt ist, die Hilfe darlehensweise zu gewähren.

1. Der Antragsteller bezog vor dem 13. Mai 2002 Arbeitslosenhilfe und von der Antragsgegnerin ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt. In dem Zeitraum vom 13. Mai 2002 bis 11. Oktober 2002 erhielt er vom Arbeitsamt Übergangsgeld, das seinen sozialhilferechtlichen Bedarf überstieg. Seit dem 15. Oktober 2002 erhält der Antragsteller Arbeitslosenhilfe in Höhe von 455 Euro monatlich. Die Antragsgegnerin gewährte dem Antragsteller für Oktober 2002 Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Berücksichtigung von Einkommen, beanspruchte aber Erstattung der Ende Oktober für diesen Monat fälligen Arbeitslosenhilfe. Sie gewährte dem Antragsteller Hilfe zum Lebensunterhalt für den Monat November 2002 in Höhe von 77,27 Euro. Dabei stellte sie den sozialhilferechtlichen Bedarf des Antragstellers für diesen Zeitraum mit 532,27 Euro fest. Als Einkommen im Monat November 2002 setzte sie 455 Euro Arbeitslosenhilfe an.

2. Der Antragsteller beantragte am 5. November 2002 beim Verwaltungsgericht den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Ziel, die Antragsgegnerin zu verpflichten, für November 2002 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe des Bedarfs (insgesamt 532,27 Euro) zu gewähren. Er sei völlig mittellos, weil er die Arbeitslosenhilfe für den Monat November erst zu Ende dieses Monats erhalte. Abschlagszahlungen des Arbeitsamtes auf die Arbeitslosenhilfe vor Ende des Monats würden nur zu einer ständigen Verschiebung seiner Probleme führen.

3. Das Verwaltungsgericht führt in dem stattgebenden Beschluss vom 14. November 2002 aus, der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller sei zwar an und für sich in dem Bedarfszeitraum "November 2002" nicht weiter hilfebedürftig, weil ihm in diesem Zeitraum die Arbeitslosenhilfe zufließe. Diese sei daher als Einkommen zu berücksichtigen. Jedoch sei zu beachten, dass der Antragsteller die monatliche Arbeitshilfe nach § 337 Abs. 2 SGB III erst nachträglich - am Ende des jeweiligen Monats - erhalte. Der sozialhilferechtlich zu berücksichtigende Bedarf bestehe jedoch vom ersten Tage des Monats an. Der Antragsteller habe zu Beginn des Monats November 2002 auch nicht über Ersparnisse zur Überbrückung dieses Monats verfügt. Bis Ende des Monats November 2002 sei daher eine Notlage gegeben. Die Antragsgegnerin könne den Antragsteller nicht auf Abschlagszahlungen des Arbeitsamtes nach § 337 Abs. 4 SGB III verweisen. Es sei dem Antragsteller nicht zuzumuten, mit solchen Abschlagszahlungen seine Notlage zu beheben, weil sich dann seine Notlage jeweils von einem Monat auf den nächsten Monat verlagern würde. Er müsste jeden Monat Abschlagszahlungen des Arbeitsamtes auf seine Arbeitslosenhilfe in Anspruch nehmen. Jedoch sei zu erwarten, dass das Arbeitsamt die laufende Gewährung von Abschlagszahlungen wegen des hohen Verwaltungsaufwandes ablehne. Der Antragsteller könne die Hilfe jedoch nicht als (verlorenen) Zuschuss, sondern gemäß § 15 b BSHG nur als Darlehen beanspruchen.

4. Die Antragsgegnerin beantragt mit ihrer Beschwerde,

den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 14. November 2002 aufzuheben und den Antrag des Antragstellers abzulehnen.

Zur Begründung trägt sie vor, der Antragsteller habe insbesondere einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Es sei ihm zuzumuten, Abschlagszahlungen der Arbeitsverwaltung auf die Arbeitslosenhilfe auch wiederholt in Anspruch zu nehmen. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es sei zu gewährleisten, dass der Antragsteller die ihm am Ende jeden Monats für diesen Monat zufließende Arbeitslosenhilfe in dem darauf folgenden Monat zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes zur Verfügung haben müsse, verkenne, dass die Ende des Monats zufließende Arbeitslosenhilfe im darauf folgenden Monat sozialhilferechtlich kein Einkommen, sondern Vermögen des Antragstellers sei. Als Vermögen habe der Antragsteller die Arbeitslosenhilfe wegen der maßgebenden Vermögensfreibeträge nicht einzusetzen. Das würde bedeuten, dass Monat für Monat (darlehensweise) Sozialhilfe zu leisten wäre, die dann vom Antragsteller zum Ende des Monats bei Erhalt der Arbeitslosenhilfe zu erstatten wäre. Deshalb müsse der Antragsteller das Arbeitsamt als vorrangig zuständigen Sozialleistungsträger fortlaufend auf Abschlagszahlungen in Anspruch nehmen. Der vom Verwaltungsgericht genannte Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Niedersachsen vom 21. Dezember 1999 (FEVS 51, 515) stehe dem nicht entgegen, weil er sich mit der Möglichkeit der Abschlagszahlungen nicht befasse. Das Verwaltungsgericht Augsburg sehe selbst in seinem allerdings von einer anderen Kammer erlassenen Beschluss vom 4. Mai 2000, Az. Au 3 E 00.435, in Fällen vorliegender Art die Verweisung auf die Abschlagszahlungen des Arbeitsamtes als zumutbar an.

Der Antragsteller hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

5. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf weitere Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von 455 Euro für den Monat November 2002 nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO, § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X).

1. Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1, 4, § 147 Abs. 1 VwGO). Insbesondere fehlt es ihr nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Der angefochtene Beschluss des Verwaltungsgerichts ist alleiniger Rechtsgrund der von der Antragsgegnerin geleisteten Zahlung und bei seiner Aufhebung im Beschwerdeverfahren hat der Antragsteller die rechtsgrundlos erhaltene Leistung zu ersetzen. Wird dagegen der angefochtene Beschluss im Beschwerdeverfahren bestätigt, dann darf der Antragsteller die erhaltene Leistung vorbehaltlich einer entgegenstehenden Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren behalten (vgl. zu alledem Beschlüsse des Senats vom 13.12.1993 NVwZ-RR 1994, 399 und vom 11.1.1994 BayVBl 1995, 116; Linhart, apf 1993, 61/63).

2. Die Beschwerde ist begründet, weil der Antragsteller im streitgegenständlichen Bedarfszeitraum November 2002 wegen der in diesem Zeitraum erhaltenen Arbeitslosenhilfe nicht hilfebedürftig war; es ist nicht überwiegend wahrscheinlich (§ 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X), dass sein Einkommen keine "bereiten" Mittel zur Bedarfsdeckung waren.

Das Verwaltungsgericht geht zutreffend davon aus, dass die dem Antragsteller Ende des Monats November 2002 gewährte Arbeitslosenhilfe Einkommen im Sinne von § 76 Abs. 1 BSHG für den Bedarfszeitraum November 2002 ist (sog. "Zuflusstheorie", vgl. dazu BVerwG vom 18.2.1999 BVerwGE 108, 296 = NJW 1999, 3649 = BayVBl 1999, 693 = FEVS 51, 1 = NDV-RD 1999, 91; BVerwG vom 19.2.2001 DVBl 2001, 1065 = BayVBl 2001, 728; BayVGH vom 14.3.2000 Az. 12 CE 98.2120). Zu Unrecht nimmt das VG aber (ebenso NdsOVG vom 21.12.1999 FEVS 51, 515) an, dass dieses Einkommen deshalb nicht zu berücksichtigen sei, weil der Antragsteller die Arbeitslosenhilfe erst zum Monatsende ausbezahlt erhalte. Es trifft zwar zu, dass die Sozialhilfeträger auch zu beachten haben, dass nur "bereite", also rechtzeitig verfügbare, Mittel zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden können. Nur die Einkünfte, die in der Zeit des Bedarfs tatsächlich für die Bedarfsdeckung zur Verfügung stehen, sind zu berücksichtigendes Einkommen nach § 76 Abs. 1 BSHG (vgl. BVerwG vom 18.2.1999 a.a.O.; Rühl in LPK-BSHG, 5. Aufl. 1998, RdNrn. 12 ff. zu § 76). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es ungeachtet dessen, dass Sozialhilfe nicht erhält, wer sich selbst helfen kann (Nachrang der Sozialhilfe - § 2 Abs. 1 BSHG), für die Gewährung von Sozialhilfe auf die tatsächliche Lage des Hilfesuchenden an. Steht das errechnete anrechenbare Einkommen zur Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts nicht zur Verfügung und fehlt es somit an bereiten Mitteln, liegt Hilfebedürftigkeit vor (BVerwG vom 15.12.1977 BVerwGE 55, 148/152). Der Antragsteller hat aber gerade nicht glaubhaft gemacht, oder mit anderen Worten, es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Arbeitslosenhilfe nicht auch zu Beginn und zur Mitte des Monats November 2002 ein für die Bedarfsdeckung bereites Mittel war. Vielmehr hat der Antragsteller selbst eingeräumt, dass das Arbeitsamt sich bereit erklärt habe, gemäß § 337 Abs. 4 SGB III zur Vermeidung unbilliger Härten angemessene Abschlagszahlungen vorweg zu leisten und nicht die gesamte Arbeitslosenhilfe gemäß § 337 Abs. 2 SGB III als laufende Geldleistung erst nachträglich zu Ende des Monats auszubezahlen. Der Antragsteller hätte sich daher ohne weiteres selbst helfen können und hat daher auf die geltend gemachte Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 2 Abs. 1 BSHG keinen Anspruch. Das gilt jedenfalls für den hier streitgegenständlichen Bedarfszeitraum November 2002. Bereits deshalb geht die Argumentation des Verwaltungsgerichts fehl, dass nämlich eine fortdauernde Inanspruchnahme von monatlichen Abschlagszahlungen nach § 337 Abs. 4 SGB III nicht zu erwarten und deshalb die Inanspruchnahme solcher Abschlagszahlungen dem Antragsteller generell unzumutbar sei. Im Übrigen hätte der Antragsteller nicht nur im November 2002, sondern auch in den darauf folgenden Monaten, um dem Selbsthilfegebot des § 2 Abs. 1 BSHG zu genügen, die vorrangigen Mittel der Arbeitslosenhilfe in Form der Abschlagszahlungen geltend machen müssen, bevor er die nachrangigen Mittel der Sozialhilfe beansprucht. Der Antragsteller hätte Sozialhilfe erst dann beanspruchen können, wenn ihm das Arbeitsamt Abschlagszahlungen verweigert und ihm deshalb die Arbeitslosenhilfe (oder sonstiges Einkommen) zur Bedarfsdeckung tatsächlich nicht zur Verfügung gestanden hätte. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts war schließlich auch durchaus zu erwarten, dass der Antragsteller nicht nur im November 2002, sondern auch in den Folgemonaten Abschlagszahlungen auf die Arbeitslosenhilfe hätte erhalten können. Der Entscheidung des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 8. März 1999 (Az. L 13 AL 2002, 198, juris Nr. KSRE 0008410013), auf die das Verwaltungsgericht seine Auffassung stützt, liegt ein anders gearteter Sachverhalt zu Grunde (die akute Notlage des arbeitslosen Hilfeberechtigten war durch den Verlust des Geldbeutels entstanden). Außerdem dürfte § 337 Abs. 4 SGB III dahin zu verstehen sein, dass der Berechtigte grundsätzlich nicht gezwungen sein soll, wegen der Fälligkeitsregelung in § 337 Abs. 2 SGB III Sozialhilfe in Anspruch nehmen zu müssen (so Gagel in Gagel, SGB III, Stand: 1. Oktober 2002, RdNr. 12 zu § 337). Es darf auch nicht übersehen werden, dass das Arbeitsamt die Abschlagszahlungen auf einen dem Grunde und der Höhe nach bestehenden Anspruch des Berechtigten auf Arbeitslosenhilfe leistet. Bei alldem ist auch zu berücksichtigen, dass der Grundsatz des Nachranges der Sozialhilfe (§ 2 Abs. 1 BSHG) auch für das Arbeitsamt gilt, das, wie hier, vorrangige Sozialleistungen zu erbringen hat. Schließlich weist Gagel (a.a.O., RdNr. 14) zu Recht darauf hin, dass der Zweck der Arbeitslosenhilfe nicht durch eine zu große Zurückhaltung bei Abschlagszahlungen gefährdet werden darf. Dieser Zweck wird in aller Regel nicht gefährdet sein, weil der Berechtigte im ersten Monat des Bezugs von Arbeitslosenhilfe meist noch Mittel aus dem Bezug von Arbeitslosengeld zur Verfügung hat. Vorliegend hatte der Antragsteller jedoch, wie das Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss ausgeführt hat, ersichtlich keine Mittel zur Überbrückung des Monats November 2002 aus bis dahin erzieltem Einkommen zur Verfügung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

4. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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