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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.07.2003
Aktenzeichen: 15 ZB 02.1223
Rechtsgebiete: VwGO, BauGB, BayBO


Vorschriften:

VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1
BauGB § 35 Abs. 1 Nr. 1
BayBO Art.
BayBO Art. 70 Abs. 1 Satz 1
Eine Abweichung von nachbarschützenden Vorschriften des Abstandsflächenrechts verletzt den Nachbarn nur dann in eigenen Rechten, wenn sie entgegen den Voraussetzungen des Art. 70 Abs. 1 BayBO oder ermessensfehlerhaft zugelassen wird.
15 ZB 02.1223

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Erteilung eines Vorbescheids an die Beigeladenen;

hier: Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. April 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 15. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Happ, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Ganzer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Wünschmann

ohne mündliche Verhandlung am 22. Juli 2003

folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Antragsteller hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.112,92 Euro festgesetzt.

Gründe:

1. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; das Vorbringen des Klägers zielt der Sache nach auf diesen Zulassungsgrund) bestehen nicht. Ob solche Zweifel bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger zur Begründung seines Zulassungsantrags innerhalb offener Frist hat darlegen lassen (§ 124 a Abs. 5 Satz 2 VwGO; vgl. Eyermann/Happ, VwGO, 11. Aufl. 2000, RdNr. 17 zu § 124 a).

a) Der Kläger wendet ein, die rechtlichen Voraussetzungen einer Abweichung seien fehlinterpretiert worden. Die Behörden seien ermessensfehlerhaft von einem landwirtschaftlichen Betrieb der Beigeladenen ausgegangen und hätten die Besonderheiten des konkreten Falles unbeachtet gelassen. Das begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils.

aa) Für die Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung hat es keine Bedeutung, ob die Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften (Art. 6 Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 BayBO) rechtswidrig ist, weil das Vorhaben der Beigeladenen möglicherweise nicht den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB entspricht. Es mag sein, dass aus diesem Grund von vornherein kein Raum für die Zulassung einer Abweichung bestand. Das Verwaltungsgericht hatte aber nicht zu prüfen, ob der angefochtene Bescheid objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr kam es allein darauf an, ob der Bescheid den Kläger in durch das Abstandsflächenrecht geschützten Nachbarrechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ist nur dann der Fall, wenn die Abweichung entgegen den Voraussetzungen des Art. 70 Abs. 1 BayBO oder ermessensfehlerhaft zugelassen wird (vgl. hierzu Schwarzer/König, BayBO, 3. Aufl. 2000, RdNr. 10 zu Art. 70). In diesem Zusammenhang spielt die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ebenfalls keine Rolle (hierzu bb) am Ende).

bb) Nach Art. 70 Abs. 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde eine Abweichung von bauaufsichtlichen Anforderungen der Bayerischen Bauordnung zulassen, wenn die Abweichung unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderungen und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. An der Annahme des Verwaltungsgerichts, die zu Gunsten der Beigeladenen zugelassene Abweichung erfülle diese Voraussetzungen, bestehen keine ernstlichen Zweifel.

Die Abstandsflächenvorschriften sollen vor allem - auch bezogen auf die Nachbargrundstücke - für eine ausreichende Belichtung und Belüftung sorgen und die für notwendige Nebenanlagen erforderlichen Flächen freihalten. Das wird in vollem Umfang nur erreicht, wenn die Abstandsflächen eingehalten werden. Von den Anforderungen des Abstandsflächenrechts kann deshalb nur dann abgewichen werden, wenn sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die Einbuße an Belichtung, Belüftung und Freiflächen im konkreten Fall vertretbar ist (vgl. BayVGH vom 14.12.1994 VGH n.F. 48, 24). Solche Gründe bestehen. Bereits das vorhandene Nebengebäude unterschreitet (teilweise) die zum Grundstück FlNr. 388 einzuhaltende Abstandsfläche. Das Vorhaben der Beigeladenen lässt diese Situation im Wesentlichen unberührt. Das Nebengebäude bleibt im äußeren Bestand baulich unverändert. Lediglich dessen Nutzung soll sich ändern (künftig EG: Pferdestall und OG: Ferienwohnungen). Für die neuen Nutzungen ergeben sich auch hinsichtlich der Ferienwohnungen bezogen auf den Schutzzweck des Abstandsflächenrechts keine wesentlich anderen Anforderungen als bisher. Denn es handelt sich hierbei mangels Dauerhaftigkeit des Wohnens nicht um eine Wohnnutzung (vgl. hierzu Stock in König, Roeser/Stock, BauNVO, RdNr. 17 zu § 3), die an die Belichtung und Belüftung besondere Anforderungen stellen würde (vgl. Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO, RdNr. 25 d zu Art. 70). Damit erübrigt sich die Frage, ob sich der Nachbar auch dann auf eine fehlerhafte Anwendung des Art. 70 Abs. 1 Satz 1 BayBO berufen kann, wenn diese lediglich zu Lasten des Bauherrn geht.

Nachbarliche Interessen des Klägers stehen einer Abweichung nicht entgegen. Bereits bisher musste der Kläger mit einer Unterschreitung der Abstandsfläche leben. Irgendwelche hierdurch hervorgerufene Beeinträchtigungen hat er weder vorgetragen noch sind sie erkennbar. Das betroffene Grundstück des Klägers liegt im Außenbereich und wird nur landwirtschaftlich genutzt. Eine Veränderung dieser bauplanungsrechtlichen Situation zeichnet sich nicht ab (vgl. hierzu Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO, RdNr. 29 c zu Art. 70). Auch öffentliche Belange, die über die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange hinausgehen und einer Abweichung entgegenstehen könnten, bestehen nicht. Eine eventuelle bauplanungsrechtliche Unzulässigkeit des Vorhabens wäre kein bei der konkreten Abweichungsentscheidung zu berücksichtigender öffentlicher Belang. Der Kreis dieser Belange wird durch den Regelungsgegenstand des Art. 70 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingegrenzt. Die mit § 35 Abs. 1 BauGB verfolgten bauplanungsrechtlichen Ziele (grundsätzliche Zuweisung bestimmter Vorhaben an den Außenbereich) stehen in keinem Zusammenhang mit dem Regelungszweck des Art. 70 Abs. 1 Satz 1 BayBO und bleiben daher in diesem Kontext unberücksichtigt.

cc) Das Landratsamt und die Regierung haben die gesetzlichen Grenzen des durch Art. 70 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingeräumten Ermessens beachtet und von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht, ohne dass es auf die in den angefochtenen Bescheiden wiedergegebenen Ermessenserwägungen im Einzelnen ankommt. Das durch Art. 70 Abs. 1 Satz 1 BayBO eingeräumte Ermessen ist ein tatbestandlich intendiertes Ermessen. Sind die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Abweichung gegeben, ist sie zuzulassen, es sei denn besondere Umstände stünden dem entgegen. Denn bereits auf der Tatbestandsseite des Art. 70 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist eine Abwägung vorzunehmen, die jeweils die vorgesehene Abweichung zu den genannten Einzelaspekten in Beziehung setzt und die betroffenen Belange untereinander koordiniert (vgl. Jäde, a.a.O., RdNr. 17 zu Art. 70). Solche besonderen Umstände, die einer Abweichung entgegenstehen könnten, sind im Zulassungsantrag nicht benannt.

b) Die weiteren Einwendungen sind ebenfalls nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils darzutun.

aa) Der Kläger meint, das Vorhaben der Beigeladenen beeinträchtige ihn in "seinem Recht auf ordnungsgemäßer Ausübung seines landwirtschaftlichen Berufs". Das Verwaltungsgericht hat sich mit dem vom Kläger angesprochenen Konflikt auseinandergesetzt. Es kommt zu dem Ergebnis, dass das Vorhaben der Beigeladenen durch den landwirtschaftlichen Betrieb des Klägers keinen schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt sein wird. Dabei hat sich das Verwaltungsgericht nicht, wie vom Kläger behauptet, an der VDI-Richtlinie 3471 orientiert. Vielmehr hat es seiner Beurteilung das Arbeitspapier des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft e.V. zugrunde gelegt. Mit dieser Beurteilung setzt sich der Zulassungsantrag entgegen § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht auseinander.

bb) Mit den übrigen Einwendungen wiederholt der Kläger letztlich nur sein erstinstanzliches Vorbringen, mit dem sich das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen auseinandergesetzt hat. Das genügt nicht, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils darzulegen.

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Kostenentscheidung zu Gunsten der Beigeladenen nach § 162 Abs. 3 VwGO war nicht veranlasst.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Ende der Entscheidung

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