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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.10.2009
Aktenzeichen: 19 C 09.2395
Rechtsgebiete: VwGO, VV-RVG, RA/NotModG, RVG


Vorschriften:

VwGO § 146 Abs. 1
VwGO § 146 Abs. 3
VwGO § 147 Abs. 1
VwGO § 148 Abs. 1
VwGO § 162 Abs. 2
VV-RVG Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4
RA/NotModG Art. 7 Abs. 4 Nr. 3
RVG n.F. § 15 a Abs. 1
RVG n.F. § 15 a Abs. 2
RVG n.F. § 60 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

19 C 09.2395

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Kostenrechts (Anrechnung Geschäftsgebühr auf Verfahrensgebühr)

hier: Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 27. August 2009,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 19. Senat, durch

den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Krodel, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Herrmann, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Mayer

ohne mündliche Verhandlung am 21. Oktober 2009

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Der Streitwert wird auf 315,90 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

1. Der Klägerbevollmächtigte hat nach Beendigung eines Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht durch Hauptsacheerledigung Kostenfestsetzung - unter Ansatz einer Verfahrensgebühr i.h.v. 1,3 aus einem Streitwert von 10.000,-- Euro - auf insgesamt 842,88 Euro beantragt.

Eine Anhörung zur Höhe einer unstreitig angefallenen Geschäftsgebühr blieb insoweit unbeantwortet.

Mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. Oktober 2007 hat die Urkundsbeamtin des Verwaltungsgerichts die dem Kläger zu erstattenden Verfahrensgebühren - unter Abzug von 0,65 Geschäftsgebühr - um 315,90 Euro gekürzt. Zur Begründung wurde im Wesentlichen die Rechtsprechung zur Frage einer Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren gewürdigt. Zudem wurde die Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten gekürzt.

2. Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. Oktober 2007 beantragt der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 5. November 2007 die Entscheidung des Gerichts. Zur Begründung wurde vorgetragen, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr im Erstattungsverhältnis nicht erfolge; es solle eine oberstgerichtliche Klärung herbeigeführt werden.

Die Kostenbeamtin hat der Erinnerung nicht abgeholfen.

Mit Beschluss vom 27. August 2009, dem Bevollmächtigten zugegangen am 11. September 2009 hat das Verwaltungsgericht die Erinnerung zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem Wortlaut des Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV-RVG sei die Hälfte der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Dies entspreche ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und auch das Bundesverwaltungsgericht habe mit Beschluss vom 22. Juli 2009 eine Anrechnung im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren bejaht. Die zwischenzeitliche Änderung der Rechtslage durch Einführung des § 15 a RVG sei ohne Einfluss, da nach der Übergangsvorschrift des § 60 RVG in Altfällen nach bisherigem Recht zu entscheiden sei. Die inhaltliche Bestimmung des Begriffs der Anrechnung stelle eine Gesetzesänderung dar.

3. Dagegen hat der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 17. September 2009 Beschwerde eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen geltend gemacht: Mit der Neufassung des § 15 a RVG habe der Gesetzgeber die durch die Rechtsprechung des BGH entstandenen Irritationen klarstellend beseitigen und nicht die Rechtslage neu regeln wollen; hierauf weise auch die Gesetzesbegründung hin.

Mit Schriftsatz vom 28. September 2009 hat er ergänzend auf eine Entscheidung des BGH vom 2. September 2009 hingewiesen, wonach § 15 a RVG als klarstellende Gesetzesanpassung auch auf Altfälle anwendbar sei. Darüber hinaus betreffe § 60 RVG Gebührentatbestände und nicht Kostenerstattungsfragen.

Die Beklagte hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Die Landesanwaltschaft Bayern hat sich am Verfahren beteiligt und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, sowie zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen: Bei § 15 a RVG handle es sich um eine Gesetzesänderung im Sinne § 60 RVG. Von einer Klarstellung sei in der Gesetzesbegründung nicht die Rede. Mangels einer gesonderten Regelung verbleibe es bei der allgemeinen Überleitungsvorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG, wonach die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen sei.

II.

1. Die fristgerecht eingelegte Beschwerde (§ 147 Abs. 1 VwGO) ist auch sonst statthaft (§ 146 Abs. 1, 3 VwGO); das Verwaltungsgericht hat ihr nicht abgeholfen (§ 148 Abs. 1 VwGO).

Sie erweist sich jedoch als unbegründet, da das Verwaltungsgericht die Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. Oktober 2007 zu Recht zurückgewiesen hat:

1.1 Gemäß Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 des Vergütungsverzeichnisses des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (VV-RVG) wird, soweit wegen desselben Gegenstandes eine Geschäftsgebühr (nach den Nrn. 2300 bis 2303) entsteht, diese Gebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz vom 0,75 auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet. Die Frage der Anwendung dieser Anrechnungsregelung, nämlich ob sie auf das Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Auftraggeber beschränkt sei oder ob sie auch im Verhältnis zwischen den Prozessbeteiligten gelte und deshalb bei der Festsetzung der zu erstattenden Kosten zu berücksichtigen sei, ist bis zuletzt kontrovers gesehen und entschieden worden; hierzu wird auf die umfassende Aufstellung der Rechtsprechung in Anhang zum streitbefangenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 24. Oktober 2007 Bezug genommen.

Der Senat hatte zunächst die Auffassung vertreten, dass eine im Verwaltungsverfahren entstandene Geschäftsgebühr bei der Festsetzung der zu erstattenden Kosten anzusetzen sei, da ein unterlegener Prozessgegner nicht mehr Verfahrenskosten auszugleichen habe, als dem Erstattungsberechtigten entstanden sind (vgl. B. v. 6.3.2006 - 19 C 06.268, v. 31.3.2006 - 19 C 06.851 und v. 18.8.2006 - 19 C 06.872). Im Hinblick auf die Beschränkung des im verwaltungsgerichtlichen Verfahren als Rechtsgrundlage für die Kostenerstattung dienenden § 162 Abs. 1 VwGO auf die im gerichtlichen Verfahren anfallenden Kosten hat der Senat dann seine Rechtsauffassung aufgegeben (vgl. B. v. 7.12.2006 - 19 C 06.2279 und v. 7.3.2007 - 19 C 06.2591). Auch einige weitere Senat des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs sowie Senate des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg und des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen haben diese Ansicht vertreten.

1.2 Eine Zäsur ist durch die Entscheidung des BVerwG vom 22. Juli 2009 - 9 KSt. 4.08 eingetreten. Dieser hat - wenn auch spät (das RA/NotModG, mit dessen Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 der § 15 a RVG zur Regelung von Anrechnungen eingeführt wurde, stammt vom 30.7.2009) - für das verwaltungsprozessuale Verfahren entschieden, dass eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG, die in einem vorangegangenen Verfahren vor der Verwaltungsbehörde angefallen ist, nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV-RVG auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Anrechnungsregelung gelte zwar in erster Linie im Verhältnis zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Auftraggeber. Da § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO jedoch die gesetzlichen Gebühren für erstattungsfähig erkläre, werde für das Kostenfestsetzungsverfahren unmittelbar an die gebührenrechtlichen Bestimmungen des RVG und damit an dessen Anrechnungsregelung angeknüpft. Da diese Anknüpfung nach dem klaren Gesetzeswortlaut keinen Einschränkungen unterliege, entstehe die Verfahrensgebühr nur in einer nach Maßgabe der Anrechnung verminderten Höhe.

Damit liegt für den verwaltungsgerichtlichen Bereich eine - vom Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 5. November 2007 an das Verwaltungsgericht begehrte - höchstgerichtliche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vor. Der Senat sieht keine Veranlassung von der Rechtsprechung des im Instanzenzug übergeordneten Gerichts abzuweichen, noch dazu, als es sich um auslaufendes Recht handelt und eine andere Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu nicht mehr zu erwarten ist.

1.3 Durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 RA/NotModG vom 30. Juli 2009 (BGBl I 2009, 2449 ff.) wurde mit Gültigkeit ab 5. August 2009 § 15 a RVG eingeführt, der in Absatz 1 eine Anrechnungsregelung im Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandantin und in Absatz 2 eine Regelung trifft, wann sich ein Dritter (Prozessgegner) auch auf die Anrechnung berufen kann. Die Neuregelung ist nach Ansicht des Senats jedoch nicht auf Altfälle, also bereits vor Inkrafttreten des § 15 a RVG entstandene Erstattungsansprüche, anwendbar. Mit dieser Norm wurde nämlich der im Gesetz bisher nicht definierte Begriff der Anrechnung erstmals inhaltlich bestimmt und eine Differenzierung nicht nur hinsichtlich des prozessualen Innenverhältnisses (§ 15 a Abs. 1 RVG) und des Außenverhältnisses, sondern auch noch innerhalb des Außenverhältnisses selbst getroffen (§ 15 a Abs. 2 RVG), nämlich unter welchen Umständen sich ein Dritter auf eine Anrechnung berufen kann oder nicht. Insbesondere wird dort geregelt, dass ein Dritter nicht mehr zu erstatten hat als ein Rechtsanwalt gegenüber seinem Mandanten fordern kann (vgl. BT-Drucksache 16/12717 zu Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 RA/NotModG). Diese Neuregelung stellt nach Überzeugung des Senats eine neue gesetzliche Regelung dar und nicht lediglich eine Klarstellung. So sieht es offensichtlich auch das Bundesverwaltungsgericht, das in der zitierten Entscheidung vom 22. Juli 2009 - also wenige Tage vor und in Kenntnis der Regelung des § 15 a RVG - keinen Anlass für eine vorgezogene Anwendung erkannte, sondern für eine andere Rechtsanwendung ausdrücklich eine Entscheidung des Gesetzgebers als notwendig ansieht.

Die vom Klägerbevollmächtigen angeführte Begründung des Gesetzentwurfs (BT-Drucksache 16/12717) stellt für die Annahme, dass es sich lediglich um eine Klarstellung und nicht um eine Neuregelung des Gesetzgebers handle, keine ausreichende Grundlage dar. Das Zitat im Schriftsatz vom 17. September 2009 bezieht sich auf das Verständnis, das der BGH in mehreren Entscheidungen zur Anrechnung zum Ausdruck brachte, und das "in einer Reihe von Konstellationen" zu unbefriedigenden Ergebnissen geführt habe. Damit nimmt der Gesetzgeber jedoch nicht in Anspruch, dass der mit der Ergänzung des RVG eingetretene Regelungsgehalt bereits in der bisherigen Fassung der Anrechnungsvorschrift enthalten gewesen sei. Zu § 15 a Abs. 1 und 2 RVG selbst ist in der Gesetzesbegründung von einer "Klarstellung" keine Rede; dieser Begriff wird dort lediglich hinsichtlich des 8. Abschnitts des RVG (notwendige Angaben des Rechtsanwalts bei Vergütungsantrag) verwendet.

Die gegenteilige Ansicht des BGH im Beschluss vom 2. September 2009 - II ZB 35/07 kann insoweit nicht überzeugen, denn die dort zugrunde gelegte These, dass in § 15 a RVG lediglich die bestehende Gesetzeslage klargestellt werde, derzufolge sich eine Anrechnung im Verhältnis zu Dritten grundsätzlich nicht auswirke, wird anschließend selbst dahingehend relativiert, dass in § 15 a Abs. 2 RVG doch sichergestellt werde, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus in Anspruch genommen werde, den ein Anwalt von einem Mandanten verlangen kann. Abgesehen davon, dass der BGH auch die erstmalige gesetzliche Definition der Anrechnung nicht würdigt, wäre eine unmittelbare Anwendung der zivilgerichtlichen Rechtsprechung auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren zudem nicht ohne weiteres möglich.

§ 15 a RVG ist somit zwar seit dem 5. August 2009 in Kraft, mangels einer spezifischen Übergangsregelung (§ 61 RVG ist insoweit nicht einschlägig) verbleibt es jedoch bei der allgemeinen Überleitungsvorschrift des § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG, wonach die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen ist. Nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) ist für diese Verfahren somit noch die Geschäftsgebühr anteilig auf die Verfahrensgebühr anzurechnen. Dem entspricht die angefochtene Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Der Einwand des Klägerbevollmächtigen, dass § 60 RVG Gebührentatbestände und deren Neufassung, jedoch nicht Anrechnungen und Kostenerstattungsfragen im Sinne § 15 a RVG regle, kann nicht überzeugen, da das Kostenfestsetzungsverfahren gerade an die gebührenrechtlichen Bestimmungen des RVG anknüpft (vgl. BVerwG a.a.O.).

1.4 Gegen die Kürzung der Pauschale für die Herstellung und Überlassung von Dokumenten (Ziff. 5.b des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 24.10.2007) hat der Klägerbevollmächtigte weder im Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 5. November 2007 noch in der Beschwerde vom 17. September 2009 substantiierte Einwendungen erhoben; der nur teilweisen Stattgabe begegnen aus den von der Urkundsbeamtin angeführten Gründen auch keine Bedenken.

2. Die Kostenentscheidung entspricht §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 2 VwGO.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1, 63 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

Ende der Entscheidung

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