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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 05.03.2007
Aktenzeichen: 2 B 06.31019
Rechtsgebiete: AsylVfG, AufenthG, GFK, Richtlinie 2004/83/EG


Vorschriften:

AsylVfG § 28 Abs. 2
AufenthG § 60
GFK Art. 33
Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

2 B 06.31019

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Verfahrens nach dem AsylVfG;

hier: Berufung des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 8. September 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 2. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Scheder, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Kiermeir, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Priegl

ohne mündliche Verhandlung am 5. März 2007

folgendes Urteil:

Tenor:

I. Die Berufung wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger, chinesischer Staatsangehöriger uighurischer Volkszugehörigkeit, begehrt, die Beklagte zu der Feststellung zu verpflichten, dass bei ihm die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG in Bezug auf China vorliegen.

Der 1971 in Artusch (autonome Region Xinjiang/China) geborene Kläger reiste erstmals im Juli 1997 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 30. November 1998 unter dem Namen Ruzimmemet Imam Asylantrag. Hierzu gab er (u.a.) an, in China wegen Waffenschmuggels gesucht zu werden; einen politischen Hintergrund habe er nicht. Mit Bescheid vom 29. Januar 1999 lehnte die Beklagte den Asylantrag als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen. Die auf das Vorliegen von Abschiebungshindernissen beschränkte Klage hat das Verwaltungsgericht München durch rechtskräftiges Urteil vom 15. Oktober 1999 abgewiesen. In der dem Urteil vorausgegangenen mündlichen Verhandlung hatte der Kläger u.a. vorgetragen, seit Dezember 1998 Mitglied der Ostturkestanischen Union zu sein.

Der Kläger begab sich in der Folgezeit nach England und wurde von dort im Februar 2002 nach Deutschland zurückgeschoben. Seinen nunmehr unter dem Namen Ekrem Imin gestellten Asylfolgeantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 18. Oktober 2002 ab. Im Laufe des vom Kläger hiergegen angestrengten Klageverfahrens verwies er vor allem auf seine inzwischen aufgenommene Betätigung für den Weltkongress der uighurischen Jugend. Mit rechtskräftigem Urteil vom 5. August 2004 hat das Verwaltungsgericht München diese Klage im wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass sich der Kläger nicht in herausgehobener Funktion exilpolitisch betätigt habe.

Auf den weiteren Asylfolgeantrag des Klägers vom 17. Februar 2005, der auf eine "Vielzahl von weiteren, auch herausgehobenen Tätigkeiten seit der negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichts" gestützt war, stellte die Beklagte mit Bescheid vom 21. September 2005 fest, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich China vorliegt; einen Anspruch des Klägers auf Asyl und Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG verneinte die Beklagte. Die sodann erhobene Klage auf Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 8. September 2006 ab. In den Gründen führte das Verwaltungsgericht (u.a.) aus, dass dem geltend gemachten Anspruch § 28 Abs. 2 AsylVfG durchgreifend entgegenstehe. Denn der Kläger habe mit seinem Engagement für die uighurische Sache erst in England und Deutschland begonnen und es nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylfolgeverfahrens (im Januar 2005) so weit intensiviert, dass die Beklagte zu der Auffassung gelangen habe können, seine Abschiebung nach China sei aufgrund seiner (nunmehr) herausgehobenen exilpolitischen Tätigkeit nach § 60 Abs. 5 AufenthG unzulässig. Die Ausschlusswirkung nach § 28 Abs. 2 AsylVfG sei verfassungsrechtlich unbedenklich und verstoße auch nicht gegen Gemeinschaftsrecht.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er vertritt die Auffassung, § 28 Abs. 2 AsylVfG sei weder verfassungs- noch gemeinschaftsrechtskonform und stehe nicht im Einklang mit der GFK. Jedenfalls lägen hier die Voraussetzungen für eine Ausnahme von der Regel des § 28 Abs. 2 AsylVfG vor, weil der Kläger noch vor Inkrafttreten der Neufassung mit der Schaffung neuer Nachfluchttatbestände begonnen habe und sich außerdem die Sanktionen des chinesischen Staates gegenüber Uighuren inzwischen erheblich verschärft hätten. Der Kläger, der inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, beantragt,

in Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 8. September 2006 den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 21. September 2005 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass beim Kläger das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf China vorliegt.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung, über die nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann, ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen nach § 60 Abs. 1 AufenthG. Das Verwaltungsgericht hat deshalb seine hierauf gerichtete Klage zu Recht abgewiesen.

§ 28 Abs. 2 AsylVfG steht dem Klagebegehren durchgreifend entgegen. Mit dieser durch Art. 3 Nr. 18 des (Zuwanderungs-) Gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) mit Wirkung zum 1. Januar 2005 in Kraft gesetzten Vorschrift soll der bislang bestehende Anreiz genommen werden, nach unverfolgter Ausreise und abgeschlossenen Asylverfahren aufgrund neu geschaffener Nachfluchtgründe ein Asylverfahren zu betreiben, um damit zu einem dauerhaften Aufenthalt zu gelangen (vgl. BT-Drs. 15/420 S. 110). Sie gilt für den vom Kläger im Februar 2005 abermals gestellten (hier - allein - streitgegenständlichen) Asylantrag schon deshalb, weil er auf nach unanfechtbarer Ablehnung des vorgehenden Asylantrags entstandene Umstände (herausgehobene exilpolitische Betätigung) gestützt ist (und auch sein musste, um die Hürden des § 71 Abs. 1 AsylVfG zu nehmen, gegen die auch gemeinschaftsrechtlich nichts zu erinnern sein wird, vgl. Art. 43 Abs. 1, Art. 32 Abs. 2, 6 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005). Eine Rückwirkungsproblematik vermag der Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang nicht zu erkennen.

Die Vorschrift steht nicht in Widerspruch zur Asylrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Namentlich der im Zulassungsantrag besonders hervorgehobenen Entscheidung vom 26. November 1986 (BVerfGE 74, 51) ist nicht zu entnehmen, dass selbstgeschaffene Nachfluchtgründe zu einer Zuerkennung des Flüchtlingsstatus im Sinn von § 60 Abs. 1 AufenthG führen müssten. Das Bundesverfassungsgericht hat dort (a.a.O. S. 66/67) lediglich beispielhaft auf den durch die Regelungen des Ausländergesetzes und (u.a.) Art. 33 GFK anderweitig vermittelten Schutz vor Abschiebung in den Fällen hingewiesen, in denen wegen selbstgeschaffener Nachfluchtgründe, die - wie hier eindeutig - sich nicht als Fortführung einer entsprechenden, schon während des Aufenthalts im Heimatstaat vorhandenen und erkennbar betätigten festen politischen Überzeugung darstellen, jemandem das Asylgrundrecht nicht zusteht. Eine Verpflichtung des Gesetzgebers, den Abschiebungsschutz in diesen Fällen in bestimmter Art und Weise auszugestalten, hat das Bundesverfassungsgericht daran nicht geknüpft.

Der Verwaltungsgerichtshof teilt im übrigen die in der amtlichen Begründung (BT-Drs. a.a.O.) zum Ausdruck gebrachte Auffassung, dass es weder Verfassungsrecht noch Völkervertragsrecht gebietet, diesen Schutz durch die Verleihung eines (besonderen) Flüchtlingsstatus zu gewähren, weil und solange der Ausländer durch die Vorschriften des § 60 Abs. 2 ff. AufenthG vor Abschiebung angemessen geschützt ist (vgl. Funke-Kaiser in GK, AsylVfG, Stand Februar 2006, RdNr. 48.1 zu § 28).

Auch vorrangiges Gemeinschaftsrecht fordert keine völlige Gleichstellung aller schutzbedürftigen Ausländer. Die insoweit einschlägige Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie) bietet etwa in Art. 2 Buchst. e, Art. 4 Abs. 3 Buchst. d, Art. 5 Abs. 3, Art. 20 Abs. 7 hinreichend Spielraum für mitgliedsstaatliche Differenzierungen, wie sie hier in § 28 AsylVfG und § 60 Abs. 1 AufenthG, sowie in § 25 Abs. 1 und 2 AufenthG einerseits und § 60 Abs. 2 ff. und § 25 Abs. 3 AufenthG andererseits angelegt sind. Vor allem im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 der sog. Qualifikationsrichtlinie, wonach die Mitgliedsstaaten unbeschadet der Genfer Flüchtlingskonvention festlegen können, dass ein Antragsteller, der einen Folgeantrag stellt, in der Regel nicht als Flüchtling anerkannt wird, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Antragsteller nach Verlassen des Herkunftslandes selbst geschaffen hat, und auf Art. 20 Abs. 7 der sog. Qualifikationsrichtlinie, wonach die Mitgliedsstaaten die einer Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz aufgrund dieses Kapitels zugestandenen Rechte innerhalb der durch die internationalen Verpflichtungen vorgegebenen Grenzen einschränken können, wenn ihr der subsidiäre Schutzstatus aufgrund von Aktivitäten zuerkannt wurde, die einzig oder hauptsächlich deshalb aufgenommen wurden, um die für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, ist an der Gemeinschaftsrechtsverträglichkeit des § 28 Abs. 2 AsylVfG nicht ernsthaft zu zweifeln (vgl. Funke-Kaiser a.a.O. RdNr. 48.7; OVG Lüneburg v. 16.6.2006 InfAuslR 2006, 421). Dabei kann die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Art. 18 der Richtlinie) zwanglos in der entsprechenden Feststellung des Bundesamts nach § 31 AsylVfG, § 60 Abs. 2 ff. AufenthG gesehen werden, mit der (nunmehr) in der Regel ein Anspruch auf Aufenthaltserlaubnis einhergeht (§ 25 Abs. 3, § 26 AufenthG, vgl. Art. 24 Abs. 2 der sog. Qualifikationsrichtlinie).

Das Verwaltungsgericht hat schließlich zu Recht das Vorliegen von Voraussetzungen für eine Ausnahme von dem Regelausschluss nach § 28 Abs. 2 AsylVfG für den Kläger verneint, dessen diverse Asylverfahren nahezu exemplarisch der Fallgruppe entsprechen, die der Gesetzgeber mit dieser Regelung erfassen wollte. Da dem Kläger Abschiebungsschutz wegen seiner nach Abschluss des ersten Folgeantragsverfahrens aufgenommenen herausgehobenen exilpolitischen Aktivitäten mit der Folge gewährt wurde, dass er nunmehr eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, spielt es für die hier zu treffende Entscheidung keine Rolle, ob und inwieweit sich die Sicherheitslage auch für in ihren Heimatstaat zurückkehrende Uighuren verschlechtert hat, die keine solche herausragende Betätigung vorweisen können. Weil der Kläger seine exilpolitische Betätigung erst nach Inkrafttreten der Vorschrift des § 28 Abs. 2 AsylVfG in einem Umfang darzulegen vermochte, der die (beachtliche) Wahrscheinlichkeit von Gefahren im Sinn von § 60 Abs. 5 AufenthG bei seiner Rückkehr nach China begründete, kann er diese Betätigung auch nicht im Vertrauen darauf aufgenommen haben, er werde dadurch Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG und nicht (nur) nach § 60 Abs. 2 ff. AufenthG erlangen können. Es kann deshalb offen bleiben, ob ein solches Vertrauen bei anderer Fallkonstellation als dahin schutzwürdig anzuerkennen sein könnte, dass eine Ausnahme von dem Regelausschluss nach § 28 Abs. 2 AsylVfG in Betracht zu ziehen wäre.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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