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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 23.01.2003
Aktenzeichen: 20 ZB 02.1325
Rechtsgebiete: VwGO


Vorschriften:

VwGO § 60
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 4
VwGO § 124 a Abs. 4 Satz 5
1) Hat das Verwaltungsgericht einen noch nicht begründeten Antrag auf Zulassung der Berufung dem Berufungsgericht vorgelegt und dieses dem Rechtsmittelführer eine uneingeschränkte Eingangsmitteilung zukommen lassen, so muss das Berufungsgericht eine fälschlich bei ihm eingereichte Antragsbegründung im ordentlichen Geschäftsgang an das Verwaltungsgericht weiterleiten, anderenfalls ein Wiedereinsetzungsantrag wegen Versäumung der Begründungsfrist erfolgreich sein kann (Anschluss an BVerfGE 93, 99).

2) Bei einem Eingang der Begründung am vorletzten Tag der Frist ist eine fristgerechte Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang regelmäßig nicht mehr möglich.


Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

20 ZB 02.1325

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Baugenehmigung;

hier: Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 24. April 2002,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 20. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Reiland, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Guttenberger, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Brandl

ohne mündliche Verhandlung am 23. Januar 2003

folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

III. Der Streitwert des Antragsverfahrens beträgt 12.000 Euro.

Gründe:

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unzulässig, weil die zweimonatige Frist für die Begründung des Antrags (§ 124 a Abs. 4 Satz 4, 5 VwGO) versäumt wurde. Infolge Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 3. Mai 2002 lief die Begründungsfrist am 3. Juli 2002 ab. Die Begründung ist am 2. Juli 2002, am vorletzten Tag der Frist, per Telefax beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen. Dem Verwaltungsgericht Regensburg ging sie erst wesentlich später im Zusammenhang mit dem Wiedereinsetzungsantrag zu. Nach der eindeutigen Regelung in § 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO ist die Begründung beim Verwaltungsgericht und nur bei diesem einzureichen; die Einreichung beim Verwaltungsgerichtshof wahrt die Frist nicht.

Dem Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin (§ 60 VwGO), der mit Irreführung durch die Eingangsmitteilung des Verwaltungsgerichtshofs begründet wurde, kann nicht stattgegeben werden.

Der Klägerin ist allerdings darin Recht zu geben, dass die Regelung über die Einreichung der Begründung beim Verwaltungsgericht ebenso eindeutig ist wie sie vielfach als unglücklich empfunden wird. Dies gilt einmal, weil die Regelung angesichts der fehlenden Abhilfemöglichkeit des Verwaltungsgerichts wenig Sinn macht, und weiter, weil die abweichenden Regelungen für ähnliche Verfahrensvorgänge (siehe § 124 a Abs. 3 Satz 2 und § 146 Abs. 4 Satz 2 VwGO) zu Verwechslungen führen können. Missverständnisse können wie im vorliegenden Fall vor allem dann auftreten, wenn die Verwaltungsgerichte, wie in Bayern allgemein üblich, den Akt nach Eingang des Zulassungsantrages dem Verwaltungsgerichtshof vorlegen und dieser daraufhin den Beteiligten sein Aktenzeichen mitteilt und Anweisungen für den Schriftverkehr gibt. Um dem vorzubeugen wird in der Praxis des Verwaltungsgerichtshofs vielfach (allerdings nicht im vorliegenden Fall) dieser Mitteilung ein Hinweis angefügt, in dem nochmals an die Rechtsmittelbelehrung und an die Notwendigkeit der Einreichung der Begründung beim Verwaltungsgericht erinnert wird. Es ist ebenfalls weithin üblich, bei rechtzeitig erkannten Fehladressierungen mit schneller Weiterleitung an das Verwaltungsgericht oder mit einem Telefonanruf beim Rechtsmittelführer zu reagieren. Da solches hier nicht geschehen ist, hängt der Erfolg des Wiedereinsetzungsantrages von der Frage ab, ob das Gericht zu derartigen Hilfsmaßnahmen verpflichtet ist oder ob sie einen freiwilligen kollegialen Dienst ("nobile officium") darstellen. Mit Ausnahme der Verpflichtung zur Weiterleitung im ordentlichen Geschäftsgang ist die Frage im zweiten Sinne zu beantworten.

Was die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags mit der "Irritation" durch die (uneingeschränkte) Eingangsmitteilung des Verwaltungsgerichtshofs angeht, hat bereits der 7. Senat des Verwaltungsgerichtshofs ein solches Vorbringen nicht für begründet erachtet (BayVGH vom 20.9.2002, 7 ZB 02.1219), ebenso das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen (vom 19.9.2002, 14 A 2568/02 - JURIS - Nr. MWRE202011207). Den Begründungen dieser Entscheidungen schließt sich der erkennende Senat an, insbesondere der Auseinandersetzung der zweiten Entscheidung mit der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung, auch mit dem von der Klägerin zitierten Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 1994 (BayVBl 1995, 235). Zusammengefasst ist dem Wiedereinsetzungsbegehren insoweit entgegenzuhalten, dass für einen Rechtsanwalt die eindeutige Regelung im Gesetz und der eindeutige Hinweis in der Rechtsmittelbelehrung Vorrang haben müssen und dass überdies die, wie ausgeführt, in dieser Hinsicht leider etwas verwirrende Neuregelung des Rechtsmittelrechts in der Verwaltungsgerichtsordnung die Rechtsanwälte von vorneherein zu einer gewissen Achtsamkeit bei jedem Begründungsschriftsatz veranlassen muss. Vor diesem Hintergrund darf sich ein Rechtsanwalt nicht, jedenfalls nicht ohne klärende Rückfrage, auf eine bloße Eingangsmitteilung ohne jede rechtliche Qualität verlassen.

Das Wiedereinsetzungsbegehren kann auch nicht unter dem Gesichtspunkt Erfolg haben, dass der Verwaltungsgerichtshof die rechtzeitige Weiterleitung des Begründungsschriftsatzes an das zuständige Verwaltungsgericht unterlassen hat. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht - in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und mit dem Ziel einer fairen Verfahrensgestaltung - unter bestimmten Umständen eine Verpflichtung zur Weiterleitung anerkannt, und zwar für Gerichte, die "vorher selbst mit dem Verfahren befasst waren" (Beschluss vom 20.6.1995, BVerfGE 93, 99). Die Weiterleitung hat "im ordentlichen Geschäftsgang" zu erfolgen. Die Verletzung dieser Verpflichtung kann einem Wiedereinsetzungsantrag zum Erfolg verhelfen.

Obwohl das Berufungsgericht nicht in dem zitierten Wortsinne bereits vorher mit dem Verfahren befasst war, muss dem unter Fairnessgesichtspunkten die vorliegende Fallgestaltung gleichgestellt werden, bei der ein Gericht durch eine Eingangsmitteilung die Anhängigkeit des Falles bei ihm anzeigt, und zwar jedenfalls dann, wenn diese Mitteilung nicht in der erwähnten Weise mit einer Erinnerung an die Rechtsmittelbelehrung verbunden ist.

Eine Weiterleitung "im ordentlichen Geschäftsgang" hätte hier ihr Ziel aber nicht mehr fristgerecht erreicht, so dass die unterbliebene Weiterleitung für die Fristversäumung nicht ursächlich sein und daher den Wiedereinsetzungsantrag nicht begründen kann. Unter "ordentlichem Geschäftsgang" ist eine Verfahrensweise zu verstehen, die einerseits jede unnötige Verzögerung vermeidet, andererseits aber auch auf außergewöhnliche Beschleunigungsmittel wie Eilvermerke, Telefax oder Anrufe beim Rechtsmittelführer verzichtet (zur fehlenden Verpflichtung des Gerichts zu Telefonanrufen siehe auch OVG NW vom 3.7.1997, DVBl 1997, 1339/1340). Einer Auffassung, die für Fälle der vorliegenden Art über die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinaus die Berufungsgerichte zu solchen außerordentlichen Beschleunigungsmitteln verpflichten würde, ist nicht zuzustimmen. Auf die Sorgfaltspflichten der Rechtsanwälte und den Vorrang von Gesetz und Rechtsmittelbelehrung, wie oben bereits angesprochen, ist erneut zu verweisen. Außerdem ist daran zu erinnern, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zivilprozessordnung und damit zu einem Verfahren ohne Rechtsmittelbelehrung ergangen ist und dass folglich in Verfahren, die Rechtsmittelbelehrungen vorsehen, erst recht kein Anlass zur Verschärfung dieser Rechtsprechung besteht.

Berücksichtigt man, dass Weiterleitungen von Schriftsätzen in solchen Fällen nur von einem Richter und nicht von der Geschäftsstelle verfügt werden können, dann kann ein weitergeleiteter Schriftsatz das Verwaltungsgericht allenfalls dann rechtzeitig erreichen, wenn er am drittletzten Tag der Frist eingegangen ist, keinesfalls aber bei einem Eingang am vorletzten (und erst recht am letzten) Tag der Frist (ebenso BayVGH vom 6.11.2002, 10 ZB 02.2326). Denn der Weg von der Eingangsstelle des Verwaltungsgerichtshofs über die Geschäftsstelle zum Richter und von dort wieder mit einem Weiterleitungsvermerk über die Geschäftsstelle in den Versand an das Verwaltungsgericht kann im ordentlichen Geschäftsgang nicht in ein bis zwei Tagen bewältigt werden.

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO, Streitwert: § 13 Abs. 1 Satz 1, § 14 Abs. 1, 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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