Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.07.2004
Aktenzeichen: 22 CS 03.2151
Rechtsgebiete: GewO, BayVwVfG


Vorschriften:

GewO § 57
GewO § 61
BayVwVfG Art. 49 Abs. 2
BayVwVfG Art. 49 Abs. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

22 CS 03.2151

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Widerrufs der Reisegewerbekarte (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 06. August 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat,

durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr.Schenk als Vorsitzenden, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Hösch, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner

ohne mündliche Verhandlung am 15. Juli 2004

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 6. August 2003 wird in den Nummern I und II abgeändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Juli 2003 wird wiederhergestellt.

II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den für sofort vollziehbar erklärten Bescheid der Antragsgegnerin vom 8. Juli 2003, mit dem die dem Antragsteller am 2. Juli 1990 vom Landratsamt Dingolfing-Landau zum Feilbieten von Tiernahrung, Wela-Fertigprodukten, Geschenkartikeln zu einem Einzelpreis von 300 DM, Wurst- und Fischsemmeln, Getränken, Süßwaren und Eis erteilte Reisegewerbekarte widerrufen wurde. Zur Begründung des auf Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG i.V.m. § 57 GewO gestützten Bescheids wurde im wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller aufgrund der nachträglich eingetretenen Tatsache, dass er wegen Totschlags rechtskräftig verurteilt worden sei, nicht mehr die erforderliche Zuverlässigkeit besitze. Bezogen auf das Reisegewerbe stelle der Antragsteller unter Berücksichtigung seines Persönlichkeitsprofils, wie es sich aus dem Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juli 1993 ergebe, eine permanente und latente Gefahr für die Kundschaft dar. Angesichts des Gewichts der einschlägigen Freiheitsstrafe sei ein Einschreiten zum Schutz potentieller Kunden geboten.

Über den Widerspruch des Antragstellers gegen diesen Bescheid wurde bisher nicht entschieden. Einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 6. August 2003 ab, weil der Widerspruch keine Aussicht auf Erfolg habe.

Der Antragsteller hat Beschwerde eingelegt. Art. 49 Abs. 2 BayVwVfG sei für den Widerruf einer Reisegewerbekarte nicht einschlägig; jedenfalls sei die Frist des Art. 49 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG nicht eingehalten, da ein Widerruf der erteilten Reisegewerbekarte durch das Landratsamt Dingolfing-Landau nicht innerhalb eines Jahres nach der Verurteilung des Antragstellers durch das Landgericht Regensburg am 16. Juli 1993 erfolgt sei. Der Antragsteller sei für sein Reisegewerbe nicht als unzuverlässig anzusehen, da er keine Gefahr für seine Kundschaft darstelle. Dies ergebe sich aus dem dem Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg vom 16. Mai 2000 zugrunde liegenden und im Auftrag dieses Gerichts erstatteten forensisch-psychiatrischen Sachverständigengutachten vom 2. März 2000.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die vom Antragsteller dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung im Beschwerdeverfahren beschränkt (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), ergeben, dass in Abwägung der beiderseitigen Interessen die aufschiebende Wirkung des noch anhängigen Widerspruchs des Antragstellers wiederherzustellen ist.

1. Entgegen dem Beschwerdevorbringen kommt in Fällen der nachträglichen Unzuverlässigkeit eines Reisegewerbetreibenden Art. 49 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayVwVfG als Rechtsgrundlage für den Widerruf einer Reisegewerbekarte in Betracht (vgl. z.B. Tettinger/Wank, GewO, RdNr. 6 zu § 57; Schönleitner in Landmann/Rohmer, GewO, RdNr. 23 zu § 57; BayVGH vom 28.1.1987 Az.: 22 CS 87.03904; VGH BW vom 12.7.1994, GewArch 1994, 421). Die örtliche Zuständigkeit der Antragsgegnerin für den Widerruf der Reisegewerbekarte des Antragstellers ergibt sich aus § 61 GewO; dass der zu widerrufende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist, ändert daran nichts (Art. 49 Abs. 4 2. Halbsatz BayVwVfG).

Die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids lässt sich vorliegend auch nicht aus einer Fristversäumnis nach Art. 49 Abs. 2 Satz 2 BayVwVfG i.V.m. Art. 48 Abs. 4 BayVwVfG herleiten. Der Antragsgegnerin wurde die Verurteilung des Antragstellers erstmals durch das ihr mit Schreiben des Generalbundesanwalts vom 7. Oktober 2002 übermittelte Führungszeugnis bekannt, so dass die Jahresfrist für den Widerruf - ungeachtet der Notwendigkeit weiterer Ermittlungen - hier in jedem Fall eingehalten ist. Ob sich im Falle eines Behördenwechsels die nunmehr zuständige Behörde die Kenntnis der früher zuständigen Behörde zurechnen lassen muss (offen BVerwG vom 17.10.1989, NJW 1990, 724/725), bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn weder aus dem Beschwerdevorbringen noch aus dem sonstigen Akteninhalt ergeben sich Anhaltspunkte für eine Kenntnis des Landratsamts Dingolfing-Landau von der Verurteilung des Antragstellers.

2. Allerdings rechtfertigen die von der Antragsgegnerin und dem Verwaltungsgericht angeführten Tatsachen nach der im Eilverfahren möglichen summarischen Prüfung nicht die Annahme, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinn des § 57 GewO nicht mehr besitzt. Der Antragsteller ist zwar durch das rechtskräftige Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juli 1993 wegen Totschlags begangen an seiner damaligen Lebenspartnerin, zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt worden. Es liegen aber nach derzeitigem Erkenntnisstand bei einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung von Art und Umständen der Straftat sowie der Entwicklung der Persönlichkeit des Antragstellers keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Antragsteller in der Zukunft bei der Ausübung des Reisegewerbes in ähnlicher Weise erneut straffällig wird. Dies ergibt sich aus dem Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Regensburg vom 16. Mai 2000, mit dem die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe des Antragstellers zur Bewährung ausgesetzt wurde, und dem Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 9. Juni 2000, mit dem die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den o.g. Beschluss der Strafvollstreckungskammer im wesentlichen verworfen wurde. Zwar ist die strafgerichtliche Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung für die Verwaltungsbehörden und die Verwaltungsgerichte nicht bindend, jedoch ist eine solche näher begründete, für den Antragsteller günstige Prognose von tatsächlichem Gewicht (vgl. BVerwG vom 16.6.1987, GewArch 1987, 351/352). Die Strafvollstreckungskammer hat sich - wie vom Oberlandesgericht in seiner Beschwerdeentscheidung bestätigt wurde - ein umfassendes Bild über den Antragsteller verschafft (vgl. BVerfG vom 24.10.1999, NJW 2000, 502) und ist auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gelangt, dass in einer Gesamtschau aller für eine Aussetzungsentscheidung wesentlichen Kriterien auch unter Berücksichtigung des legitimen Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit die Aussetzung des Strafrestes verantwortet werden kann (§ 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB). Nach dem im Beschluss der Strafvollstreckungskammer verwerteten forensisch-psychiatrischen Gutachten vom 2. März 2000 kann die durch die Tat des Antragstellers zutage getretene Gefährlichkeit unter den Voraussetzungen der Wohnungsnahme bei seinen Eltern, umgehender Meldung beim Arbeitsamt und Aufnahme einer ambulanten Psychotherapie bis hin zum stets unvermeidbaren Restrisiko reduziert werden. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf das im Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juli 1993 beschriebene Persönlichkeitsprofil des Antragstellers ändert daran nichts. Eine Gefährdung der Allgemeinheit und der Kunden durch eine Reisegewerbetätigkeit des Antragstellers aufgrund seines Persönlichkeitsprofils lässt sich dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer, in dem auch das Vollzugsverhalten des Antragstellers berücksichtigt wurde, nicht entnehmen. Begründbare Vorbehalte bestehen nach dem Beschluss allenfalls in Bezug auf das Beziehungsverhalten des Antragstellers, was auch zur Tat Anlass gegeben hat; dieses problematische Beziehungsverhalten soll deswegen auch Gegenstand der von der Strafvollstreckungskammer für den Antragsteller angeordneten Psychotherapie sein. Im Beschluss der Strafvollstreckungskammer wird zudem darauf hingewiesen, dass der Antragsteller außer der dem Urteil des Landgerichts Regensburg vom 16. Juli 1993 zugrunde liegenden Straftat strafrechtlich bisher nicht Erscheinung getreten ist. Dies gilt nach dem von der Antragsgegnerin nicht in Zweifel gezogenen Beschwerdevorbringen des Antragstellers auch für die Zeit nach seiner Haftentlassung am 30. Juni 2000, während der er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit vielfach mit Menschen zu tun hatte. Schließlich sind keine Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen die im Beschluss der Strafvollstreckungskammer enthaltenen Weisungen ersichtlich; entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts lässt sich dem Beschluss keine ausdrückliche Weisung an den Antragsteller dahingehend entnehmen, während der Bewährungszeit keine selbständige Tätigkeit auszuüben.

Kosten: § 154 Abs. 1 VwGO.

Streitwert: § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG a.F..

Ende der Entscheidung

Zurück