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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 22.12.2003
Aktenzeichen: 22 CS 04.210
Rechtsgebiete: VwGO, BImSchG, VwZVG


Vorschriften:

VwGO § 161 Abs. 2
BImSchG § 18 Abs. 2
BImSchG § 20 Abs. 2 Satz 1
VwZVG Art. 18 Abs. 1
VwZVG Art. 34 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

22 CS 04.95 22 CS 04.210

In den Verwaltungsstreitsachen

wegen immissionsschutzrechtlicher Anordnung (Androhung unmittelbarem Zwangs) (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerden des Antragstellers gegen die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. Dezember 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat, durch den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner ohne mündliche Verhandlung am 17. Februar 2004

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Verfahren werden eingestellt. Die Beschlüsse des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22. Dezember 2003 (W 4 S 03.1854 und W S 03. 1855) sind in den Ziffern I. und II. unwirksam geworden

II. Die Verfahrenskosten für beide Instanzen trägt der Antragsgegner im Verfahren 22 CS 04.95 (W S 03.1854) und der Antragsteller im Verfahren 22 CS 04.210 (W S 03.1855).

III. Der Streitwert wird für beide Beschwerdeverfahren auf jeweils 2.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die Verfahren sind aufgrund der übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten (Schriftsätze vom 26. und 30. Januar sowie vom 4. und 11. Februar 2004) beendet; dies ist analog § 92 Abs. 3 VwGO durch deklaratorischen Beschluss festzustellen. Mit dem Wegfall der Rechtshängigkeit verlieren zugleich die bereits ergangenen gerichtlichen Entscheidungen ihre Wirksamkeit (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 ZPO). Nach § 161 Abs. 2 VwGO ist über die Kosten der Verfahren nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Billigem Ermessen entspricht es hier, die Kosten im Verfahren 22 CS 04.95 dem Antragsgegner, die im Verfahren 22 CS 04.210 dem Antragsteller aufzuerlegen.

1. Der im Verfahren 22 CS 04.95 gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19. Dezember 2003 (411-824.121-33/03) hätte aller Voraussicht nach Erfolg gehabt. Die angedrohte Verwaltungsvollstreckung zur Durchsetzung der im immissionsschutzrechtlichen Bescheid vom 19. Oktober 1998 enthaltenen quantitativen Beschränkung des Schlachtbetriebs war rechtswidrig. Der zugrunde liegende bestandskräftige Genehmigungsbescheid besitzt insoweit keinen vollstreckungsfähigen Inhalt. Die in Ziff. I. des Bescheids vom 19. Oktober 1998 enthaltene Regelung, wonach die Genehmigung abweichend von der zuletzt beantragten Schlachtmenge (10.000 Gänse pro Jahr, hierbei maximal 3.000 pro Woche) nur in einem Umfang von jährlich bis zu 4.000 und wöchentlich bis zu 1.500 Stück Geflügel erteilt werde, stellt keinen selbstständig belastenden Verwaltungsakt in Form einer echten Auflage dar, durch die der Antragsteller im Sinne von Art. 18 Abs. 1 VwZVG zu einem Handeln, Dulden oder Unterlassen verpflichtet würde. Es handelt sich vielmehr um eine - als Teilablehnung des Antrags zu verstehende - Genehmigungsinhaltsbestimmung bzw. modifizierende ("unechte") Auflage, ohne die die geplante Anlage aus der damaligen Sicht der Behörde von vornherein nicht genehmigungsfähig gewesen wäre (vgl. Jarass, BImSchG, 5. Aufl. 2002, § 12 RdNr. 3 f.; Sellner, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht I, BImSchG, § 12 RdNr. 94 ff.; Tegethoff, UPR 2003, 416/418 ff.). Dabei spielt es keine Rolle, dass sich das zu beseitigende Genehmigungshindernis hier nicht aus den materiellen Bestimmungen des Immissionsschutzrechts (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) ergab, sondern aus dem nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ebenfalls zum Prüfungsmaßstab gehörenden Bauplanungs- und Wasserrecht (landwirtschaftliche Tierhaltung i.S.d. § 201 BauGB, ordnungsgemäße Abwasserbeseitigung; vgl. S. 14 des Bescheids). In jedem Falle konnte die Einhaltung der Kapazitätsbeschränkung, da sie einen untrennbaren Bestandteil der Anlagengenehmigung bildet, nicht mit den Mitteln des Verwaltungszwangs durchgesetzt werden.

2. Dagegen hätte der im Verfahren 22 CS 04.210 gestellte Antrag auf Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen den ebenfalls am 19. Dezember 2003 erlassenen weiteren Bescheid (Az. 411-824.121-32/02) nach vorläufiger Einschätzung keinen Erfolg haben können. Die darin von der Immissionsschutzbehörde unter Anordnung des Sofortvollzugs verfügte Stilllegung der Schlachtanlage für den Zeitraum vom Bescheidserlass bis zum Ende des Jahres 2003 und die damit verbundene Androhung unmittelbaren Zwangs dürften rechtlich nicht zu beanstanden sein.

2.1. Die angegriffene Grundverfügung war von der Befugnisnorm des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG gedeckt. Danach soll die zuständige Behörde die Stilllegung oder Beseitigung einer Anlage anordnen, wenn diese "ohne die erforderliche Genehmigung" betrieben wird. Davon war hier auszugehen.

Die für den Schlachtbetrieb des Antragstellers erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 19. Oktober 1998 war allerdings zum Zeitpunkt der angegriffenen Verfügung weiterhin gültig und nicht etwa gemäß § 18 Abs. 2 BImSchG erloschen. Der Verordnungsgeber hat das Genehmigungserfordernis für Schlachtanlagen durch die mit Art. 4 des Gesetzes vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1950) vorgenommene Neufassung der Kapazitätsgrenzen nach der 4. Verordnung zur Durchführung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (4. BImSchV) nicht aufgehoben, sondern nur modifiziert. Die Heraufsetzung der Mindestleistung von ursprünglich 5 t/Woche (förmliches Verfahren) bzw. 0,5 t/Woche (vereinfachtes Verfahren) auf nunmehr 50 t/Tag bzw. 0,5 t/Tag (Nr. 7.2 Sp. 1 u. 2 des Anhangs zur 4. BImSchV) führte bei dem hier anzunehmenden Schlachtgewicht von 7 kg pro Stück Geflügel lediglich dazu, dass die für eine Leistung von maximal 1.500 Stück wöchentlich (entspricht 10,5 t pro Woche oder mindestens 1,5 t pro Tag) zugelassene Anlage des Antragstellers statt des förmlichen Verfahrens nur noch dem vereinfachten Genehmigungsverfahren unterlag; dies änderte nichts am Fortbestand der früher erteilten förmlichen Genehmigung (Hansmann, a.a.O., § 18 RdNr. 41).

Der Antragsteller hatte jedoch im Kalenderjahr 2003 nach den tierärztlichen Feststellungen bis zum 18. Dezember 2003 bereits 5.202 Stück Geflügel geschlachtet und damit die in der bestandskräftigen Genehmigung vom 19. Oktober 1998 verbindlich festgelegte Jahresobergrenze von 4.000 Tieren deutlich überschritten. Diese vom Antragsteller nicht bestrittene Tatsache bedeutete, dass der Schlachtbetrieb vom Zeitpunkt der Überschreitung an nicht mehr von der vorangegangenen Genehmigung gedeckt war. Die Missachtung einer Genehmigungsinhaltsbestimmung wird vom Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG erfasst und rechtfertigt grundsätzlich eine Stilllegungsanordnung (Hansmann, a.a.O., § 20 RdNr. 45; Jarass, a.a.O., § 20 RdNr. 36).

Eine Stilllegung ist zwar unter Umständen unverhältnismäßig, wenn mit Sicherheit feststeht, dass nur ein formeller Verstoß vorliegt (vgl. Jarass, a.a.O., § 20 RdNr. 39 m.w.N.). Im vorliegenden Fall kann dies jedoch nicht angenommen werden. Es ist nicht ersichtlich, dass die vom Antragsteller bereits faktisch vollzogene und mit Schreiben vom 30. Mai 2003 auch förmlich beantragte Ausweitung des bisherigen Betriebsumfangs ohne weiteres genehmigungsfähig wäre. Die vorliegenden Behördenakten mit den darin enthaltenen fachbehördlichen Stellungnahmen lassen nicht den Schluss zu, dass die im geltenden Bescheid vom 19. Oktober 1998 aus bauplanungs- und abwasserrechtlichen Gründen vorgenommene Begrenzung der Schlachtmengen heute nicht mehr aufrechtzuerhalten wäre. Die zwischenzeitlichen Änderungen hinsichtlich des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungserfordernisses wirken sich auf den materiell-rechtlichen Prüfungsmaßstab nicht aus. Der Antragsteller kann gegenüber der angegriffenen Stilllegungsverfügung auch nicht geltend machen, dass das seit Mai 2003 anhängige Änderungsverfahren bei zügiger Bearbeitung durch die Behörde bereits hätte abgeschlossen werden können. Selbst wenn insoweit eine verzögerliche Sachbehandlung nachweisbar wäre, stünde dies dem behördlichen Einschreiten gegen die ungenehmigte Ausweitung des Schlachtbetriebs nicht entgegen.

2.2. Auch gegen die Androhung unmittelbaren Zwangs bestanden unter den vorliegenden Umständen keine durchgreifenden Bedenken. Durch sein vorangegangenes Verhalten hatte der Antragsteller deutlich zu erkennen gegeben, dass er sich durch eine bloße Zwangsgeldandrohung nicht davon abhalten lassen wollte, im bevorstehenden Weihnachtsgeschäft die für das Kalenderjahr geltende Höchstzahl von Schlachtungen noch weiter zu überschreiten. Auch unter den Gesichtspunkten der Eilbedürftigkeit und der Überprüfbarkeit erschien es aus Sicht der Behörde in der damaligen Situation als wenig erfolgversprechend, die in erster Linie auf Unterlassung zielende Verpflichtung mittels eines Zwangsgelds durchzusetzen. Daher konnte hier nach Art. 34 Satz 1 VwZVG ausnahmsweise auf das Zwangsmittel des unmittelbaren Zwangs zurückgegriffen werden. Dass in der Zwangsmittelandrohung die Versiegelung des Betriebs als mögliche Maßnahme ausdrücklich erwähnt wurde, genügte in jedem Falle dem vollstreckungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot.

Streitwert: § 13 Abs. 1, § 20 Abs. 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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