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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 25.10.2007
Aktenzeichen: 23 CS 07.2137
Rechtsgebiete: VwGO, ElektroG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 146 ff.
ElektroG § 9
ElektroG § 14
ElektroG § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

In der Verwaltungsstreitsache

23 CS 07.2137

wegen

Abfallbeseitigungsrechts

Abhol- und Bereitstellungsanordnung nach ElektroG (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 8. August 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 23. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Friedl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Beuntner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Reinthaler

ohne mündliche Verhandlung am 25. Oktober 2007 folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 800,-- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist die Firma eines Einzelkaufmanns, der unter ihrem Namen unter anderem Pumpen für Zimmer- und Gartenbrunnen vertreibt und der bei der zum Vollzug des Elektro- und Elektronikgerätegesetzes (ElektroG) beliehenen Antragsgegnerin registriert ist.

Die Antragsgegnerin forderte die Antragstellerin mit elektronisch übermittelten Bescheiden vom jeweils 13. Juli 2007 auf, bis zum 18. Juli 2007 ein Abfallbehältnis bestimmter Art (Volumen 38 m³) in Wuppertal abzuholen, und einen Abfallbehälter einer bestimmten Art (Volumen 38 m³) dort aufzustellen.

Diesen Aufforderungen widersetzte sich die Antragstellerin und erhob am 17. Juli 2007 Klagen zum zuständigen Verwaltungsgericht. Gleichzeitig beantragte sie, die aufschiebende Wirkung ihrer Rechtsbehelfe anzuordnen.

Sie sei nicht verpflichtet, die 15-fache Menge an Geräten abzuholen, die sie in Verkehr gebracht habe. Die zu entsorgende Menge an Altgeräten übersteige die von ihr in Verkehr gebrachte Menge um ein Mehrfaches. Die Antragsgegnerin habe ihre Berechnungsunterlagen nicht offen gelegt. Die Abhol- und Bereitstellungsverpflichtungen widersprächen dem abfallrechtlichen Grundsatz der Produktverantwortung und dem Verursacherprinzip, verstießen gegen das Kostendeckungsprinzip und seien unverhältnismäßig, weshalb sie rechtswidrig seien. Die Antragstellerin könne maximal die Entsorgungskosten für die von ihr hergestellten bzw. in Verkehr gebrachten Elektronikgeräte treffen. Außerdem sei die Art und Weise der Berechnung für die Pflichtigen intransparent und nicht prüfbar.

Die Antragsgegnerin beantragte, die Anträge abzulehnen.

Die streitgegenständlichen Anordnungen seien rechtmäßig, die Abholverpflichtung sei korrekt ermittelt worden. Das Regelungskonzept des Elektrogesetzes habe das Verwaltungsgericht in seinem Urteil vom 18. Oktober 2006 zutreffend beschrieben und mit höherrangigem Recht für vereinbar befunden. Der Ansatz folge dem das Elektrogesetz prägenden Prinzip der kollektiven Produktverantwortung. Die Verantwortlichkeit der Hersteller erstrecke sich auch auf Fremdgeräte. Die Berechnung der Gerätemenge sei einwandfrei erfolgt und müsse nicht in den Anordnungen dargestellt werden.

Mit Beschluss vom 8. August 2007 lehnte das Verwaltungsgericht die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Anträge ab.

Zur Begründung führte es u. a. aus, die angefochtenen Bereitstellungs- und Abholungsanordnungen beruhten auf wirksamen Rechtsgrundlagen, deren Voraussetzungen vorlägen und die auch nicht gegen höherrangiges Recht verstießen. Für die so genannten historischen Altgeräte berechne sich die Verpflichtung jedes Herstellers nach seinem Anteil an der gesamten im jeweiligen Kalenderjahr in Verkehr gebrachten Menge an Geräten pro Geräteart. Diese Berechnungsweise gelte auch für später in Verkehr gebrachte Altgeräte, wenn der Hersteller eine vorgegebene Sortierung nicht wähle. Die Menge der abzuholenden Altgeräte sei nach dem Marktanteil des einzelnen Herstellers zu berechnen, der dem Anteil des jeweiligen Herstellers an der gesamten im Kalenderjahr in Verkehr gebrachten Menge entspreche. Grundlage der Berechnung seien die Meldungen der Hersteller, Schätzungen, wenn der Meldepflicht nicht nachgekommen werde, und schließlich die angegebenen Garantiemengen. Danach werde die zeitlich und örtlich gleichmäßige Verteilung der (Bereitstellungs- und) Abholpflicht auf alle registrierten Hersteller auf der Basis einer wissenschaftlich anerkannten Berechnungsweise berechnet, die durch Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen bestätigt worden sei. Auf der Grundlage der von ihr geprüften Berechnungen treffe die zuständige Behörde die im Einzelfall erforderlichen Anordnungen, um sicherzustellen, dass den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern die erforderliche Menge an Behältnissen zur Verfügung stehe. Eine entsprechende Logistik sei gesetzlich auch für die Abholung vorgeschrieben. Die im Elektrogesetz enthaltene Produktverantwortung, die sich in den Herstellerpflichten vor allem der Behältnisbereitstellung und der Rücknahmepflicht manifestiere, verstoße nicht gegen Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 3 Abs. 1 GG, auch soweit historische Altgeräte betroffen seien. Wenn ein neuer Marktteilnehmer, der im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Elektrogesetzes oder seiner einzelnen diesbezüglichen Pflichten keine Altgeräte hergestellt habe, mit den Herstellern gleichgestellt werde, die in der Vergangenheit bereits Neugeräte produziert hätten, beruhe dies auf der dargestellten Produktverantwortung für Altgeräte.

Gegen diesen Beschluss legte die Antragstellerin Beschwerde ein. Sowohl die Abhol- als auch die Bereitstellungsverpflichtung widerspreche dem abfallrechtlichen Grundsatz der Produktverantwortung. Die Berechnung der abzuholenden (historischen) Altgeräte erfolge fehlerhaft. Die von der Antragsgegnerin geübte Praxis stehe nicht im Einklang mit den Vorgaben des Gesetzes. Hilfsweise gelte, dass die Regelung der Abholmenge im konkreten Einzelfall vor dem Hintergrund der Produktverantwortung zu korrigieren sei. Der pauschale Hinweis auf ein Gutachten genüge nicht. Der Antragstellerin werde nunmehr aufgegeben, etwa das 24-fache der selbst von ihr in den Verkehr gebrachten Geräte zu entsorgen. Die Antragsgegnerin habe die Berechnung nicht dargelegt und das Verwaltungsgericht habe diese weder aufgeschlüsselt noch hinterfragt. Der Gerichtsakte hätten keine Anhaltspunkte zur Berechnung oder Nachprüfung entnommen werden können. Die Berechnungsmethode sei in jüngster Vergangenheit Gegenstand wissenschaftlicher Kritik gewesen. Wie sich aus den Untersuchungen einer Fachhochschule vom 2. August 2007 ergebe, sei ein offensichtliches Missverhältnis zu beklagen. Der Grundsatz der Produktverantwortung würde überdehnt und die Antragstellerin dadurch in ihren Grundrechten verletzt. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts lasse keine Auseinandersetzung mit dem Streitstoff erkennen, wenn sich das Gericht im Wesentlichen dem "nachvollziehbaren" Vortrag der Antragsgegnerin anschließe.

Die Antragstellerin beantragt,

1. unter Änderung des angefochtenen Beschlusses die aufschiebende Wirkung ihrer Klagen gegen die Abholungs- und Bereitstellungsanordnungen vom jeweils 13. Juli 2007 anzuordnen,

2. und auf die Antragsgegnerin dahingehend einzuwirken, dass diese bis zum Abschluss des Aussetzungsverfahrens von Vollstreckungsmaßnahmen absehe, hilfsweise, die Vollziehung der angefochtenen Anordnung im Wege der Zwischenentscheidung durch den Vorsitzenden auszusetzen.

Die Antragsgegnerin erwiderte, die Berechnung der Abhol- und Bereitstellungsverpflichtung sei fehlerfrei erfolgt. Das Elektrogesetz verdeutliche, dass eine Rücknahmeverpflichtung auch für historische Altgeräte bestehe, deren Verteilung auf die derzeitigen Hersteller sich nach ihrem jeweiligen Marktanteil richte. Bei dem der Berechnung zugrunde liegenden Algorithmus handle es sich um eine komplexe mathematische Formel, deren Veröffentlichung in jedem einzelnen Bescheid dem Hersteller eine Überprüfung seiner konkreten Abhol- und Bereitstellungsverpflichtung ohne die Kenntnis sämtlicher Daten aller anderen verpflichteten Hersteller ohnehin nicht ermöglichte, was bereits erstinstanzlich vorgetragen worden sei. Die vorgelegte Analyse einer Hochschule begründe keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der aktuellen Berechnungsweise, weil sie offensichtlich von einer völlig falschen Prämisse ausgehe. Ein Verstoß gegen die Begründungspflicht liege nicht vor. Eine Darstellung der Berechnungsweise in jedem einzelnen Bescheid erforderte die Darstellung der Daten aller Hersteller einer bestimmten Geräteart, wodurch Geschäftsgeheimnisse offenbart würden, was nicht im Einklang mit dem Elektrogesetz stehe. Die Antragsgegnerin habe das Verfahren und die Berechnungsweise im Internet veröffentlicht, womit sie ihrer gesetzlichen Pflicht nachgekommen sei. Gerade diese Veröffentlichungspflicht spreche gegen eine Begründungspflicht im Einzelfall. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf den Vortrag der Antragsgegnerin sei keine Leerformel, sondern verdeutliche, dass sich das Gericht mit den gegnerischen Argumenten auseinandersetze und diese für nachvollziehbar befunden habe. Die Systematik des Elektrogesetzes und der Herstellerpflichten stelle das Verwaltungsgericht ausführlich dar. Bislang sei die Antragstellerin den Anordnungen nicht nachgekommen. Ersatzmaßnahmen seien bis jetzt nicht durchgeführt worden.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Behörden- und Gerichtsakten und die von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin (§§ 146, 147 VwGO) ist nicht begründet.

Die grundsätzlich mit der Klage verbundene aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 1 VwGO) tritt gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht ein, weil diese für die streitgegenständlichen Bescheide gemäß § 21 Abs. 2 des Gesetzes über das Inverkehrbringen, die Rücknahme und die umweltverträgliche Entsorgung von Elektro- und Elektronikgeräten vom 16. März 2005 (ElektroG, BGBl I S. 762) ausgeschlossen ist. Das Gericht der Hauptsache kann gemäß § 80 Abs. 5 VwGO auf Antrag jedoch die aufschiebende Wirkung einer Klage anordnen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bestehen und deshalb eine Aufhebung oder Abänderung im Hauptsacheverfahren mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, oder wenn dessen sofortige Vollziehung für einen Abgabeschuldner eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

In Fällen der gesetzlichen Sofortvollzugsanordnung (hier § 21 Abs. 2 ElektroG) ist zu beachten, dass der Gesetzgeber einen grundsätzlichen Vorrang des Vollzugsinteresses angeordnet hat und es deshalb besonderer Umstände bedarf, eine hiervon abweichende Entscheidung zu rechtfertigen. Die Gerichte sind zu einer Einzelfallbetrachtung grundsätzlich nur im Hinblick auf solche Umstände angehalten, die von den Beteiligten vorgetragen werden, und die Annahme rechtfertigen könnten, dass im konkreten Fall von der gesetzgeberischen Grundentscheidung ausnahmsweise abzuweichen ist (vgl. hierzu BVerfG, B. v. 10.10.2003 Az. 1 BvR 2025/03 = NJW 2004, 930 - Ls).

Gründe dafür, dass die Vollziehung der streitgegenständlichen Bescheide für die Antragstellerin eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte, sind weder schlüssig vorgetragen noch sonst ersichtlich. Somit ist nur darauf abzustellen, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen.

Nach der in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich gebotenen summarischen Überprüfung gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Erfolgsaussichten der erhobenen Klagen offen sind. Es kann nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob und inwieweit die von der Antragsgegnerin angestellte und in ihren Bescheiden umgesetzte Mengenberechnung der von der Antragstellerin abzuholenden Elektro-(Alt-)Geräte im Einklang steht mit den Vorgaben des Elektrogesetzes, ob in unzulässiger Weise in die Grundrechte der Antragstellerin aus Art. 12 und 14 GG eingegriffen wird und ob wegen nicht ausreichender sachlicher Differenzierung beim Vollzug des Elektrogesetzes der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzt wurde.

Die Behauptungen der Antragstellerin, die in den Bescheiden bestimmte Abhol- und Bereitstellungsverpflichtung widerspreche dem abfallrechtlichen Grundsatz der Produktverantwortung, die Berechnung der abzuholenden (historischen) Altgeräte sei fehlerhaft erfolgt und die sie betreffende Regelung der Abholmenge sei vor dem Hintergrund der Produktverantwortung zu korrigieren, können nur im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Selbst der Hinweis, die Berechnungsmethode sei in jüngster Vergangenheit Gegenstand wissenschaftlicher Kritik gewesen, reicht nicht aus vorliegend von den gesetzgeberischen Grundentscheidungen für den Sofortvollzug ausnahmsweise abzuweichen. Eine eingehende Überprüfung dieser Sachverhalte einschließlich der Beurteilung der Frage, wo die Grenze zwischen der Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Offenlegung ihrer Berechnungsunterlagen und ihrer Verpflichtung zur Wahrung der Geschäftsgeheimnisse anderer Hersteller zu ziehen ist, würde den Rahmen der gebotenen summarischen Überprüfung sprengen und muss deshalb dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben (vgl. BVerfG, B. v. 10.10.2003 a.a.O.; BayVGH vom 23.4.2007 Az. 23 CS 07.489; vom 3.1.2006 Az. 23 CS 05.3135; vom 19.7.2004 Az. 23 CS 04.754).

Sind nach alledem die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren offen, ist dem öffentlichen Interesse des Gesetzgebers an der sofortigen Vollziehung der erlassenen Verwaltungsakte (§ 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, § 21 Abs. 2, § 9 Abs. 5 Satz 4, § 16 Abs. 5 ElektroG) gegenüber dem privaten Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Rechtsbehelfe der Vorzug zu geben. § 21 Abs. 2 ElektroG soll sicherstellen, dass Bereitstellung und Abholung der geforderten Behältnisse in jedem Fall unverzüglich erfolgen, um einen reibungslosen Vollzug des Elektrogesetzes zu gewährleisten. Käme es durch Rechtsbehelfe und Rechtsmittel zu zeitlichen Verzögerungen bei Bereitstellung und Abholung, bestünde die Gefahr, dass die Sammelsysteme der betroffenen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger erheblich beeinträchtigt und die gesamte Sammlungs-, Rücknahme- und Abhollogistik gestört würden (vgl. Stabno, ElektroG 2005, Anm. 2 zu § 21).

Danach ist die Beschwerde der Antragstellerin mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 47 Abs. 1 und 2 GKG (Hälfte des Hauptsachestreitwertes).

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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