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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.05.2006
Aktenzeichen: 24 CS 06.1290
Rechtsgebiete: GG, VersG


Vorschriften:

GG Art. 8
VersG § 15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

24 CS 06.1290

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Versammlungsrecht; Auflagen (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Simmon, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Müller

ohne mündliche Verhandlung am 18. Mai 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2006 wird in Nrn. I. und II. wie folgt geändert:

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wird auch hinsichtlich der Auflagen Nr. 4 (politische Fahnen), Nr. 9 (zeitliche Beschränkung von Musikdarbietungen) und Nr. 15 bezüglich der Parole "Deutscher Widerstand" wiederhergestellt. Hinsichtlich der Auflage Nr. 9 gilt dies mit der Maßgabe, dass die Musikdarbietungen bei der Kundgebung jeweils nicht länger als 25 Minuten pro Stunde dauern dürfen.

II. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2006 wird in Nr. III. aufgehoben. Die Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht tragen der Antragsteller zu einem Drittel und der Antragsgegner zu zwei Dritteln.

III. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

IV. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2005 meldete der Antragsteller für den 20. Mai 2006 einen Aufzug durch die Innenstadt von Dorfen mit dem Thema "Meinungs- und Kunstfreiheit der Kämpfer und der Alten! - Jede Repression bedeutet eine neue Demonstration! - Nachhilfestunden für Polizeidirektor Michael Schmidt und die Stadtoberen von Dorfen!" an. Bei dem näher bezeichneten Zug durch Dorfen sollen u. a. auch schwarze und schwarz-weiß-rote Fahnen mitgeführt und Musik von elektronischen Datenträgern abgespielt werden.

Mit Bescheid vom 10. Mai 2006 erließ das Landratsamt mehrere Auflagen. Mit der Auflage Nr. 4 wurde dem Antragsteller untersagt, Fahnen als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung, insbesondere Reichskriegsflaggen jedweder Art, mitzuführen. Davon ausgenommen sind lediglich Fahnen, die keinem strafrechtlichen Verbot unterliegen. Mit der Auflage Nr. 9 beschränkte die Versammlungsbehörde die musikalischen Darbietungen während der stationären Kundgebung auf zwei Zehn-Minuten-Blöcke pro Stunde. Zwischen den einzelnen Blöcken müsse jeweils eine Pause von mindestens zehn Minuten gewährleistet sein. Mit der Auflage Nr. 15 wurden Reden und Sprechchöre der Versammlung sowie Aussagen und Botschaften auf Transparenten, Kundgebungsmitteln und Informationsmaterialien, die das NS-Regime sowie dessen Organisationen und deren (auch selbst ernannte) Folgeorganisationen sowie verbotene Parteien und Vereine einschließlich deren Nachfolge- und Ersatzorganisationen glorifizieren, verharmlosen oder sonst wiederbeleben, verboten, insbesondere die Parolen "Ruhm und Ehre der Waffen-SS", "Wir sind wieder da!", "Wir kriegen Euch (alle)!", alle Parolen mit der Wortfolge "Nationaler Widerstand" und "Deutscher Widerstand" sowie die Parole mit den Wortfolgen "Zionisten - Mörder und Faschisten!". Für die Auflagen wurde die sofortige Vollziehung angeordnet.

Gegen diesen Bescheid ließ der Antragsteller Widerspruch erheben und gleichzeitig beim Verwaltungsgericht München beantragen anzuordnen, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Auflagenverfügung, die Versammlung des Antragstellers in Dorfen am 20. Mai 2006 ua die Auflagen 4, 9 und 15 betreffend, wiederhergestellt wird.

Mit Beschluss vom 16. Mai 2006 stellte das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs teilweise wieder her. Soweit sich der Eilantrag gegen die Auflagen Nr. 4 (Verbot politischer Fahnen), Nr. 9 (Beschränkung der Musikdarbietungen) und Nr. 15 (Verbot der Parole "Deutscher Widerstand") richtete, lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Reichskriegsflaggen stellten Kennzeichen dar, die geeignet seien, die ehemalige nationalsozialistische Organisation zu propagieren. Dies gefährde unmittelbar die öffentliche Ordnung. Durch das Mitführen solcher Flaggen würden die ungeschriebenen Regeln für das Verhalten des Einzelnen in der Öffentlichkeit, deren Beachtung unerlässliche Voraussetzung des Gemeinschaftslebens sei, beeinträchtigt. Dies gelte aufgrund der Ähnlichkeit zu Flaggen des Dritten Reiches gerade für Reichskriegsflaggen vor dieser Zeit. Durch die zeitliche Begrenzung der musikalischen Darbietung könne das Ziel, die Versammlungsaussagen durch Musikeinspielungen zu unterstützen, erreicht werden, ohne der Veranstaltung den Charakter einer Versammlung zu nehmen und sie zu einer reinen Musikveranstaltung werden zu lassen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers mit dem Antrag, den Beschluss des Verwaltungsgerichts teilweise abzuändern und anzuordnen, dass die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs die Versammlung am 20. Mai 2006 in Dorfen betreffend hinsichtlich der Auflagen 4, 9, 15 wiederhergestellt wird.

Die Reichskriegsflagge sei kein Kennzeichen, das geeignet sei, ehemalige nationalsozialistische Organisationen zu propagieren und zu gefährden. Die Beschränkung der Musikdarbietungen bei der Kundgebung auf zwei Mal zehn Minuten pro Stunde schränke den Antragsteller zu einschneidend in seinem Gestaltungsrecht ein. Der Antragsteller beabsichtige, durchschnittlich höchstens deutlich weniger als die Hälfte der Zeit Musikbeiträge abzuspielen, also pro Stunde höchstens 25 Minuten. Die Musikbeiträge sollten nicht am Stück abgespielt werden, sondern nur die Redebeiträge und Sprechchöre umrahmen. Das Gehen der Versammlungsteilnehmer dauere insgesamt vermutlich insgesamt vier Stunden oder länger. Es sei sinnvoll, die Sprechchöre während des Laufens durch zehn Minuten lang andauernde Musikbeiträge zu unterbrechen. Bei der Parole "Deutscher Widerstand" handle es sich weder um ein nationalsozialistisches Kennzeichen gemäß § 86a StGB noch um eine Störung der öffentlichen Ordnung. Die Nationalsozialisten hätten überhaupt keinen "Widerstand" geleistet. Der Begriff des Widerstandes sei vieldeutig und nicht bloß auf den Nationalsozialismus oder seine Gegner einzuschränken.

Der Antragsgegner beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Schwarz-weiß-rote Fahnen wiesen für sich genommen keinen Zusammenhang mit dem NS-Regime auf, eine Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und eine Straftat lägen nicht vor. Mit dem bewusst gesuchten Anklang an das nationalsozialistische Auftreten und der darin liegenden Sympathiekundgebung liege aber eine Störung der öffentlichen Ordnung vor, die eine Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG rechtfertige. Die Beschränkung der Musikdarbietung stelle einen guten Kompromiss dar zwischen dem Bedürfnis des Veranstalters und der Versammlungsteilnehmer und dem Ruhebedürfnis der Bevölkerung. Die Formulierung "Deutscher Widerstand" sei nicht als neutral anzusehen. Es sei der Gesamtzusammenhang zu beachten. Letztlich sei gemeint, es solle sich in Deutschland ein Widerstand mit rechtsextremistischer Zielsetzung formieren.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die beigezogene Behördenakte und die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Gegenstand der Beschwerde sind die Auflage Nr. 4, soweit darin insbesondere das Mitführen der Reichskriegsflagge verboten wurde, die Auflage Nr. 9, soweit darin die Musikdarbietungen zeitlich eingeschränkt wurden, und die Auflage Nr. 15, soweit damit die Verwendung der Wortfolge "Deutscher Widerstand" bei der Kundgebung verboten wurde. Diese Eingrenzung bzw. Auslegung der Beschwerde ergibt sich aus der Fassung des Beschwerdeantrags und der Begründung der Beschwerde.

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs ist in dem in der Beschwerde beantragten Umfang wiederherzustellen, weil insoweit ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Auflagen bestehen.

Die Formulierung der Auflage Nr. 4 begegnet schon deshalb rechtlichen Bedenken, weil sie sehr allgemein gehalten ist und damit zu Zweifeln Anlass gibt, ob sie hinreichend bestimmt ist und einen vollstreckbaren Inhalt hat. Darüber hinaus ist das - im Bescheid nicht begründete - Verbot, Reichskriegsflaggen jedweder Art mitzuführen, nach der im Eilverfahren nur summarisch möglichen, aber intensiven Prüfung der Rechtslage nicht gerechtfertigt. Soweit damit drohende Straftaten (§ 86 a Abs. 1, § 130 StGB) verhindert werden sollen, kann sich das Verbot zwar auf die Reichskriegsflagge in der Fassung beziehen, die sie in der Zeit nach 1935 wegen der Hinzufügung des Hakenkreuzes hatte. Das Mitführen der Reichskriegsflagge in den vor 1935 verwendeten Fassungen führt aber nicht in jedem Fall zu einer Strafbarkeit der Kundgebungsteilnehmer. Nach der Rechtsprechung verschiedener Obergerichte kommt in einem solchen Fall eine Strafbarkeit bei Hinzutreten weiterer Umstände in Betracht (vgl. OLG Hamburg vom 27.5.1981, MDR 1981,779; OLG Brandenburg vom 28.11.2001, NJW 2002,1440/1442). Solche weiteren Umstände sind im Bescheid nicht dargelegt und auch sonst nicht ersichtlich. Nach Ansicht des VGH Baden Württemberg in dem vom Antragsteller zitierten Beschluss vom 15.6.2006 (NJW 2006, 635) stellt das Zeigen einer schwarz-weiß-roten Reichsflagge auch sonst keine Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dar. Wie das Zeigen der Reichskriegsflagge in den vor 1935 verwendeten Fassungen rechtlich zu beurteilen ist, muss im Hauptsacheverfahren geprüft werden. Im summarischen Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO überwiegen bei der Abwägung der Interessen des Antragstellers und der Allgemeinheit die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Auflage. Selbstverständlich ist das Mitführen einer Reichskriegsflagge in der nach 1935 verwendeten Fassung strafbar und versammlungsrechtlich verboten.

Die zeitliche Eingrenzung der Musikdarbietungen bedeutet eine Einschränkung der durch Art. 8 GG gewährleisteten Gestaltungsfreiheit des Veranstalters einer Versammlung und bedarf einer Rechtsgrundlage. Das ist hier auch deshalb von Bedeutung, weil die Musikdarbietungen Teil der geplanten Veranstaltung sind und nicht (nur) der Unterhaltung dienen. Nach den Angaben des Antragstellers sollen nämlich Musikstücke mit politischem Inhalt dargeboten werden. Für die verfügte zeitliche Einschränkung der Musikdarbietung fehlt im Bescheid eine Begründung. Sie ergibt sich nicht aus den Umständen des Falles und folgt auch nicht schon aus der Tatsache, dass die verfügte Beschränkung die Veranstaltung nicht zu einer Musikveranstaltung werden lässt. Dass diese Auflage einen Kompromiss zwischen dem Interesse des Antragstellers und dem Ruhebedürfnis der Bevölkerung darstellt, genügt zur Rechtfertigung der Auflage ebenfalls nicht.

Dem Senat erschien es jedoch angemessen, die Ankündigung des Antragstellers im Beschwerdeschriftsatz aufzugreifen und die Musikdarbietungen zur Vermeidung unnötiger Lärmbelästigung während der Kundgebung auf 25 Minuten pro Stunde zu beschränken.

Die Auflage, mit der die Verwendung der Wortfolge "Deutscher Widerstand" verboten wurde, wird voraussichtlich in einem Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben. Die Versammlungsbehörde geht erkennbar von der Strafbarkeit der Verwendung dieser Wortfolge aus, wie sich aus dem Zusammenhang mit den anderen aufgeführten Wortfolgen ergibt. Jedenfalls für die hier streitgegenständliche Wortfolge kann die Strafbarkeit etwa nach § 130 StGB nicht ohne weiteres bejaht werden. Zur Bejahung der Strafbarkeit genügt es nicht, dass mit der Verwendung dieser Wortfolge rechtsextremes Gedankengut propagiert wird. Insofern hätte in dem angefochtenen Bescheid dargelegt werden müssen, inwiefern die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Straftatbestandes vorliegen könnten. Das Verwaltungsgericht hat zwar ausgeführt, eine solchen Parole beziehe sich auf das NS-Regime, es hat damit aber nicht nachvollziehbar die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Strafbarkeit dargelegt. Soweit der Antragsgegner in der Beschwerdeerwiderung auf den Gesamtzusammenhang abstellt und dabei eine rechtsextremistische Zielsetzung erkennt, ist darauf hinzuweisen, dass auch eine extremistische Äußerung als solche dem Schutz der Meinungsfreiheit des Art. 5 GG unterfällt und nur unter den von der obergerichtlichen Rechtsprechung herausgearbeiteten Grundsätzen eingeschränkt werden kann. Dazu zählt insbesondere die Strafbarkeit einer derartigen Äußerung. Es muss auch insoweit der Prüfung in einem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, ob die Verwendung der Wortfolge für sich gesehen oder in einem bestimmten Zusammenhang strafbar sein kann. Auch hinsichtlich dieser Auflage fällt die Interessenabwägung zugunsten des Freiheitsrechts des Antragstellers aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Die im Tenor dieses Beschlusses (Nr. I.) enthaltene Einschränkung der stattgebenden Entscheidung fällt bei der Kostenentscheidung nicht ins Gewicht.

Der Streitwert ergibt sich aus §§ 47, 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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