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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 31.08.2006
Aktenzeichen: 24 CS 06.1622
Rechtsgebiete: VwGO, BayVwVfG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 2 Nr. 4
VwGO § 80 Abs. 3
BayVwVfG Art. 48 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

24 CS 06.1622

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO);

hier: Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2006,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 24. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Simmon, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Eich

ohne mündliche Verhandlung am 31. August 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Unter Abänderung der Nr. I. des Beschlusses des Bayer. Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2006 wird die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Nr. 1. des Bescheides der Antragsgegnerin vom 5. Oktober 2005 (Nr. 2. des Bescheides) aufgehoben.

II. Unter Abänderung der Nr. II des Beschlusses des Verwaltungsgerichts trägt die Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der 1971 geborene Antragsteller ist serbisch-montenegrinischer Staatsangehöriger. Er reiste im August 1996 in das Bundesgebiet ein und führte hier erfolglos ein Asyl- sowie ein Asylfolgeverfahren durch. Nach seiner Einreise ließ er sich von seiner in Serbien lebenden schwangeren Ehefrau scheiden. Diese verblieb mit den damals drei Kindern im Heimatland. Im Oktober 1999 heiratete der Antragsteller eine 20 Jahre ältere deutsche Staatsangehörige und erhielt vom 15. Oktober 1999 bis zum 10. Oktober 2002 eine befristete Aufenthaltserlaubnis. Am 10. Oktober 2002 wurde diese unbefristet verlängert. Von seiner deutschen Ehefrau wurde der Antragsteller im März 2003 geschieden. Ausweislich des Scheidungsurteils (Bl. 297 ff d. Akten) lebten die Ehegatten seit 21. Dezember 2001 getrennt. Am 21. April 2003 heiratete der Antragsteller erneut seine serbische frühere Ehefrau.

Mit Strafbefehl des Amtsgerichts München vom 27. Dezember 2004 wurde der Antragsteller wegen Erschleichens einer Aufenthaltsgenehmigung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt (Bl. 468 ff d. Verwaltungsakten d. Antragsgegnerin). Er habe am 10. Oktober 2002 wahrheitswidrig bei der Antragsgegnerin erklärt, mit seiner deutschen Ehefrau zusammenzuleben.

Nach Anhörung nahm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 5. Oktober 2005 die dem Antragsteller erteilte unbefristete Aufenthaltserlaubnis mit Wirkung zum 10. Oktober 2002 zurück, ordnete insoweit die sofortige Vollziehung an und wies den Antragsteller aus dem Bundesgebiet aus. Sie drohte dessen Abschiebung nach Serbien-Montenegro an (Bl. 487 ff der Verwaltungsakten).

Hiergegen richtet sich die Klage und der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO des Antragstellers vom 21. November 2005. Über die Klage ist, soweit ersichtlich, noch nicht entschieden. Im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beantragte der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Nr. 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 5. Oktober 2005 wieder herzustellen.

Mit Beschluss vom 16. Mai 2006 lehnte das Verwaltungsgericht den Antrag ab. Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht aus, die Antragsgegnerin habe die Vollzugsanordnung ordnungsgemäß i.S. des § 80 Abs. 3 VwGO begründet. Nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehe im vorliegenden Fall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Die Rücknahme sei voraussichtlich rechtmäßig. Die vom Gericht eigenständig vorzunehmende Interessenabwägung ergebe, dass das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit der Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis das private Interesse des Antragstellers überwiege.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde vom 7. Juni 2006. Der Antragsteller beantragt,

unter Abänderung des Beschlusses des Bayer. Verwaltungsgerichts München vom 16. Mai 2006 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Nr. 1 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 5. Oktober 2005 wiederherzustellen.

Zur Begründung wurde ausgeführt, für die sofortige Vollziehung des Verwaltungsakts sei ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich, das über das Interesse hinausgehe, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertige. Das Verwaltungsgericht habe aber lediglich ausgeführt, die Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sei "voraussichtlich rechtmäßig". Dies reiche aber nicht aus. Es hätte prüfen müssen, "ob besondere Umstände unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls es erforderlich machen, die Garantie des Antragstellers auf effektiven Rechtsschutz zurücktreten zu lassen." Die Argumentation des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller könne nicht besser gestellt werden als ein Ausländer, bei dem die Täuschungshandlung sofort erkannt und die Aufenthaltserlaubnis gar nicht erst erteilt werde, treffe nicht zu. Vielmehr habe der Gesetzgeber genau geregelt, dass bei der Rücknahme eines Verwaltungsakts keine sofortige Vollziehbarkeit per Gesetz eintrete, vielmehr habe er den Ausschluss des Suspensiveffekts auf wenige Fallgestaltungen beschränkt. Das Verwaltungsgericht könne dies zwar rügen, jedoch nicht selbst korrigieren.

Die Antragsgegnerin hat sich zum Verfahren nicht geäußert.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der vorgelegten Akten der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Gegenstand ist wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren lediglich die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers, nicht dagegen die Ausweisung, für die kein Sofortvollzug angeordnet worden ist.

Unter Zugrundelegung des Prüfungsrahmens des § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO erweist sich die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis als unzutreffend. Zu Recht rügt der Antragsteller, dass für die sofortige Vollziehung der Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich ist, das über das Interesse hinausgehen muss, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt.

Ungeachtet der Frage, ob das Verwaltungsgericht zu Recht von der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung ausgegangen ist und ob die von ihm eigenständig vorgenommene Interessenabwägung rechtlich zu beanstanden ist, war die Anordnung der sofortigen Vollziehung in der Nr. 2 des angefochtenen Bescheides vom 5. Oktober 2005 bereits deshalb aufzuheben, weil die Antragsgegnerin den Sofortvollzug nicht entsprechend den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO begründet hat.

In der Beschwerde wird zu Recht geltend gemacht, dass für die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsakts nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO ein besonderes öffentliches Interesse erforderlich ist, das über jenes Interesse hinausgeht, das den Verwaltungsakt selbst rechtfertigt (vgl. BVerfG vom 25.1.1996 AuAS 1996/62). Dieses muss bei der schriftlichen Begründung des besonderen Interesses der Behörde an der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO zum Ausdruck kommen. Der verfassungsrechtlichen Bedeutung der Begründungspflicht ist nämlich auch hinsichtlich der inhaltlichen Anforderungen an die Begründung Rechnung zu tragen. Dem Erfordernis einer schriftlichen Begründung ist nicht bereits genügt, wenn überhaupt eine Begründung gegeben wird. Es bedarf vielmehr einer schlüssigen, konkreten und substantiierten Darlegung der wesentlichen Erwägungen, warum aus Sicht der Behörde gerade im vorliegenden Einzelfall ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung gegeben ist und das Interesse des Betroffenen am Bestehen der aufschiebenden Wirkung ausnahmsweise zurückzutreten hat (BVerwG vom 18.9.2001 Az. 1 DB 26/01 in juris). Pauschale, formelhafte Formulierungen genügen diesen Anforderungen grundsätzlich nicht, auch wenn bei gleichartigen Tatbeständen gleiche oder typisierte Begründungen ausreichen können (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, RdNr. 85 zu § 80).

Die Ausführungen in der angefochtenen Verfügung werden diesen Vorgaben nicht gerecht. Sie sind lediglich allgemeiner Natur. Es fehlt eine auf den Einzelfall bezogene schlüssige und substantiierte Darlegung der Gründe, warum gerade im Fall des Antragstellers die Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis sofort vollziehbar sein soll.

Sofern die Antragsgegnerin hierzu auf S. 4 ihres Bescheides vom 5. Oktober 2005 ausführt, nur durch die sofortige Vollziehung der Rücknahme der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis des Antragstellers werde sicher gestellt, dass die aufschiebende Wirkung einer von ihm möglicherweise angestrengten Klage nicht dazu führt, dass er auf diesem Wege seinen durch falsche Angaben erschlichenen Aufenthalt durch ein möglicherweise mehrjähriges Rechtsbehelfsverfahren auf unabsehbare Zeit verlängert, übersieht sie, dass der Gesetzgeber dies gerade hingenommen hat. Er hat nämlich für diese Fälle eine sofortige Vollziehung kraft Gesetzes nicht vorgeschrieben. Dies hätte er ohne weiteres entsprechend § 84 Abs. 1 AufenthG regeln können, hat dies aber gerade nicht getan. Da jeder, der getäuscht hat und dessen Aufenthaltserlaubnis deshalb zurückgenommen wird, zunächst kraft Gesetzes bis zur Bestandskraft bzw. Rechtskraft der Verfügung im Bundesgebiet verbleiben darf, rechtfertigt dieses Argument nicht ohne weiteres die Anordnung der sofortigen Vollziehung im Fall des Antragstellers.

Aber auch das Argument, es stehe dem öffentlichen Interesse entgegen, positive Rechtsfolgen von Straftaten zuzulassen, greift nicht. Denn abgesehen von der Tatsache, dass auch die Ausweisung von Ausländern nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, gilt insoweit - ebenso für Ausweisungen - das oben ausgeführte. Der Gesetzgeber hat dies generell hingenommen.

Schließlich führt die Antragstellerin aus, dass der Antragsteller ohne die Anordnung der sofortigen Vollziehung Nutzen aus dem Erschleichen der unbefristeten Aufenthaltserlaubnis ziehen könnte, da diese für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens erhalten bleibe. Abgesehen davon, dass die Antragsgegnerin damit lediglich ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und auch diese Aussage nichts anderes enthält als eine allgemeine Floskel, ist sie auch unrichtig. Denn gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG bleibt die Aufenthaltserlaubnis für die Dauer des Rechtsbehelfsverfahrens gerade nicht erhalten, sondern die Klage lässt die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts, der die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts beendet, unberührt (§ 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG).

Da demzufolge bereits dem formellen Begründungserfordernis des § 80 Abs. 3 VwGO nicht Rechnung getragen worden ist, war die Anordnung der sofortigen Vollziehung aufzuheben (vgl. BVerwG a.a.O.; Schmidt in Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 93 zu § 80).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 53 Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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