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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 17.04.2007
Aktenzeichen: 4 C 07.659
Rechtsgebiete: VwGO, VV RVG


Vorschriften:

VwGO § 93 Satz 1
VwGO § 164
VV RVG Vorbemerkung 3 Abs. 3 zu Teil 3
VV RVG Nr. 3104
Verbindet das Verwaltungsgericht nach Aufruf der Sache zwei Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung, errechnet sich die Terminsgebühr für die anwaltliche Vertretung in dieser Verhandlung nach den jeweiligen (Einzel-)Streitwerten, nicht anteilig nach deren Summe.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

4 C 07.659

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Gewerbesteuer (Kostenfestsetzung);

hier: Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. Februar 2007,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Kraft

ohne mündliche Verhandlung am 17. April 2007

folgenden Beschluss: Tenor:

I. Der Kostenfestsetzungsbeschluss des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 10. Januar 2007 und der Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 22. Februar 2007 werden abgeändert.

Die dem Kläger erwachsenen notwendigen und zu erstattenden Aufwendungen werden auf 16.541,60 Euro festgesetzt.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Erinnerungs- und des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 1.041,22 € festgesetzt.

Gründe:

Die Beschwerde, mit der sich der Kläger gegen die Zurückweisung seiner Erinnerung gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. Januar 2007 wendet, ist zulässig und begründet. Zu Unrecht wurden die dem Kläger im Verfahren RN 11 K 05.1055 erwachsenen notwendigen und zu erstattenden Aufwendungen statt auf die beantragten 16.541,60 Euro unter Kürzung der geltend gemachten Terminsgebühr nur auf 15.500,38 Euro festgesetzt.

Das Verwaltungsgericht vertritt die Auffassung, dass die Terminsgebühr (Nr. 3104 VV RVG) nicht aus dem Streitwert zu berechnen sei, den es für das Verfahren RN 11 K 05.1055 durch Beschluss vom 28. November 2006 auf 1.376.893,72 Euro festgesetzt hat; da es dieses Verfahren zu Beginn der mündlichen Verhandlung mit dem zeitgleich anberaumten weiteren Verfahren des Klägers RN 11 K 05.1054 durch förmlichen Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung verbunden habe, sei die Terminsgebühr vielmehr anteilig nach der Summe der Einzelstreitwerte beider Verfahren zu bestimmen (ebenso für eine vergleichbare Fallgestaltung VGH BW, B.v. 17.8.2006 - 3 S 1425/06, juris). Dem kann sich der Senat aus zwei Gründen nicht anschließen:

1. Die Terminsgebühr aus dem Einzelstreitwert des Verfahrens RN 11 K 05.1055 war bereits vor der Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung entstanden und kann von dieser schon deshalb nicht mehr beeinflusst werden.

Die Höhe der Terminsgebühr richtet sich nach dem Wert des Gegenstandes, auf den sich der Verhandlungstermin bezog. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Gebührentatbestand erfüllt wird und die Gebühr damit entsteht (vgl. Madert in: Gerold/Schmidt, RVG, 17. Aufl. 2006, RdNr. 4 zu § 22); eine nachträgliche Veränderung des Wertes lässt die einmal verdiente Gebühr weder ganz noch teilweise entfallen. Nach der Vorbemerkung 3 Abs. 3 Alternative 1 zu Teil 3 VV RVG entsteht die Terminsgebühr "für die Vertretung in einem Verhandlungstermin". Es genügt mithin, dass der Verhandlungstermin stattfindet und der Rechtsanwalt diesen Termin in dem Sinne wahrnimmt, dass er vertretungsbereit anwesend ist (Müller-Rabe in: Gerold/ Schmidt, a.a.O., RdNr. 29, 55 ff. zu Vorb. 3 VV, m.w.N.). Beide Voraussetzungen waren schon erfüllt, als das Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung am 28. November 2006 den Verbindungsbeschluss verkündete. Der Termin zur mündlichen Verhandlung begann mit dem Aufruf der Sache RN 11 K 05.1055 (§ 173 VwGO i.V.m. § 220 Abs. 1 ZPO). Zu diesem Zeitpunkt waren die Rechtsanwälte des Klägers ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28. November 2006 vertretungsbereit anwesend. Mehr ist zum Entstehen der Terminsgebühr nicht erforderlich. Denn anders als bei der Verhandlungsgebühr nach alter Rechtslage (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 BRAGO) ist unerheblich, was in dem Termin geschieht. Es ist insbesondere nicht erforderlich, dass zur Sach- oder Rechtslage verhandelt worden ist. So fällt etwa auch dann eine Terminsgebühr an, wenn das Gericht unmittelbar nach Aufruf die Sache etwa wegen Erkrankung des Berichterstatters vertagt (Müller-Rabe, a.a.O. RdNr. 62).

Bei Entstehen der Terminsgebühr war das Verfahren RN 11 K 05.1055 zweifellos selbständig. Allein die zeitgleiche Terminierung wie im Verfahren RN 11 K 05.1054 konnte eine Verbindung beider Verfahren zu einem einzigen nicht bewirken.

2. Die Berechnung der Terminsgebühr nach dem Gesamtstreitwert kann aber auch deshalb nicht überzeugen, weil dem Beschluss über die "Verbindung zur gemeinsamen Verhandlung" im vorliegenden Fall nicht die vom Verwaltungsgericht unterstellte Rechtswirkung zukommt.

Eine Verbindung mehrerer Verfahren sieht § 93 Satz 1 VwGO nur zu "gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung" vor. Sie bewirkt, dass die zuvor selbstständigen Verfahren nunmehr ein einziges (mit objektiver oder subjektiver Klagehäufung) bilden, sodass - vorbehaltlich einer späteren Trennung - eine einheitliche Entscheidung mit einem einheitlichen Kostenausspruch ergeht und ein einheitlicher, aus dem Wert der einzelnen ursprünglich selbstständigen Klagen addierter Verfahrensstreitwert festgesetzt wird, aus dem die nach der Verbindung entstandenen Gerichts- und Anwaltsgebühren zu berechnen sind. An Stelle einer Verbindung im Sinne des § 93 Satz 1 VwGO lässt es das Prozessrecht allerdings auch zu, mehrere Verfahren lediglich zum gleichen Zeitpunkt zu terminieren und tatsächlich gleichzeitig zu verhandeln. Eine solche Verfahrensweise, die aus Gründen der Prozessökonomie nahe liegt, wenn verschiedene Prozesse derselben (aber auch verschiedener) Beteiligten gleichgelagerte Sachverhalte oder Rechtsfragen betreffen, hat nicht die Wirkungen einer echten Verfahrensverbindung (Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, RdNr. 5 zu § 93); die Verfahren bleiben vielmehr weiterhin selbstständig. Eine gleichzeitige Verhandlung mehrerer Verfahren kann ohne besondere Anordnung erfolgen, aber auch förmlich beschlossen werden.

Fasst das Gericht den förmlichen Beschluss, mehrere Verfahren "zur gemeinsamen Verhandlung" zu verbinden, kann es sich demnach um eine echte Verfahrensverbindung nach § 93 Satz 1 VwGO handeln oder nur um eine zur tatsächlichen Vereinfachung dienende vorübergehende Maßnahme (vgl. BGH, U.v. 30.10.1956 - I ZR 82/55, NJW 1957, 183 f., und OLG München, B.v. 28.11.1989 - 11 W 2823/89, JurBüro 1990, 393 f., zu § 147 ZPO). Diese durch Auslegung zu beantwortende Frage stellt sich umso mehr, als in der Literatur mit gewichtigen Argumenten die bislang herrschende Auffassung in Frage gestellt wird, § 93 Satz 1 VwGO lasse eine auf die gemeinsame Verhandlung beschränkte Verbindung zu (vgl. einerseits etwa BayVGH, B.v. 29.3.2001 - 6 C 00.1441, BayVBl. 2001, 541 m.w.N.; andererseits Rudisile in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, RdNr. 17 zu § 93, Schmid in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, RdNr. 4 zu § 93 unter Aufgabe der gegenteiligen Ansicht in der Vorauflage).

Im vorliegenden Fall ergibt die Auslegung, dass das Verwaltungsgericht lediglich den Verfahrensablauf durch eine gleichzeitige Verhandlung der Parallelverfahren RN 11 K 05.1054 und 1055 abkürzen wollte, ohne damit eine vorübergehende Verbindung zu einem einzigen Verfahren herbeizuführen. Dafür spricht bereits, dass das Verwaltungsgericht selbst auch nach Verkündung des Beschlusses über die "Verbindung" im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung nach wie vor von der Existenz zweier getrennter Verfahren ausgegangen ist. Es hat, wie sich aus der Sitzungsniederschrift ergibt, "in beiden Verfahren" sowohl dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt als auch Klageanträge aufgenommen. Auf eine zumindest vorübergehende rechtliche Verbindung zu einem einzigen Verfahren, etwa zur Durchführung einer gemeinsamen Beweisaufnahme, oder gar eine gemeinsame Entscheidung zielte die gerichtliche Maßnahme von vornherein nicht ab.

Der Beklagte hat die Kosten des Erinnerungs- und des Beschwerdeverfahrens nach § 154 Abs. 1 VwGO zu tragen. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 GKG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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