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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 07.08.2006
Aktenzeichen: 4 ZB 05.1984
Rechtsgebiete: GG, BGB, GO


Vorschriften:

GG Art. 14
GG Art. 19 Abs. 4
BGB § 1004
GO Art. 24 Abs. 2 Satz 3
Zum Erfordernis einer Duldungsanordnung vor Inanspruchnahme privaten Grundeigentums bei der Neuverlegung einer gemeindlichen Entwässerungsleitung.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

4 ZB 05.1984

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Beseitigung eines Abwasserkanals;

hier: Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Würzburg vom 15. Juni 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Kraft,

ohne mündliche Verhandlung am 7. August 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Kläger, Miteigentümer der FlNr. 290/2 der Gemarkung M., verlangen die Entfernung des im September 2002 in ihr Wiesengrundstück auf einer vorhandenen Trasse neu verlegten, in West-Ost-Richtung verlaufenden öffentlichen Kanals.

Das Grundstück der Kläger grenzt im Osten an die nach Süden fließende Elsava; die Leitung führt unter dem Gewässer hindurch mit einem Düker und mündet in den östlich der Elsava parallel verlaufenden Hauptsammler. Westlich des klägerischen Grundstücks verläuft in Nord-Süd-Richtung ein öffentlicher Weg (FlNr. 292), an den im Westen die mit einem genehmigten Wohnhaus bebaute FlNr. 328 angrenzt; der Entwässerung diese Grundstücks dient der streitgegenständliche Kanal. Nördlich der FlNr. 328 liegt auf der FlNr. 334 die zur gemeindlichen Wasservorsorgung gefasste Sandrainquelle. Diese ist Anlass für die am 25. Juni 1973 durch das Landratsamt A. erlassene Wasserschutzgebietsverordnung, in deren engeren Schutzzone alle genannten Grundstücke mit Ausnahme der FlNr. 334 (= Fassungsbereich) liegen.

Von dem Neubau der schadhaft gewordenen Leitung, die zusätzlich mit zwei Revisionsschächten versehen wurde, waren die Kläger mit Schreiben der Beklagten vom 9. September 2002 verständigt worden; zu diesem Zeitpunkt waren die Arbeiten bereits im Gange.

Der vom Amtsgericht Aschaffenburg mit Beschluss vom 6. Oktober 2004 verwiesenen Klage gab das Verwaltungsgericht Würzburg mit Urteil vom 15. Juni 2005 statt und verurteilte die Beklagte, die im Grundstück FlNr. 290/2 der Gemarkung M. verlegte Kanalleitung stillzulegen, zu beseitigen und einen ordnungsgemäßen Zustand, insbesondere durch Wiederverfüllung herzustellen; die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Den Entscheidungsgründen ist u.a. zu entnehmen, dass die Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zur Duldung der durch ihr Grundstück verlaufenden Leitung verpflichtet seien. Ein Notleitungsrecht gemäß § 917 BGB bestehe nicht, da die Leitungsführung der öffentlichen Entwässerungseinrichtung selbst inmitten stehe und das zu entwässernde Wohngrundstück zudem unmittelbar an den öffentlichen Weg (FlNr. 292) grenze. Das Beseitigungsverlangen sei der Beklagten auch nicht unzumutbar. Die Beklagte habe nicht ausreichend dargelegt, dass ihr die Beseitigung nur mit unverhältnismäßigen, vernünftigerweise nicht mehr zumutbaren Aufwendungen möglich sei.

Dagegen wendet sich die Beklagte mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem die Kläger entgegentreten.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

1. Die Beklagte macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend. Die ursprünglich von dem Voreigentümer der FlNr. 328 verlegte Leitung sei durch spätere Änderungen der Entwässerungssatzung der Gemeinde zugewachsen. Die Beklagte habe, nachdem die Schadhaftigkeit der Leitung in der Nähe der Quellfassung bekannt geworden sei, zum Schutz der Trinkwasserversorgung unverzüglich handeln müssen. Das Verwaltungsgericht hätte den Sachverhalt deshalb auch unter dem Blickwinkel des § 228 BGB untersuchen müssen. Das genehmigte Wohnanwesen auf der FlNr. 328 könne nur über das Grundstück der Kläger entwässert werden, da es der Gemeinde aus wasserrechtlichen Gründen verwehrt sei, in die Wegtrasse (FlNr. 292) einen Kanal zu verlegen. Die Beklagte habe ein Notleitungsrecht entsprechend § 917 BGB und zudem stehe dem Beseitigungsverlangen der Rechtsgedanke des § 251 Abs. 2 Satz 1 BGB entgegen. Die Kläger begehrten angesichts ihres nahezu wertlosen Grundstücks in der engeren Schutzzone der Quellfassung und im Überschwemmungsgebiet der Elsava mit der Kanalbeseitigung und der abwassermäßigen Neuerschließung der FlNr. 328 von der Beklagten einen erheblichen, nicht absehbaren finanziellen Aufwand. Zu Unrecht werde in der angefochtenen Entscheidung davon ausgegangen, dass die Beklagte die Unzumutbarkeit der Leitungsbeseitigung nicht ausreichend dargelegt habe. Wenn das Verwaltungsgericht den Beklagtenvortrag fehlender Erschließungsalternativen als nicht ausreichend erachte, hätte es den Sachverhalt aufklären müssen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit einer Gerichtsentscheidung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00, NVwZ 2000, 1163/1164). Diesem Maßstab wird das Vorbringen der Antragsbegründung nicht gerecht.

a) Die Beklagtenseite übersieht bereits im Ansatz, dass die Gemeinde mit der ohne rechtlichen Titel durchgeführten Neuverlegung des gemeindlichen Entwässerungskanals im Grundstück der Kläger - zudem auf einer von der ursprünglichen abweichenden Trasse (Schriftsatz der Beklagtenbevollmächtigten vom 14.3.2005, S. 2) - rechtswidrig gehandelt hat. Vor der Leitungsverlegung durch Privatgrund ohne Zustimmung der betroffenen Eigentümer benötigt die Gemeinde eine Duldungsanordnung zur Konkretisierung der abstrakt-generellen Voraussetzungen der Befugnisnorm sowie als Vollstreckungsgrundlage (vgl. BayVGH, U.v. 10.4.1986 - 2 B 85 A.630, BayVBl. 1987, 21 f. zum Betretungsrecht). In dem Verwaltungsverfahren sind Varianten der Kanalführung - ggf. unter Hinzuziehung fremden technischen Sachverstands - zu untersuchen; denn in dem Duldungsbescheid hat die Gemeinde konkret zu belegen, dass sie zwingend darauf angewiesen ist, Privatgrund in Anspruch zu nehmen, weil Alternativen, die privates Grundeigentum nicht (oder nur in deutlich geringerem Maße) berühren, aus technischen oder anderen Gründen ausscheiden oder mit unzumutbaren Kosten verbunden wären (zum Maßstab der Erforderlichkeit vgl. BayVGH, B.v. 20.9.1994 - 4 CS 94.2698, BayVBl. 1995, 54; B.v. 24.7.2000 - 4 B 99.2063, BayVBl. 2001, 15). Die Durchführung des auf einen bestandskräftigen Duldungsakt zielenden Verwaltungsverfahrens dient nicht zuletzt dem Investitionsschutz der Gemeinde angesichts der durch Beiträge und Gebühren refinanzierten Mittel.

Dieser Verfahrensvorbehalt eröffnet im Falle des Abschlusses des Verwaltungsverfahrens mit einem Verwaltungsakt für den Betroffenen zudem die Möglichkeit der Inanspruchnahme präventiven Rechtsschutzes. Die in § 18a Abs. 2 EWS vorgesehene Benachrichtigungspflicht des Eigentümers über Art und Umfang der beabsichtigten Inanspruchnahme seines Grundstücks erweist sich jedenfalls bei dessen fehlendem Einverständnis nicht als ausreichend, um die gegenläufigen Interessen angemessen zu einem Ausgleich zu bringen und verschafft der Gemeinde darüber hinaus auch keinen Investitionsschutz durch Bestandskraft. Nur ein Verwaltungsverfahren bietet das geeignete Forum für die von der Gemeinde zu treffende und zu verantwortende Auswahlentscheidung hinsichtlich der Leitungsführung; die gerichtliche Amtsermittlungsmaxime (§ 86 Abs. 1 VwGO) in dem auf Beseitigung des unerlaubt verlegten Kanals gerichteten Prozess kann ein derartiges Verwaltungsverfahren nicht ersetzen. Vorliegend hätte die Beklagte darüber hinaus eine Ausnahmegenehmigung gemäß § 4 der Wasserschutzgebietsverordnung einholen müssen.

b) Zu den einzelnen Rügen der Beklagten: Selbst wenn - wofür nichts ersichtlich ist - die vormalige Leitungsführung im klägerischen Grundstück erlaubt gewesen sein sollte, würde das die Neuverlegung auf einer anderen Trasse nicht legalisieren. Auf Notstand (§ 228 BGB) vermag sich die Verwaltung angesichts des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gesetzesvorbehalts sowie des Vorrangs des Gesetzes - wenn überhaupt - nur in engsten Ausnahmefällen zu berufen; für eine sicherheitsrechtlich relevante konkrete Gefahr ist die Beklagte zudem jeden Beleg schuldig geblieben. Schließlich wären sicherheitsrechtlich allenfalls vorläufige Sicherungsmaßnahmen zu rechtfertigen, nicht aber eine auf Dauer angelegte Kanalverlegung in Privatgrund.

Der nahe liegenden Leitungsführung in dem öffentlichen Weg (FlNr. 292) vermag die Beklagte nicht entgegenzuhalten, dass insoweit ein Verbot gemäß § 3 der Wasserschutzgebietsverordnung bestehe, nachdem die verwirklichte Leitungsführung im Grundstück der Kläger ebenfalls wasserrechtlich illegal erfolgt ist. Jedenfalls ist nicht ersichtlich, dass insoweit keine Ausnahme - ggf. unter besonderen Überwachungsauflagen - erteilt werden könnte.

Das Verwaltungsgericht hat bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gedanke des Notleitungsrechts gemäß § 917 BGB nicht greift. Die Führung eines zur öffentlichen Entwässerungseinrichtung gehörenden Kanals kann damit nicht gerechtfertigt werden (BayVGH, U.v. 23.3.1999 - 4 B 97.720, UA S. 7).

Die Verletzung des Verfahrensvorbehalts vor der Inanspruchnahme von privatem Grundeigentum wirkt zurück auf die Darlegungslast der Beklagten, wenn sie gegen den von den Klägern geltend gemachten (Folgen-)Beseitigungsanspruch den Einwand der Unzumutbarkeit erhebt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kosten der Beseitigung der illegal verlegten Leitung insoweit auszublenden sind; relevant für Kostenvergleiche alternativer Führungen sind nur die Kosten der erstmaligen Verlegung (BayVGH, U.v. 23.7.1993 - 4 B 92.2832, UA S. 9). Hinter dieser Überlegung steht die Erkenntnis, dass die Tatsache der bereits vorgenommenen Kanalverlegung unberücksichtigt zu bleiben hat (BayVGH, U.v. 24.7.2000 - 4 B 99.2063, BayVBl. 2001, 115). Denn faktische Macht darf sich gegenüber dem Bürger nicht deshalb durchsetzen, weil sie vollzogen wurde, sondern nur, weil sie von der Rechtsordnung legitimiert ist (so BayVGH, U.v. 13.7.1994 - 4 B 93.2514, UA S. 6).

Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben ist auch nicht ansatzweise ersichtlich, dass eine alternative Trassenführung auf öffentlichem Grund sowie unter Inanspruchnahme von der Beklagten gehörenden Flächen die Maßnahme unverhältnismäßig verteuern würde. Das Verwaltungsgericht hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, dass die Beklagte ihren Einwand nicht in ausreichendem Maße dargelegt habe. Auch im Zulassungsverfahren ist die Gemeinde der sie treffenden Darlegungslast nicht nachgekommen, der sie sich - wie bereits ausgeführt - nicht durch einen Verweis auf die gerichtliche Amtsermittlungsmaxime (§ 86 VwGO) zu entziehen vermag.

2. Aus diesem Grund greift auch die Aufklärungsrüge nicht, so dass § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO nicht zur Zulassung der Berufung führt.

3. Nachdem Zulassungsgründe hinsichtlich der Sachentscheidung des Verwaltungsgerichts nicht greifen, folgt aus § 158 Abs. 1 VwGO, dass die Rüge der Verletzung des § 17b Abs. 2 Satz 2 GVG nicht zur Zulassung der Berufung führen kann (Neumann in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 158 Rdnr. 12).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 47 i.V.m. 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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