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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 14.12.2006
Aktenzeichen: 4 ZB 05.3048
Rechtsgebiete: GO, BayWG, NWFreiV


Vorschriften:

GO Art. 24 Abs. 1 Nr. 2
BayWG Art. 33 Abs. 2
BayWG Art. 41a
BayWG Art. 41b
NWFreiV § 1 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

4 ZB 05.3048

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang;

hier: Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 10. Oktober 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 4. Senat,

durch die Vorsitzende Richterin am Verwaltungsgerichtshof Dr. Motyl, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Prof. Dr. Kraft

ohne mündliche Verhandlung am 14. Dezember 2006 folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Nachdem die Gemeinde bekannt gegeben hatte, dass ihre Entwässerungsanlage in den Ortsteilen S. und L. vor der Fertigstellung stehe und die Grundstücke zwischen Anfang August und Ende Oktober 2003 anzuschließen seien, beantragte der Kläger am 14. August 2003 die Befreiung vom Anschluss an die Kanalisation.

Mit Bescheid vom 3. September 2003 forderte die beklagte Gemeinde den Kläger als Eigentümer des Grundstücks FlNr. 35 der Gemarkung L. auf, das Grundstück an die öffentliche Entwässerungsanlage der Marktgemeinde anzuschließen (Nr. 1) und verpflichtete ihn, alles Abwasser im Umfang des Benutzungsrechts in die öffentliche Entwässerungsanlage einzuleiten (Nr. 2); auf die weiteren Regelungen des Bescheids wird Bezug genommen. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies das Landratsamt Tirschenreuth mit Widerspruchsbescheid vom 24. März 2004 zurück.

Mit seiner Klage begehrte der Verfahrensbevollmächtigte des Klägers zuletzt, den Bescheid des Beklagen vom 3. September 2003 und den hierzu ergangenen Widerspruchsbescheid des Landratsamts Tirschenreuth vom 24. März 2004 insoweit aufzuheben, als darin dem Antrag auf Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich des Niederschlagswassers nicht stattgegeben wurde und den Beklagten zu verpflichten, dem Antrag insoweit stattzugeben. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. Oktober 2005 abgewiesen.

Dagegen richtet sich der Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

1. a) Der Kläger macht ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend, weil die auf Art. 33 Abs. 2 BayWG beruhende Verordnung über die erlaubnisfreie schadlose Versickerung von gesammeltem Niederschlagswasser (Niederschlagswasserfreistellungsverordnung vom 1.1.2000, GVBl. S. 30) nicht ausschließlich für den Vollzug des Wasserrechts maßgeblich sei, sondern - entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts - auch "Gründe des öffentlichen Wohls" i.S. des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 GO beeinflusse, die allein einen Anschluss- und Benutzungszwang rechtfertigten. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Urteil vom 28. Oktober 1994 (Az. 23 N 90.2272, VGH n.F. 47, 123) entschieden, dass die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs (an eine gemeindliche Entwässerungseinrichtung) für Niederschlagswasser besonderer rechtfertigender Belange im Einzelfall bedürfe. Damit habe sich das Verwaltungsgericht nicht auseinandergesetzt und es sei auch nichts dafür ersichtlich, aus welchen Gründen die Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs für die Niederschlagswasserabführung im Ortsteil L. als ländlichem Raum erforderlich sein sollte.

Ernstliche Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit eines Urteils sind begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 - 1 BvR 830/00, NVwZ 2000, 1163/1164). Das ist nicht der Fall.

Streitgegenstand des Verfahrens ist der Anspruch auf Befreiung von dem satzungsrechtlich angeordneten Zwang zum Anschluss und zur Benutzung des gemeindlichen Regenwasserkanals hinsichtlich des (auf bebauten oder befestigten Flächen des klägerischen Grundstücks anfallenden) Niederschlagswassers. Der seitens des Verfahrensbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gestellte Antrag ist in seiner Zielrichtung eindeutig und lässt sich nicht etwa dahingehend auslegen, dass davon die Anfechtung der Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs (infolge Rechtswidrigkeit der satzungsrechtlichen Grundlage oder fehlender Voraussetzungen der §§ 4 und 5 EWS im konkreten Fall) miterfasst würde.

Prüfungsmaßstab des streitgegenständlichen Befreiungsbegehrens ist § 6 EWS des Beklagten. Danach wird von der Verpflichtung zum Anschluss oder zur Benutzung auf Antrag ganz oder teilweise befreit, wenn der Anschluss oder die Benutzung aus besonderen Gründen auch unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Gemeinwohls nicht zumutbar ist. Der Befreiungsanspruch setzt die Wirksamkeit des satzungsmäßig angeordneten Anschluss- und Benutzungszwangs, das Bestehen eines Anschluss- und Benutzungsrechts gem. § 4 EWS sowie die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit der Anschlussnahme (§ 5 EWS) voraus; denn andernfalls wäre der Anspruch auf Befreiung jedenfalls unbegründet. Deshalb erweist sich die Rechtmäßigkeit der satzungsrechtlichen Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs für Niederschlagswasser (im Ortsteil L.) sowie dessen Konkretisierung durch Verwaltungsakt für die Beurteilung des streitgegenständlichen Dispensanspruchs nicht als entscheidungserheblich.

Demzufolge vermag die Rüge fehlender Gründe des öffentlichen Wohls i.S. des Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 GO für die Erstreckung des Anschluss- und Benutzungszwangs auf Niederschlagswasser im ländlich strukturierten Ortsteil L. keine ergebnisbezogenen Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu begründen. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Gültigkeit der Entwässerungssatzung (Nr. 1 der Entscheidungsgründe) tragen auch unter dem Aspekt, dass der Beklagte auf eine § 4 Abs. 5 der Mustersatzung des Bayer. Staatsministeriums des Inneren entsprechende Regelung (Kein Benutzungsrecht bei ordnungsgemäßer Versickerungsmöglichkeit des Niederschlagswassers) in seiner Entwässerungssatzung verzichtet hat, die Ablehnung des streitgegenständlichen Befreiungsanspruchs nicht. Schließlich betrifft auch die Annahme des Klägers, eine erlaubnisfreie und folglich dem Gemeingebrauch unterliegende schadlose Versickerung von Niederschlagswasser nach Maßgabe der §§ 1 ff. NWFreiV begründe die rechtliche Unmöglichkeit der Anschlussnahme gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 EWS, keinen entscheidungserheblichen Aspekt; zudem wirft diese Auffassung hinsichtlich der von der Klägerseite angenommenen Rechtsfolge auch inhaltlich keine zulassungsbegründenden Zweifel auf.

Schließlich kommt eine Zulassung der Berufung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auch nicht im Hinblick auf die beitragsrechtliche Entscheidung des OVG Lüneburg vom 6. November 2000 (Az. 9 L 2566/99, NVwZ-RR 2001, 782 f.) in Betracht. Die Regelungen im niedersächsischen Landesrecht zeichnen sich im Vergleich zur bayerischen Rechtslage durch eine deutliche Subsidiarität der kommunalen Aufgaben bei der Beseitigung des Niederschlagswassers aus: § 149 Abs. 3 NWG verpflichtet die Gemeinde nur noch dann zur Beseitigung von Niederschlagswasser, wenn dessen gesammeltes Fortleiten erforderlich ist, um eine Beeinträchtigung des Wohls der Allgemeinheit zu verhüten, oder wenn die Gemeinde für Niederschlagswasser den Anschluss an die öffentliche Abwasseranlage und deren Benutzung vorschreibt. Eine solche Anordnung des Anschluss- und Benutzungszwangs ist nach § 8 Nr. 2 NGO (nur) zulässig, wenn die Gemeinde ein dringendes öffentliches Bedürfnis für die zentrale Ableitung des Niederschlagswassers feststellt. Im Übrigen ist der Grundeigentümer selbst beseitigungspflichtig.

Demgegenüber ist, worauf die Antragsbegründung zu Recht hinweist, die gemeindliche Abwasserbeseitigungspflicht hinsichtlich des aus dem Bereich bebauter oder befestigter Flächen abfließenden Niederschlagswassers gem. Art. 41a Abs. 1 i.V.m. Art. 41b Abs. 1 BayWG im Freistaat Bayern grundsätzlich umfassender Natur und wird nicht erst durch die Notwendigkeit gesammelter Fortleitung bzw. die Anordnung eines Anschluss- und Benutzungszwangs begründet. Damit fehlt bereits eine vergleichbare landesrechtliche Ausgangssituation, die eine Heranziehung der in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg entwickelten Maßstäbe nahe legen würde.

b) Das Verwaltungsgericht hat bei Prüfung des streitgegenständlichen Befreiungsanspruchs im Ansatz zutreffend darauf abgestellt, dass die Beurteilung der Unzumutbarkeit des Anschluss- und Benutzungszwangs aus besonderen Gründen eine Abwägung der privaten Interessen an der Befreiung mit den öffentlichen Belangen verlangt. Der Klägerseite ist einzuräumen, dass mit Blick auf das Gewicht der in § 6 Abs. 1 Satz 1 EWS angesprochenen öffentlichen Belange ("... auch unter Berücksichtigung der Erfordernisse des Gemeinwohls ...") - entgegen der zumindest missverständlichen Formulierung des Verwaltungsgerichts (UA S. 8 Ende 2. Absatz) - die an § 33 Abs. 2 Nr. 3 WHG anknüpfende Wertung des bayerischen Verordnungsgebers in §§ 1 ff. NWFreiV, das Versickern von gesammeltem Niederschlagswasser unter bestimmten Voraussetzungen erlaubnisfrei zu stellen, bei der Saldierung der gegenläufigen Interessen und Belange zu berücksichtigen ist. Indes ergibt sich aus der Möglichkeit erlaubnisfreier Einleitung von Niederschlagswasser in das Grundwasser nicht gleichsam automatisch ein Befreiungsanspruch, wenn die Voraussetzungen der §§ 1 ff. NWFreiV auf dem jeweiligen Grundstück vorliegen, zumal am Grundwasser kein Gemeingebrauch stattfindet und dessen erlaubnisfreie Benutzung nicht eigentumsrechtlich fundiert ist (Art. 4 Abs. 1 BayWG; vgl. BVerfGE 58, 300).

Zulassungsbegründende Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des hier vorliegenden klageabweisenden Urteils i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind vor diesem Hintergrund nicht zu erkennen. Denn das Verwaltungsgericht hat die Ablehnung des Befreiungsanspruchs darauf gestützt, dass die Abwägung im vorliegenden Fall schon deshalb zulasten des Klägers ausgehen müsse, da seinem Antrag auf Befreiung keine Gesichtspunkte entnommen werden könnten, die auf eine Unzumutbarkeit des Niederschlagswasseranschlusses schließen lassen könnten (UA S. 7 unten). Auch in der mündlichen Verhandlung hätten sich keine Anhaltspunkte für eine unzumutbare Belastung des Klägers ergeben (UA S. 8 oben). Nachdem auch die Antragsbegründung keine qualifizierten Individualinteressen des Klägers aufzeigt, rechtfertigt allein die - mangels Nachweises der Voraussetzungen §§ 1 ff. NWFreiV zugunsten des Klägers unterstellte - erlaubnisfreie Versickerungsmöglichkeit des gesammelten Niederschlagswassers auf seinem Grundstück keine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang.

2. Die Zulassung der Berufung kommt auch nicht gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in Betracht. Die von der Klägerseite aufgeworfene Grundsatzfrage des "Verhältnisses von kommunalrechtlich angeordnetem Anschluss- und Benutzungszwang hinsichtlich der Niederschlagswasserableitung gem. Art. 24 Abs. 1 Nr. 2 GO und der Niederschlagswasserfreistellungsverordnung" erweist sich in dem hier vorliegenden, auf einen Befreiungsanspruch streitgegenständlich beschränkten Verfahren nicht als klärungsfähig. Mit welchen Gewicht eine erlaubnisfreie Versickerungsmöglichkeit gesammelten Niederschlagswassers in die Entscheidung über einen Befreiungsantrag einfließt, lässt sich nicht generell, sondern nur einzelfallbezogen beantworten. Weitere Fragen grundsätzlicher Bedeutung sind nicht ordnungsgemäß dargelegt (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).



Ende der Entscheidung

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