Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Urteil verkündet am 17.10.2002
Aktenzeichen: 5 B 01.71
Rechtsgebiete: GG, BVFG, VwGO


Vorschriften:

GG Art. 116 Abs. 1
BVFG § 4 Abs. 3 Satz 2
BVFG § 27 Abs. 2
VwGO § 43
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
5 B 01.71

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Statusfeststellung;

hier: Berufung der Kläger gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. November 2000,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Scheder, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz

ohne mündliche Verhandlung am 17. Oktober 2002

folgendes

Urteil:

Tenor:

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. November 2000 wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass die Kläger Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sind.

II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger reisten 1991 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Nach erfolgloser Asylbewerbung wurden sie als Bürgerkriegsflüchtlinge aus Kroatien geduldet. Die 1993 in die Bundesrepublik Deutschland eingereiste Mutter der Klägerin zu 1 erhielt mit Bescheid des Landratsamts Rosenheim vom 24. April 1996 eine Spätaussiedlerbescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG, nachdem ihr unter dem 18. März 1994 ein Aufnahmebescheid nach § 27 Abs. 2 BVFG erteilt worden war, in den ihre Tochter, die Klägerin zu 1, und deren Kinder, die Kläger zu 2 und 3 als Abkömmlinge "im Sinne des § 7 Abs. 2 BVFG" einbezogen worden sind.

Den Antrag der Klägerin zu 1 auf Ausstellung einer Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG lehnte das Landratsamt Rosenheim mit (bestandskräftigem) Bescheid vom 27. Januar 1997 ab.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 1998 lehnte das Landratsamt Traunstein die Anträge der Kläger auf Ausstellung eines Ausweises über die Rechtsstellung als Deutsche ab. Die sodann erhobene Klage auf Feststellung, dass die Kläger Deutsche im Sinn von Art. 116 GG sind, wies das Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 13. November 2000 ab. In den Gründen führt das Verwaltungsgericht (u.a.) aus, auf die vor Inkrafttreten des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes zum 1. Januar 1993 eingereisten Kläger finde § 4 Abs. 3 BVFG in der seither geltenden Fassung keine Anwendung. Wie Spätaussiedler nur sein könne, wer nach dem 31. Dezember 1992 das Aussiedlungsgebiet verlassen habe, so könne auch nur derjenige Abkömmling Rechte aus dem Status des Spätaussiedlers herleiten, der seinerseits nach dem Stichtag 31. Dezember 1992 das Aussiedlungsgebiet verlassen habe. Weil die Kläger lange vor der Mutter der Klägerin zu 1 als Bürgerkriegsflüchtlinge in die Bundesrepublik Deutschland gekommen seien, hätten sie auch nicht als Abkömmlinge eines Vertriebenen im Sinn von Art. 116 GG Aufnahme gefunden. Insoweit fehle es am erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen der Aufnahme der Kläger und ihrer Eigenschaft als Abkömmlinge eines aufgenommenen Vertriebenen.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung verfolgen die Kläger ihr Klagebegehren weiter. Sie beantragen,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 13. November 2000 abzuändern und unter Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Traunstein vom 30. Oktober 1998 festzustellen, dass die Kläger Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sind.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil. Ungeachtet der Einbeziehung der Kläger in den Aufnahmebescheid der Mutter der Klägerin zu 1 könne ihnen § 4 Abs. 3 BVFG in der ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung nicht zugute kommen, weil sie bereits vor diesem Stichtag in die Bundesrepublik Deutschland eingereist seien.

Die Beteiligten haben übereinstimmend das Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Akteninhalt im Übrigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat Erfolg. Die Kläger haben Anspruch auf die Feststellung, dass sie Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sind. Das angegriffene Urteil ist entsprechend abzuändern (§ 125 Abs. 1, § 43 Abs. 1 VwGO).

Die Feststellungsklage ist zulässig (vgl. BVerwG v. 21.5.1985, Buchholz 130 § 25 RuStAG Nr. 5; BayVGH v. 10.7.98 Az. 5 B 97.2727) und begründet. Einer Aufhebung des Bescheids des Landratsamts Traunstein vom 30. Oktober 1998 bedarf es nicht; er ist mit Blick auf den Feststellungsausspruch gegenstandslos (BayVGH v. 7.12.1983 Az. 5 B 82 A.1537).

Die Kläger sind Deutsche im Sinne des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes, weil sie als Abkömmlinge einer Vertriebenen deutscher Volkszugehörigkeit Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland gefunden haben.

Unter welchen Voraussetzungen eine Person im Sinne des Art. 116 Abs. 1 GG "als Vertriebener deutscher Volkszugehörigkeit" in dem dort genannten Gebiet "Aufnahme gefunden hat", ist seit Inkrafttreten der durch das Kriegsfolgenbereinigungsgesetz geänderten Fassung des Bundesvertriebenengesetzes abschließend nach den Bestimmungen dieses Gesetzes zu beurteilen (BVerwG v. 19.6.2001, BVerwGE 114, 332). Dementsprechend ist die Mutter der Klägerin zu 1, die 1993 als Spätaussiedlerin im Sinn von § 4 BVFG Aufnahme fand und 1996 die Bescheinigung nach § 15 Abs. 1 BVFG erhielt, zweifelsfrei Vertriebene im Sinn von Art. 116 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes ging keineswegs davon aus, dass sich die Rechtsstellung Spätaussiedler im Sinn von § 4 BVFG und Vertriebener im Sinn von Art. 116 Abs. 1 GG gegenseitig ausschlössen. Abgesehen davon, dass dem Gesetzeswortlaut hierfür nichts zu entnehmen ist, belegt die amtliche Begründung hinlänglich das Gegenteil. Danach wird die Feststellung eines Kriegsfolgenschicksals im Einzelfall entbehrlich, weil zu dem Personenkreis der Spätaussiedler nur diejenigen zählen, die von den Folgen des Zweiten Weltkriegs und seine Nachwirkungen heute noch betroffen sind. "Auch wenn sie abwarten, wie sich die erst jetzt mögliche Stabilisierung der rechtlichen und tatsächlichen Lage der deutschen Volksgruppen entwickelt und sich zu einem späteren Zeitpunkt doch für eine Aussiedlung entscheiden, ändert dies nichts an der grundsätzlichen Betroffenheit dieser Personen durch die Verfolgungsmaßnahmen infolge des Krieges. Auch sie sind bei der Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland Personen im Sinne des Artikels 116 des Grundgesetzes; denn bei dessen Anwendung war nie strittig, dass Vertriebener nicht nur derjenige ist, der durch unmittelbaren staatlichen Zwang aus seiner Heimat verdrängt wird (§ 1 Abs. 1 BVFG), sondern auch derjenige, der dem faktischen Druck der Verhältnisse weicht (§ 1 Abs. 2 Nr. 3 BVFG)." Insoweit "stellt" § 4 Abs. 2 BVFG lediglich "klar, dass der Spätaussiedler - ebenso wie der Aussiedler nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 - Deutscher im Sinne des Artikels 116 Abs. 1 des Grundgesetzes ist. Soweit der Spätaussiedler nicht deutscher Staatsangehöriger ist, erwirbt er die Rechtsstellung eines Deutschen mit der Aufnahme im Bundesgebiet. Das gleiche gilt für den Ehegatten und die Abkömmlinge" (BT-Drs. 12/3212, S. 22, 23 = BT-Drs. 12/3597, S. 51, 52). Der vermöge der Einbeziehung der Kläger in den Aufnahmebescheid der Mutter der Klägerin zu 1 als Abkömmlinge augenfällige kausale Zusammenhang zwischen der Eigenschaft der Kläger als Abkömmlinge einer vertriebenen Volksdeutschen und ihrer Aufnahme im Bundesgebiet (vgl. BVerwG v. 12.5.1992 BVerwGE 90, 173), ist nicht etwa dadurch in Frage gestellt, dass die Kläger vor der Mutter der Klägerin zu 1 als Bürgerkriegsflüchtlinge eingereist sind. Denn sie haben erst durch die Einbeziehung in den Aufnahmebescheid der Mutter der Klägerin zu 1 vom 18. März 1994 Aufnahme gefunden. Vorher ist ihnen keine behördliche Äußerung des Inhalts zuteil geworden, dass ihr ständiger Aufenthalt in Deutschland anerkannt werde (vgl. BVerwG v. 21.10.1959 BVerwGE 9, 231; v. 12.5.1992, a.a.O.). Ihnen war vielmehr noch durch Bescheid des Landratsamts Traunstein vom 29. Dezember 1993 u.a. mit der Begründung die Abschiebung angedroht worden, dass die ihnen gewährte - demnächst ablaufende - Duldung lediglich das vorübergehende Absehen von einer Abschiebung bescheinige.

Die Kläger erfüllen gleichermaßen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG. Letztere Vorschrift (in der ab 1. Januar 1993 geltenden Fassung) ist auf die Kläger ungeachtet des Umstandes anzuwenden, dass sie bereits 1991, also vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung nach Deutschland eingereist sind. Zwar sind die Rechte der Abkömmlinge vom Spätaussiedlerstatus der Bezugsperson rechtlich abhängig (BVerwG v. 12.7.2001 BVerwGE 115, 10/14), der (u.a.) voraussetzt, dass das Aussiedlungsgebiet im Wege der Aufnahme nach dem 31. Dezember 1992 verlassen wurde (§ 4 Abs. 1 BVFG). Das bedeutet indessen nicht, dass die Kläger ihrerseits ebenfalls erst nach dem 31. Dezember 1992 in die Bundesrepublik Deutschland hätten einreisen dürfen, um einer Aufnahme als Abkömmlinge einer Spätaussiedlerin (der Mutter der Klägerin zu 1) im Sinn von § 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG teilhaftig werden zu können. Die Abkömmlinge eines Spätaussiedlers unterwirft § 4 BVFG keiner Stichtagsregelung für das Verlassen des Aussiedlungsgebiets. Sie sind allein deswegen, weil sie das Aussiedlungsgebiet vor dem 1. Januar 1993 verlassen haben, auch keine Personen im Sinn von § 100 Abs. 1 BVFG, auf die das frühere Recht anzuwenden wäre. Denn sie selbst sind keine Personen im Sinn von §§ 1 bis 3 BVFG, also keine Vertriebene oder Flüchtlinge. Für sie gilt vielmehr ohne weiteres § 27 Abs. 2 BVFG. Danach kann Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, abweichend von Abs. 1 ein Aufnahmebescheid erteilt oder es kann die Eintragung nach Abs. 1 Satz 2 nachgeholt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Da für die Kläger die Eintragung nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG (bestandskräftig) erst 1994 nachgeholt wurde, kann auch ihre Aufnahme im Sinn von § 4 Abs. 3 Satz 2 BVFG nicht in Abrede gestellt werden, zumal der Begriff des Verlassens der Aussiedlungsgebiete "im Wege des Aufnahmeverfahrens" (§ 15 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 BVFG) alle nach § 27 BVFG möglichen Verfahrensgestaltungen umfasst (BVerwG v. 12.7.2001 BVerwGE 115, 10/12, 13; v. 19.4.1994 BVerwGE 95, 311/317). Dass der Zeitpunkt des Verlassens der Aussiedlungsgebiete (auch) maßgeblich dafür ist, nach welchen Vorschriften sich die Prüfung der "sonstigen Voraussetzungen" im Sinn von § 27 Abs. 2 BVFG für die Erteilung des Aufnahmebescheids richtet (BVerwG v. 19.4.1994 DVBl 1994, 938), ist (anders als für die Erteilung des Härtebescheids selbst) für die nachträgliche Einbeziehung von Abkömmlingen irrelevant; sie haben nämlich, vorausgesetzt die Versagung würde eine besondere Härte bedeuten, (nach derzeit - noch - geltendem Recht) keine weiteren Voraussetzungen zu erfüllen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Revision ist nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, weil der Sache trotz einer durch das Zuwanderungsgesetz ggf. eintretenden Rechtsänderung grundsätzliche Bedeutung zukommt.

Beschluss:

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 24.542 Euro (entspricht 48.000 DM) festgesetzt (§ 25, § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 1 GKG).

Ende der Entscheidung

Zurück