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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.11.2004
Aktenzeichen: 5 ZB 04.916
Rechtsgebiete: StAG, BayVwVf


Vorschriften:

StAG § 8
BayVwVfG Art. 36 Abs. 2 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

5 ZB 04.916

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Einbürgerung;

hier: Antrag der Beteiligten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 19. November 2003,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 5. Senat,

durch den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Hüffer, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Kraft, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Schmitz

ohne mündliche Verhandlung am 11. November 2004

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Die Landesanwaltschaft Bayern hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.

III. Der Streitwert wird für das Zulassungsverfahren auf 4.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Eltern der Klägerin reisten im Oktober 1993 in das Bundesgebiet ein und wurden im Februar 1994 als Asylberechtigte anerkannt. 1996 beantragten sie, unterstützt vom Bundesnachrichtendienst, mit Erfolg die Änderung ihrer Namen und des Namens der zwischenzeitlich geborenen Klägerin mit der Begründung, damit solle die persönliche Sicherheit ihrer Familie vor Verfolgungsmaßnahmen ihres Heimatstaates gewährleistet werden. Die Eltern der Klägerin wurden von der Beklagten mit Urkunden vom 14. Februar 2002 nach § 85 AuslG unter Hinnahme ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit (§ 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG) eingebürgert. Die Klägerin wurde ebenfalls eingebürgert, allerdings zugleich mit einem Auflagenbescheid verpflichtet, nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihre Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit zu betreiben. Ihr Widerspruch gegen diese Auflage wurde als unbegründet zurückgewiesen.

Das Verwaltungsgericht hat den Auflagen- und den Widerspruchsbescheid mit Urteil vom 19. November 2003 aufgehoben. Die Landesanwaltschaft Bayern beantragt als Vertreter des öffentlichen Interesses die Zulassung der Berufung gegen diese Entscheidung. Im Verlauf des Zulassungsverfahrens wurde der Auflagenbescheid zunächst durch Bescheid des Landratsamtes B** ********* vom 14. Juni 2004, dann durch den nachfolgenden Widerspruchsbescheid der Regierung *** ************ vom 12. August 2004 geändert; hiergegen ist eine Klage beim Verwaltungsgericht ******** anhängig.

II.

Der Antrag der Landesanwaltschaft als Vertreter des öffentlichen Interesses auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO liegen nicht vor.

1. Bei Prüfung der Berufungszulassungsgründe muss die inzwischen erfolgte Änderung des Auflagenbescheids außer Betracht bleiben. Gegenstand des Zulassungsverfahrens kann nämlich nur der Streitgegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens sein (vgl. OVG NRW, B. v. 21.5.2001 - 8 A 3373/99 - juris). Das ist der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Aufhebung des Auflagenbescheids der Beklagten vom 14. Februar 2002. Dieser Streitgegenstand ist nicht gegenstandslos geworden. Da der Auflagenbescheid durch die inzwischen ergangenen Bescheide (nur) geändert, nicht aber aufgehoben worden ist, entfaltet er noch Rechtswirkungen. Deshalb steht der Klägerin weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis für ihr Klagebegehren zur Seite. Der Streitgegenstand kann von den Beteiligten auch nicht erweitert und auf die Änderungsbescheide erstreckt werden. Die Klägerin ist im gegenwärtigen Stadium des Zulassungsverfahrens an einer - prozessökonomisch an sich nahe liegenden - Klageänderung gehindert, weil diese eine zulässige Berufung voraussetzt; im übrigen hat sie gegen den Änderungs- und nachfolgenden Widerspruchsbescheid bereits Klage zum Verwaltungsgericht Würzburg erhoben, so dass einer Klageerweiterung auch die anderweitige Rechtshängigkeit entgegenstünde. Die Landesanwaltschaft wiederum ist von vornherein an einer Klageänderung gehindert und mit ihrem Vorbringen zur Darlegung von Berufungszulassungsgründen auf den Streitgegenstand beschränkt, über den das Verwaltungsgericht entschieden hat (vgl. ThürOVG, B. v. 22.1.2003 - 1 ZKO 506/01 - ThürVBl 2003, 161).

2. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (über den prozessualen Anspruch der Klägerin auf Aufhebung des Auflagenbescheids der Beklagten vom 14. Februar 2002).

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass aufgrund der besonderen Umstände des konkreten Falles die mit der Einbürgerung der Klägerin verbundene Auflage, nach Erreichen der Volljährigkeit die dann nach dem Recht ihres Heimatstaates mögliche Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit zu betreiben, rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt. Die im Zulassungsverfahren dargelegten Gründe (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigen keine andere Beurteilung.

a) Die Verbindung der Einbürgerung mit der streitigen Auflage ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend unterstellt hat, allerdings nicht von vornherein ausgeschlossen.

Die Klägerin ist - im Gegensatz zu ihren Eltern, denen ein Anspruch auf Einbürgerung unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit nach § 85, § 87 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 AuslG zugestanden hat - auf der Grundlage von § 8 StAG im Ermessenswege eingebürgert worden. Eine Ermessenseinbürgerung nach dieser Vorschrift setzt auf der Tatbestandsseite nicht voraus, dass der Einbürgerungsbewerber seine bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt oder verliert. Der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit findet vielmehr (nur) im Rahmen der Ermessenserwägungen Berücksichtigung und kann mithin "überwunden" werden. Damit scheidet für Minderjährige eine Aufnahme in den deutschen Staatsverband nicht zwingend aus, wenn der Heimatstaat eine Entlassung aus seiner Staatsangehörigkeit erst nach dem Erreichen der Volljährigkeit zulässt. Sie können statt dessen - als milderes Mittel gegenüber einer Versagung - unter vorübergehender Hinnahme von Mehrstaatigkeit eingebürgert werden. Die Auflage, nach Erreichen der Volljährigkeit das Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit zu betreiben, dient in diesen Fallgestaltungen in sachgerechter Weise dazu, den Grundsatz der dauerhaften Vermeidung von Mehrstaatigkeit sicherzustellen. Eine solche selbstständig erzwingbare Anordnung, die den Bestand der Einbürgerung nicht berührt und deren Inhalt nicht modifiziert, ist weder durch Art. 16 Abs. 1 Satz 1?GG noch durch staatsangehörigkeitsrechtliche Bestimmungen ausgeschlossen und steht nach Art. 36 Abs. 2 Nr. 4 BayVwVfG im pflichtgemäßen Ermessen der Einbürgerungsbehörde (vgl. umfassend Masuch, ZAR 2001, 263 ff.). In Übereinstimmung damit sehen die von der Beklagten ihrer Entscheidung zu Grunde gelegten Einbürgerungsrichtlinien vor, dass bei minderjährigen Einbürgerungsbewerbern, die nicht innerhalb von zwei Jahren volljährig werden und (u.a.) mit den Eltern eingebürgert werden sollen, Mehrstaatigkeit vorübergehend hingenommen werden kann; die Einbürgerung ist mit einer schriftlichen Auflage zu versehen, in der dem Einbürgerungsbewerber die zum Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit erforderlichen Handlungen aufgegeben werden und in der er verpflichtet wird, diese Handlungen unverzüglich vorzunehmen (Nr. 8.1.2.6.2 Sätze 2 und 3 Buchst. a und Nr. 87.5 Satz 3 StAR-VwV vom 13.12.2000, BAnz. 2001 Nr. 21a = GMBl S. 122).

b) Im konkreten Fall ist die Auflage der Klägerin gegenüber allerdings unverhältnismäßig und mithin rechtswidrig, weil ihre Minderjährigkeit als vorübergehendes Hindernis für ein Ausscheiden aus der ausländischen Staatsangehörigkeit durch ein dauerhaftes Hindernis verdrängt wird, auf Grund dessen die mit der Auflage aufgegebene Verpflichtung unzumutbar ist.

Das Verwaltungsgericht hat festgestellt, dass der Klägerin selbst, ihrer Mutter und vor allem ihrem Vater konkrete Gefahren für Leib und Leben durch ihren Heimatstaat drohen, wenn sie heute oder auch erst bei Eintritt in die Volljährigkeit ihre Entlassung aus der ausländischen Staatsangehörigkeit betreiben würde und dabei zwangsläufig ihren früheren Namen und ihre Vita den Stellen ihres Heimatstaates gegenüber offen legen müsste (AU S. 10 f.). Diese Gefahreneinschätzung ist mit Blick auf die Erklärungen des Bundesnachrichtendienstes und die gerade zum Schutz der Familie durch Verschleierung der Identität erfolgte Namensänderung sachlich begründet und ohne weiteres plausibel. Sie trägt die Aufhebung der Auflage selbst dann, wenn das Einbürgerungsermessen der Beklagten sich trotz der Unzumutbarkeit von Entlassungsbemühungen nicht mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 GG zu Gunsten der Klägerin zu einem Einbürgerungsanspruch verdichtet haben sollte, sondern - wie die Landesanwaltschaft dem Verwaltungsgericht entgegen hält - die Einbürgerung dennoch ohne Ermessensfehler hätte versagt werden können:

Fehl geht der Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe den Ermessensgrundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit in unzulässiger Weise beschnitten, weil es die unerhebliche Frage nach der gegenwärtigen Zumutbarkeit eines Entlassungsverfahrens geprüft, nicht aber danach unterschieden habe, ob eine Einbürgerung unter einer Auflage erfolgen dürfe und ob diese Nebenbestimmung später bei Erreichen der Volljährigkeit durchsetzbar sei. Die Rechtmäßigkeit der Auflage beurteilt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt ihres Erlasses, unter Umständen unter Berücksichtigung der Entwicklung bis zur letzten Tatsacheninstanz im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren; erweist sie sich danach als rechtswidrig, kann sie nicht mit der Erwägung gerechtfertigt werden, dass die aufgegebene Verpflichtung aber möglicherweise aufgrund geänderter Umstände in Zukunft zumutbar werden könnte. In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht im Rahmen einer - sachlich überzeugenden - Gefahrenprognose nach dem Kenntnisstand im Zeitpunkt seiner Entscheidung zu dem Ergebnis gelangt, dass der Klägerin und ihren Eltern auch dann Gefahren für Leib und Leben drohen, wenn die Klägerin erst bei Erreichen der Volljährigkeit ihre Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit betreibt. Mithin tritt neben das vorübergehende Hindernis für ein Ausscheiden der Klägerin aus ihrer bisherigen Staatsangehörigkeit ein dauerhaftes Hindernis.

In dieser Fallgestaltung verfehlt die Auflage, mit Erreichen der Volljährigkeit die Entlassung aus der bisherigen Staatsangehörigkeit zu betreiben, ihren Zweck und ist mithin rechtswidrig. Sie zielt nicht mehr darauf ab, dem bei Erlass der Auflage konkret absehbaren vorübergehenden Hindernis der Minderjährigkeit Rechnung zu tragen, sondern führt dazu, der Behörde die spätere Prüfung vorzubehalten, ob das von Anfang an vorhandene dauerhafte Hindernis der Unzumutbarkeit bei Eintritt der Volljährigkeit immer noch besteht oder aufgrund einer - nie auszuschließenden - Änderung der Sachlage entfallen ist. Ein solcher allgemeiner Prüfungsvorbehalt ist indes mit dem Gesetz unvereinbar. Davon gehen auch die Verwaltungsvorschriften aus, indem sie die Grundsätze über die vorübergehende Hinnahme von Mehrstaatigkeit nur für anwendbar erklären, wenn kein Grund für die dauerhafte Hinnahme von Mehrstaatigkeit vorliegt (Nr. 8.1.2.6.2 Sätze 1 und 5 StAR-VwV, vgl. im Übrigen auch § 87 Abs. 5 AuslG). Liegt indes ein solcher Grund vor, was gerade auch bei unzumutbaren Entlassungsbedingungen des Heimatstaates der Fall ist (Nr. 8.1.2.6.3.2 Satz 1 StAR-VwV), kommt eine Einbürgerung unter - endgültiger - Hinnahme eintretender Mehrstaatigkeit in Betracht, ohne dass Auflagen zur Überprüfung der Fortdauer des Entlassungshindernisses vorgesehen sind. Vor diesem Hintergrund scheidet auch eine Teilaufhebung der Auflage aus, die nach Ansicht der Landesanwaltschaft mit der Verpflichtung der Beklagten zu verbinden wäre, die Durchsetzung der Verpflichtung unter den Vorbehalt zu stellen, dass der Klägerin die Entlassungsbemühungen nach Vollendung des 18. Lebensjahres zumutbar sind. In diesem Sinne ist die Auflage aber auch nicht teilbar.

Die Aufhebung der Auflage scheitert schließlich nicht daran, dass der Klägerin dann die Einbürgerung unter endgültiger Hinnahme der bisherigen Staatsangehörigkeit verbleibt. Denn die Einbürgerung ist für sich betrachtet rechtmäßig, mag sich das der Einbürgerungsbehörde eröffnete weite Ermessen nun zu Gunsten der Klägerin verdichtet haben oder nicht; denn ein sachlicher Grund für die dauerhafte Hinnahme von Mehrstaatigkeit lag, wie oben ausgeführt, im Zeitpunkt der Einbürgerung vor. Dass die Einbürgerung und die mit ihr verbundene Auflage auf einer einheitlichen Ermessensentscheidung der Beklagten beruht haben, ist unerheblich (vgl. BVerwG, U. v. 12.3.1982 - 8 C 23/80 - BVerwGE 65, 139/141).

3. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die entscheidungserheblichen Fragen lassen sich mit Blick auf die besondere Fallgestaltung ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens beantworten.

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus § 13 Abs. 1, § 14 Abs. 3 GKG in der bis 30. Juni 2004 geltenden Fassung.

Ende der Entscheidung

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