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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 09.10.2009
Aktenzeichen: 7 C 09.1858
Rechtsgebiete: VwGO, ZPO, BayHSchG


Vorschriften:

VwGO § 166
ZPO § 114
BayHSchG Art. 71 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

7 C 09.1858

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Befreiung von Studienbeiträgen Sommersemester 2009 (Antrag auf Prozesskostenhilfe)

hier: Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. Juli 2009,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 7. Senat, durch

den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Borgmann

ohne mündliche Verhandlung am 9. Oktober 2009

folgenden Beschluss:

Tenor:

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 20. Juli 2009 wird der Klägerin für die Klageverfahren mit den Aktenzeichen RO 1 K 07.1058, RO 1 K 08.997, RO 1 K 08.1684 und RO 1 K 09.895 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt Stefan Fruth in Regensburg beigeordnet.

Gründe:

I.

Die Klägerin, die seit dem Wintersemester (WS) 2005/2006 an der Beklagten im Studiengang Romanische Philologie studiert, erstrebt die Befreiung von Studienbeiträgen für das Sommersemester (SS) 2007, SS 2008, WS 2008/2009 und SS 2009.

Für die genannten Semester beantragte die Klägerin jeweils die Befreiung vom Studienbeitrag in Höhe von 500,- € je Semester. Eine Weiterführung des Studiums sei für sie nur unter größten Einschränkungen möglich, da sie ihren Lebensunterhalt aus BAföG-Mitteln von monatlich 377,- € bestreite. Aufgrund ihrer chronischen Erkrankungen Diabetes Typ I und Zöliakie unterliege ihr Studium erheblichen Einschränkungen und einem erhöhten Aufwand. Sie legte unter anderem einen Schwerbehindertenausweis mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 vor. Die Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 12. April 2007, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2007, vom 13. Mai 2008, vom 5. September 2008 und vom 28. April 2009 ab.

Dagegen hat die Klägerin unter den Aktenzeichen RO 1 K 07.1058, RO 1 K 08.997, RO 1 K 08.1684 und RO 1 K 09.895 Klagen zum Verwaltungsgericht Regensburg erhoben und zugleich Anträge auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Rechtsanwalts gestellt. Zur Begründung ließ sie ausführen, dass die Erhebung von Studienbeiträgen in ihrem Einzelfall eine unzumutbare Härte darstelle. Aufgrund der Diabetes-Erkrankung müsse sie sich einer intensiven Insulintherapie mittels entsprechender Spritzen unterziehen und eine strenge Diät einhalten. Auch aus der Zöliakie ergäben sich erhebliche Einschränkungen in der Ernährung der Klägerin und deren körperlicher und psychischer Leistungsfähigkeit. Sie könne weder die Mensa noch die Cafeteria noch sonstige zur Verköstigung angebotene Einrichtungen in Anspruch nehmen, da keine zuverlässige Auskunft über die Inhaltsstoffe der angebotenen Esswaren und Ernährungsstoffe zu erhalten sei. Die Auswahl an geeigneten Nahrungsmitteln im Uni-Supermarkt sei sehr gering. Sie sei gezwungen, immer wieder die Ausbildung, die Vorlesungen oder Seminare zu unterbrechen und sich anderweitig außerhalb der Universität zu versorgen. Ebenso wenig könne sie das von der Beklagten angebotene Sportangebot nutzen. Da in den PC-Räumen keinerlei Nahrung eingenommen werden dürfe, müsse die Klägerin bei entsprechender Unterzuckerung dort die Arbeit zwangsweise mit der Folge unterbrechen, dass ein entsprechender Arbeitsplatz bei Rückkehr nicht mehr vorhanden sei. Ausflüge, Reisen, Workshops könnten nur mit enormen Mehr-Selbstversorgungskosten in Anspruch genommen werden. Ihre Krankheiten führten daher nicht nur zu einer wesentlich höheren finanziellen Belastung, sondern auch zu erheblich längerer Studiendauer durch die beschriebenen und weiteren Barrieren im Hochschulbereich und bei der Nutzung der universitären Einrichtungen.

Das Verwaltungsgericht Regensburg lehnte die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts mit Beschluss vom 20. Juli 2009 ab. Gegen die Erhebung von Studienbeiträgen bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Klägerin habe nicht ausreichend geltend machen können, dass sich ihre Behinderungen bzw. Erkrankungen auch tatsächlich in dem Sinne studienerschwerend auswirkten, dass eine über finanzielle Auswirkungen hinausgehende Unzumutbarkeit der Entrichtung der Studienbeiträge erkennbar wäre.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde. Die Erkrankungen und Behinderungen der chronisch kranken Klägerin wirkten sich auch über die finanziellen Folgen der Erkrankung hinaus studienerschwerend aus. Durch Behandlungen, Unterbrechungen, Therapien und hierdurch hinzutretende Verzögerungen habe sie mit einer längeren Studiendauer als gesunde Studenten zu rechnen. Die Erkrankung bedinge eine körperliche und psychische Minderung der Leistungsfähigkeit, was sich insgesamt auf den Studienfortgang auswirke. Jeder Studiengang bedürfe interdisziplinärer Fortbildung und auch der universitären Bildung im Hinblick auf Kultur, Sport und ähnliche Dinge. Aufgrund ihrer Erkrankung und der Tatsache, dass bereits der eigene Studiengang durch die zu seiner Bewältigung erforderliche Zeit ausgefüllt sei, sei der Klägerin aufgrund ihrer Erkrankung die Nutzung der anderen universitären Einrichtungen außerhalb ihres eigenen Studiengangs nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Auch außerhalb der Universität könne sie studentische Arbeitsmöglichkeiten aufgrund ihrer Behinderung nicht in gleicher Weise wahrnehmen wie gesunde Studierende, was wiederum ihre finanziellen Möglichkeiten, das Studium auszugestalten, deutlich im Vergleich zu Gesunden verringere. Im übrigen lasse sich dem Internet entnehmen, dass die Universität Würzburg chronisch erkrankte Studierende mit einem GdB von 50 generell von den Studiengebühren befreie. Dort gelte das gleiche Landesrecht wie in Regensburg, so dass die Entscheidung der Beklagten nicht nachvollziehbar sei. In einem ärztlichen Attest vom 9. September 2009 werde bestätigt, dass die Erkrankungen der Klägerin umfangreiche therapeutische Anstrengungen notwendig machten. So seien spezielle Diätvorschriften einzuhalten, eine intensivierte Insulintherapie notwendig mit Blutzuckermessungen und vier Insulin-Injektionen täglich. Darüber hinaus sei den möglichen Unterzuckerungszuständen zu begegnen. Allein die Durchführung dieser praktischen Maßnahmen im Alltag erfordere eine disziplinierte Organisation sowie einen deutlichen finanziellen Mehraufwand.

Die Beklagte tritt der Beschwerde entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist auch begründet.

Die Klägerin ist nach der vorgelegten Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen; zudem bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung der Klägerin im Klageverfahren hinreichende Aussicht auf Erfolg und erscheint nicht mutwillig (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO).

Nach Art. 71 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 BayHSchG werden von der Studienbeitragspflicht auf Antrag Studierende befreit, für die die Erhebung eines Studienbeitrags aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls auch unter Berücksichtigung der Regelungen in Absatz 7 (Bereitstellung sozialverträglicher Studienbeitragsdarlehen) eine unzumutbare Härte darstellt. Gemäß der gesetzlichen Systematik sind somit finanzielle und wirtschaftliche Gründe allein grundsätzlich noch kein Anlass für eine Befreiung von der Studienbeitragspflicht. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist bei der Beurteilung einer unzumutbaren Härte die generelle Möglichkeit zu berücksichtigen, Studienbeiträge über zinsgünstige Darlehen zu finanzieren. Laut Begründung des Gesetzentwurfs für ein entsprechendes Bayerisches Hochschulgesetz wurde die Einführung von Studienbeiträgen mit einem Bündel von Maßnahmen zur sozialen Abfederung verbunden. Dies geschehe insbesondere dadurch, dass die Studierenden die Möglichkeit haben, zinsgünstige Darlehen mit sozialverträglichen Rückzahlungsmodalitäten aufzunehmen. Zusätzlich sei die Befreiung von der Beitragspflicht in bestimmten, eng umgrenzten Ausnahmefällen vorgesehen, in denen die Beitragspflicht im allgemeinen eine besondere Belastung bedeuten würde. Mit einer Härtefallklausel könnten auch ungewöhnliche Fälle adäquat erfasst werden (LT-Drs. 15/4396 S. 47). Die Befreiungsmöglichkeit nach der Härteklausel des Art. 71 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 BayHSchG beschränkt sich somit auf atypische Ausnahmefälle (vgl. auch BayVerfGH vom 27.5.2009 BayVBl 2009, 593/599). Die Gesetzesbegründung sieht insoweit vor, dass bei Vorliegen der Voraussetzungen der Härtefallklausel insbesondere auch chronisch kranke Studierende oder Studierende mit Behinderung berücksichtigt werden können, soweit sich die Behinderung oder chronische Erkrankung studienerschwerend auswirkt (LT-Drs. 15/4396 S. 66).

Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass die Erhebung eines Studienbeitrags aufgrund der Umstände des Einzelfalls der Klägerin für sie eine unzumutbare Härte darstellen könnte. Die Klägerin hat durch fachärztliche Atteste vom 1. März 2007 sowie vom 9. September 2009 nachgewiesen, dass sie seit dem 10. Lebensjahr an einem insulinpflichtigen Diabetes mellitus Typ I und seit dem 13. Lebensjahr an einer Zöliakie leidet; ferner hat sie mit ihrem Schwerbehindertenausweis einen Grad der Behinderung von 50 % nachgewiesen. Ein Vergleich der entsprechenden Internetauftritte der bayerischen Universitäten zeigt, dass bereits letzterer Umstand bei einigen Universitäten offenbar für eine Befreiung von der Studienbeitragspflicht wegen unzumutbarer Härte ausreicht; schon deshalb ist wohl auch im Fall der Klägerin zumindest von hinreichenden Erfolgsaussichten für ihre beim Verwaltungsgericht Regensburg erhobenen Klagen auszugehen. Nach den Informationen auf den jeweiligen Homepages reicht offenbar bei den Universitäten Würzburg, Augsburg, Bamberg, Bayreuth, Erlangen, Passau und Technische Universität München der bloße Nachweis einer Schwerbehinderung mit einem GdB von mindestens 50 % aus für eine Befreiung als Härtefall. Da das Bayerische Hochschulgesetz für alle Universitäten gleichermaßen Geltung beansprucht, bietet bereits die offenbar uneinheitliche Verwaltungspraxis bei der Befreiung durch die unterschiedlichen Hochschulen Grund, im Fall der Klägerin von hinreichenden Erfolgsaussichten auszugehen.

Darüber hinaus aber hat die Klägerin auch dargetan, dass sich ihre chronischen Krankheiten über die nicht unerhebliche finanzielle Belastung hinaus studienerschwerend auswirken. So hat sie ihren Tagesablauf offenbar regelmäßig diszipliniert mit Blick auf ihre Krankheiten zu organisieren (4 bis 5 Blutzuckermessungen und 4 Insulin-Injektionen täglich etc.). Es erscheint auch plausibel, dass ihre eingeschränkte Leistungsfähigkeit zu einer längeren Studiendauer - und damit noch stärkerer Inanspruchnahme durch die Studienbeiträge - führen dürfte. Auch die von der Klägerseite geschilderten Probleme bei der Inanspruchnahme sonstiger universitärer Einrichtungen (PC-Raum, Sport, Kultur) sind zumindest nicht von der Hand zu weisen. Die im Vergleich zu gesunden Studierenden erforderlichen Pausen, die physischen und psychischen Erschöpfungszustände und Belastungen legen die Annahme einer unzumutbaren Härte im Fall der Klägerin durchaus nahe. Angesichts der gesetzlichen Begründung stellt sich die Frage, welcher Anwendungsbereich für die Härtefallklausel überhaupt noch verbliebe, wenn auch in erheblichem Maße chronisch erkrankte oder behinderte Studierende nicht davon erfasst würden.

Im einzelnen mag all dem in den Klageverfahren noch nachgegangen werden; jedenfalls für das Prozesskostenhilfebegehren kann den Klagen auf Befreiung von der Studienbeitragspflicht die erforderliche hinreichende Erfolgsaussicht nicht abgesprochen werden. Der Klägerin war deshalb unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts Prozesskostenhilfe zu gewähren (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 121 ZPO).

Einer Kostenlastentscheidung und einer Streitwertfestsetzung bedarf es im vorliegenden Fall nicht. Gerichtskosten fallen für die stattgebende Entscheidung nicht an, die der Klägerin entstandenen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

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