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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 15.07.2009
Aktenzeichen: 7 CS 09.1347
Rechtsgebiete: VwGO, BayEUG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 5
VwGO § 113 Abs. 1 Satz 4
BayEUG Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9
BayEUG Art. 87 Abs. 3 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

7 CS 09.1347

In der Verwaltungsstreitsache

wegen

Entlassung Gymnasium (Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO)

hier: Beschwerde des Antragsgegners gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 28. Mai 2009,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 7. Senat,

durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Borgmann

ohne mündliche Verhandlung am 15. Juli 2009

folgenden

Beschluss:

Tenor:

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts München vom 28. Mai 2009 (M 3 S 09.2084) wird aufgehoben.

II. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 6. Mai 2009 gegen den Bescheid des Gymnasiums M******/M****** vom 30. April 2009 wird abgelehnt.

III. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

IV. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit Schreiben des Gymnasiums M******/M****** vom 30. April 2009 wurde dem Antragsteller und seinen Eltern mitgeteilt, dass der Antragsteller unter Anordnung des Sofortvollzugs von der Schule entlassen werde. Der Antragsteller, gegen den bereits zuvor mehrere Ordnungsmaßnahmen verhängt worden seien, habe zusammen mit anderen Beteiligten am Tag nach dem Amoklauf in Winnenden ein Droh-Video aufgezeichnet. Der Antragsteller und die übrigen Beteiligten seien bei der Aufzeichnung verkleidet und maskiert gewesen und hätten Softairwaffen getragen. Unter Bezugnahme auf den Vorfall in Winnenden hätten sie konkrete und ernst zu nehmende Bedrohungen gegen die Schule ausgesprochen, falls nicht innerhalb weniger Tage 200.000 Euro in einer U-Bahn-Station hinterlegt würden. Hierdurch sei der Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule erheblich gefährdet und der Schulfrieden massiv gestört worden. Dem Schreiben war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt.

Am 6. Mai 2009 ließ der Antragsteller Widerspruch gegen die Entlassung einlegen, der mit Widerspruchsbescheid vom 16. Juni 2009 zurückgewiesen wurde. Ebenfalls mit Schreiben vom 6. Mai 2009 ließ der Antragsteller beim Verwaltungsgericht München die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs und einer eventuellen nachfolgenden Anfechtungsklage beantragen. Der Antragsteller sehe ein, dass sein Verhalten gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse in Winnenden falsch gewesen sei. Das Video sei allerdings ohne seine Kenntnis ins Internet eingestellt worden. Für die nicht geplante Veröffentlichung des Videos sei der Antragsteller nicht verantwortlich. Auch das Vorverhalten des erst dreizehnjährigen Antragstellers rechtfertige nicht seine Entlassung von der Schule.

Der Antragsgegner beantragte, den Antrag abzulehnen und wies u.a. darauf hin, dass der Antragsteller seit dem 11. Mai 2009 eine neue Schule (Gymnasium F**********) besuche. Deshalb fehle das Rechtsschutzbedürfnis für den Eilantrag.

Mit Beschluss vom 28. Mai 2009 ordnete das Verwaltungsgericht München die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des Gymnasiums *******/******* vom 30. April 2009 an. Die Entlassung des Antragstellers von der Schule verstoße gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und sei daher voraussichtlich rechtswidrig. Durch das außerschulisch gefertigte Video sei die Verwirklichung der Aufgabe der Schule nicht gefährdet worden. Außerdem sei fraglich, ob das Video wirklich als Bedrohung habe aufgefasst werden können.

Der Antragsgegner legte gegen die Entscheidung Beschwerde ein und beantragte,

den Beschluss aufzuheben und den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs abzulehnen.

Aufgrund des Schulwechsels fehle dem Antragsteller für den Eilantrag das Rechtsschutzbedürfnis. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse könne nicht im Beschwerdeverfahren, sondern ausschließlich im Hauptsacheverfahren verfolgt werden. Außerdem sei die verfügte Ordnungsmaßnahme ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig.

Der Antragsteller beantragte, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Zwar sei der Antragsteller am 11. Mai 2009 in das Gymnasium F********** aufgenommen worden. Allerdings habe sich erst nach Erlass des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 28. Mai 2009 herausgestellt, dass der dauerhaften Aufnahme in dieses Gymnasium auch etwaiges Vorverhalten des Antragstellers nicht entgegenstehe. Bis zu diesem Zeitpunkt sei für den Antragsteller nicht eindeutig klar gewesen, ob er im Gymnasium F********** verbleiben könne. Das Rechtsschutzbedürfnis ergebe sich auch daraus, dass der Antragsteller sich kurz vor dem Schuljahresende eine neue Schule habe suchen müssen, wodurch auch seine Versetzung gefährdet worden sei. Schließlich sei das Rechtsschutzbedürfnis auch aufgrund des Rehabilitationsinteresses des Antragstellers zu bejahen. Eine spätere Entscheidung im Hauptsacheverfahren könne den wegen der Vorfälle ins Gerede gekommenen Antragsteller nicht in gleicher Weise rehabilitieren wie eine zeitnahe Entscheidung. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts sei auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Das Verhalten des Antragstellers rechtfertige nicht die Entlassung. Der schulische Erziehungsauftrag sei durch die Existenz des Videos nicht gefährdet worden. An der Veröffentlichung des Videos habe sich der Antragsteller nicht beteiligt.

Ergänzend wird auf den Inhalt der beigezogenen Behördenakten und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde des Antragsgegners ist begründet.

Es kann dahinstehen, ob das Verwaltungsgericht zu Recht die Verhältnismäßigkeit der gemäß Art. 86 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 BayEUG verfügten und gemäß Art. 86 Abs. 14 BayEUG auch ohne behördliche Anordnung sofort vollziehbaren Entlassung des Antragstellers vom Gymnasium M******/******* verneint hat und ob der Antragsteller nach dem Erlass des Widerspruchsbescheides überhaupt Klage erhoben hat. Ihm fehlt jedenfalls nach seinem Wechsel auf eine andere Schule das Rechtsschutzbedürfnis für die beantragte Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs oder einer etwaigen Anfechtungsklage.

Wie jedes gerichtliche Verfahren erfordert auch die Zulässigkeit eines Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO, dass im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Antrag ein Rechtsschutzinteresse des Antragstellers besteht (Jörg Schmidt in: Eyermann, VwGO, 12. Aufl. 2006, RdNr. 66 zu § 80). Daran fehlt es hier. Durch die Aufnahme des Antragstellers am Gymnasium F********** gemäß Art. 87 Abs. 3 Satz 1 BayEUG bereits vor der Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat sich das Verfahren hinsichtlich des Sofortvollzugs der Entlassung erledigt. Der Antragsteller ist auch nicht nur vorläufig oder vorübergehend am Gymnasium F********** aufgenommen worden. Die im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Aufnahmebestätigung des Gymnasiums F********** mit Schreiben vom 14. Mai 2009 (Bl. 93 der VG-Akte) enthält ebenso wie das vorangegangene Schreiben des Ministerialbeauftragten für die Gymnasien in Oberbayern-West vom 11. Mai 2009 (Bl. 96 der VG-Akte), welches auch die Eltern des Antragstellers in Kopie erhalten haben, hinsichtlich der Aufnahme keinerlei Einschränkungen oder Vorbehalte. Es ist auch nicht mit einer Rücknahme oder einem Widerruf der Aufnahme durch das Gymnasium F********** wegen etwaiger Unkenntnis der Vorgeschichte zu rechnen. Vielmehr geht aus dem Schreiben des Gymnasiums F********** vom 14. Mai 2009 hervor, dass die Aufnahme aufgrund der Entlassung des Antragstellers und der Zuweisung durch die Schulaufsicht erfolgt ist. Da der Antragsteller auch nicht gemäß Art. 88 BayEUG von allen Gymnasien ausgeschlossen wurde, hätte das Gymnasium F********** die Aufnahme ohnehin nicht allein wegen der Vorgeschichte ablehnen dürfen, weil dies zu einer Umgehung der Ordnungsmaßnahme des Ausschlusses von allen Schulen einer oder mehrerer Schularten geführt hätte (vgl. Kiesl/Stahl, Das Schulrecht in Bayern, RdNr. 7 zu Art. 87 BayEUG). Der Antragsteller hat auch bislang keine Schritte für eine etwaige Rückkehr an das Gymnasium M************** unternommen und auch nicht dargetan, dass er eine solche Rückkehr beabsichtige.

Ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ergibt sich im vorliegenden Verfahren auch nicht aus dem geltend gemachten Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ordnungsmaßnahme. Zwar besteht bei der Entlassung von einer Schule auch nach Eintritt der Erledigung grundsätzlich ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Form des Rehabilitationsinteresses (BayVGH vom 19.2.2008 Az. 7 B 06.2352 <juris>). Dies gilt jedoch nur für das Hauptsacheverfahren. Eine Feststellung analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO ist unzulässig (vgl. BayVGH vom 7.1.2009 Az. 11 CS 08.1545 <juris>; OVG LSA vom 23.5.2006 Az. 1 M 95/06 <juris>; OVG Berlin vom 23.5.1989 UPR 1989, 400; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, RdNr. 131 zu § 80; differenzierend, aber für die vorliegende Fallgestaltung im Ergebnis ebenso Jörg Schmidt a.a.O. RdNr. 112 zu § 80). Die aufgrund summarischer Prüfung ergehende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz dient der Sicherung eines Rechts oder der vorläufigen Regelung eines Rechtsverhältnisses; sie führt jedoch nicht zu einer rechtskräftigen Klärung der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Eine verbindliche Entscheidung über diese Frage trotz zwischenzeitlicher Erledigung kann nur in einem Hauptsacheverfahren herbeigeführt werden; dies ist gerade der Sinn der Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO (vgl. BVerwG vom 27.1.1995 NVwZ 1995, 586/587, für § 123 VwGO). Daher ergibt sich das Rechtsschutzinteresse des Antragstellers für eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung auch nicht aus dem geltend gemachten Anliegen einer möglichst zeitnahen gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entlassung. Es bleibt ihm unbenommen, hierzu eine verbindliche Klärung im Hauptsacheverfahren anzustreben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47, § 53 Abs. 3 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 38.3 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 2004, 1327).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO.



Ende der Entscheidung

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