Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 18.05.2009
Aktenzeichen: 7 ZB 08.1801
Rechtsgebiete: BayEUG


Vorschriften:

BayEUG Art. 86 Abs. 2 Nr. 8
Zur Androhung der Entlassung von der Schule wegen Filmens einer Schülerin mit einem Handy bei sexuellen Handlungen mit einem Mitschüler auf der Toilette.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

7 ZB 08.1801

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Androhung der Entlassung;

hier: Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. April 2008,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 7. Senat,

durch den Vizepräsidenten des Verwaltungsgerichtshofs Kersten, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Zöllner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Borgmann

ohne mündliche Verhandlung am 18. Mai 2009

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000.- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Der am 15. Februar 1995 geborene Kläger besuchte seit dem Schuljahr 2005/2006 das R************-Gymnasium in A*******. Zum Schuljahr 2007/2008 wechselte er auf ein anderes Gymnasium.

Mit Bescheid vom 4. Juli 2007 drohte ihm das Gymnasium die Entlassung an. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Klassenkamerad des Klägers und eine Mitschülerin aus einer Parallelklasse hätten Ende April oder Anfang Mai 2007 verabredet, während der Mittagspause in der Toilette eines nahe gelegenen Lokals sexuellen Verkehr miteinander zu haben. Der Kläger habe das mitbekommen und die sexuellen Handlungen mit Einverständnis seines Klassenkameraden, aber ohne Kenntnis der Schülerin im Beisein eines weiteren Schülers mit dem Handy seines Klassenkameraden gefilmt. Er habe dann dafür gesorgt, dass ihm das Video per E-Mail auf seinen PC übermittelt werde. Das Video habe in der Schule in kurzer Zeit einen hohen Bekanntheitsgrad erfahren. Der Kläger sei treibende Kraft hinsichtlich der Erstellung des Videos gewesen. Er habe dies mehrere Tage im Voraus geplant und auch zur Weiterverbreitung des Videos beigetragen. Damit habe er massiv in die Persönlichkeitsrechte der beteiligten Schülerin eingegriffen. Bei der Würdigung des Gesamtverhaltens des Klägers müsse berücksichtigt werden, dass gegen ihn zuvor bereits zahlreiche andere Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen verhängt worden seien, zuletzt der Ausschluss vom Unterricht für drei Tage. Eine Verhaltensänderung sei offensichtlich auch unter dem Eindruck des Verfahrens vor dem Disziplinarausschuss nicht eingetreten. Er habe sich auch bei der betroffenen Schülerin bisher nicht entschuldigt.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Kläger, vertreten durch seine Eltern, mit Schreiben vom 21. November 2007 Klage und beantragte, die Androhung der Entlassung aufzuheben. Mit Urteil vom 29. April 2008 wies das Verwaltungsgericht Augsburg die Klage ab. Die Androhung der Entlassung sei weder in formeller noch in materieller Hinsicht zu beanstanden. Dem Kläger sei ebenso wie seinen Eltern hinreichend Gelegenheit gegeben worden, sich zu äußern. Die Schule habe den Sachverhalt, den der Kläger im Wesentlichen eingeräumt habe, sorgfältig und in alle Richtungen ermittelt. Es liege ein erhebliches Fehlverhalten vor, durch das der Kläger das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Schülerin in grober Weise missachtet habe und dem erzieherisch entgegenzuwirken sei. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig, zumal gegen den Kläger im laufenden Schuljahr bereits eine Reihe von Ordnungsmaßnahmen verhängt worden sei. Der Vorfall selbst habe sich zwar außerhalb der Schule abgespielt, sei aber innerhalb der Schule vorbereitet und später auch dort verbreitet worden. Der Kläger sei entgegen der Auffassung seiner Eltern auch nicht "Opfer seiner Naivität", sondern habe im Mittelpunkt der Vorfälle gestanden.

Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter. Es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Der Bescheid sei sowohl formell als auch materiell rechtswidrig. Der Kläger habe am Tag der Sitzung des Disziplinarausschusses erst nach knapp vier Stunden erstmals Gelegenheit erhalten, sich zu äußern. Da die Konzentrationsfähigkeit bei einer solch langen Sitzung nachlasse, sei zu befürchten, dass die Ausschussmitglieder sich bereits eine Meinung gebildet hätten und nicht mehr die geistige Flexibilität hätten aufbringen können, andere Argumente aufzunehmen und in ihren Entscheidungsprozess einzubinden. Auch die Eltern des Klägers hätten keine ausreichende Möglichkeit zur Stellungnahme gehabt. Sie seien von der Schule, der der Vorfall bereits am 9. Mai 2007 bekannt gewesen sei, nicht rechtzeitig informiert worden. Außerdem hätte die Schule den Vorfall verhindern können, wenn die Lehrkraft die Verabredung zwischen den beteiligten Schülern zur Kenntnis und ernst genommen hätte. Die Reaktion der Schule vom 4. Juli 2007 auf das Fehlverhalten des Klägers am 5. Mai 2007 könne nicht als zeitnah angesehen werden. Die Schulpsychologin sei im Rahmen der Disziplinarausschusssitzung nicht gutachterlich tätig geworden. Es sei auch keine Glaubwürdigkeitsprüfung durchgeführt und deshalb der Sachverhalt nicht richtig ermittelt worden. Die vier Beteiligten hätten die Aussagen miteinander abgesprochen. Außerdem handele es sich um eine delikate sexuelle Angelegenheit, die einen Zwölfjährigen überfordern könne. Deshalb hätten der Kläger und seine Eltern durch den Disziplinarausschuss nicht getrennt, sondern gemeinsam angehört werden müssen. Das Video sei nicht von den Eltern, sondern vom Kläger selbst aus eigener Veranlassung gelöscht worden. Der Kläger habe hierdurch Reue und Einsicht in sein Fehlverhalten gezeigt. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die betroffene Schülerin anderen Schülern von dem Vorfall erzählt und dadurch selbst zur Verbreitung beigetragen habe. Auch Lehrer der Schule hätten zur Verbreitung des Vorfalls beigetragen. Es liege auch keine Handlung im schulischen Bereich vor. Außerdem sei der Kläger doppelt bestraft worden, da er mit Schreiben vom 22. Mai 2007 und somit in einem Zeitpunkt, in dem die Schule bereits Kenntnis von den Vorfällen gehabt habe, für drei Tage vom Unterricht ausgeschlossen worden sei. Schließlich deute die Verunglimpfung der Eltern des Klägers als defizitäre Familie darauf hin, dass unsachliche, von Ressentiments geprägte Aussagen und Vorverurteilungen stattgefunden hätten.

Der Beklagte tritt dem Antrag im einzelnen entgegen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

1. Der Disziplinarausschuss, der gemäß Art. 58 Abs. 1 Satz 3 BayEUG die Aufgaben der Lehrerkonferenz wahrgenommen hat, hat dem Kläger zu Recht gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 8 BayEUG die Entlassung von der Schule angedroht. Insoweit ergeben sich aus der Antragsbegründung weder in formeller noch in materieller Hinsicht Bedenken.

a) Der Kläger und seine Eltern wurden vor Erlass der Maßnahme im gebotenen Umfang angehört. Nach Art. 86 Abs. 9 Satz 2 BayEUG ist der Schülerin bzw. dem Schüler, bei Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 Nrn. 3 bis 10 BayEUG zusätzlich auch den Erziehungsberechtigten, Gelegenheit zur Äußerung zu geben, bei Ordnungsmaßnahmen nach Art. 86 Abs. 2 Nrn. 6a bis 10 BayEUG auf Antrag persönlich in der Lehrerkonferenz bzw. dem an deren Stelle tretenden Disziplinarausschuss (vgl. auch Tangermann, BayVBl 2008, 357/362 f.). Diesen Anforderungen hat die Schule im vorliegenden Fall entsprochen. Nachdem eine Lehrkraft der Schule am 20. Juni 2007 erstmals von der betroffenen Schülerin nähere Kenntnis von den Filmaufnahmen erlangt hatte und hierzu zunächst die involvierten Schüler befragt wurden, hat der Schulleiter die Eltern des Klägers mit Schreiben vom 26. Juni 2007 umfassend über den Erkenntnisstand und die Einberufung des Disziplinarausschusses informiert. Die gegen den Kläger zuvor ausgesprochenen Verweise vom 7. Mai 2007 und vom 11. Mai 2007 wegen wiederholter Störungen des Unterrichts und der darauf beruhende Unterrichtsausschluss vom 22. Mai 2007 standen ersichtlich in keinem Zusammenhang mit dem erst später bekannt gewordenen Verhalten des Klägers, das Gegenstand der Anhörung vom 26. Juni 2007 und der am 4. Juli 2007 verhängten Ordnungsmaßnahme war. Entgegen der Auffassung der Eltern des Klägers war es auch nicht erforderlich, diese bereits mit der Unterrichtung über den Vorfall zu einer konkret beabsichtigten Ordnungsmaßnahme anzuhören. Durch die Schilderung des Vorfalls im Schreiben vom 26. Juni 2007 und die darin angekündigte Einberufung des Disziplinarausschusses war bereits ersichtlich, dass eine empfindliche Ordnungsmaßnahme und somit möglicherweise auch die Androhung der Entlassung von der Schule nach Art. 86 Abs. 2 Nr. 8 BayEUG in Betracht kommt. Die Festlegung auf eine konkrete Ordnungsmaßnahme bereits im Rahmen der Anhörung war weder möglich noch geboten. Über die zu verhängende Ordnungsmaßnahme entscheidet die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss aufgrund des Ergebnisses seiner Sitzung. Die Festlegung auf eine konkrete Ordnungsmaßnahme bereits im Vorfeld der Sitzung wäre einer unzulässigen Vorverurteilung gleichgekommen.

In der Sitzung des Disziplinarausschusses am 4. Juli 2007, an der sowohl der vom Kläger eingeschaltete Vertrauenslehrer (Art. 86 Abs. 9 Satz 3 BayEUG) als auch der Elternbeirat (Art. 86 Abs. 10 Satz 1 BayEUG) mitgewirkt haben, wurden sowohl der Kläger als auch seine anwesende Mutter angehört. Ihnen wurde damit ausreichend Gelegenheit zur Äußerung gegeben. Eine gemeinsame Anhörung ist weder gesetzlich vorgeschrieben noch war sie im vorliegenden Fall geboten. Sie wurde vom Kläger oder von seinen Eltern weder im Vorfeld der Sitzung noch in deren Verlauf beantragt. Auch aus der ausführlichen Niederschrift über die Sitzung ergibt sich keine Notwendigkeit einer gemeinsamen Anhörung des Klägers und seiner Mutter. Zu Beginn der Sitzung wurde deren geplanter Ablauf durch den Schulleiter erläutert. Der Kläger und seine Mutter hätten damit Gelegenheit gehabt, eine gemeinsame Anhörung zu beantragen. Mangels eines solchen Antrags ist es nicht zu beanstanden, dass der Disziplinarausschuss nach einer Darstellung des bisherigen Erkenntnisstandes zunächst die beteiligten Schüler und anschließend deren Eltern befragt hat.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass dem Kläger in der Sitzung zu spät Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt worden wäre. Aus der Niederschrift ergibt sich, dass die Sitzung von 14:00 Uhr bis 18:45 Uhr gedauert hat. Im Anschluss an die Darstellung des bisherigen Sachstandes wurde der Kläger als dritter von vier beteiligten Schülern befragt. Nach einer zehnminütigen Sitzungsunterbrechung wurden dann die beteiligten Eltern angehört und der neue Erkenntnisstand zusammengefasst. Daran schlossen sich getrennte Beratungen des Elternbeirats und des Disziplinarausschusses, die Stellungnahme des Elternbeirats und die nochmalige Beratung sowie die Beschlussfassung und deren Eröffnung gegenüber dem Elternbeirat und den betroffenen Schülern und Eltern an. Schon aus diesem zeitlichen Ablauf ergibt sich, dass der Kläger entgegen der Darstellung in der Antragsbegründung nicht erst nach knapp vier Stunden, also kurz vor 18:00 Uhr, Gelegenheit gehabt haben kann, sich zu äußern. Unabhängig davon bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Konzentrationsfähigkeit der Ausschussmitglieder im Zeitpunkt der Äußerung des Klägers in einer Weise beeinträchtigt gewesen wäre, dass sie diese nicht mehr ausreichend zur Kenntnis genommen hätten oder dass sie nicht mehr bereit gewesen wären, die Einlassung unvoreingenommen zu würdigen. Weder der zeitliche Ablauf der Sitzung noch deren Dauer geben Anlass zur Beanstandung.

Bedenken ergeben sich auch nicht aus der Tätigkeit der beigezogenen Schulpsychologin. Die Zuziehung schulischer Beratungskräfte ist ohnehin nicht zwingend geboten, sondern steht nach Art. 86 Abs. 9 Satz 1 BayEUG im Ermessen der Schule. Lediglich im Entlassungsverfahren schreibt Art. 87 Abs. 2 BayEUG nach Lage des Falles die Beiziehung des Schularztes oder des zuständigen Schulpsychologen zur gutachtlichen Äußerung vor. Gleiches gilt nach Art. 88 Abs. 1 Satz 5 BayEUG beim Ausschluss des Schülers von allen Schulen der von ihm besuchten Schulart. Im Umkehrschluss daraus besteht bei Ordnungsmaßnahmen unterhalb der Entlassung und somit auch bei deren Androhung gemäß Art. 86 Abs. 2 Nr. 8 BayEUG keine zwingende Notwendigkeit einer gutachtlichen Äußerung des Schulpsychologen.

Auch eine Glaubwürdigkeitsüberprüfung der beteiligten Schüler war entgegen der Auffassung der Eltern des Klägers nicht geboten. Die Mitglieder des Disziplinarausschusses waren nach der Anhörung der Schüler und deren Eltern durchaus in der Lage, den Sachverhalt und die Glaubwürdigkeit der Äußerungen eigenständig einzuschätzen und zu beurteilen. Für eine zusätzliche Glaubwürdigkeitsüberprüfung bestand keine Veranlassung. Die Notwendigkeit einer solchen Überprüfung ergibt sich weder allgemein aus dem Alter der beteiligten Schüler noch daraus, dass diese ihre Aussagen - wie in der Antragsbegründung unterstellt - vor der Sitzung möglicherweise abgesprochen haben. Ob Letzteres der Fall ist, kann hier dahinstehen. Mit ihren im Wesentlichen übereinstimmenden Aussagen haben sich die beteiligten Schüler selbst belastet. Darüber hinausgehende Verfehlungen sind dem Kläger im Rahmen der verhängten Ordnungsmaßnahme nicht angelastet worden. Es ist daher nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Glaubwürdigkeit der Schüler anzuzweifeln gewesen wäre und einer besonderen qualifizierten Überprüfung bedurft hätte. Die Eltern des Klägers haben insoweit im erstinstanzlichen Verfahren auch keine Vernehmung von Zeugen beantragt oder angeregt.

Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Ordnungsmaßnahme ergeben sich auch nicht daraus, dass der Zeitraum zwischen dem Vorfall Anfang Mai 2007 und der Sitzung des Disziplinarausschusses am 4. Juli 2007 zu lang gewesen wäre. Abgesehen davon, dass bei einem nicht einfach gelagerten Vorfall, an dem mehrere Schüler beteiligt sind, ein Zeitraum von zwei Monaten bis zur Verhängung einer Ordnungsmaßnahme noch nicht als zu lang angesehen werden kann, hat die Schule auch erst am 20. Juni 2007 über die beteiligte Schülerin nähere Kenntnis davon erlangt, dass der Kläger die sexuellen Handlungen gefilmt hat. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte die Schule somit die Vorbereitung von Ordnungsmaßnahmen einleiten. Die Schule hat die weiteren notwendigen Verfahrensschritte nicht verzögert, sondern unverzüglich eingeleitet. Die Einberufung des Disziplinarausschusses ca. zwei Wochen nach Kenntniserlangung ist keinesfalls als verspätet, sondern vielmehr als zeitnah anzusehen. Ein Verfahrensfehler, der sich zu Ungunsten des Klägers ausgewirkt haben könnte, ist insoweit nicht erkennbar.

b) Die Maßnahme ist im Hinblick auf die dargelegten Gründe auch in materiellrechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Androhung der Entlassung von der Schule setzt nach Art. 86 Abs. 7 BayEUG voraus, dass der Schüler durch schweres oder wiederholtes Fehlverhalten die Erfüllung der Aufgabe der Schule oder die Rechte anderer gefährdet hat. Für die Wahl der Ordnungsmaßnahmen unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit (Art. 86 Abs. 1 BayEUG) kommt es vor allem darauf an, ob und in welchem Maß die Erfüllung des Schulzwecks gestört oder gefährdet und die Erziehungsverantwortung der Schule beeinträchtigt wurden, wie sie in Art. 131 BV, Art. 1, 2 BayEUG niedergelegt ist (BayVGH vom 2.9.1993 BayVBl 1994, 346 m.w.N.). Die Wahl der Ordnungsmaßnahme erweist sich damit als eine pädagogische Ermessensentscheidung, bei der die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss darauf zu achten hat, dass die Ordnungsmaßnahme zur Schwere des zu ahndenden und zu unterbindenden Verhaltens eines Schülers nicht außer Verhältnis steht. Die dabei neben der objektiven Feststellung und Gewichtung der Schwere des Fehlverhaltens des Schülers vorwiegend nach pädagogischen Gesichtspunkten vorzunehmende Beurteilung der Person und des Verhaltens des betreffenden Schülers entzieht sich allerdings einer vollständigen Erfassung nach rein rechtlichen Kriterien und bedingt daher sachnotwendig, ähnlich wie bei sonstigen pädagogischen Werturteilen, einen Wertungsspielraum der Lehrerkonferenz bzw. des Disziplinarausschusses. In diesen Bereich spezifisch pädagogischer Wertungen und Überlegungen haben die Verwaltungsgerichte nicht korrigierend einzugreifen; sie können nicht anstelle des zuständigen Gremiums der Schule eigene pädagogische Erwägungen anstellen, zu denen sie sachgerecht auch nicht in der Lage wären. Trotz dieser Grenzen der gerichtlichen Kontrolle haben die Gerichte aber den gegen die Maßnahme erhobenen Einwendungen nachzugehen und die pädagogische Bewertung der Schule auf ihre Angemessenheit hin zu überprüfen. Sie haben insbesondere zu kontrollieren, ob die Lehrerkonferenz bzw. der Disziplinarausschuss mit der Ordnungsmaßnahme gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen hat. Der gerichtlichen Überprüfung obliegt es ferner, ob die Schule frei von sachfremden Erwägungen entschieden und ob sie ihre Entscheidung auf Tatsachen und Feststellungen gestützt hat, die einer sachlichen Überprüfung standhalten. Bestreitet ein Schüler die Feststellungen, auf denen die Entscheidung der Lehrerkonferenz bzw. des Disziplinarausschusses beruht, so hat das Gericht dem nachzugehen (BayVGH vom 19.2.2008 Az. 7 B 06.2352 <juris> m.w.N.).

Gemessen daran ist die Androhung der Entlassung des Klägers von der Schule nicht zu beanstanden. Auch wenn die Schule nicht jedes Detail abschließend klären konnte, haben die beteiligten Schüler den Vorfall weitgehend übereinstimmend eingeräumt. Dem Kläger, der die sexuellen Handlungen zwischen seinem Klassenkameraden und der betroffenen Schülerin mit einem Handy gefilmt hat, ohne dass die Schülerin davon Kenntnis hatte oder gar damit einverstanden gewesen wäre, wurde insoweit zu Recht ein gravierendes Fehlverhalten angelastet.

Ob der Vorfall als außerschulisch anzusehen ist, kann dahinstehen. Dagegen spricht, dass sowohl die sexuellen Handlungen als auch die Absicht, diese zu filmen, in der Schule verabredet wurden und dass sich der Vorfall in der Mittagspause in unmittelbarer Nähe zur Schule ereignet hat. Selbst bei Annahme außerschulischen Verhaltens bestand aber wegen der damit verbundenen Gefährdung der Verwirklichung der Aufgabe der Schule unter Berücksichtigung von Art. 86 Abs. 8 BayEUG Anlass für eine empfindliche Ordnungsmaßnahme. Durch das Filmen der sexuellen Handlungen und die anschließende Verbreitung des Videos wurde das Persönlichkeitsrecht der betroffenen Schülerin in erheblicher Weise verletzt. Hierdurch wurde auch die Aufgabe der Schule gefährdet, die Intimsphäre der ihr anvertrauten Schüler zu schützen (vgl. auch BayVGH vom 17.4.2008 Az. 7 ZB 07.1755 und 7 ZB 07.1832 <juris>; VG Karlsruhe vom 27.2.2008 NVwZ-RR 2008, 788; VG Freiburg vom 28.1.2009 Az. 2 K 2180/08 <juris>). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Schülerin grundsätzlich mit den sexuellen Handlungen und möglicherweise auch mit der Anwesenheit des Klägers und eines weiteren Schülers einverstanden war. Davon, dass der Kläger mit einem Handy Videoaufnahmen anfertigt, hatte sie jedenfalls keine Kenntnis. Nachdem sie davon erfahren hatte, hat sie auch ausdrücklich darum gebeten, die Aufnahmen zu löschen und nicht zu verbreiten. Daran hat sich der Kläger jedoch nicht gehalten, sondern dafür gesorgt, dass ihm die zunächst nur auf dem Handy vorhandenen Videos per E-Mail auf seinen PC übermittelt wurden. Durch sein Verhalten hat der Kläger die Intimsphäre seiner Mitschülerin und deren Selbstwertgefühl in einer Weise verletzt, auf die die Schule zu Recht mit einer empfindlichen Ordnungsmaßnahme reagiert hat. Auch von einem zwölfjährigen Schüler kann erwartet werden, dass er das Persönlichkeitsrecht und die Intimsphäre seiner Mitschülerin sowie deren Wunsch, die gegen ihren Willen gefertigten Aufnahmen zu löschen, respektiert.

Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Schule den Vorfall hätte verhindern können. Auch wenn eine Lehrkraft offenbar zuvor im Unterricht einen handgeschriebenen Zettel abgefangen hatte, in dem sexuelle Handlungen verabredet wurden, deren Absender und Empfänger aber nicht erkennbar waren, entlastet dies den Kläger nicht vom Vorwurf des schweren Eingriffs in die Intimsphäre seiner Mitschülerin. Es kann auch keine Rede davon sein, dass der Kläger sich nach der Tat einsichtig gezeigt oder dass er sein Verhalten erkennbar bereut hätte. Ob der Kläger das Video auf seinem PC aus eigener Initiative gelöscht hat oder ob nicht vielmehr seine Eltern dafür gesorgt haben, lässt sich nicht aufklären. Dieser Gesichtspunkt spielt jedoch für die Verhältnismäßigkeit der angedrohten Entlassung von der Schule keine entscheidende Rolle. Gegen Einsicht oder Reue des Klägers hinsichtlich seines Fehlverhaltens spricht, dass er sich jedenfalls bis zur Sitzung des Disziplinarausschusses bei der betroffenen Schülerin nicht entschuldigt, sondern diese sogar in gewisser Weise unter Hinweis auf das vorhandene Video noch unter Druck gesetzt hat. Er hat auch keinen erkennbaren Beitrag dazu geleistet, dass der Vorfall nicht weiter publik wird. Ihm kommt auch nicht zugute, dass die betroffene Schülerin möglicherweise selbst zur Verbreitung des Vorfalls beigetragen hat, indem sie weiteren Mitschülerinnen davon berichtet hat. Es muss damit gerechnet werden, dass sich ein solcher Vorfall, an dem mehrere Schüler beteiligt waren, an einer Schule schnell herumspricht. Auch die nach Bekanntwerden des Vorfalls erfolgte Aufarbeitung durch einzelne Lehrkräfte im Unterricht ohne Nennung der Namen der beteiligten Schüler ist nicht zu beanstanden und lässt die angedrohte Entlassung insbesondere nicht unverhältnismäßig erscheinen.

Hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit hat die Schule auch zu Recht das vorangegangene Verhalten des Klägers einbezogen, das im Schuljahr 2006/2007 bereits Anlass für fünf Hinweise an seine Erziehungsberechtigten, sechs Verweise, einen verschärften Verweis und einen Ausschluss vom Unterricht war. Wie der Senat bereits entschieden hat, ist es zulässig, das Fehlverhalten eines Schülers und darauf beruhende Ordnungsmaßnahmen aus vorausgegangener Zeit zu berücksichtigen (BayVGH vom 19.2.2008 Az. 7 B 06.2352 <juris>).

Die mit der Androhung der Entlassung ausgesprochene Empfehlung einer sozialpädagogisch-psychologischen Beratung hinsichtlich des familiären Umfelds des Klägers hatte keinen verbindlichen Charakter und war somit nicht Regelungsgegenstand des Bescheids. Außerdem hat der Beklagte in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht ausdrücklich erklärt, an dieser Empfehlung nicht mehr festzuhalten.

2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO abzulehnen. Die Streitwertfestsetzung für das Zulassungsverfahren ergibt sich aus § 47 Abs. 3 und § 52 Abs. 2 GKG.

3. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

Ende der Entscheidung

Zurück