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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 11.05.2006
Aktenzeichen: 8 ZB 06.485
Rechtsgebiete: VwGO, WEG, BGB


Vorschriften:

VwGO § 121 Nr. 1
WEG § 27 Abs. 1 Nr. 2
BGB § 311 Abs. 1
Wohnungseigentümer sind für ihr Grundstück auch verkehrssicherungspflichtig, soweit auf diesem ein tatsächlich-öffentlicher Weg verläuft.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof

8 ZB 06.485

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Entfernung von Absperrungspfosten u. a.;

hier: Antrag der Klägerinnen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 15. Dezember 2005,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 8. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Allesch, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dösing, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Senftl

ohne mündliche Verhandlung am 11. Mai 2006

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Der Antrag wird abgelehnt.

II. Die Klägerinnen haben die Kosten des Zulassungsverfahrens als Gesamtschuldnerinnen zu tragen.

III. Der Wert des Streitgegenstands wird für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Klägerinnen begehren als die beiden heutigen Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft von der Beklagten die Beseitigung der auf ihrem Grundstück Fl.Nr. 436 der Gemarkung E***** angebrachten Absperrungspfosten mit Kette sowie einer vorhandenen Stufe zum angrenzenden Straßengrundstück hin.

Eine frühere Klage der Klägerin zu 1 wurde vom Verwaltungsgericht mit Urteil vom 30. September 2002 (Az. AN 10 K 00.01204) als unbegründet abgewiesen. Den Antrag auf Zulassung der Berufung hat der Senat mit Beschluss vom 26. März 2003 (Az. 8 ZB 02.2918) abgelehnt, weil die Klage der Klägerin zu 1 allein mangels erforderlicher Klagebefugnis bereits unzulässig sei.

Das Verwaltungsgericht hat die neuerliche Klage mit Urteil vom 15. Dezember 2005 als unbegründet abgewiesen. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgen die Klägerinnen ihr Begehren weiter.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstgerichtlichen Entscheidung im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist nicht gegeben.

1. Das Verwaltungsgericht hat die neuerliche Leistungsklage im Sinn von § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu Recht als zulässig angesehen. Die Rechtskraft der erstgerichtlichen Entscheidung vom 30. September 2002 nach § 121 Nr. 1 VwGO steht dem nicht entgegen. Die Klägerin zu 2 war nicht Beteiligte des vorhergehenden verwaltungsgerichtlichen Verfahrens. Gegenüber der Klägerin zu 1 ist das Urteil vom 30. September 2002 zwar in formelle Rechtskraft erwachsen. Materielle Rechtskraft hat die Entscheidung aber nur als Prozessurteil erlangt. Ob ein Sachurteil oder ein Prozessurteil vorliegt, ist der letztinstanzlichen Entscheidung zu entnehmen (vgl. Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: Oktober 2005, RdNr. 91 zu § 121 m.w.N.). Dies hat auch dann zu gelten, wenn mit der letztinstanzlichen Entscheidung ein Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt wird, weil die Klage bereits unzulässig ist. Das erstgerichtliche Urteil erwächst dann gemäß § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO nur in dem Umfang in Rechtskraft, in dem der Verwaltungsgerichtshof das Fehlen bestimmter Sachurteilsvoraussetzungen festgestellt hat. Kann der festgestellte Mangel behoben werden, steht jedenfalls einer erneuten Leistungsklage, für die grundsätzlich keine Klagefristen gelten, nichts im Wege.

2. Die Leistungsklage der Klägerinnen ist jedoch vom Verwaltungsgericht zu Recht als unbegründet abgewiesen worden. Die von den Klägerinnen vorgetragenen Gründe für das Bestehen von ernstlichen Zweifeln an der erstgerichtlichen Entscheidung greifen nicht durch.

Der von den Klägerinnen behauptete Folgenbeseitigungsanspruch (vgl. hierzu BVerwGE 94, 100/103 f.) ist nicht gegeben. Durch den hoheitlichen Eingriff der Beklagten auf dem klägerischen Grundstück ist kein fortdauernder rechtswidriger Zustand entstanden, denn die Maßnahmen der Beklagten beruhen auf einer Vereinbarung mit dem früheren Verwalter. Die durch verschiedene Schriftstücke in den Behördenakten der Beklagten belegte Absprache wird von den Klägerinnen im Zulassungsverfahren nicht mehr substanziiert infrage gestellt.

Soweit die Klägerinnen behaupten, der frühere Verwalter habe nicht die erforderliche Vertretungsmacht besessen, trifft ihre Ansicht nicht zu. Gemäß § 27 Abs. 1 Nr. 2 WEG ist der Verwalter berechtigt und verpflichtet, die für die ordnungsgemäße Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Hierzu gehört auch die Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht gegenüber Dritten (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 65. Aufl., RdNr. 6 zu § 27 WEG). Die Vertretungsmacht des Verwalters, zur Erfüllung der Verkehrssicherungspflicht auch Verträge abzuschließen, ergibt sich vorliegend aus § 7 Abs. 4a der Gemeinschaftsordnung vom 23. Dezember 1994. Wie insbesondere die Schreiben der Beklagten vom 17. Mai 1995 und 4. Juli 1995 (Bl. 8 und 11 der Behördenakten) an die Klägerseite belegen, ist zwischen den Beteiligten ein Vertrag im Sinn von § 311 Abs. 1 BGB zu Stande gekommen; hierbei hat der Verwalter auch Vereinbarungen hinsichtlich der Gestaltung der Sicherungsmaßnahmen getroffen.

Der weitere Einwand der Klägerinnen, die Wohnungseigentümer habe keine Verkehrssicherungspflicht getroffen, ist ebenfalls unzutreffend. Das Verwaltungsgericht hat vielmehr zu Recht inzident vorausgesetzt, dass auch die Wohnungseigentümer eine Verkehrssicherungspflicht hatten. Die Klägerinnen haben ihre private Wegfläche zumindest durch schlüssiges Handeln für den allgemeinen Fußgängerverkehr geöffnet; der Weg wurde dadurch zu einem tatsächlich-öffentlichen Weg (vgl. Zeitler, BayStrWG, Stand: 1.2.2005, RdNr. 36 zu Art. 53 m.w.N.). Die Verkehrssicherungspflicht für Wege, die für den allgemeinen Verkehr geöffnet sind, knüpft aber nicht an das Eigentum am Straßenkörper, sondern an die objektive Gefahrenlage an, die mit der Verkehrseröffnung entstanden ist. Dabei kommt es weniger darauf an, wer die Gefahrenlage einst geschaffen hat, sondern vielmehr darauf, wer sie andauern lässt und im Stande ist, den Gefahren zu begegnen (vgl. Zeitler a.a.O., RdNr. 53 zu Art. 51). Nach diesem sog. Prinzip der Gefahrenbeherrschung sind vorliegend auch die Wohnungseigentümer verkehrssicherungspflichtig, da sie eben nicht nur Eigentümer der Wegeflächen sind, sondern auch den allgemeinen Fußgängerverkehr eröffnet haben. Sie sind daher sowohl rechtlich als auch tatsächlich im Stande, den auf dem Weg bestehenden Gefahren zu begegnen. Der von den Klägerinnen angeführte Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17. Februar 2000 (BayObLGZ 2000, 43) befasst sich nicht mit der Verkehrssicherungspflicht in Anbetracht der Eröffnung des allgemeinen Verkehrs auf einer privaten Grundstücksfläche und ist somit nicht einschlägig. Nach allem hat der Verwalter bei Abschluss der Vereinbarung mit der Beklagten im Rahmen seiner Verwaltungsaufgaben gehandelt.

Die Klägerinnen haben nichts dafür dargetan, dass die zwischen dem Verwalter und der Beklagten getroffene Vereinbarung eine nachträgliche Veränderung erfahren hätte. Da es sich hierbei um einen zivilrechtlichen Vertrag handelt, wären die zivilrechtlichen Bestimmungen über die Anpassung, Änderung oder Beendigung von Verträgen zu beachten und notfalls im Zivilrechtsweg durchzusetzen gewesen. Denn die Verkehrssicherungspflicht beurteilt sich außer im Rahmen des Art. 72 BayStrWG nach privatrechtlichen Grundsätzen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 2, § 72 Nr. 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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