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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Beschluss verkündet am 21.02.2007
Aktenzeichen: 9 B 05.30123
Rechtsgebiete: AufenthG, EMRK


Vorschriften:

AufenthG § 60 Abs. 5
EMRK Art. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Im Namen des Volkes

9 B 05.30123

In der Verwaltungsstreitsache

wegen Feststellung nach § 60 Abs. 5 AufenthG (Aserbaidschan);

hier: Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 29. Dezember 2004,

erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 9. Senat,

durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Plathner, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Heinl, die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Breit

ohne mündliche Verhandlung am 21. Februar 2007

folgenden Beschluss:

Tenor:

I. Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass das Bundesamt verpflichtet wird, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf Aserbaidschan festzustellen.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens beträgt 1.500 Euro.

Gründe:

I.

Der Kläger beantragte zusammen mit seiner Lebensgefährtin Emmina Afscharova und der gemeinsamen Tochter Selda am 4. Mai 2004 beim Bundesamt Asyl. In der mündlichen Anhörung am 11. Mai 2004 gab er an, er sei am 6. September 1976 von Eltern armenischen Volkstums in Baku, Aserbaidschan, geboren worden. Seine Eltern seien beide bei einem Unfall ums Leben gekommen, als er 10 Jahre alt gewesen sei. Er habe von 1980 bis 1996 in dem Dorf Agulis im Kreis Ordubad in Nachitschewan in Aserbaidschan gelebt. Die Schule habe er nur drei Jahre lang besucht. Im Jahre 1996 sei er zu seiner Lebensgefährtin, einer aserischen Volkszugehörigen in das Dorf Werin Tantik, Nachitschewan, Aserbaidschan, gezogen, das von Agulis nicht weit entfernt sei. Sie habe gewusst, dass er armenischer Volkszugehöriger sei, es aber niemandem verraten. Sie sprächen beide sowohl aserbaidschanisch als auch armenisch. Am 25. Januar 1997 habe seine Lebensgefährtin ein Zwillingspäärchen, Selda und Abdul, geboren. Er sei von Beruf Hirte und habe das Vieh der Dorfbewohner und auch sein eigenes Vieh in die Berge getrieben. Er habe deshalb wenig Kontakt zu den Dorfbewohnern gehabt. In den Bergen sei er am 15. oder 16. April 2004 Zeuge eines Verbrechens geworden. Die Täter hätten ihm danach nach dem Leben getrachtet. Sie hätten ihn, seine Lebensgefährtin und die Kinder am 18. April 2004 in ihrem Haus überfallen und geschlagen. Sie hätten dabei herausgefunden, dass er Armenier sei. Den Sohn hätten sie getötet. Als die Polizei gekommen sei, seien die Täter geflohen. Sein Haus sei in Brand gesteckt worden und abgebrannt. Sein Schwager habe ihn bei der Polizei wieder frei bekommen und ihm, der Lebensgefährtin und der Tochter zur Flucht verholfen. Einen Pass habe er nie besessen.

Das Bundesamt lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 25. Juni 2004 ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und des § 53 AuslG nicht vorliegen und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Aserbaidschan oder Armenien an. Zur Begründung gab es an, es glaube die Verfolgungsgeschichte nicht, weil das Vorbringen des Klägers verworren und oberflächlich, nicht aber substanziiert und detailliert gewesen sei. Im Übrigen müsse der Kläger wegen seiner armenischen Volkszugehörigkeit bei einer Rückkehr nach Aserbaidschan im Juni 2004 nicht mehr mit Verfolgung rechnen.

Der Kläger erhob Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte, das Bundesamt zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 und des § 53 AuslG festzustellen. Mit Schreiben vom 16. Dezember 2004 legte er dem Gericht seine Geburtsurkunde vor, die ihn als in Baku geborenen armenischen Volkszugehörigen ausweist. In der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 29. Dezember 2004 wiederholte und vertiefte der Kläger sein Vorbringen aus der mündlichen Anhörung. Das Verwaltungsgericht vernahm auch die Lebensgefährtin des Klägers; sie bestätigte den Vortrag des Klägers und ergänzte ihn u.a. dahingehend, dass, als die Täter in ihr Haus eingedrungen seien, sie die armenische Volkszugehörigkeit des Klägers dadurch herausgefunden hätten, dass sie Kerzen vor einem Chatsch-Khar (für armenische Christen typischer kreuzförmiger Hausaltar) hätten brennen sehen und bei einer anschließenden Untersuchung des Klägers festgestellt hätten, dass er nicht beschnitten sei. An den folgenden brachialen Attacken auf die Familie und dem in Brand Setzen des Hauses hätten sich auch einige ihrer aserbaidschanischen Nachbarn beteiligt. Als sie ihr Grundstück schon verlassen und anderswo Unterschlupf gefunden hätten, habe eine befreundete Nachbarin ihr noch die halbverbrannte Geburtsurkunde des Lebensgefährten nachgebracht. Vom Gericht auf kleinere Widersprüche im Vortrag des Klägers gegenüber dem der Lebensgefährtin angesprochen, erklärte letztere, "bei ihrem Mann sei irgend etwas passiert. Er habe sich umbringen wollen. In Zirndorf sei die Polizei gekommen. Was er sage, stimme nicht immer. Manchmal kenne er Leute nicht."

Das Verwaltungsgericht hob mit Urteil vom 29. Dezember 2004 die Abschiebungsandrohung bezüglich Aserbaidschans im Bescheid des Bundesamts vom 25. Juni 2004 auf und verpflichtete das Bundesamt festzustellen, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG im Hinblick auf Aserbaidschan vorliegt, im übrigen wies es die Klage ab.

Zur Begründung führte es aus, die Verfolgungsgeschichte des Klägers sei widersprüchlich und ungereimt; das Gericht glaube sie nicht. Das Gericht sei auch nicht davon überzeugt, dass der Kläger nach 1990 noch in Aserbaidschan gelebt habe. Er könne z.B. auch in Armenien oder in Russland gelebt haben. Das Gericht könne deshalb weder von einer aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit noch von einem dauernden Aufenthalt des Klägers in Aserbaidschan ausgehen. Ein Abschiebungshindernis gemäß § 51 Abs. 1 AuslG in Bezug auf Aserbaidschan könne deshalb nicht festgestellt werden. Da auch keine andere Staatsangehörigkeit und kein dauernder Aufenthalt in einem anderen Land festgestellt werden könnten, könnten die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG auch nicht in Bezug auf einen anderen Staat festgestellt werden.

Als volkstumsmäßigem Armenier drohten dem Kläger in Armenien keine Verfolgung oder sonstigen Gefahren, so dass die Androhung der Abschiebung nach Armenien rechtlich nicht zu beanstanden sei.

Rechtswidrig sei dagegen die Androhung der Abschiebung nach Aserbaidschan, weil dem Kläger dort die Gefahr unmenschlicher Behandlung im Sinn von § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohe. Aus den Lageberichten des Auswärtigen Amtes, dem Landesbericht der US Dept. of State und Auskünften des UNHCR ergebe sich, dass Personen armenischer Abstammung in Aserbaidschan faktisch vielfach schlechter behandelt würden als andere Personengruppen, ohne dass staatliche Stellen, von Ausnahmen abgesehen, dies wirksam unterbinden würden. Ihnen würden keine Pensionen ausbezahlt, ihre Kinder dürften nicht in staatliche Schulen, sei erhielten keine Pässe; Arbeitsplätze und medizinische Versorgung würden ihnen verweigert. Wenn sie von nationalistischen Bevölkerungsteilen bedroht werden, biete die Polizei ihnen keinen oder keinen ausreichenden Schutz. Der Kläger sei armenisch geprägt und würde bei seiner Rückkehr nach Aserbaidschan der armenischen Minderheit zugerechnet. Sein armenisches Volkstum sei auch aus seiner Geburtsurkunde ersichtlich.

Auf Berg-Karabach als inländischer Fluchtalternative könne aus rechtlichen Gründen nicht abgestellt werden. Berg-Karabach habe sich durch Sezession von Aserbaidschan abgespalten und sei ein eigener Staat und nicht mehr ein Teil Aserbaidschans. Berg-Karabach habe alle Insignien eines selbständigen Staates: Ein Gebiet, ein Staatsvolk und eine Staatsmacht, die sich in einem Präsidenten, einem Parlament und einer eigenen Armee präsentierten und die tatsächliche Gewalt ausübten. Außerdem habe der Kläger in Berg-Karabach auch keine Existenzmöglichkeit.

Auf Antrag des Bundesamts hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 3. März 2005 die Berufung insoweit zugelassen, als das Verwaltungsgericht die Androhung der Abschiebung nach Aserbaidschan aufgehoben und das Bundesamt verpflichtet hat, beim Kläger ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG in Bezug auf Aserbaidschan festzustellen. Zur Begründung wurde auf die ständige Rechtsprechung des Senats hingewiesen, wonach die Region Berg-Karabach weiterhin Teil des aserbaidschanischen Staatsgebiets ist.

Die Beklagte beantragt im Berufungsverfahren, die Klage unter teilweiser Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts insgesamt abzuweisen. Zur Begründung führt sie aus, Berg-Karabach stelle für den Kläger als armenischen Volkszugehörigen eine zumutbare inländische Fluchtalternative dar.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig aber nicht begründet.

Der Senat ist einstimmig dieser Auffassung und hält eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten wurden dazu angehört. Die Entscheidung kann daher nach § 130 a VwGO durch Beschluss ergehen.

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Androhung der Abschiebung nach Aserbaidschan aufzuheben und das Bundesamt zu verpflichten, ein Abschiebungshindernis gemäß § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK in Bezug auf Aserbaidschan festzustellen, ist im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Die Berufung wird deshalb zurückgewiesen.

Das Ausländergesetz ist allerdings am 1. Januar 2005 außer Kraft getreten (Art. 15 Abs. 3 Nr. 1 des Zuwanderungsgesetzes). An die Stelle des Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG ist nunmehr das Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG getreten. Dies ist der Grund für die Aufnahme der Maßgabe in Nr. 1 des Beschlusses.

Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird hinsichtlich der Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (früher § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 ERMK) und hinsichtlich der Subsumtion des Sachverhalts unter diese Vorschriften auf die zutreffenden Ausführungen auf S. 13 unten bis 17 unten des angegriffenen Urteils des Verwaltungsgerichts Bezug genommen. Der Senat macht sich die insoweit auch von der Berufung nicht angegriffenen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu eigen.

Hinsichtlich der Frage, ob der Kläger in Berg-Karabach Zuflucht finden könnte, wegen der die Berufung zugelassen wurde, wird folgendes ausgeführt:

Anders als das Verwaltungsgericht ist der Senat der Auffassung, dass Berg-Karabach in völkerrechtlicher Hinsicht (noch) kein eigener Staat, sondern noch Teil Aserbaidschans ist. Seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre gibt es zwar ein berg-karabachisches Staatsgebiet (ca. 120 km lang und durchschnittlich 50 km breit), ein berg-karabachisches Volk (zwischen 120.000 und 145.000 Personen) und auch eine berg-karabachische Staatsgewalt mit allen Insignien eines unabhängigen Staates (vgl. dazu Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, I. Band, München 1975, Seiten 227 ff.; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, Seiten 223 ff.). Trotz ihres fast 12jährigen Bestehens ist noch nicht gesichert, dass diese Staatsgewalt auch auf Dauer Bestand haben wird. Noch führen Aserbaidschan und Armenien regelmäßige Gespräche über die künftige Zuordnung von Berg-Karabach: Armenien möchte Berg-Karabach annektieren und Aserbaidschan beansprucht das Gebiet weiterhin für sich. Berg-Karabach kann sich der Heimholung nach Aserbaidschan nur mit Hilfe der Unterstützung Armeniens entziehen. Aus diesem Grunde geht die Mehrheit der Meinungen im Völkerrecht dahin, dass die eigenständige Staatsgewalt Berg-Karabachs noch nicht dauerhaft etabliert und Berg-Karabach noch kein eigener Staat ist (a.A. Luchterhand, "Das Recht Berg-Karabachs auf staatliche Unabhängigkeit aus völkerrechtlicher Sicht", in Archiv des Völkerrechts, 31. Band 1993 S. 30 bis 81 und "Der Status Berg-Karabachs aus der Sicht des sowjetischen Staatsrechts" in Armenien, Geschichte und Gegenwart in schwierigem Umfeld, Deutsch-Armenische Gesellschaft, Frankfurt 1998, S. 267 ff.). Die "Republik Berg-Karabach" ist deshalb weder von der UNO noch von irgendeinem Land, nicht einmal von Armenien, als Staat anerkannt. Da Berg-Karabach weder durch Sezession noch durch Annexion von Armenien aus dem Staatsverband Aserbaidschans ausgeschieden ist, kann Berg-Karabach grundsätzlich noch eine inländische Fluchtalternative für Personen aus Stamm-Aserbaidschan sein (vgl. Urteil des Senats vom 7.5.2004 Az. 9 B 01.31198).

Weitere Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass Berg-Karabach für diese Personen, hier den Kläger, von Deutschland aus erreichbar und ein Aufenthalt dort möglich und zumutbar ist (vgl. dazu BVerwG Urteil vom 16.1.2001 DVBl. 2001,667 ebenso OVG Rheinland-Pfalz vom 28.8.2006 Az. 6 A 10813/06. OVG).

Berg-Karabach ist von Deutschland aus nur über den Landweg von Armenien her erreichbar. Es gibt in Berg-Karabach keinen Zivilflughafen. Eine Einreise von Aserbaidschan her ist nicht möglich, weil die Grenze teilweise vermint und als militärische Kriegsfront für Zivilisten nicht passierbar ist. Das Gebiet der früheren autonomen Region Berg-Karabach grenzte nicht an den Iran an. Im Krieg von 1991 bis 1994 eroberten karabachische Truppen aserbaidschanisches Gebiet bis an den Fluss Aras und halten es auch heute noch besetzt. Die Grenze am Aras gegenüber dem Iran ist aber befestigt und unpassierbar und es gibt keinen Grenzübergang. Karabacher, die in den Iran wollen, fahren deshalb über Armenien und benutzen den dortigen Grenzübergang bei Megri.

Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 2. Dezember 2005 an das Verwaltungsgericht Schleswig Holstein "können Personen armenischer Volkszugehörigkeit und mit ungeklärter Staatsangehörigkeit und Anknüpfungspunkten zu Armenien oder Aserbaidschan sowie angebliche Staatenlose aus diesen beiden Ländern zur Weiterreise in die sog. Republik Berg-Karabach (russ. Abkürzung NKR) grundsätzlich in die Republik Armenien einreisen. Die Betreffenden müssen einen entsprechenden Antrag bei der Botschaft der Republik Armenien in Berlin stellen. Dieser wird dann über die armenischen Innenbehörden und die NKR-Vertretung in Eriwan an die NKR-Behörden weitergeleitet. Der Antrag muss freiwillig erfolgen. Wenn dem Antrag stattgegeben wird, kann die Einreise nach Armenien und die Weiterreise nach NKR erfolgen. Für die Durchreise (Transit) nach Berg-Karabach bestehen keine Bestimmungen oder Regelungen. Bei Vorliegen der Zustimmung der NKR-Behörden zur Einreise nach Berg-Karabach stellt die Botschaft der Republik Armenien den Betroffenen ein armenisches Reisedokument (Passersatzpapier) aus. Die Einreise kann auf dem Luftweg über den Flughafen in Eriwan/Armenien erfolgen. Von Eriwan aus fahren täglich Busse nach Berg-Karabach, die dann für die Weiterreise benutzt werden können. Bei entsprechenden finanziellen Möglichkeiten kann auch ein Taxi benutzt werden. Die Reise ist innerhalb eines Tages möglich (Reisedauer ca. 8 bis 12 Stunden)."

Abschließend teilt das Auswärtige Amt noch mit, dass ihm bisher "kein Fall bekannt ist, bei dem eine Rückkehr bzw. Ansiedlung in NKR von Deutschland aus auf diesem Weg erfolgte."

Der Grund, dass von dieser (theoretisch) denkbar einfachen Möglichkeit nach dem Wissensstand des Auswärtigen Amtes noch kein einziger armenischer Aserbaidschaner Gebrauch gemacht hat, dürfte - abgesehen von der hier nicht zu berücksichtigen Unwilligkeit der Betroffenen - daran liegen, dass die "berg-karabachischen Behörden" aus Deutschland kommende armenische Aserbaidschaner in der Regel nicht aufnehmen, d.h. keine Zustimmung zur Einreise erteilen.

Das hat folgenden Grund: Die "Republik Berg-Karabach" sieht sich als Rechtsnachfolger der ehemaligen autonomen Region Berg-Karabach und des Rayons Schaumian. Die aus diesen beiden Gebieten Stammenden - ungeachtet ihrer Religionszugehörigkeit - werden als "Staatsangehörige Berg-Karabachs" angesehen. Solchen Personen wird von den karabachischen Behörden die Einreise gestattet. "Ein Selbstverständnis als eine Art "armenischer Teil Aserbaidschans" hat die Republik Berg-Karabach nicht, sie versteht sich nicht als eine Art "fremde Heimat" aller Armenier aus Aserbaidschan" (Auskünfte des Transkaukasus-Instituts vom 30.10.2004 an den HessVGH und vom 16.10.2005 OVG Mecklenburg-Vorpommern). Daraus folgt, dass der Kläger, der in Baku geboren wurde und sich praktisch sein ganzes Leben in Nachitschewan aufgehalten hat und keine Beziehungen zu Berg-Karabach hat, aller Wahrscheinlichkeit nach keine Einreiseerlaubnis nach Berg-Karabach erhalten wird.

Berg-Karabach hat zwar armenische Flüchtlinge, die während des Bürgerkriegs aus Aserbaidschan über die Grenze kamen, aufgenommen und würde wohl auch heute noch solche Leute nicht nach Aserbaidschan zurückschieben. Damit ist aber die Erteilung einer Einreiseerlaubnis für in Deutschland befindliche armenische Aserbaidschaner nicht vergleichbar (vgl. Dr. Tessa Savvidis vom 14.12.2005 an OVG Mecklenburg-Vorpommern).

Hinzugefügt werden kann noch, dass das Verfahren der Zuwanderung in die "Republik Berg-Karabach" oder in von dieser allgemein verwaltete Gebiete weitgehend informell geregelt ist. Ein Zuwanderungsantrag wird neben dem federführenden Außenministerium von den Innen- und Sicherheitsbehörden, gelegentlich auch noch von der Regierungs-Agentur für Migration, Flüchtlinge und Rücksiedlung geprüft, letztendlich entschieden wird über diesen aber im Präsidentenapparat. Es ist mit einer Bearbeitungszeit des Zuwanderungsantrags von mehr als einem Jahr zu rechnen (Transkaukasus-Institut vom 18.10.2005 an OVG Mecklenburg-Vorpommern). Berg-Karabach sucht zwar grundsätzlich Neubürger, denn viele haben das Land wegen des Bürgerkriegs und der grassierenden Armut verlassen. Gebraucht werden reiche Investoren und Leute mit besonderen Fähigkeiten. Auch armenische "Wehrbauern", die den Mut haben, sich in Gebieten landwirtschaftlich zu betätigen und sesshaft zu werden, die vormals von Aserbaidschanern besiedelt waren, werden gesucht (vgl. Dr. Tessa Savvidis an OVG Mecklenburg-Vorpommern vom 14.12.2005 S. 11; dieselbe an HessVGH vom 11.11.2004; Transkaukasus-Institut vom 30.10.2004 an HessVGH). Für die Erlaubnis zur Niederlassung in Berg-Karabach kommt es nicht so sehr auf die Regelungen, als vielmehr auf Geld und ein "Dach", d.h. einflussreiche Fürsprecher, an. Nachdem der Kläger weder über Geld noch über besondere Fähigkeiten und auch nicht über Einfluss oder Fürsprecher verfügt, sieht der Senat eine ganz überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass sein Einbürgerungsantrag von den karabachischen Behörden abgelehnt werden würde (a.A. OVG Thüringen vom 26.8.2003 Az. 2 KO 155/03 und Hess VGH vom 30.5.2003 Az. 3 UE 858/02.A). Der Hessische VGH und das Thüringische OVG berufen sich für ihre abweichende Meinung auf Auskünfte von Frau Dr. Savvidis, die ihrerseits hochrangige Politiker Berg-Karabachs zitiert. Diese Politiker wollen die Weltoffenheit und Aufnahmebereitschaft ihres Landes darstellen. Unausgesprochen beziehen sich ihre Aussagen auf wohl Situierte, befähigte Ausländer, deren Zuzug der jungen bevölkerungsentleerten und darbenden "Republik Berg-Karabach" Nutzen bringt. Für arme, unbegabte Flüchtlinge gilt aber etwas anderes: "Ein Einstieg in die nur rudimentär bestehenden Sozialsysteme ist grundsätzlich nicht erwünscht" (Transkaukasus-Institut vom 30.10.2005 an Hess VGH S. 8). Vor der Einreisegenehmigung wird genau geprüft, ob der Bewerber nützlich sein wird oder nicht. Der Senat kann nicht erkennen, wie der Kläger Berg-Karabach von Nutzen sein könnte. Besonders negativ wird den Prüfern auffallen, dass die Lebenspartnerin des Klägers Aserbaidschanerin und Muslimin und das gemeinsame Kind Halbaserbaidschanerin ist.

Neben den dargestellten Möglichkeiten der legalen Einreise nach Berg-Karabach, die dem Kläger nach aller Wahrscheinlichkeit nicht zur Verfügung stehen, besteht noch die Möglichkeit der illegalen Einreise, d.h. einer Einreise die von den Behörden der "Republik Berg-Karabach" nicht erlaubt wurde. Denn es gibt keine wirksamen Kontrollen an der Grenze von Armenien nach Berg-Karabach, d.h., die Polizei winkt die Autos durch.

Aber auch dieser Weg scheint letztlich nicht offen zu stehen:

Die karabachischen Behörden würden die Ansiedlung eines aus Deutschland kommenden und illegal eingereisten Ausländers nicht dulden, auch wenn er armenischen Volkstums ist. Bei der Omnipräsenz der Sicherheitskräfte in Berg-Karabach wird der Kläger nicht lange unerkannt bleiben. Die Behörden werden den Kläger schnell nach Armenien zurückschieben, von woher er nur gekommen sein kann (Transkaukasus-Institut vom 30.10.2004 an HessVGH S. 4).

Vor einem derartigen "illegalen Abenteuer" steht aber die Frage, wie der wohl staatenlose und ausweislose Kläger nach Armenien kommt? Das Auswärtige Amt hat in seiner Auskunft vom 27. Juni 2005 an das OVG Mecklenburg-Vorpommern vorgeschlagen, der ehemalige Staatsangehörige Aserbaidschans armenischer Volkszugehörigkeit könne nach Armenien kommen, in dem er sich dort einbürgern lässt. Vertriebene armenischer Volkszugehörigkeit hätten einen Rechtsanspruch auf den Erwerb der armenischen Staatsangehörigkeit. Der Senat vertritt dazu die Rechtsansicht, dass eine inländische Fluchtalternative nicht zumutbar erreichbar ist, wenn sie nur dadurch erreichbar wird, dass der Betroffene vorher die Staatsangehörigkeit eines dritten Staates (hier Armeniens) annimmt (z.B. Urteile vom 20.2.2006 Az. 9 B 02.31748 und vom 24.7.2006 Az. 9 B 04.30118 a.A. Hess VGH vom 15.9.2005 Az. 3 UE 2381/04.A). Das Auswärtige Amt meint weiter, Betroffene könnten nach Armenien gelangen, indem sie sich an die entsprechenden Behörden in Armenien wenden und einen Flüchtlingsstatus beantragen. Auch dies hält der Senat für unzumutbar. Den Flüchtlingsstatus kann man außerdem nicht vom Ausland her beantragen, sondern nur in Armenien selbst. Wie aber sollte der Kläger ohne einen Ausweis in ein Flugzeug nach Eriwan gelangen? Das am 16. November 2006 unterzeichnete Rücknahmeübereinkommen mit Armenien sieht nur eine Rückübernahme armenischer Staatsangehöriger und solcher Drittstaatsangehöriger und Staatenloser vor, die über Armenien nach Deutschland gereist sind. Beides ist beim Kläger nicht der Fall. Die armenische Volkszugehörigkeit allein ist kein Rückübernahmegrund.

Insgesamt bleibt festzustellen, dass eine illegale Niederlassung in Berg-Karabach keine zumutbare inländische Fluchtalternative ist und der Weg über eine Beantragung der Flüchtlingseigenschaft oder der Staatsangehörigkeit in Armenien auch nicht zumutbar ist.

Nachdem Berg-Karabach für den Kläger aller Wahrscheinlichkeit nach nicht legal erreichbar ist, scheidet Berg-Karabach als inländische Fluchtalternative für den Kläger insgesamt aus.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83 b AsylVfG, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10 und § 711 ZPO.

Gegenstandswert: § 30 Satz 1 RVG.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 130 a Satz 2, § 125 Abs. 2 Satz 4, § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorlägen.

Ende der Entscheidung

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