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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.06.2000
Aktenzeichen: 1 ObOWi 257/00
Rechtsgebiete: StPO, StVO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 473 Abs. 1 Satz 1
StVO § 41 Abs. 3 Nr. 5
StVO § 49 Abs. 3 Nr. 4
StVO § 37 Abs. 2
StVO § 37 Abs. 2 Nr. 4
StVO § 49 Abs. 3 Nr. 2
OWiG § 46 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Bayerisches Oberstes Landesgericht BESCHLUSS

1 ObOWi 257/00

Der 1. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Bayerischen Obersten Landesgericht Schmidt sowie der Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht Wannemacher und Kasch

in dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

auf Antrag der Staatsanwaltschaft

am 27. Juni 2000 einstimmig

beschlossen:

Tenor:

I. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts München vom 8. Februar 2000 wird als unbegründet verworfen.

II. Der Betroffene hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht München hat den Betroffenen am 8.2.2000 wegen fahrlässiger Nichtbeachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage bei schon länger als einer Sekunde andauernder Rotphase zu einer Geldbuße von 250 DM verurteilt und daneben ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet.

Nach den Feststellungen befuhr der Betroffene am 30.8.1999 gegen 18.25 Uhr die Arnulfstraße in München in westlicher Richtung zur Kreuzung Donnersbergerbrücke/Landshuter Allee. Die Arnulfstraße weist vor der Kreuzung fünf durch Leitlinien bzw. Fahrstreifenbegrenzungen und Richtungspfeile (Zeichen 297) markierte Fahrstreifen aus, nämlich jeweils zwei für Linksabbieger und den Geradeausverkehr sowie einen Fahrstreifen für Rechtsabbieger. Für die Linksabbieger sowie für den übrigen Verkehr bestehen jeweils eigene Wechsellichtzeichenregelungen mit einer Haltlinie; diejenige für Linksabbieger ist als Pfeillicht (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO) ausgestaltet. Etwa 30 m weiter westlich befindet sich hinter der östlichen Trasse der Donnersbergerbrücke/Landshuter Allee unmittelbar vor deren westlicher Trasse eine zweite Ampelanlage. Auf den beiden Linksabbiegespuren hatte sich - wie auch nach Kenntnis des Senats regelmäßig zu Stoßzeiten - ein Stau gebildet.

Der Betroffene hatte zunächst auf der linken der beiden Geradeausspuren hinter einem weiteren Fahrzeug bei Rotlicht angehalten; als "nach längerer Wartezeit" bei andauerndem Rotlicht für die Linksabbieger der Geradeausverkehr grün erhielt, fuhr der Betroffene an und wechselte nach Passieren der Haltlinie im Kreuzungsbereich auf eine der beiden Linksabbiegespuren, wie er von Anfang an zur Umfahrung des Staus beabsichtigt hatte, und hielt vor der zweiten, für Linksabbieger ebenfalls noch Rotlicht zeigenden Ampelanlage an.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

Das zulässige Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

Die Verfahrensrüge entspricht, worauf die Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht in ihrer Stellungnahme vom 16.5.2000 zutreffend hingewiesen hat, nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Auch in sachlich-rechtlicher Hinsicht hat die Nachprüfung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben. Daß die Dauer der Rotphase für die Linksabbieger im Zeitpunkt des Überfahrens der Haltlinie mehr als eine Sekunde betrug, hat das Amtsgericht nicht ausdrücklich festgestellt, folgt aber unzweifelhaft aus der Gesamtheit der Urteilsdarlegungen. Da es sich hiernach um einen Fall handelt, in dem neben einer erhöhten Geldbuße auch "in der Regel" ein Fahrverbot anzuordnen ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatV i.V.m. Nr. 34.2 BKat) und sich aus den rechtsfehlerfreien Darlegungen des Amtsgerichts ergibt, daß ein Fall, in dem ausnahmsweise von der Anordnung eines Fahrverbots abzusehen ist, nicht vorliegt, greifen auch die Angriffe des Betroffenen gegen den Rechtsfolgenausspruch nicht durch.

Zu bemerken ist nur:

Zu Recht hat das Amtsgericht das Verhalten des Betroffenen nicht (nur) als Verstoß gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung nach § 41 Abs. 3 Nr. 5, § 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, sondern als (qualifizierten) Rotlichtverstoß nach § 37 Abs. 2 StVO gewertet; daß das Amtsgericht lediglich Fahrlässigkeit angenommen hat, beschwert den Betroffenen nicht. Das (volle oder pfeilförmige) Rotlicht für die Linksabbiegespur verbot nicht nur die Einfahrt in die Kreuzung auf ihr; es untersagte auch die (teilweise) Benutzung dieser Spur im gesamten Kreuzungsbereich, so daß ein Fahrzeugführer wie der Betroffene, der erst nach der Einfahrt in den Kreuzungsbereich von der freigegebenen Geradeausspur nach links abbiegt, gegen das durch das rote Wechsellichtzeichen gegebene Haltverbot verstößt (BGHSt 43, 285/292).

Das war bereits vor dieser Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.10.1997 jedenfalls für den - auch vorliegend gegebenen - Fall anerkannt, daß es sich um ein gezieltes Umfahren der Rotlicht zeigenden Ampel handelt, sofern nur der durch die Lichtzeichenanlage geschützte Verkehrsbereich nicht verlassen worden ist (BayObLGSt 1995, 193 = NZV 1996, 120 m.zust.Anm. von Janiszewski NStZ 1997, 586/590; OLG Düsseldorf NZV 1998, 41 je m.w.N.; vgl. auch OLG Zweibrücken NZV 1997, 324). Dabei macht es keinen Unterschied, ob die Regelung für die einzelnen Fahrstreifen durch Lichtpfeile (§ 37 Abs. 2 Nr. 1 StVO) oder durch eigene Lichtzeichen bzw. Vollicht (§ 37 Abs. 2 Nr. 4 StVO) getroffen wird; denn Pfeillicht ist kein Rotlicht minderer Bedeutung, vielmehr sperrt es in gleicher Weise wie rotes Vollicht nicht nur die Einfahrt in die Kreuzung auf der gesperrten (Linksabbiege-)Spur, sondern ebenfalls die auch nur teilweise Benutzung der Spur im gesamten Kreuzungsbereich (BGH aaO). Die gegenteilige Auffassung, auf die sich der Betroffene beruft (vgl. Henschel NJW 1989, 1838/1842), ist - spätestens - durch die überzeugende Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.10.1997 überholt. Um einen Fall, in dem das Pfeillicht ausnahmsweise nur eingeschränkte, relative Kraft hat (BGH aaO S. 292 unter Ziff. 5), handelt es sich hier nicht.

Aus dem gleichen Grund ist es für das Vorliegen eines (vollendeten) Rotlichtverstoßes bei der gegebenen Kreuzungsgestaltung ohne Belang, daß für die Linksabbieger nach dem Überqueren der östlichen Fahrbahnhälfte eine zweite Lichtzeichenanlage eingerichtet war und daß der Betroffene vor dieser bei Rotlicht angehalten hat; denn dies war ihm nur durch das verbotene Wechseln auf den nach wie vor durch das Rotlicht der ersten Ampel gesperrten Fahrstreifen und dessen Benutzung möglich.

Da der Betroffene nach den auch insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts von vornherein beabsichtigt hatte, das Rotlicht durch Ausnutzung der freigegebenen Geradeausspur zu umfahren, bedarf die Frage, ob sich das Vorliegen eines Verstoßes gegen § 37 Abs. 2 StVO bei einem Spurwechsel nach dem Überfahren der Haltlinie auf die Fälle des "gezielten" Umfahrens einer Lichtzeichenanlage beschränkt und daher entscheidend von der inneren Tatseite abhängt, für den vorliegenden Fall keiner Erörterung. Der Senat neigt allerdings dazu, diese Frage zu verneinen. Der 2. Senat für Bußgeldsachen des Bayerischen Obersten Landesgerichts hatte in einer Entscheidung vom 12.11.1982 (BayObLGSt 1982, 155) für den Fall der Lichtzeichenregelung nach § 37 Abs. 2 Nr. 4 StVO einen Rotlichtverstoß schlechthin verneint (ebenso OLG Hamm VRS 51, 149). In seiner Entscheidung vom 17.11.1995 (BayObLGSt 1995, 193) hatte der 2. Senat dies bereits dahin eingeschränkt, daß "zumindest dann" ein Rotlichtverstoß vorliege, wenn von vornherein die Absicht bestanden hatte, in der gesperrten Richtung weiter zu fahren. Aber auch diese Einschränkung ist jedenfalls im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 30.10.1997 nicht mehr berechtigt. Adressat des für die Linksabbiegespur durch das rote (volle oder pfeilförmige) Lichtzeichen gegebenen Haltgebots und des daraus folgenden Benutzungsverbots ist der gesamte in Kreuzungsrichtung fahrende Verkehr unabhängig von dem gerade benutzten Fahrstreifen. Erfüllt somit der Wechsel von einem durch Grünlicht freigegebenen auf den weiterhin durch Rotlicht gesperrten Fahrstreifen den objektiven Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit nach § 37 Abs. 2, § 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO, kommt es subjektiv allein noch darauf an, ob der Verstoß vorwerfbar ist oder nicht, nicht aber darauf, wann der Entschluß zum Fahrstreifenwechsel gefaßt wurde. Der Fall ist zu unterscheiden von denjenigen, in denen entweder - wie bei der Benutzung etwa eines Tankstellengeländes (BayObLGSt 1993, 178 = NZV 1994, 80; OLG Köln DAR 1985, 229) - die Fahrbahn vollständig verlassen wird, oder sonst der durch die Lichtzeichenanlage geschützte Bereich nicht berührt wird (BayObLG VRS 61, 289; OLG Celle ZfS 1994, 306; OLG Oldenburg DAR 1985, 230; OLG Düsseldorf NZV 1998, 41).

Dem Amtsgericht ist schließlich auch darin zuzustimmen, daß es die Voraussetzungen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes im Sinn der Bußgeldkatalogverordnung angenommen und damit das Vorliegen eines atypischen Verstoßes verneint hat. Die besondere Gefährlichkeit von Vorrangverletzungen im Straßenverkehr in Form der Rotlichtmißachtung ist u. a. darin begründet, daß andere Verkehrsteilnehmer, und zwar insbesondere auch Kinder sowie Fußgänger und Radfahrer, in verstärktem Maß auf das Grünlicht für den Querverkehr vertrauen (Amtliche Begründung zur 12. ÄndVO vom 15.10.1991 - VKBl 1991, 704). Insoweit kam hier allerdings eine - auch nur abstrakte - Gefährdung kaum in Betracht, weil der Querverkehr durch die Freigabe des Geradeausverkehrs gesperrt war. Jedoch ist der Bereich qualifizierter Rotlichtverstöße nicht auf die Fälle beschränkt, in denen das mißachtete Lichtzeichen dem Schutz des Querverkehrs dient, vielmehr umfaßt er auch sonstige Vorrangverletzungen wie überhaupt Beeinträchtigungen jeden Verkehrs, der auf die Beachtung des Rotlichts vertraut (BayoblGSt 1996, 153 = DAR 1997, 28). Derartiger Verkehr kam hier, wie die Feststellungen des Amtsgerichts mit noch genügender Deutlichkeit erkennen lassen, durchaus in Betracht, wie etwa Nachzügler aus dem nachfolgenden oder dem (wendenden) Gegenverkehr, - ganz abgesehen davon, daß das unzulässige Verhalten des Betroffenen schon für sich geeignet war, andere Verkehrsteilnehmer nachhaltig zu überraschen und zu verwirren (BGH aaO S. 291). Daß es zu keiner konkreten Gefährdung kam, ist ohne Belang, wenn nur - wie hier - eine abstrakte Gefährdung nicht ausgeschlossen werden kann.

III.

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird daher durch Beschluß (§ 79 Abs. 5 Satz 1 OWiG) mit der sich aus § 46 Abs. 1 OWiG, § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Kostenfolge verworfen.

Ende der Entscheidung

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