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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 31.07.2001
Aktenzeichen: 1 ObOWi 308/01
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 226
StPO § 338 Nr. 5
OWiG § 78 Abs. 5
Der Amtsrichter verzichtet in einer Bußgeldsache wirksam auf die Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, wenn er ohne Protokollführer zur Sitzung erscheint und das Protokoll selbst führt.
Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 21.2.2001 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 27 km/h zu einer Geldbuße von 100 DM und ordnete im Hinblick auf § 2 Abs. 2 Satz 2 BKatV ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats an.

Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hatte Erfolg.

Gründe:

1. Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, weil an der Hauptverhandlung ausweislich des Protokolls ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle nicht teilgenommen habe, es liege mithin der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 1 StPO (i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG) vor, handelt es sich in Wirklichkeit, wie sich aus § 226 StPO ergibt, um die Rüge, die Hauptverhandlung habe in Abwesenheit einer Person stattgefunden, deren (ununterbrochene) Anwesenheit das Gesetz vorschreibe (vgl. LR-Hanack StPO 25. Aufl. § 338 Rn. 80).

Die ordnungsgemäß erhobene Rüge ist unbegründet.

Zwar ist im Strafverfahren die ununterbrochene Gegenwart eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vorgeschrieben (§ 226 StPO). Ein Verstoß hiergegen führt auf entsprechende Rüge nach § 338 Nr. 5 StPO zwingend zur Aufhebung des angegriffenen Urteils (vgl. LR-Hanack Rn. 102; Temming in HK-stopp 2. Aufl. § 338 Rn. 24; KK-Kuckein StPO 4. Aufl. § 338 Rn. 72).

Im Bußgeldverfahren kann jedoch der Richter beim Amtsgericht nach § 78 Abs. 5 Satz 1 OWiG von der Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle in der Hauptverhandlung absehen. Ein entsprechender Beschluss des Amtsrichters ist nicht anfechtbar (§ 78 Abs. 5 Satz 2 OWiG). Der Betroffene hat also, keinen Anspruch auf die Zuziehung des Urkundsbeamten.

Im vorliegenden Fall hat der Richter auch in zulässiger Weise von der Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle gemäß § 78 Abs. 5 Satz 1 OWiG abgesehen. Zwar hat er keinen förmlichen Beschluss erlassen. Dies ist aber unschädlich. Da der Beschluss unanfechtbar ist und keiner Begründung bedarf, ist es ausreichend, dass der Richter, der ersichtlich ohne Protokollführer zur Hauptverhandlung erschienen ist und das Protokoll selbst geführt hat, damit stillschweigend den Verzicht auf die Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erklärt hat ('vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl. Einl. Rn. 123). Unter den gegebenen Umständen musste auch jedem Verfahrensbeteiligten klar sein, dass von der Möglichkeit, gemäß § 78 Abs. 5 Satz 1 OWiG von der Zuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abzusehen, Gebrauch gemacht werden sollte; jede andere Betrachtungsweise wäre lebensfremd.

Soweit in der Literatur die Auffassung vertreten wird, im Hauptverhandlungsprotokoll sei als wesentliche Förmlichkeit im Sinne von § 273 StPO zu vermerken, dass nach § 78 Abs. 5 OWiG verfahren wurde, bei Fehlen eines solchen Vermerkes könne mit der Rechtsbeschwerde eine Verletzung des § 226 StPO i.V.m. § 38 Nr. 5 StPO gerügt werden (KK-OWiG Senge 2. Aufl. § 78 Rn. 8 b), führt dies vorliegend nicht zum Erfolg des Rechtsmittels. Denn der Richter hat in dem von ihm geführten und von ihm allein unterschriebenen Protokoll die im Vordruck unter "Gegenwärtig" vorgesehene Rubrik für den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle - ebenso wie jene für den Vertreter der Staatsanwaltschaft - mit einem Strich versehen, so dass das Protokoll auch Aufschluss darüber gibt, dass tatsächlich ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle nicht anwesend war und mithin nach § 78 Abs. 5 Satz 1 OWiG verfahren worden ist.

2. Auch im übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffende Stellungnahme der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht vom 1.6.2001 Bezug und weist lediglich ergänzend auf folgendes hin:

a) Es kann dahinstehen, ob die erhobene Aufklärungsrüge, das Gericht habe zur Frage der Identifizierung des Betroffenen ein humanbiologisches Sachverständigengutachten erholen müssen, den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG genügt. Denn die Rüge wäre in jedem Fall unbegründet, da sich der Tatrichter nicht zur Erholung eines derartigen Gutachtens gedrängt sehen musste. Das bei der Geschwindigkeitsmessung von dem Fahrer des Fahrzeugs gefertigte Lichtbild, das dem Senat jedenfalls aufgrund der Sachrüge und der im Urteil erfolgten Verweisung nach § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG zugänglich ist, ist von ausreichender Qualität, um den Fahrer zu identifizieren. Da der Tatrichter den Betroffenen "wiedererkannt" hat, bedurfte es weder der Erholung eines humanbiologischen Sachverständigengutachtens noch - wie im Rahmen der Sachrüge beanstandet wird - näherer Ausführungen zu den übereinstimmenden Identifizierungsmerkmalen (BGHSt 41, 376/383).

b) Soweit im Urteil ausgeführt ist, die vorgesehene Regelgeldbuße (von 100 DM, vgl. Nr. 5.3.2 der Tabelle 1 c des Anhangs zu Nr. 5 des Bußgeldkatalogs) "war zu erhöhen, weil der Betroffene bereits mehrfach einschlägig vorgeahndet ist", und gleichwohl - ersichtlich versehentlich - nur eine Geldbuße von 100 DM verhängt worden ist, ist der Betroffene durch diesen nur scheinbaren "Widerspruch" in den Urteilsgründen nicht beschwert.

Im übrigen ist auch im Rechtsbeschwerdeverfahren nichts dazu vorgetragen worden, warum der Tatrichter von der Anordnung des verwirkten Regelfahrverbots hätte absehen müssen oder auch nur können.

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