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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 27.07.2004
Aktenzeichen: 1 ObOWi 310/04
Rechtsgebiete: StVG, BKatV, BKat


Vorschriften:

StVG § 25 Abs. 1 Satz 1
BKatV § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4
BKat Nr. 132.2
Verlässt sich ein Kraftfahrzeugführer bei der Annäherung an eine Lichtzeichenanlage auf das Verhalten bzw. die Einschätzung seines Vordermanns und überfährt er deshalb das schon mehr als eine Sekunde andauernde Rotlicht, so handelt es sich nicht um ein bloßes Augenblicksversagen, sondern um eine gravierende Pflichtverletzung, die die Verhängung eines Fahrverbots rechtfertigt.
Tatbestand:

Das Amtsgericht hatte die Betroffene wegen einer fahrlässigen Ordnungswidrigkeit der Missachtung des Rotlichts einer Lichtzeichenanlage zu einer Geldbuße von 125 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Der Verurteilung liegen u.a. folgende Feststellungen zugrunde:

Die Betroffene fuhr mit ihrem Pkw auf der R-Straße in F, wobei sie das dort vorhandene Rotlicht der Lichtzeichenanlage missachtete und - nachdem die Rotphase bereits länger als eine Sekunde angedauert hatte - bei Rotlicht weiterfuhr.

Die Betroffene verteidigt sich damit, dass sie sich an den Vorgang noch genau erinnern könne und sich auch erinnern kann, dass Querverkehr nicht gekommen und auch nicht in Sicht gewesen sei, sie hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren sei und erst bei Grün die Ampel überquert habe. Die Einlassung ist - soweit die Betroffene angegeben hat, dass sie bei Grün gefahren und damit das Rotlicht nicht verletzt habe - widerlegt durch die glaubwürdige Aussage des PHM W.

2. Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügte die Betroffene die Verletzung materiellen Rechts. Sie machte u.a. geltend, aus ihrer Aussage ergebe sich eindeutig, dass sie die Ampel bei grünem Licht passiert habe. Allenfalls sei sie etwas zu früh losgefahren; der Querverkehr sei nicht gefährdet worden, da dieser bereits gestanden habe. Im Übrigen sei sie durch einen vorausfahrenden Pkw abgelenkt gewesen. Der Tatrichter hätte sich daher mit dem so genannten Mitzieheffekt auseinandersetzen und zu dem Schluss kommen müssen, dass ein solcher Rotlichtverstoß ohne Gefährdung anderer straffrei zu bleiben habe. Ohne Führerschein könne sie keine neue Arbeit aufnehmen. Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde erwies sich als unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

Gründe:

Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen sowohl den Schuldspruch als auch den Rechtsfolgenausspruch.

1. Wie die Staatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme zutreffend darlegt, kann mit der allein erhobenen Sachrüge nicht geltend gemacht werden, das Amtsgericht hätte die Beweise, wie z.B. die Zeugenaussage des Polizeibeamten, anders würdigen und seiner Entscheidung einen abweichenden Sachverhalt zugrunde legen müssen. Auf die Sachrüge hin kann das Rechtsbeschwerdegericht nur überprüfen, ob das Recht auf den im Urteil festgestellten Sachverhalt richtig angewandt wurde (BGHSt 35, 238/241).

2. Aufgrund seiner Feststellungen ist das Amtsgericht im Ergebnis zu Recht von einem qualifizierten Rotlichtverstoß ausgegangen. Zwar muss der Tatrichter in der Regel die Umstände mitteilen, weshalb aufgrund der bloßen Schätzung eines Zeugen von einer zuverlässigen Zeitmessung ausgegangen werden kann (BayObLG NZV 1995, 497). Hier macht die Betroffene aber selbst geltend, dass die Rotlichtphase nicht etwa gerade erst begonnen hatte.

Bei einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase hat der Verordnungsgeber regelmäßig eine zumindest abstrakte Gefährdung unterstellt, weil sich Querverkehr und/oder Fußgänger nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden können. Die Missachtung des schon mehr als eine Sekunde andauernden Rotlichts gehört daher zu den Ordnungswidrigkeiten, bei denen regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatV, Nr. 132.2 BKat; vgl. BayObLGSt 1996, 153 f.; BayObLG VRS 104, 437/438). Diese typisierende Grundentscheidung des Verordnungsgebers, bestimmte Verhaltensformen als regelmäßig besonders gefährlich einzustufen, ist von den Gerichten zu beachten.

a) Von einem Fahrverbot könnte allenfalls dann abgesehen werden, wenn kein besonders schwerwiegender Rotlichtverstoß gegeben ist, weil eine auch nur abstrakte Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer völlig ausgeschlossen ist (BayObLGSt 1996, 188/190 f.; BayObLG DAR 2002, 173/174; OLG Dresden DAR 2002, 522).

Ein solcher Ausnahmefall ist den Feststellungen des Amtsgerichts, von denen das Rechtsbeschwerdegericht auszugehen hat, jedoch nicht zu entnehmen. Aus dem Urteil ist schon nicht ersichtlich, dass die Ampel - wie die Rechtsbeschwerde dies darstellt - bei bereits stehendem Querverkehr überfahren wurde. Selbst wenn man entsprechend der Einlassung der Betroffenen aber eine solche Situation unterstellt, so besagt dies - wie die Staatsanwaltschaft zutreffend anmerkt - zum einen nichts für eine eventuelle Gefährdung von Fußgängern (BayObLGSt 1996, 188). Zum anderen vermag der Umstand, dass möglicherweise andere Verkehrsteilnehmer nicht konkret gefährdet wurden, eine atypische Fallkonstellation, die die im Bußgeldkatalog vorgesehene Regelahndung unberechtigt erscheinen ließe, nicht zu begründen. Die Grundentscheidung des Verordnungsgebers, bei Kreuzungsampeln eine abstrakte Gefahr zu unterstellen, kann nicht dahingehend eingeschränkt werden, dass man Handlungen, die keine konkrete Gefährdung des geschützten Rechtsguts bewirken, von Nr. 132.2 BKat ausnimmt. Aus Gründen der Verkehrssicherheit kann es erst recht nicht darauf ankommen, ob nach der Einschätzung des einzelnen Verkehrsteilnehmers eine konkrete Gefährdung anderer ausgeschlossen ist (BayObLGSt 1996, 188/190 f.; BayObLG VRS 104, 437/438).

b) Auch der so genannte Mitzieheffekt, den der Verteidiger in der Rechtsbeschwerdebegründung anspricht, schließt vorliegend die Annahme eines groben Verkehrsverstoßes im Sinne des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BKatV, Nr. 132.2 BKat nicht aus.

Auf S. 2 des amtsgerichtlichen Urteils wird als Einlassung der Betroffenen u.a. wiedergegeben, sie sei hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren. Den weiteren Darlegungen des Tatrichters ist nicht zu entnehmen, dass das Vorbringen der Betroffenen insoweit durch die Zeugeneinvernahme des Polizeibeamten widerlegt worden wäre oder dass der Richter der Einlassung aus anderen Gründen nicht gefolgt ist. Selbst wenn man - wovon offenbar das Amtsgericht ausgegangen ist - diese Einlassung der Betroffenen der Beurteilung zugrunde legt, kann gleichwohl nicht auf die Verhängung eines Fahrverbots verzichtet werden.

Zwar hat die Rechtsprechung - im Anschluss an eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs (NZV 1997, 525), wonach die Anordnung eines Fahrverbots nicht in Betracht kommt, wenn der Betroffene infolge einfacher Fahrlässigkeit eine Geschwindigkeitsbegrenzung übersehen hat, und keine weiteren Anhaltspunkte vorliegen, aufgrund derer sich eine Beschränkung aufdrängen musste, - teilweise auch in so genannten Mitziehfällen einen groben Verkehrsverstoß verneint (vgl. die Hinweise in BayObLGSt 1998, 194/195; OLG Hamm VRS 96, 64). Diese Entscheidungen betreffen Fälle, in denen der Betroffene zunächst bei Rotlicht anhält, dann aber infolge einer auf einem Wahrnehmungsfehler und dem so genannten Mitzieheffekt beruhenden Unachtsamkeit trotz fortdauernden Rotlichts in die Kreuzung einfährt, weil er das für ihn geltende Lichtzeichen verwechselt und auf der Nebenspur andere Verkehrsteilnehmer bei Grün anfahren. Ob und inwieweit trotz dieses Mitzieheffekts im Einzelfall gleichwohl ein grober Verkehrsverstoß anzunehmen ist, kann hier dahingestellt bleiben (vgl. z.B. zu den gesteigerten Anforderungen an die Sorgfaltspflicht beim Einfahren in den durch Wechsellichtzeichen geschützten Bereich einer innerstädtischen Kreuzung BayObLGSt 1998, 194/196; BayObLG VRS 103, 390). Die von der Betroffenen geltend gemachte Fallgestaltung ist nämlich mit den angeführten Mitziehfällen nicht vergleichbar. Die Betroffene ist nach ihrer im Urteil wiedergegebenen, für die Überprüfung im Rahmen der Sachrüge allein maßgeblichen Einlassung hinter einem anderen Fahrzeug hergefahren. Auch wer sich unter solchen Umständen einer Ampel nähert, muss sich selbstverständlich selbst vergewissern, ob diese für ihn Grün zeigt. Tut er dies nicht, sondern verlässt er sich auf das Verhalten bzw. die Einschätzung seines Vordermanns, ist nicht von einem Augenblicksversagen auszugehen. Denn dann handelt es sich nicht um einen bloßen Wahrnehmungsfehler, sondern um eine gravierende Pflichtverletzung; dem Betroffenen entgeht das Rotlicht, weil er von vornherein keine hinreichenden Anstrengungen unternimmt, sich selbst von der Ampelschaltung zu überzeugen. Dass eine solch massive Missachtung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers mit einem Fahrverbot geahndet wird, ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.

c) Wie die Staatsanwaltschaft zutreffend ausführt, rechtfertigt auch die berufliche Situation der Betroffenen das Absehen von einem Fahrverbot nicht.

Ende der Entscheidung

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