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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 29.09.2004
Aktenzeichen: 1 ObOWi 390/04
Rechtsgebiete: OWiG, StVG, ZuVOWiG, KommZG


Vorschriften:

OWiG § 36 Abs. 2 Satz 1
StVG § 26 Abs. 1 Satz 1
ZuVOWiG § 2 Abs. 3
ZuVOWiG § 2 Abs. 4
KommZG Art. 7 ff.
KommZG Art. 17 ff.
Bedenken, die sich aus kommunalrechtlicher Sicht gegen die sachliche Zuständigkeit des Zweckverbands "Kommunale Verkehrssicherheit in Bayern" für die Verfolgung und Ahndung von Verkehrsordnungswidrigkeiten ergeben, lassen die Wirksamkeit eines von diesem Zweckverband wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung erlassenen Bußgeldbescheids unberührt.
Tatbestand:

I.

1. Die Stadt T, die Gemeinde C und der Markt H gründeten im Dezember 2000 den Zweckverband "Kommunale Verkehrssicherheit in Bayern", zu dessen Aufgaben u.a. die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Vorschriften über die zulässige Geschwindigkeit von Fahrzeugen in den Mitgliedsgemeinden gehört. Der Zweckverband wird auch für eine Vielzahl weiterer Gemeinden tätig, die ihm diese Aufgaben durch Zweckvereinbarung übertragen haben.

Die Stadt L arbeitete seit 30.6.2001 aufgrund einer solchen Zweckvereinbarung, die das Landratsamt A am 27.6.2001 genehmigte und die am 29.6.2001 im Amtsblatt des Landkreises A bekannt gemacht wurde, mit dem Zweckverband zusammen. Mit Wirkung vom 29.11.2003 ist die Stadt L dem Zweckverband als Mitglied beigetreten.

2. Am 5.6.2003 erließ der Zweckverband "Kommunale Verkehrssicherheit in Bayern" wegen einer am 6.3.2003 in der Stadt L innerhalb geschlossener Ortschaft begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 32 km/h einen Bußgeldbescheid, in dem gegen den Betroffenen ein Bußgeld von 100 EURO sowie ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet wurde. Auf den Einspruch des Betroffenen hin verhängte das Amtsgericht L mit Urteil vom 15.4.2004 dieselben Rechtsfolgen.

3. Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügte der Betroffene die Verletzung materiellen Rechts. Der Bußgeldbescheid sei nichtig, da von einer sachlich nicht zuständigen Behörde erlassen. Die Zuständigkeitsregelung sowohl in der Verbandssatzung als auch in der Zweckvereinbarung sei unklar und damit nichtig, weil nicht hinreichend deutlich werde, ob und inwieweit die jeweilige Gemeinde noch selbst für die übertragene Aufgabe zuständig bleibe. Der Wirkungsbereich des Zweckverbands könne auch nicht mittels Zweckvereinbarungen beliebig erweitert werden. Zudem lasse der Zweckverband die ihm übertragenen Aufgaben unter Umgehung des Art. 33 Abs. 4 GG ausschließlich von Privatfirmen ausführen. Der nichtige Bußgeldbescheid sei nicht geeignet, die dreimonatige Verfolgungsverjährungsfrist zu unterbrechen, so dass die Ordnungswidrigkeit im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung verjährt gewesen sei. Die Geschwindigkeitsmessung durch eine sachlich nicht zuständige Behörde stelle auch ein nicht verwertbares Beweismittel dar.

Das Rechtsmittel erwies sich als unbegründet:

Gründe:

Die statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG) und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis, das zu einer Einstellung des Verfahrens gemäß §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG führen würde, liegt nicht vor.

a) Insbesondere ergibt sich ein solches Verfahrenshindernis entgegen der Meinung des Beschwerdeführers nicht daraus, dass der Bußgeldbescheid vom Zweckverband "Kommunale Verkehrssicherheit in Bayern" erlassen wurde.

aa) Nach § 2 Abs. 3 und 4 ZuVOWiG i.V.m. § 36 Abs. 2 Satz 1 OWiG, § 26 Abs. 1 Satz 1 StVG sind die Gemeinden neben dem Bayerischen Polizeiverwaltungsamt u.a. für die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten, die Verstöße gegen die Vorschriften über die zulässige Geschwindigkeit von Fahrzeugen betreffen, zuständig. Die Schaffung dieser Zuständigkeit begründet keine Rechtspflicht der Gemeinden zur Durchführung von Verkehrsüberwachungsmaßnahmen. Soweit sich eine Gemeinde jedoch für die (teilweise) Wahrnehmung dieser Aufgabe entscheidet, kann sie nach Maßgabe des Gesetzes über die kommunale Zusammenarbeit (KommZG) auch mit anderen Gemeinden zusammenwirken. In Betracht kommt der Zusammenschluss zu einem Zweckverband gemäß Art. 17 ff. KommZG oder der Abschluss einer Zweckvereinbarung nach Art. 7 ff. KommZG.

Hier hatte die Stadt L in dem Zeitraum, als die verfahrensgegenständliche Verkehrsordnungswidrigkeit verfolgt wurde, eine Zweckvereinbarung mit dem Zweckverband "Kommunale Verkehrssicherheit in Bayern" abgeschlossen. Dieser Zweckverband bestand damals aus drei Gemeinden; mit einer Vielzahl weiterer Gemeinden, die nicht selbst Mitglieder des Zweckverbands waren, arbeitete der Verband aufgrund von Zweckvereinbarungen zusammen. Nach der vom Landratsamt A genehmigten Verbandssatzung war es u.a. Aufgabe des Zweckverbands, Verstöße gegen die Vorschriften über die zulässige Geschwindigkeit - neben der Zentralen Bußgeldstelle im Bayerischen Polizeiverwaltungsamt - für die Mitgliedsgemeinden und die durch Zweckvereinbarung angeschlossenen Gemeinden zu verfolgen und zu ahnden, sofern diese Aufgaben nicht von den Gemeinden selbst wahrgenommen werden (§ 4 der Verbandssatzung vom 27.12.2000). Nach der zwischen der Stadt L und dem Zweckverband abgeschlossenen, vom Landratsamt A ebenfalls genehmigten Zweckvereinbarung übernahm der Zweckverband "die Aufgaben bei der Durchführung der kommunalen Parkraum- und/oder Geschwindigkeitsüberwachung (einschließlich der Aufgaben der Bußgeldstelle), die nicht von der Gemeinde selbst durchgeführt werden oder bereits an Dritte übertragen wurden" (§ 1 Abs. 2 der Zweckvereinbarung). Auch die entsprechenden hoheitlichen Befugnisse wurden gemäß § 3 der Zweckvereinbarung auf den Zweckverband übertragen.

Gegen diese Zuständigkeitskonstruktion werden aus kommunalrechtlicher Sicht Bedenken erhoben: Weder die damals maßgebliche Verbandssatzung noch die damals geltende Zweckvereinbarung zwischen der Stadt L und dem Zweckverband ließen eine eindeutige Zuständigkeitsordnung erkennen, weil die übertragenen Verkehrsüberwachungsaufgaben danach vorrangig noch von der jeweiligen Gemeinde wahrgenommen werden könnten. Anders als im Verhältnis Gemeinde - Polizei könne es im Verhältnis Gemeinde - Zweckverband keine Doppelzuständigkeit geben. Durch die Übertragung von Aufgaben auf den Zweckverband werde die kommunalverfassungsrechtliche Zuständigkeitsordnung mit Wirkung gegen jedermann verändert. Dies müsse eindeutig und zweifelsfrei sein, damit der Bürger die Möglichkeit habe, die ihn betreffenden Zuständigkeiten festzustellen. Zudem könne ein Zweckverband Zweckvereinbarungen nur im Rahmen der ihm von seinen Mitgliedern in der Verbandssatzung übertragenen Aufgaben abschließen, nicht aber durch Zweckvereinbarungen für eine Vielzahl von Gemeinden, die nicht selbst Verbandsmitglieder sind, Verkehrsüberwachungsaufgaben übernehmen (vgl. zu den rechtlichen Bedenken im Einzelnen den Bericht des Bayerischen Staatsministeriums des Innern an den Bayerischen Landtag vom 9.12.2002, Bl. 87/97 d.A.).

bb) Es ist nicht Aufgabe des Bayerischen Obersten Landesgerichts, im Rechtsbeschwerdeverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit abschließend zu prüfen, ob die dargestellten kommunalrechtlichen Bedenken durchgreifen. Zwar würden sie die sachliche Zuständigkeit des Zweckverbands "Kommunale Verkehrssicherheit in Bayern" für den Erlass des verfahrensgegenständlichen Bußgeldbescheids in Frage stellen. Selbst wenn man aber deshalb von einer sachlichen Unzuständigkeit ausgeht, liegt hierin kein Mangel, der zu einer Einstellung des gerichtlichen Verfahrens führen müsste, weil gleichwohl nicht von einem Fehlen eines wirksamen Bußgeldbescheids auszugehen ist. Ein Bußgeldbescheid stellt allerdings dann keine geeignete Verfahrensgrundlage dar, wenn er nichtig ist. Nichtigkeit wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung bei sachlicher Unzuständigkeit nur dann angenommen, wenn ein schwerwiegender, offenkundiger Mangel vorliegt (BGH NJW 1977, 1784; BayObLGSt 1997, 5; 1983, 158; BayObLG VRS 62, 475/476; Rebmann/Roth/Herrmann OWiG § 36 Rn. 16 f.; Göhler OWiG 13. Aufl. § 36 Rn. 15; KK/Lampe OWiG 2. Aufl. § 36 Rn. 31 ff.). Dies ist hier nicht der Fall. Die Übertragung der gemeindlichen Aufgaben im Bereich der Verkehrsüberwachung auf einen Zweckverband ist im Rahmen der kommunalen Zusammenarbeit grundsätzlich möglich, so dass es bereits an einem schwerwiegenden Mangel fehlt. Auch liegt keine Offenkundigkeit vor, da die oben angesprochenen kommunalrechtlichen Fragen teilweise kontrovers diskutiert werden (vgl. Knemeyer BayVBl 2003, 257) und das Landratsamt Altötting sowohl die Verbandssatzung als auch die Zweckvereinbarung der Stadt L mit dem Zweckverband aufsichtlich genehmigt hatte.

Die Wirksamkeit des Bußgeldbescheids ist nicht deshalb anders zu beurteilen, weil das Tätigwerden einer sachlich unzuständigen Verwaltungsbehörde insoweit Nachwirkungen auf das gerichtliche Verfahren haben kann, als sich hieraus im Einzelfall Folgerungen für die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts (vgl. § 68 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 OWiG, § 26 Abs. 1 StVG, § 35 GZVJu) ergeben können (vgl. BayObLGSt 1973, 5/7 f.). Dieser auch unter dem Gesichtspunkt des Rechts auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bedeutsame Umstand wäre nur auf besondere Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Amtsgerichts hin zu überprüfen (Göhler § 68 Rn. 25). An einer entsprechenden rechtzeitigen Rüge fehlt es hier. Der Senat hat daher nicht zu entscheiden, ob im konkreten Fall, in dem nicht das für den Sitz des Zweckverbands zuständige Amtsgericht tätig wurde, ein Verstoß gegen die örtliche Zuständigkeit gegeben ist (vgl. zu diesem Problemkreis Göhler § 68 Rn. 3; Rebmann/Roth/Herrmann § 68 Rn. 2; KK/Bohnert § 68 Rn. 15 f.).

b) Da - wie ausgeführt - von der Wirksamkeit des Bußgeldbescheids auszugehen ist, war dieser Bescheid geeignet, die Verjährung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 OWiG zu unterbrechen (Rebmann/Roth/Herrmann § 36 Rn. 18; Göhler § 33 Rn. 35). Eine Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung kommt daher ebenfalls nicht in Betracht.

2. Die Rechtsbeschwerde enthält neben der Sachrüge auch eine Verfahrensrüge, ohne sie jedoch ausdrücklich als solche zu bezeichnen. Mit der Behauptung, das Amtsgericht habe von einer unzuständigen Behörde erhobene Beweise zu Unrecht verwertet, wird eine Verletzung des § 261 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG geltend gemacht, weil Beweisverbote den Ausschluss eines Beweismittels aus der Beweiswürdigung zur Folge haben (Meyer-Goßner StPO 47. Aufl. § 261 Rn. 13; KK/Engelhardt StPO 5. Aufl. § 261 Rn. 34). Aufgrund der oben dargestellten Erwägungen zur Wirksamkeit des Bußgeldbescheids kann jedoch auch von einem Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot nicht ausgegangen werden. Die Annahme der Wirksamkeit des Bescheids hat zur Folge, dass die diesem zugrunde liegenden Feststellungen der Verwaltungsbehörde grundsätzlich verwertet werden können.

Möglicherweise soll das geltend gemachte Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot auch darauf gestützt werden, dass der Zweckverband im Rahmen seiner Aufgabenerfüllung private Firmen eingeschaltet hat. Insoweit wurde jedoch keine zulässige Verfahrensrüge erhoben. Es fehlt schon an der konkreten Darlegung, in welcher Form und in welchem Umfang hier Privatfirmen eingeschaltet wurden. Zudem wird nicht mitgeteilt, ob der im Termin durch einen Rechtsanwalt verteidigte Betroffene der Verwertung der Beweise bereits in der Hauptverhandlung aus dem nunmehr geltend gemachten Grund widersprochen hat (vgl. BGH NStZ-RR 2001, 260; BGHSt 38, 214/225; BayObLGSt 2001, 64/68).



Ende der Entscheidung

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