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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 30.10.2001
Aktenzeichen: 1 ObOWi 516/01
Rechtsgebiete: StPO, OWiG


Vorschriften:

StPO § 341 Abs. 1
StPO § 346 Abs. 1
StPO § 347 Abs. 2
StPO § 349 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
OWiG § 79 Abs. 1 Satz 2
OWiG § 79 Abs. 3 Satz 1
OWiG § 80 Abs. 1
OWiG § 80 Abs. 3 Satz 1
OWiG § 80 Abs. 4
Zur Frage, ob das Rechtsbeschwerdegericht über eine unmittelbar bei ihm eingelegte unzulässige Rechtsbeschwerde selbst entscheiden kann.
Tatbestand:

Der Betroffene fuhr am 28.10.2000 um 16.31 Uhr als Führer eines Pkws auf der D.straße in M. in westlicher Richtung. An der Kreuzung zur B.straße fuhr er über die Haltlinie der dortigen Lichtzeichenanlage, obwohl diese für ihn bereits seit ca. drei Sekunden Rotlicht zeigte. Der Betroffene hätte den Rotlichtverstoß bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt erkennen und vermeiden können.

Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 24.4.2001 wegen fahrlässiger Nichtbeachtung einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase zur Geldbuße von 500 DM; von der Verhängung des im Bußgeldbescheid ausgesprochenen Fahrverbots hat es abgesehen.

Das Urteil ist in Gegenwart des Betroffenen verkündet worden. Die Akten sind anschließend - vor Absetzung der schriftlichen Urteilsbegründung - der Staatsanwaltschaft mit der Anfrage zugeleitet worden, ob auf Rechtsmittel verzichtet werde, und dort am 27.4.2001 eingegangen. Am 2.5.2001 hat die Staatsanwaltschaft gegen das Urteil Rechtsbeschwerde eingelegt und diese vorweg mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet. Nachdem das mit Gründen versehene Urteil der Staatsanwaltschaft am 30.5.2001 zugestellt worden war, hat die Staatsanwaltschaft ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt; sie beanstandete mit der Sachrüge, dass das Amtsgericht kein Fahrverbot ausgesprochen hat.

Mit an das Bayerische Oberste Landesgericht gerichtetem Schreiben vom 8.10.2001, eingegangen am 9.10.2001, hat der Betroffene seinerseits "alle Rechtsmittel" eingelegt.

Nur das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hatte Erfolg.

Gründe:

1. Das Schreiben des Betroffenen vom 8.10.2001, mit dem er sich gegen seine Verurteilung wegen des Rotlichtverstoßes wehrt und einen "gänzlichen Freispruch" beantragt, ist nach § 300 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG als Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde zu behandeln, da dem Betroffenen nur dieses Rechtsmittel gegen das Urteil vom 24.4.2001 zusteht (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2, § 80 Abs. 1 OWiG; vgl. OLG Celle VRS 96, 287).

a) Über die von beiden Verfahrensbeteiligten eingelegten Rechtsmittel hat der Senat einheitlich in der Besetzung mit drei Richtern zu entscheiden (vgl. BayObLGSt 1998, 137; ferner Senatsbeschluss vom 27.4.2001 - 1 ObOWi 182/01).

b) Der Senat ist auch befugt, über den Zulassungsantrag zu entscheiden, obwohl dieser nicht wie vorgeschrieben beim Amtsgericht eingelegt (§ 341 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG) und nicht nach § 347 Abs. 2 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG vorgelegt worden ist.

Zum einen kann die Entscheidung, ob ein Rechtsmittel als unzulässig - weil verspätet - zu verwerfen ist, unbeschadet der sich hierfür aus § 346 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG ergebenden Zuständigkeit des Amtsgerichts auch der Senat in entsprechender Anwendung von § 349 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Sätze 1 und 3 OWiG selbst treffen, ohne dass es hierzu eines Antrags der Staatsanwaltschaft bei dem Rechtsbeschwerdegericht bedarf. Zum anderen setzt eine Entscheidung über die - wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte - Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft voraus, dass der Schuldspruch des angegriffenen Urteils in Rechtskraft erwachsen ist; denn solange diese Frage - ob der Betroffene der fahrlässigen Nichtbeachtung einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase schuldig ist - nicht geklärt ist, ist eine Beurteilung, ob das Amtsgericht zu Recht von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen hat, schlechterdings nicht möglich.

Der Grundsatz der Prozessökonomie gebietet deshalb ebenso wie das auch im Bußgeldverfahren bestehende Beschleunigungsgebot, die Entscheidung über die (Un-)zulässigkeit des Rechtsmittels des Betroffenen zusammen mit jener über das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zu treffen; eine Zuleitung des Rechtsmittels des Betroffenen an das Amtsgericht und eine Zurückstellung der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, bis über den Zulassungsantrag des Betroffenen abschließend entschieden worden ist, würden das weitere Verfahren nur unnötig und grundlos verzögern (vgl. hierzu BayObLGSt 1974, 98).

c) Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht innerhalb einer Woche nach Verkündung des angegriffenen Urteils beim Amtsgericht München eingegangen (§ 341 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1, § 80 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Er ist deshalb vom Senat in entsprechender Anwendung von § 349 Abs. 1 StPO i.V.m. § 80 Abs. 4 Sätze 1 und 3 OWiG als unzulässig zu verwerfen. Damit gilt die Rechtsbeschwerde des Betroffenen als zurückgenommen (§ 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG).

d) Die insoweit zu treffende Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

2. Dagegen hat das statthafte (§ 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 OWiG) und auch im übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegt und begründete (§§ 341, 345 Abs. 1 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 OWiG) Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

Das Amtsgericht hat zwar erkannt, dass ein Regelfall für die Verhängung eines Fahrverbots nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 BKatV i.V.m. Nr. 34.2 des Bußgeldkatalogs vorliegt; die Begründung, mit der es gleichwohl von der Anordnung des Fahrverbots abgesehen hat, hält jedoch rechtlicher Überprüfung nicht stand.

Die Staatsanwaltschaft hat hierzu ausgeführt:

"Das Gericht ist davon ausgegangen, dass die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen bei der Verhängung eines Fahrverbots gefährdet sei. Der Betroffene sei Ingenieur für Bauwesen, er brauche seine Fahrerlaubnis, um die von ihm zu betreuenden Baustellen zu besuchen. Der Betroffene fahre ca. 200000 km im Jahr, er habe dabei Baustellen sowohl im Münchner Raum wie auch auswärts zu betreuen. Der Betroffene habe glaubhaft angegeben, im Hinblick auf die schwierige Lage auf dem Bausektor sei es für ihn in absehbarer Zeit nicht möglich, Urlaub für den Zeitraum von 4 Wochen zu nehmen, da die Baustellen ständig betreut werden müssten, insbesondere in den Sommermonaten. Weiterhin habe der Betroffene angegeben, seine finanzielle Situation sei momentan eher schlecht, dies liege an der Zahlungsmoral seiner Schuldner. Finanzielle Mittel für die Beschäftigung eines Fahrers seien jedenfalls nicht vorhanden. Das Gericht ging davon aus, dass bei der Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots die wirtschaftliche Existenz des Betroffenen zumindest gefährdet sei, da er seine Außentermine nicht eigenständig festlegen und sich im Hinblick auf die schwierige Lage auf, dem Bausektor auch nicht leisten könne, für die Dauer eines Monats seinem Auftraggeber nicht zur Verfügung zu stehen.

Das Gericht hat die Angaben des Betroffenen, seine finanzielle Situation sei momentan eher schlecht, übernommen, ohne eine eingehende Prüfung vorzunehmen. Insbesondere wurden von Seiten des Betroffenen keinerlei Belege vorgelegt, aus denen hervorgeht, über welches Einkommen der Betroffene tatsächlich verfügt. Die pauschale Angabe, finanzielle Mittel für die Beschäftigung eines Fahrers seien jedenfalls nicht vorhanden, reicht nicht aus, um aus Gründen unverhältnismäßiger Härte und Existenzgefährdung von der Verhängung des Regelfahrverbots abzusehen."

Der Senat macht sich diese zutreffenden Ausführungen zu eigen und weist lediglich ergänzend noch auf folgendes hin:

Berufliche Nachteile auch schwerwiegender Art reichen für die Annahme eines Ausnahmefalles, der ein Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots rechtfertigt, nicht aus, da sie mit einem Fahrverbot nicht nur in Ausnahmefällen, sondern sehr häufig verbunden sind. Als unverhältnismäßig ist ein Fahrverbot erst dann anzusehen, wenn es zu einer Vernichtung oder auch nur Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen führen würde, und der Betroffene derartigen Folgen nicht mit dem Einsatz eigener zumutbarer Maßnahmen begegnen kann (vgl. BVerfG NJW 1995, 1541). Dem Betroffenen ist es deshalb grundsätzlich zuzumuten, diese Nachteile beruflicher Art, wenn sie durch Inanspruchnahme von Urlaub nicht zu überbrücken sind, durch die vorübergehende Beschäftigung eines Aushilfsfahrers zu überbrücken. Die bei der Beschäftigung eines Aushilfsfahrers auftretenden finanziellen Belastungen hat der Betroffene hinzunehmen. Notfalls muss er zur Bestreitung der Kosten für die zeitweilig begrenzte Einstellung eines Fahrers einen Kredit aufnehmen, der in kleineren für den Betroffenen tragbaren Raten abgetragen werden kann. Derartige Belastungen, die sich im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer eines Fahrverbots von nur einem Monat in überschaubaren Grenzen bewegen, sind hinzunehmen (OLG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2000, 312/313).

Im übrigen hat der Gesetzgeber mit der am 1.3.1998 erfolgten Einführung des § 25 Abs. 2 a StVG die Möglichkeit geschaffen, die (wirtschaftlichen) Nachteile, die einem Betroffenen durch die Verhängung eines Fahrverbots entstehen können, abzumildern. Dadurch, dass der Betroffene den Zeitraum, in dem das Fahrverbot wirksam sein soll, in gewissen Grenzen frei bestimmen, er es also beispielsweise in seine Urlaubszeit legen kann, lassen sich Unannehmlichkeiten und/oder wirtschaftliche Nachteile in der Regel ohnehin weitgehend vermeiden. Dies führt dazu, dass bei der Frage, ob und inwieweit wirtschaftliche Nachteile bei der Prüfung der Angemessenheit und Vertretbarkeit eines Fahrverbots überhaupt (noch) von Belang sind, ein noch strengerer Maßstab als in der Vergangenheit anzulegen ist (ständige Rechtsprechung des Senats; OLG Hamm MDR 1999, 92/93).

Ende der Entscheidung

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