Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 08.01.2004
Aktenzeichen: 1 ObOWi 538/03
Rechtsgebiete: StVG, BKatV


Vorschriften:

StVG § 25 Abs. 1 Satz 1
BKatV § 4 Abs. 2
1. Die Verhängung eines Fahrverbots wegen beharrlicher Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers von ähnlich starkem Gewicht wie im Regelfall des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV setzt nicht voraus, dass gegen den Betroffenen bereits eine erhöhte Geldbuße verhängt worden ist. Die gilt insbesondere dann, wenn entweder einer Vorahndung oder dem verfahrensgegenständlichen Verkehrsverstoß eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h zugrunde liegt.

2. Der Annahme einer beharrlichen Pflichtenverletzung steht nicht entgegen, dass das Amtsgericht keine näheren Feststellungen zu den Umständen der Vorahndungen getroffen hat (wie BayObLG vom 27.11.2003 - 1 ObOWi 429/03, zur Veröffentlichung vorgesehen).


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Ingolstadt hat den Betroffenen am 28.8.2003 wegen einer am 14.3.2003 begangenen Ordnungswidrigkeit des fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 29 km/h zu einer Geldbuße von 100 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts ist der Betroffene wie folgt vorgeahndet:

1. Entscheidung vom 01.11.2000

unanfechtbar seit 22.11.2000

Tatzeit: 07.10.2000

Tatbezeichnung:

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 22 km/h Ahndung: 80 DM Geldbuße

2. Entscheidung vom 28.06.2002

unanfechtbar seit 16.07.2002

Tatzeit: 21.04.2002

Tatbezeichnung:

Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 24 km/h Ahndung: 40 EUR Geldbuße

3. Entscheidung vom 29.07.2002

unanfechtbar seit 15.08.2002

Tatzeit: 19.07.2002

Tatbezeichnung:

Bei Überholverbot durch Zeichen 276 überholt

Ahndung: 40 EUR Geldbuße

Aufgrund dieser Vorahndungen ging das Amtsgericht von einer beharrlichen Pflichtverletzung im Sinn des § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG aus, die die Verhängung eines Fahrverbots gebietet.

Mit seiner auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts. Er macht geltend, das Amtsgericht sei zu Unrecht von einer beharrlichen Pflichtverletzung ausgegangen. Es lege nicht dar, unter welchen Umständen es bei den früheren Verstößen zu Geschwindigkeitsüberschreitungen gekommen sei; dies hätte gegebenenfalls durch Beiziehung der Bußgeldakten geklärt werden können. Von einem Fahrverbot hätte auch deshalb abgesehen werden müssen, weil bislang nicht erhöhte Geldbußen im unteren Bereich verhängt worden seien. Das Urteil enthalte keine näheren Feststellungen dazu, ob sich der durch das Fahrverbot angestrebte Erfolg auch mit einer erhöhten Geldbuße erreichen ließe. Im Übrigen stimme die im Urteil wiedergegebene Einschätzung des Gerichts zum Rechtsfolgenausspruch nicht mit dem Verlauf der mündlichen Verhandlung überein.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Sie ist jedoch nicht begründet (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG).

1. Das Amtsgericht ist zu Recht von einer beharrlichen Pflichtverletzung des Betroffenen ausgegangen. Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG kann daher ein Fahrverbot verhängt werden. Bei der Anordnung eines Fahrverbots ist den Gerichten ein Rechtsfolgeermessen eingeräumt. Dies bedeutet, dass eine beharrliche Pflichtverletzung nicht ohne weiteres die Verhängung eines Fahrverbots nach sich zieht. Sind - wie hier - die Voraussetzungen nach der Bußgeldkatalog-Verordnung für ein Regelfahrverbot nicht gegeben, bedarf es näherer Feststellungen, ob die Anordnung des Fahrverbots dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nur wenn die Beharrlichkeit der Pflichtverletzung von ähnlich starkem Gewicht ist wie im Regelfall des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV kommt daher die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht. Denn nur dann wird es geboten sein, mit dieser Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme auf den Betroffenen einzuwirken (BayObLGSt 1995, 16/18 und st. Rspr. des Senats). Andererseits kann in einem derartigen Fall von der Verhängung eines Fahrverbots nur unter den Voraussetzungen abgesehen werden, die auch bei Vorliegen des in der Bußgeldkatalog-Verordnung normierten Regelfalls ein Absehen rechtfertigen (BayObLGSt 2003, 5).

Dass der vom Betroffenen begangene Verkehrsverstoß von ähnlich starkem Gewicht wie der Regelfall des § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV ist, ergibt sich aus dem Umstand, dass die Voraussetzungen des Regelfalls fast erreicht sind. Die Geschwindigkeitsüberschreitung vom 21.4.2002 um 24 km/h lag nur um 2 km/h unterhalb des in § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV genannten Grenzwerts von 26 km/h. Seit der Rechtskraft dieser Ahndung (16.7.2002) bis zur verfahrensgegenständlichen Tat sind nur ca. acht Monate vergangen. Zwischenzeitlich wurde der Betroffene noch wegen Überholens im Überholverbot geahndet, wobei diese Tat lediglich drei Tage nach der Rechtskraft der Vorverurteilung wegen der Geschwindigkeitsüberschreitung um 24 km/h begangen wurde. Diese rasch aufeinander folgenden Verkehrsverstöße in Verbindung mit einer weiteren Vorahndung wegen Geschwindigkeitsüberschreitung um 22 km/h, die am 22.11.2000 rechtskräftig wurde, zeigen, dass sich der Betroffene wiederholt in dem Bestreben, möglichst rasch voranzukommen, über seine Pflichten als Kraftfahrzeugführer bedenkenlos hinwegsetzt. Der Betroffene hat sich insgesamt drei Vorahndungen nicht zur Warnung dienen lassen. Obwohl er innerhalb von acht Monaten vor der verfahrensgegenständlichen Tat zweimal vorgewarnt worden war, ist er erneut rückfällig geworden. Dies zeigt, dass ihm die für die Teilnahme am Straßenverkehr erforderliche rechtstreue Gesinnung und die notwendige Einsicht in zuvor begangenes Unrecht fehlen. Warum eine erhöhte Geldbuße nicht ausreichend erschien, hat das Gericht auf S. 4 unten des Urteils hinreichend begründet.

Angesichts dieser Gesamtumstände ist die Auffassung des Amtsgerichts, neben der Verdoppelung der Regelgeldbuße nach Nr. 11.3.5 der Tabelle 1c zum BKat sei es - auch wenn kein Regelfall einer beharrlichen Pflichtverletzung vorliegt - erforderlich, mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme des Fahrverbots auf den Betroffenen einzuwirken (vgl. BayObLGSt 1995, 16/18), nicht zu beanstanden.

2. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass gegen den Betroffenen bisher noch keine erhöhten Geldbußen festgesetzt worden sind.

Der Betroffene stützt sich zur Begründung seines gegenteiligen Rechtsstandpunktes u.a. auf den Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 28.7.1998 - 2 ObOWi 369/98 (DAR 1998, 448). Aus dieser Rechtsprechung kann, worauf der 2. Senat in einer späteren Entscheidung hingewiesen hat (Beschluss vom 10.2.1999 - 2 ObOWi 19/99), indes nicht der Schluss gezogen werden, dass immer zunächst durch eine erhöhte Geldbuße versucht werden muss, auf einen Betroffenen, gegen den bisher noch keine erhöhten Geldbußen verhängt worden sind, einzuwirken, bevor die Verhängung eines Fahrverbots in Betracht kommt. Zum einen sieht § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV, an dessen Regelungsgehalt das "ähnlich starke Gewicht" der Beharrlichkeit zu messen ist, die Verhängung eines Fahrverbots unabhängig davon vor, ob wegen der vorangegangenen Geschwindigkeitsüberschreitung bereits eine erhöhte Geldbuße verhängt worden ist. Zum anderen wurde in der Entscheidung vom 28.7.1998 (aaO) entscheidend darauf abgestellt, dass sowohl den Vorahndungen als auch dem zu beurteilenden neuerlichen Verkehrsverstoß keine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 26 km/h zugrunde lag. In einem solchen Fall liegt es deshalb in der Tat nahe, eine dem § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV vergleichbare Bewertungslage zu verneinen. Diese Voraussetzungen, die für ein minder schweres Gewicht der drei Geschwindigkeitsüberschreitungen des Betroffenen sprechen könnten, sind im verfahrensgegenständlichen Fall im Hinblick auf die Höhe der neuerlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 29 km/h aber gerade nicht erfüllt.

3. Der Annahme einer beharrlichen Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers steht ferner nicht entgegen, dass das Amtsgericht keine näheren Feststellungen zu den Umständen der Vorahndungen getroffen und die einschlägigen Akten nicht beigezogen hat.

Im Hinblick auf die Vorbewertung des Verordnungsgebers, die zwar nicht unmittelbar die vorliegende Sachverhaltskonstellation, aber eine wertungsmäßig gleich stehende erfasst, ist für eine Einzelfallprüfung nur noch begrenzt Raum (BayObLGSt 2003, 5; BGHSt 38, 231). Der eingeschränkte Ermittlungs- und Begründungsaufwand trägt der Erkenntnis Rechnung, dass individuelle Prognoseentscheidungen für die Massenverfahren der Verkehrsordnungswidrigkeiten unverhältnismäßige Schwierigkeiten bereiten und im Einzelfall zu ganz unterschiedlichen Wertungen führen, die dem Interesse einer möglichst gleichmäßigen Behandlung gleich liegender Sachverhalte zuwider laufen, die gesetzliche Androhung des Fahrverbots in der Praxis daher zum stumpfen Schwert machen und ihre erzieherische Wirkung, die mit Blick auf die Verkehrssicherheit bezweckt war, weitgehend aufheben (BGHSt 38, 106/110). Das Bußgeldverfahren dient - anders als das Strafverfahren - lediglich der verwaltungsrechtlichen Pflichtenmahnung und ist wegen seiner Bedeutung für die Massenverfahren des täglichen Lebens auf eine einfache, schnelle und summarische Erledigung ausgerichtet.

Daraus ergibt sich, dass der Ermittlungsaufwand eingeschränkt ist (§ 77 Abs. 2 OWiG) und auch an die Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen sind (BGHSt 39, 291/299 f.; BayObLG VRS 104, 56; OLG Hamm VRS 105, 217/219). Der Amtsrichter hat deshalb im vorliegenden Fall zu Recht nicht nur für die von ihm abzuurteilende Tat, sondern auch für die Vorahndungen keine Feststellungen zum Anlass der Fahrten, zur Motivationslage des Betroffenen und zu weiteren Tatumständen getroffen. In der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm (Beschluss vom 10.10.2002 - 3 Ss OWi 727/02), auf die sich der Verteidiger wohl berufen will und die ihrerseits auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NZV 1993, 319/320) Bezug nimmt, werden Anforderungen gestellt, die mit der oben dargestellten Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs aus der Sicht des Senats nicht vereinbar sind.

Sie sind im Übrigen praktisch auch kaum realisierbar. Bei den Vorahndungen handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - zumeist um Bußgeldbescheide ohne gerichtliches Verfahren.

Aus ihnen ergeben sich zumeist keine weiteren Angaben zum Tathergang. Gleiches gilt in aller Regel für die Akten der Bußgeldstelle, die zudem zumeist bereits nach kurzer Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen, weil sie ausgesondert worden sind (BayObLG vom 27.11.2003 - 1 ObOWi 429/03, zur Veröffentlichung bestimmt).

4. Die abschließende Einschätzung des Tatrichters zur Ahndung des vom Betroffenen begangenen Verkehrsverstoßes ergibt sich aus dem Urteil. Die Ausführungen unter Nr. 3 der Rechtsbeschwerde ändern nichts daran, dass die Bewertung des Tatrichters rechtlich nicht zu beanstanden ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Ende der Entscheidung

Zurück