Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 06.03.2003
Aktenzeichen: 1 ObOWi 58/03
Rechtsgebiete: StVG, StVO, BKatV


Vorschriften:

StVG § 25 Abs. 1 S. 1
StVO § 37 Abs. 1
StVO § 37 Abs. 2
BKatV § 1 Abs. 1 Anl. 1 Nr. 132.2
Der Senat hält daran fest, dass es für die Frage der Verhängung eines Fahrverbots bei Missachtung eines roten Wechsellichtzeichens nicht darauf ankommen kann, ob nach der (zutreffenden) Einschätzung eines Betroffenen eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen war (wie BayObLG München, 30. Dezember 1996, 2 ObOWi 940/96, BayObLGSt 1996, 188/191).
Gründe:

I.

Das Amtsgericht München hat den Betroffenen am 30.9.2002 wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit des Nichtbeachtens einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase zu einer Geldbuße von 125 EUR verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 24.1.2002 um 07.30 Uhr in München den Bavariaring. Kurz vor dem St. Pauls Platz hielt er an der Fußgängerampel an. Nach ca. 25 Sekunden fuhr der Betroffene noch während der Rotlichtphase los und bog nach rechts in den St. Pauls Platz ab.

Der Betroffene wendet sich mit seiner Rechtsbeschwerde gegen die Verhängung des Fahrverbots. Er ist insbesondere der Auffassung, das Amtsgericht habe nicht - zumindest nicht hinreichend - geprüft, ob der vorliegende Fall Besonderheiten in objektiver und subjektiver Hinsicht aufweise, der ihn gemessen an den vom Verordnungsgeber ins Auge gefassten typischen Begehungsweisen als Ausnahmefall erscheinen lasse. Auch sei das Amtsgericht nicht der Frage nachgegangen, ob und inwieweit Fußgänger gefährdet worden seien.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Die Rechtsbeschwerde ist ausweislich der Beschwerdebegründung wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts hat der Betroffene die Fahrereigenschaft und den Rotlichtverstoß nicht bestritten. Die Rechtsbeschwerdebegründung stellt den Verkehrsverstoß ebenfalls nicht in Abrede. Die Behauptung, es liege auf Grund der Besonderheiten der Ampelanlage kein grober Pflichtenverstoß im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG vor, lässt sich widerspruchsfrei getrennt von den Feststellungen zum Schuldspruch überprüfen und bewerten (neuerdings wieder OLG Hamm NZV 2002, 381 m.w.N.). Angegriffen ist allerdings der gesamte Rechtsfolgenausspruch, weil innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs eine weitere Beschränkung auf das Fahrverbot nicht möglich ist (BayObLGSt 1999, 125 = NStZ-RR 2000, 19).

2. Die Erwägungen, aus denen das Amtsgericht das Geschehen dem Regelfall des Verstoßes gegen § 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO im Sinne der Nr. 132.2 BKat zugeordnet hat, weil die Rotphase länger als eine Sekunde dauerte, sind rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Grundlage für die Anordnung eines Fahrverbots ist § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG, auch wenn Nr. 132.2 BKat die Anordnung einer solchen Sanktion für den Regelfall vorsieht (BGHSt 43, 241/245 m. w. N.). Nach der genannten Vorschrift kann ein Fahrverbot nur dann verhängt werden, wenn der Betroffene grob oder beharrlich die Pflichten eines Kraftfahrzeugführers verletzt hat. Dabei indiziert das Vorliegen eines im BKat genannten Regelfalls eine solche grobe oder beharrliche Pflichtverletzung (BayObLGSt 1995, 130 = NZV 1995, 499). Bei den in § 4 Abs. 1 Satz 1 BKatV umschriebenen Pflichtverletzungen handelt es sich um vom Verordnungsgeber in zulässiger Weise hervorgehobene schwerwiegende Verstöße, die häufig zu schweren Verkehrsunfällen führen und die subjektiv auf besonders grobem Leichtsinn, Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruhen und im Allgemeinen einen so hohen Grad an Verantwortungslosigkeit aufweisen, dass es hier grundsätzlich eines eindringlichen Denkzettels durch ein Fahrverbot bedarf.

In welchen Fällen es bei der Nichtbeachtung des Rotlichtgebots an einer Fußgängerampel objektiv oder subjektiv an einer groben Pflichtwidrigkeit fehlt, ist in der Rechtsprechung bislang nicht einheitlich geklärt (Darstellung bei OLG Karlsruhe VRS 100, 460/463; Gebhardt zfs 1999, 324/325 m.w.N.).

b) Der Verordnungsgeber war bei Schaffung der Nr. 34.2 BKat a.F., jetzt Nr. 132.2 BKat, der Auffassung, bei Kreuzungsampeln - und dazu zählen auch Fußgängerampeln - sei eine abstrakte Gefährdung grundsätzlich zu unterstellen. Es ist deshalb nicht zulässig, diesen Grundsatz dahingehend einzuschränken, dass Handlungen, die im konkreten Fall ungeeignet sind, das geschützte Rechtsgut in Gefahr zu bringen, von Nr. 132.2 BKat ausgenommen werden. Es war gerade das Anliegen des Verordnungsgebers, die abstrakte Gefährdung typisierend festzulegen (BayObLG Beschluss vom 14.2.2003 - 1 ObOWi 25/03; vgl. auch BayObLGSt 1996, 188/191).

Diese Grundentscheidung des Verordnungsgebers, bestimmte Verhaltensformen als regelmäßig besonders gefährlich und deswegen als grundsätzlich verboten einzustufen, ist auch von den Gerichten zu beachten. Ausnahmen können dafür allenfalls zugelassen werden, wenn eine auch nur abstrakte Gefährdung völlig ausgeschlossen ist (BayObLG aaO). Dies ist bei der vorliegend in Frage stehenden Konstellation nicht der Fall. Der Betroffene hat zunächst an der Fußgängerampel wegen des Rotlichts ordnungsgemäß angehalten "und ist dann - aus nicht mehr weiter aufklärbaren Gründen - plötzlich angefahren" (Beschwerdebegründung vom 13.12.2002 Bl. 3).

Nach Auffassung des Senats darf die Grundentscheidung des Verordnungsgebers, bei Kreuzungsampeln eine abstrakte Gefahr zu unterstellen, nicht dahingehend eingeschränkt werden, dass man Handlungen, die im konkreten Fall ungeeignet sind, das geschützte Rechtsgut in Gefahr zu bringen, von Nr. 132.2 BKat ausnimmt. Schon im allgemeinen Strafrecht ist dies äußerst umstritten. So hat der Bundesgerichtshof eine abstrakte Gefährdung im Rahmen von § 306 Nr. 2 StGB bejaht, obwohl der Täter sich davon überzeugt hatte, dass im konkreten Fall keine Gefahr für Leib und Leben von Hausbewohnern bestand (BGH NStZ 1985, 408; siehe BGHSt 26, 121; allgemein zur Problematik Schönke/Schröder/Heine StGB 26. Aufl. Vor §§ 306 ff. Rn. 3 ff; Roxin Strafrecht Allgemeiner Teil 2. Aufl. Band 1 § 11 Rn. 119 ff.). Jedenfalls bei den durch Massenhandlungen im Straßenverkehr gefährdeten Rechtsgütern war es das Anliegen des Gesetz- und Verordnungsgebers, die abstrakte Gefährdung typisierend festzulegen (BayObLGSt 1996, 188/191; vgl. auch Roxin aaO Rn. 125; Schönke/Schröder/Heine aaO Rn. 3a sowie Satzger NStZ 1998, 112/115).

Deshalb kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Fall eine konkrete Gefahr ausgeschlossen war. Aus Gründen der Verkehrssicherheit hält es der Senat erst recht nicht für hinnehmbar, wenn es der Entscheidung des einzelnen Verkehrsteilnehmers überlassen bliebe, ob eine konkrete Gefahr gegeben ist, und ob und wielange er auf Grund seiner subjektiven Einschätzung der Verkehrssituation ein Rotlicht beachtet (vgl. BayObLGSt 1996, 188/191).

c) Soweit sich der Verteidiger des Betroffenen für seine gegenteilige Rechtsansicht auf BayObLG NZV 1994, 287 beruft, entspricht der dort behandelte Sachverhalt nicht dem vorliegenden. In jener Entscheidung hat der Betroffene, nachdem er an einer Straßeneinmündung nach rechts abgebogen war, aus Unachtsamkeit übersehen, dass sich unmittelbar nördlich der Einmündung ein mit einer sog. Auffangampel gesicherter Fußgängerüberweg befand.

d) Der Senat hält eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nicht für geboten, da es sich vorliegend um eine Tat- und keine Rechtsfrage handelt. In Frage steht nicht, ob allein das objektive Gewicht einer Verkehrsordnungswidrigkeit die Annahme eines groben Pflichtenverstoßes tragen kann, sondern wie eine Unaufmerksamkeit beim Anfahren an einer Ampelanlage zu bewerten ist. Dies kann nicht generell-abstrakt, sondern nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden (vgl. BayObLGSt 1998, 194/196 = NZV 1999, 216).

3. Ob eine Verfahrensrüge, die den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG entspricht, in zulässiger Weise erhoben wurde, kann auf Grund der dargestellten Rechtslage dahingestellt bleiben. Weil eine abstrakte Gefährdung ausreichend ist, hatte das Gericht, um den Verkehrsverstoß der Nr. 132.2 BKat zuzuordnen, nicht aufzuklären, ob und inwieweit Fußgänger durch die Fahrweise des Betroffenen gefährdet wurden.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG.

Ende der Entscheidung

Zurück