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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 23.01.2002
Aktenzeichen: 1 ObOWi 671/01
Rechtsgebiete: StVG, StVO


Vorschriften:

StVG § 25 Abs. 1 Satz 1
StVO § 3
Ein Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG kann seinen Sinn verlieren, wenn die Tat über zwei Jahre zurückliegt, der Betroffene sich danach verkehrsgerecht verhalten hat und die lange Verfahrensdauer nicht zu seinen Lasten geht.
Tatbestand:

Das Amtsgericht hat den verkehrsrechtlich bislang nicht in Erscheinung getretenen Betroffenen am 10.8.2001 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaft um 32 km/h begangen am 11.8.1999 zu einer Geldbuße von 500 DM verurteilt. Von der Verhängung eines Fahrverbots hat es sowohl wegen außergewöhnlicher Härte als auch wegen des Zeitablaufs von zwei Jahren zwischen dem Tattag und dem Tag der Verurteilung abgesehen.

Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Staatsanwaltschaft ohne Erfolg, dass gegen den Betroffenen kein Fahrverbot verhängt worden sei.

Gründe:

1. Zutreffend ist das Amtsgericht im Hinblick auf die Höhe der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung innerhalb geschlossener Ortschaft davon ausgegangen, dass neben einer Regelgeldbuße (von früher 200 DM) die BKatV die Verhängung eines einmonatigen Fahrverbots als Regelfolge der Ordnungswidrigkeit vorsieht (bis 31.12.2001 § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 BKatV i.V.m. Nr.5.3.3 der Tabelle 1 c des Anhangs; ab 1.1.2002 § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 BKatV i.V.m. Nr.11.1.7 der Tabelle 1 a des Anhangs in der Fassung vom 13.11.2001 - BGBl. 1/3033). Die Indizwirkung der Regelbeispiele bedeutet jedoch nicht, dass der Tatrichter an sie zwingend gebunden ist. Vielmehr steht dem Richter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der dem Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen (vgl. BVerfG NJW 1996, 1809/1810).

Die Frage, ob die Würdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters besondere Umstände ergibt, nach denen es ausnahmsweise der Warn- und Denkzettelfunktion eines Fahrverbots im Einzelfall nicht bedarf, liegt grundsätzlich im Verantwortungsbereich des Tatrichters. Dieser hat innerhalb des ihm eingeräumten Bewertungsspielraums die Wertungen nach eigenem pflichtgemäßen Ermessen zu treffen. Seine Entscheidung kann vom Rechtsbeschwerdegericht nur daraufhin überprüft werden, ob er sein Ermessen deshalb fehlerhaft ausgeübt hat, weil er die anzuwendenden Rechtsbegriffe verkannt, die Grenzen des Ermessens durch unzulässige Erwägungen überschritten und sich nicht nach den Grundsätzen und Wertmaßstäben des Gesetzes gerichtet hat. In Zweifelsfällen hat das Rechtsbeschwerdegericht die Bewertung des Tatrichters zu respektieren (OLG Köln NZV 1994, 161/162; OLG Hamm DAR 1996, 68).

2. Die Überprüfung der Ermessensentscheidung des Amtsgerichts ergibt keinen Rechtsfehler. Unter Erhöhung der Regelgeldbuße von 200 DM auf 500 DM hat das Amtsgericht beanstandungsfrei von der Verhängung des Regelfahrverbots abgesehen.

Wenn die zu ahndende Tat lange zurückliegt und der Betroffene sich in der Zwischenzeit verkehrsgerecht verhalten hat, kann es grundsätzlich gerechtfertigt sein, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen (unstreitig in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur; z.B. BayObLGSt 1996, 155/157; Hentschel Straßenverkehrsrecht 36.Aufl. § 25 StVG Rn.24; Schulz ZfS 1998, 361/362 jeweils m.w.N.). Denn das Fahrverbot nach § 25 Abs. 1 Satz.1 StVG hat nach der gesetzgeberischen Intention in erster Linie eine Erziehungsfunktion. Es ist als Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme gedacht und ausgeformt (BVerfGE 27, 36/42). Das Fahrverbot kann seinen Sinn verloren haben, wenn zwischen dem Verkehrsverstoß und dem Wirksamwerden seiner Anordnung ein erheblicher Zeitraum liegt und in der Zwischenzeit kein weiteres Fehlverhalten im Straßenverkehr festgestellt worden ist (BayObLGSt aaO m. w. N.).

Wann bei langer Verfahrensdauer der Zeitablauf entweder allein oder zusammen mit anderen Umständen ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen kann, ist eine Frage des Einzelfalls, die einen gewissen Beurteilungsspielraum eröffnet. Dementsprechend finden sich in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedliche Antworten auf die Frage, ab wann von einem "erheblichen Zeitraum" zwischen dem Verkehrsverstoß und seiner Ahndung ausgegangen werden kann. In der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ist jedenfalls die Tendenz erkennbar, den Sinn eines Fahrverbots in Frage zu stellen, wenn die zu ahndende Tat "mehr als zwei Jahre" zurückliegt (Brandenburgisches OLG ZfS 1997, 314 [konkret: 3 Jahre]; OLG Düsseldorf NZV 2001, 435 [Leitsatz: mehr als 2 Jahre]; DAR 2001, 133 [Leitsatz. mehr als 2 1/2 Jahre]; OLG Köln NZV 2000, 217/218 [konkret: 2 1/2 Jahre]; NStZ-RR 2000, 342 [konkret: 2 Jahre 2 Monate]; OLG Rostock ZfS 2001, 383 [Leitsatz: mehr als 2 Jahre]; OLG Schleswig DAR 2000, 584 [konkret: 2 Jahre 8 Monate]; OLG Stuttgart ZfS 1998, '194 [Leitsatz: mehr als 3 Jahre]; OLG Zweibrücken DAR 2000, 586 [Leitsatz: mehr als 2 Jahre]; vgl. auch BayObLG DAR 1992, 468 [Leitsatz: mehr als 3 Jahre]). Einigkeit besteht allerdings insoweit, dass anerkanntermaßen für die Beurteilung, ob im genannten Sinn ein längerer Zeitraum vorliegt, sowohl eine Rolle spielt, ob es in der Zeit nach dem verfahrensgegenständlichen Verkehrsverstoß zu einem weiteren Fehlverhalten im Straßenverkehr gekommen ist (z.B. BayObLGSt 1996, 155/157) und ob die für die lange Verfahrensdauer maßgeblichen Umstände außerhalb des Einflussbereichs des Betroffenen liegen (z.B. OLG Köln NStZ-RR 2000, 342).

Vorliegend waren seit der Tat und dem angegriffenen Urteil 2 Jahre, zwischenzeitlich sind nahezu 2 1/2 Jahre verstrichen, wobei der Zeitablauf nicht auf das Verhalten des Betroffenen zurückzuführen ist, sondern darauf, dass aufgrund der wiederholten Entscheidungen des Amtsgerichts, bei erhöhter Geldbuße kein Fahrverbot zu verhängen, nunmehr über die dritte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft zu entscheiden ist. Der Senat braucht mit Blick auf die nunmehr verstrichene Zeitdauer nicht zu entscheiden, ob bereits nach Ablauf von exakt 2 Jahren ein Fahrverbot seinen Sinn verloren gehabt hätte, jedenfalls hat im vorliegenden Fall nach nunmehr ca. 2 1/2 Jahren in Übereinstimmung mit der neueren obergerichtlichen Rechtsprechung ein Fahrverbot seine Erziehungsfunktion verloren, zumal die Staatsanwaltschaft die Aktenvorlage an den Senat nicht beschleunigt erledigt hat. Erst am 28.12.2001 sind die Akten beim Senat eingegangen.

Ende der Entscheidung

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