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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2002
Aktenzeichen: 1 ObOWi 79/02
Rechtsgebiete: StVG, StPO


Vorschriften:

StVO § 37 Abs. 2
StPO § 261
StPO § 267 Abs. 1
Soll sich die Verurteilung wegen eines Rotlichtverstoßes auf eine polizeiliche Zeugenaussage stützen, muß der Tatrichter in den Urteilsgründen die vom Zeugen angewandte Meßmethode darstellen und sie hinsichtlich ihrer Beweiskraft bewerten.
Tatbestand:

Der Betroffene fuhr am 6.6.2001 mit einem Pkw auf der B.-straße in K. in westlicher Richtung. An der Kreuzung mit der K.-straße zeigte die Ampelanlage Rotlicht und zwar mindestens seit zwei Sekunden, als der Betroffene aus Unachtsamkeit gleichwohl die Haltelinie überfuhr und nach rechts in die K-straße abbog.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen am 3.12.2001 wegen fahrlässiger Nichtbeachtung einer länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtphase als Führer eines Kraftfahrzeuges zur Geldbuße von 250 DM verurteilt und ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats angeordnet.

Mit seiner gegen dieses Urteil eingelegten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung des materiellen Rechts.

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

Gründe:

1. Keinen Erfolg hat das Rechtsmittel allerdings mit dem Einwand des Betroffenen, der als Zeuge vernommene Polizeibeamte sei ein ungeeignetes Beweismittel gewesen, weil er sich nicht mehr an die Tat habe erinnern können.

In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Zeugenaussage eines Polizeibeamten, er könne sich an den von ihm angezeigten Verkehrsvorgang zwar nicht mehr erinnern, er würde aber den Verkehrsteilnehmer unter den von diesem behaupteten Umständen nicht angezeigt haben, nicht generell als Beweismittel ausscheidet, sondern der freien Beweiswürdigung des Tatrichters unterliegt (BGHSt 23, 213; Göhler OWiG 13. Aufl. § 71 Rn. 43 c m. w. N. der Rechtsprechung).

Der Amtsrichter war ausweislich der Urteilsgründe sich der Problematik, die generell mit Aussagen verbunden ist, bei denen sich ein Zeuge nicht mehr an den konkreten Vorfall erinnern kann, ihn aber aufgrund der von ihm im Anschluss an seine Feststellung getroffene Aufzeichnung rekonstruieren kann, bewusst und hat sich mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen ausreichend auseinandergesetzt. Als objektiven Anhaltspunkt hat sich das Amtsgericht zutreffend auf den Umstand gestützt, dass es sich bei dem Zeugen um einen Polizeibeamten handelt, der seine Feststellung über den Tathergang protokolliert hat. Aus Rechtsgründen kann es deshalb nicht beanstandet werden, wenn das Amtsgericht seinen Schuldspruch auf die Aussage dieses Zeugen gestützt hat.

2. Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, weil die bisherigen Feststellungen des Amtsgerichts eine Verurteilung des Betroffenen wegen eines sogenannten qualifizierten Rotlichtverstoßes nicht tragen.

Grundlage jeder Sachentscheidung des Richters in Ordnungswidrigkeitenverfahren ist wie in Strafverfahren der Tathergang, von dem der Tatrichter überzeugt ist. Dieser hat nach § 261 StPO, § 71 Abs. 1 OWiG über das Ergebnis der Beweisaufnahme nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung geschöpften Überzeugung zu entscheiden. Seine Schlussfolgerungen tatsächlicher Art brauchen zwar nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie denkgesetzlich oder nach der Lebenserfahrung möglich sind und er von ihrer Richtigkeit überzeugt ist. Allerdings darf der Tatrichter seine Befugnisse zur Beweiswürdigung nicht willkürlich ausüben. So dürfen sich seine Schlussfolgerungen nicht von einer festen Tatsachengrundlage so weit entfernen, dass sie letztlich bloß Vermutungen sind, die lediglich einen Verdacht begründen (BGH NStZ 19810 33).

Zur Überprüfung, ob der Tatrichter diese Regeln bei seiner Beweiswürdigung beachtet hat, ist er verpflichtet, die Beweisgründe, d.h. den Weg, wie er zu seiner Tatsachenfeststellung gelangt ist, im Urteil im einzelnen darzulegen. Fehlt die Darstellung der Beweisgründe ganz oder ist die Darstellung hierzu lückenhaft, handelt es sich um einen sachlich-rechtlichen Mangel, der auf Sachbeschwerde zur Aufhebung der Entscheidung führt (BGH NStZ 1983, 277; KG NStZ 1998, 55).

Eine solche ausreichende Darstellung der Beweisgründe fehlt in der angefochtenen Entscheidung. Handelt es sich, wie hier, um die Feststellung eines qualifizierten Rotlichtverstoßes, reicht es nicht aus, zur Begründung der Tatsachenfeststellung sich allein auf die Bekundungen eines Polizeibeamten zu stützen, dass die Ampelanlage bereits zwei Sekunden rot gezeigt habe, als der Betroffene die Haltlinie überfahren habe. Diese Aussage lässt nicht erkennen, ob sie das Ergebnis richtig ermittelter objektiver Anknüpfungstatsachen und deren richtiger Verknüpfung aufgrund verkehrsanalytischer Erfahrungssätze ist, oder ob es sich lediglich um eine freie Schätzung handelt. Zur Feststellung von Zeitintervallen im Sekundenbereich sind freie Schätzungen aufgrund gefühlsmäßiger Erfassung generell ungeeignet, da erfahrungsgemäß hierbei ein erhebliches Fehlerrisiko besteht (OLG Düsseldorf NZV 2000, 134; BayObLG NZV 1995, 497; BayObLG Beschluss vom 5.12.2001 - 1 ObOWi 603/01).

Anders liegt der Fall jedoch dann, wenn der Zeitfeststellung eine konkrete Vorgehensweise zugrunde lag, die darauf gerichtet war, Schätzfehler zu vermeiden. Dies kommt vor allem dann in Betracht, wenn es sich um Feststellungen von Polizeibeamten handelt, die gezielt zu einer Rotlichtüberwachung eingesetzt waren und eine bestimmte Meßmethode angewandt haben.

Gelangt der Richter in einem solchen Fall zum Ergebnis, dass die von dem polizeilichen Zeugen angewendete Meßmethode generell geeignet ist, Schätzfehler zu vermeiden, und ist er überzeugt, dass der Zeuge diese Messmethode auch im zu entscheidenden Fall ordnungsgemäß angewendet hat, kommt eine Verurteilung auch dann in Betracht, wenn der polizeiliche Zeuge keine Erinnerung mehr an die Tat hat und sie lediglich anhand eines unmittelbar nach der Tat aufgenommenen Protokolls rekonstruieren kann. Feststellungen, mit welcher Methode der Zeuge den Rotlichtverstoß gemessen hat, fehlen im Urteil.

Ende der Entscheidung

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