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Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Urteil verkündet am 16.08.2004
Aktenzeichen: 1 St RR 113/04
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 69a Abs. 2
StPO § 318
1. Die Staatsanwaltschaft kann ihre zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Berufung nicht wirksam auf die durch das Amtsgericht angeordnete Ausnahme von der Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis beschränken; der Prüfung des Berufungsgerichts unterliegt in einem solchen Fall der gesamte Rechtsfolgenausspruch.

2. § 69a Abs. 2 StGB lässt es nicht zu, ein konkretes Fahrzeug von der Sperre für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis auszunehmen; auch die Beschränkung der Ausnahme auf bestimmte Tageszeiten findet im Gesetz keine Stütze.


Tatbestand:

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 45 Tagessätzen zu je 50 EUR. Dem Angeklagten wurde die Fahrerlaubnis entzogen; der Führerschein wurde eingezogen. Die Verwaltungsbehörde wurde angewiesen, vor Ablauf von neun Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Von der Sperre hat das Amtsgericht das Führen des Lkw mit dem amtlichen Kennzeichen ... werktags in der Zeit von 7.00 bis 17.00 Uhr ausgenommen. Die hiergegen von der Staatsanwaltschaft eingelegte Berufung hat das Landgericht München II verworfen. Es ging hierbei von einer wirksamen Beschränkung des Rechtsmittels auf die Ausnahme von der Sperrfrist aus. Die Entscheidung ist wie folgt begründet:

Die vom Erstgericht gemäß § 69a Abs. 2 StGB getroffene Ausnahme von der Sperre ist nach Auffassung der Kammer zu Recht erfolgt.

Sie kommt beim Fehlen der charakterlichen Zuverlässigkeit in der Regel nicht in Betracht. Ausnahmen sind aber denkbar, sie bedürfen einer eingehenden Prüfung (...).

Hier liegen besondere Umstände vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel durch die getroffene Ausnahme nicht gefährdet wird.

Der Angeklagte ist nicht vorbestraft, auch ausweislich des Verkehrszentralregisters im Verkehrsordnungswidrigkeitenbereich nicht in Erscheinung getreten. Er ist jahrelang beruflich unbeanstandet mit dem Kundendienstfahrzeug gefahren, im Übrigen auch mit seinem Pkw.

Es handelt sich im vorliegenden Fall um ein einmaliges Versagen beim Führen von Kraftfahrzeugen im privaten Bereich, wobei nicht verkannt wird, dass der Angeklagte in Fahrbereitschaft Alkohol zu sich nahm. Auf der anderen Seite war zu würdigen, dass der Angeklagte im beruflichen Bereich vom Zeugen E als äußerst zuverlässig geschildert wurde und ohne Ausnahmeregelung der Arbeitsplatz des Angeklagten gefährdet wäre und es zu einer erheblichen Beeinträchtigung im Betriebsablauf verbunden mit wirtschaftlichen Einbußen bei der Firma E käme (Zeuge E). Hinzu kommt, dass der Angeklagte sich in der Berufungshauptverhandlung nicht nur - wie beim Amtsgericht - geständig zeigte, sondern darüber hinaus schuldeinsichtig und durch den bisherigen vorläufigen Entzug seiner Fahrerlaubnis und die Sicherstellung seines Führerscheins soweit charakterlich wieder gefestigt, dass eine Gefährdung der Maßregel nicht zu befürchten ist. Ferner ist durch die gezielte Einschränkung der Ausnahme auf ein bestimmtes Kundendienstfahrzeug der Firma E gewährleistet, dass dieses mit Werkzeug und Material beladene Fahrzeug nicht zu privaten Zwecken vom Angeklagten verwendet werden kann. Er holt dieses Fahrzeug um 7.00 Uhr in der Früh auf dem Firmengelände ab und bringt es gegen 17.00 Uhr wieder zurück, was vom Geschäftsführer oder dem hierfür zuständigen Mitarbeiter der Firma E jeweils kontrolliert wird (Zeuge E).

Die Beschränkung der Ausnahmeregelung auf ein bestimmtes Fahrzeug einer bestimmten Firma wird zwar verschiedentlich mit dem Hinweis abgelehnt, nur bestimmte Arten von Fahrzeugen seien ausnahmefähig, nicht dagegen einzelne Fahrzeuge. Andererseits wird es für zulässig gehalten, z.B. Lkw der Klasse 3 bis 7,5 t von der Sperre auszunehmen (...). Die Ausnahme eines einzelnen Kraftfahrzeuges bietet aber, wie aufgezeigt, eher die Gewähr, dass die Maßregel selbst durch die Ausnahmeregelung nicht gefährdet wird.

Mit ihrer gegen dieses Urteil gerichteten Revision rügte die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Zum einen seien keine besonderen Umstände im Sinn des § 69a Abs. 2 StGB gegeben, die die Annahme rechtfertigen würden, der Zweck der Maßregel werde durch eine Ausnahme nicht gefährdet. Zum anderen könnten nach dieser Vorschrift nur bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen, nicht aber ein konkretes Fahrzeug, von der Sperre ausgenommen werden. Die gemäß § 333 StPO statthafte und auch sonst zulässige (§ 341 Abs. 1, §§ 344, 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) Revision erwies sich als begründet.

Gründe:

1. Das Revisionsgericht hat auf die Sachrüge hin von Amts wegen und ohne Bindung an die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht zu prüfen, ob dieses über den seiner Beurteilung unterbreiteten Sachverhalt in zu engem oder zu weitem Umfang befunden hat (BayObLGSt 2003, 18/19; 1978, 1; KK/Ruß StPO 5. Aufl. § 327 Rn. 11), hier also, ob das Landgericht die von der Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung der Berufung auf die Ausnahme von der Sperrfrist zu Recht für wirksam erachtet hat.

Die Berufung konnte hier nicht wirksam auf die Zubilligung der Ausnahme von der Sperre beschränkt werden, weil zwischen der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Bemessung der Sperrfrist einerseits und den Überlegungen zur Bewilligung einer Ausnahme eine Wechselwirkung besteht, die eine losgelöste Beurteilung allein der letztgenannten Frage nicht ermöglicht (BayObLG NZV 1991, 397).

Es kann aber auch der übrige Rechtsfolgenausspruch von der Anfechtung nicht ausgenommen werden, denn ein zu Ungunsten des Angeklagten eingelegtes Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft kann von vornherein nicht wirksam auf die unterbliebene Entziehung der Fahrerlaubnis oder die Nichtanordnung einer (isolierten) Sperrfrist beschränkt werden. Gleiches gilt, wenn die Staatsanwaltschaft - wie hier - eine Verschärfung des Maßregelausspruchs erstrebt. Dies ist eine Folge der Wechselbeziehung, in der die Strafzumessung einerseits und die Frage der Entziehung der Fahrerlaubnis oder die Festsetzung einer isolierten Sperrfrist zueinander stehen. Die zusätzliche Verhängung der Maßregel oder ihre Verschärfung kann nämlich Anlass geben, eine geringere Strafe festzusetzen als dies sonst angebracht wäre (BayObLG VRS 66, 445/446; NZV 1991, 397; Schönke/Schröder/Stree StGB 26. Aufl. § 46 Rn. 70).

Deshalb ist es erforderlich, dass das Landgericht im Berufungsverfahren sowohl die Strafzumessung als auch die Verhängung der Maßregel überprüft.

2. Die bewilligte Ausnahme von der Sperre hält einer rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht stand.

a) Die geltende Rechtslage lässt eine Ausnahme für ein konkretes Fahrzeug und für bestimmte Tageszeiten nicht zu, auch wenn diese Möglichkeit aus den vom Landgericht angeführten Gründen im Einzelfall sinnvoll erscheinen mag.

Nach § 69a Abs. 2 StGB kann das Gericht von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen. Dies bedeutet, dass beispielsweise alle von einer Fahrerlaubnisklasse im Sinn des § 6 Abs. 1 FeV umfassten Fahrzeuge ausgenommen werden können, ferner Fahrzeugarten, auf die die Fahrerlaubnis nach § 6 Abs. 1 Satz 2 FeV beschränkt werden kann, sowie schließlich Fahrzeuge mit einem bestimmten objektiv-konstruktiven Verwendungszweck (BayObLG VRS 66, 445; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 69a Rn. 29). Auch die Beschränkung der Ausnahme auf bestimmte Zeiten findet im Gesetz keine Stütze (BayObLG VRS 66, 445/446).

b) Eine Ausnahme gemäß § 69a Abs. 2 StGB ist ferner nur zulässig, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, dass der Zweck der Maßregel nicht gefährdet wird. Dies ist der Fall, wenn es sich um Fahrzeuge handelt, von deren Führen durch den Angeklagten trotz seiner generellen Nichteignung zum Führen von Kraftfahrzeugen - die nach § 69 Abs. 1 StGB Voraussetzung für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist - keine Gefahren für die Allgemeinheit, insbesondere die Sicherheit des Straßenverkehrs, zu fürchten sind. Es handelt sich um eine Ausnahmeregelung, an deren Voraussetzungen strenge Anforderungen zu stellen sind (BayObLGSt 1982, 101).

Das Landgericht stützt seine Auffassung, dem Angeklagten sei eine Ausnahme für die beruflich erforderlichen Fahrten zuzubilligen, vor allem darauf, dass die ihm zur Last liegende Trunkenheitsfahrt ein einmaliges Versagen in der Freizeit, also im privaten Bereich darstelle. Hieraus sowie aus dem Umstand, dass sich der einsichtige, nicht vorbelastete Angeklagte charakterlich gefestigt habe, schließt es, dass eine Gefährdung der Maßregel nicht zu befürchten ist, wenn der Angeklagte lediglich die Gelegenheit zu beruflichen Fahrten erhält. Diese Einschätzung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

Ende der Entscheidung

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