Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 12.12.2000
Aktenzeichen: 1 St RR 180/00
Rechtsgebiete: StVG, FeV


Vorschriften:

StVG § 2 Abs. 1 Satz 1
FeV § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
Ein Klein-Pkw mit einem Leergewicht von nicht mehr als 300 kg und einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h fällt nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV, wonach motorisierte Krankenfahrstühle von der Fahrerlaubnispflicht ausgenommen sind.
BayObLG Beschluß

1 St RR 180/00

12.12.00

Tatbestand:

I.

Der Angeklagte fuhr am 22.6.1999 gegen 10 Uhr mit einem Fahrzeug auf der E.-Straße in M., das nach der Betriebserlaubnis des Rheinisch-Westfälischen TÜV vom 8.9.1998 als "Sonder-Kfz-Krankenfahrstuhl" ausgewiesen ist (Sitzplätze: 2 einschließlich Fahrersitz; Höchstgeschwindigkeit: 10 km/h; Leergewicht: 285 kg). Der Angeklagte, der keinerlei körperliche Behinderungen hat, die ihn aus gesundheitlichen Gründen zum Besitz eines Krankenfahrstuhles zwingen, und dem die Fahrerlaubnis aufgrund von Trunkenheitsdelikten mit einer noch laufenden Sperrfrist für die Wiedererteilung entzogen ist, erwarb dieses Fahrzeug am 29.9.1998. Der TÜV Bayern genehmigte am 10.3.1999 die Erhöhung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h.

Das Fahrzeug trug das Versicherungskennzeichen... (3 Ziffern, 3 Buchstaben). Es hat zwei Türen und eine Heckklappe und unterscheidet sich im übrigen nicht von einem normalen Klein-Pkw. Der Angeklagte hatte den Beifahrersitz ausgebaut, um Leitern und weiteren Handwerksbedarf im Inneren des Fahrzeugs transportieren zu können. Da die Leitern nach hinten aus dem Innenraum herausragten, war die Heckklappe halb geöffnet und mit einem Gurt fixiert. Der Angeklagte wurde einer Kontrolle durch die Polizei unterzogen und darüber belehrt, dass er mit dem Fahrzeug nicht fahren dürfe; die Weiterfahrt wurde ihm untersagt. Trotzdem fuhr der Angeklagte mit dem Fahrzeug unter den gleichen Umständen in M. am selben Tage gegen 10.30 Uhr auf der V.-Straße und am 29.10.1999 gegen 9.10 Uhr auf der M.-Straße.

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 16.3.2000 wegen fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen zur Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 25 DM (Einzelstrafen: 20, 30 und 60 Tagessätze).

Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht am 21.6.2000 in vollem Umfang als unbegründet. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hatte teilweise Erfolg.

II.

Aus den Gründen:

1. Die Nachprüfung des Schuldspruchs aufgrund der Revision hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere sind die Darlegungen des Landgerichts, dass der Angeklagte für das von ihm geführte Kraftfahrzeug nach § 2 Abs. 1 Satz 1 StVG einer Fahrerlaubnis bedurfte, rechtlich nicht zu beanstanden.

a) Die Übergangsvorschrift des § 76 Nr. 2 a der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) vom 18.8.1998 (BGBl I S. 2214), auf der ersichtlich die Erteilung der Betriebserlaubnis als "Sonder-Kfz-Krankenfahrstuhl" beruht, kam schon deshalb nicht zum Tragen, weil sie nur die Benutzung durch "körperlich gebrechliche oder behinderte Personen« privilegiert; zu diesem Personenkreis rechnet der Angeklagte jedoch nicht.

b) § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FeV nimmt nur motorisierte Krankenfahrstühle von der Fahrerlaubnispflicht nach § 2 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 4 Abs. 1 Satz 1 FeV aus, d.h. nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich gebrechliche oder behinderte Personen bestimmte Kraftfahrzeuge mit einem Sitz, einem Leergewicht von nicht mehr als 300 kg und einer durch die Bauart bestimmten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h. Mit dieser Definition wollte der Normgeber erreichen, dass es künftig ausgeschlossen ist, Klein-Pkw unter dem Begriff "Krankenfahrstühle" einzuordnen vgl. die Amtliche Begründung BR-Drucks 443/98 S. 215; ferner Bouska Fahrerlaubnisrecht 2. Aufl. § 4 FeV Rn. 4; Jagusch/Hentschel Straßenverkehrsrecht 35. Aufl. § 4 FeV Rn. 7). Maßgebend für diese vom Normgeber gewollte und getroffene Abgrenzung ist dabei das äußere Erscheinungsbild des Fahrzeuge, das hier zweifellos - unabhängig davon, ob der Beifahrersitz ausgebaut war - einem Klein-Pkw entsprach. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob nach dem Wortlaut und dem Zweck der Vorschrift ein Krankenfahrstuhl nur ein mit drei oder vier Rädern versehener "Stuhl" ist, dessen Bedienungseinrichtungen sich behindertengerecht um den zentralen Stuhl gruppieren (vgl. insoweit Bouska aaO). Denn das vom Angeklagten geführte Fahrzeug unterscheidet sich, auch wenn das Leergewicht nur 285 kg beträgt und die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 25 km/h beschränkt ist, jedenfalls nicht von einem üblicherweise mit zwei Sitzen versehenen Klein-Pkw und ist insoweit auch nicht ein nach der Bauart zum Gebrauch durch körperlich gebrechliche oder behinderte Personen bestimmtes Kraftfahrzeug mit einem Sitz (vgl. hierzu auch VG Würzburg NZV 2000, 104); zu einem solchen Fahrzeug wird das als "Zweisitzer" konzipierte Fahrzeug auch nicht dadurch, dass die Betriebserlaubnis, ohne dass weitere bauliche Veränderungen vorgenommen oder gefordert werden, auf die Eintragung nur eines Sitzes abgeändert wird.

c) Im übrigen hat das Landgericht zu Recht auch das Vorliegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums verneint.

2. Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch keinen Bestand haben.

Denn die Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Strafrahmen des § 21 StVG Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vorsehe.

Nach § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG wird jedoch das vorsätzliche Führen eines Kraftfahrzeuges ohne die erforderliche Fahrerlaubnis nur mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet und die fahrlässige Begehung der Tat nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 StVG nur mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen. Insoweit lassen die Urteilsgründe auch nicht erkennen, dass die Strafkammer bei der Strafzumessung berücksichtigt hat, dass der Angeklagte hinsichtlich der ersten Fahrt am 22.6.1999 um 10 Uhr nur den Tatbestand des fahrlässigen Fahrens ohne Fahrerlaubnis verwirklicht hat.

Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass der Rechtsfolgenausspruch auf unzureichenden und fehlerhaften Erwägungen beruht.

Ende der Entscheidung

Zurück