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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 19.03.2001
Aktenzeichen: 1 St RR 30/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 218 Satz 1
StPO § 329 Abs. 1
StPO § 337 Abs. 1
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
Ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO kann darauf beruhen, daß der Verteidiger nicht geladen wurde. In einer entsprechenden Verfahrensrüge muß nachvollziehbar vorgetragen werden, daß der Verteidiger im Fall seiner Anwesenheit die gerichtliche Entscheidung hätte beeinflussen können.
BayObLG Beschluss

1 St RR 30/01

19.03.01

Tatbestand

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 11.7.2000 wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Monaten und ordnete zugleich eine Sperrfrist für die Erteilung der Fahrerlaubnis von einem Jahr an. Die hiergegen vom Angeklagten eingelegte Berufung verwarf das Landgericht am 10.10.2000, weil der Angeklagte zur Hauptverhandlung unentschuldigt nicht erschienen sei.

Gegen dieses Urteil richtete sich die Revision des Angeklagten. Er rügte die Verletzung des § 218 StPO und machte geltend, zur Hauptverhandlung sei sein Verteidiger, dessen Wahl dem Gericht rechtzeitig angezeigt worden war, nicht geladen worden. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen:

1. Der Verteidiger hat ausdrücklich weder eine Sach- noch eine Verfahrensrüge erhoben. Dies ist aber unschädlich, da der Revisionsbegründung im Wege der gemäß § 300 Abs. 1 StPO gebotenen Auslegung zu entnehmen ist, dass zumindest eine Verfahrensrüge gewollt ist, mit der eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des Verwerfungsurteils herbeigeführt werden soll.

2. Die aufgrund dieser Verfahrensrüge zumindest zur Überprüfung gestellten Urteilsgründe decken eine Verkennung des Begriffs der genügenden Entschuldigung nicht auf. Allerdings sind in die Überprüfung durch das Revisionsgericht auch solche Umstände einzubeziehen, die das Landgericht hätte berücksichtigen können, die es aber tatsächlich nicht erörtert hat.

Die dem Landgericht bei seiner Entscheidung nicht bekannte Tatsache, dass der Verteidiger, der seine Vertretung mit Vollmachtvorlage dem Gericht vor dem Termin angezeigt hatte, versehentlich nicht geladen wurde, war in jedem Falle ungeeignet, den Betroffenen zu entschuldigen, so dass das Urteil auf diesem Fehler nicht beruhen kann. Abgesehen davon, dass es an jedem Vorbringen dazu fehlt, dass der Betroffene deshalb nicht erschienen ist, weil sein Verteidiger nicht geladen wurde bzw. untätig geblieben ist, durfte der Angeklagte auch nicht darauf vertrauen, dass der Termin, zu dem er ordnungsgemäß geladen war, nicht stattfinden werde. Sollte er insoweit Zweifel gehabt haben, wäre er verpflichtet gewesen, sich mit dem Verteidiger und/oder dem Gericht zur Klärung dieser Frage in Verbindung zu setzen.

3. Der Verfahrensverstoß der unterbliebenen Ladung des Verteidigers gemäß § 218 Satz 1 StPO, in dem regelmäßig zugleich eine unzulässige Beschränkung der Verteidigung des Angeklagten liegt (vgl. BayObLG vom 5.1.1995 - 1 ObOWi 345/94; BayObLG vom 2.6.1992 - 3 St RR 67/92; OLG Hamburg MDR 1972, 168), soll nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung in der Literatur die Revision auch dann begründen können, wenn der Angeklagte unentschuldigt nicht zum Termin erschienen ist (LR/Gollwitzer StPO 25. Aufl. § 218 Rn. 30 f.; KK/Tolksdorf StPO 4. Aufl. § 218 Rn. 12; KMR/Paulus StPO 8. Aufl. § 218 Rn. 25; siehe auch SK/Schlüchter StPO (Stand Januar 19921 § 218 Rn. 32). Insoweit hat der Verteidiger aber eine den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügende Verfahrensrüge nicht erhoben.

Problematisch ist in diesen Fällen, ob das angefochtene Urteil auf dem dargelegten Mangel beruhen kann. Dies ist dann der Fall, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Verteidiger bei ordnungsgemäßer Ladung die Entscheidung zugunsten des Angeklagten hätte beeinflussen können. Zur Begründung dieses Beruhens stützen sich die genannten Autoren allerdings auf Entscheidungen, die zu § 74 Abs. 2 OWiG a.F. ergangen sind (OLG Hamburg aaO; OLG Hamm VRS 45, 442; OLG Düsseldorf NZV 1994, 44). In diesen Entscheidungen wird auf die Besonderheiten des Ordnungswidrigkeitenrechts abgestellt, wonach es im Ermessen des Richters stand, statt einer Verwerfung in Abwesenheit des Betroffenen zu verhandeln, und der Verteidiger bei ordnungsgemäßer Ladung im Termin auf diese Entscheidung Einfluss nehmen konnte. Auch nach der Neufassung der §§ 73, 74 OWiG, die eine derartige Wahlmöglichkeit des Richters nicht mehr zulassen, hat der Verteidiger die Möglichkeit, noch im Termin für einen ausgebliebenen Betroffenen einen Antrag auf Entbindung von der Pflicht zum Erscheinen zu stellen oder Entschuldigungsgründe vorzutragen. Die Erwägungen, die die Rechtsprechung veranlasst haben, eine Abwesenheitsentscheidung für unzulässig zu halten, wenn der gewählte Verteidiger nicht geladen wurde, gelten daher auch nach Änderung der §§ 73, 74 OWiG (vgl. BayObLG vom 22.9.2000 - 2 ObOWi 462/00; KK-OWiG/ Senge 2. Aufl. 5 74 Rn. 25; Rebmann/Roth/Herrmann OWiG 3. Aufl. [Stand 1.3.1998] § 74 Rn. 12).

Im Strafverfahren hat der Verteidiger aber - anders als im Ordnungswidrigkeitenverfahren - regelmäßig nur noch die Möglichkeit, Entschuldigungsgründe für den Angeklagten vorzutragen. Auch diese Möglichkeit lässt indes die Annahme zu, dass die Entscheidung gemäß § 329 Abs. 1 StPO grundsätzlich auf der Nichtladung des Verteidigers beruhen kann (so auch OLG Köln OLGSt § 218 StPO S. 15; OLG Koblenz OLGSt § 218 StPO S. 19/20; siehe auch OLG Karlsruhe OLGSt § 218 StPO S. 9/12).

Die Verfahrensrüge genügt insoweit allerdings nicht den Formerfordernissen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO.

Zwar muss die Revisionsbegründung auch in den Fällen, in denen ein Beruhen nicht wie bei § 338 StPO gesetzlich vermutet wird, den ursächlichen Zusammenhang zwischen Rechtsfehler und Entscheidung im allgemeinen nicht ausdrücklich darlegen. Es ist grundsätzlich Sache des Revisionsgerichts, die Beruhensfrage von sich aus zu prüfen. Bei zweifelhafter Sachlage muss die Revisionsbegründung jedoch Tatsachen vortragen, die dem Revisionsgericht die Prüfung der Beruhensfrage ermöglichen (BGH NSU 1998, 369; BGHSt 30, 131/135;' KK/Kuckein § 344 Rn. 65).

Bei einem Abwesenheitsurteil gemäß § 329 Abs. 1 StPO ist es aber gerade zweifelhaft, ob diese Entscheidung auf der Nichtladung des Verteidigers beruhen kann. Dies ist dann der Fall, wenn tatsächlich Entschuldigungsgründe gegeben und dem Verteidiger bekannt waren. Anders als im Fall des OLG Köln (OLGSt § 218 StPO S. 15/16), wo ausdrücklich auf entsprechendes Revisionsvorbringen abgestellt wird, lässt die vorliegende Revisionsbegründung jeden Vortrag vermissen, dass der Verteidiger die Entscheidung des Gerichts hätte beeinflussen können, wenn er zum Termin ordnungsgemäß geladen worden wäre. Insbesondere findet sich kein Hinweis dafür, dass der Verteidiger - seine rechtzeitige Ladung unterstellt - Entschuldigungsgründe für den im Termin ausgebliebenen Angeklagten vorgetragen hätte mit der Folge, dass eine Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO hätte unterbleiben müssen.

Ende der Entscheidung

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