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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bayerisches Oberstes Landesgericht
Beschluss verkündet am 13.07.2001
Aktenzeichen: 1 St RR 75/01
Rechtsgebiete: GG, StGB


Vorschriften:

GG Art. 5 Abs. 1
StGB § 185
StGB § 186
StGB § 193
Ob sich ein Verfahrenbeteiligter wegen des zu Unrecht erhobenen Vorwurfes der Rechtsbeugung strafbar gemacht hat, ist unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhanges der Erklärung zu beurteilen.
Tatbestand:

Der Angeklagte, der Rechtsanwalt ist, vertrat in einem beim Landgericht anhängigen Zivilverfahren die beiden Beklagten, bei denen es sich um seine Kinder handelte. Nachdem er den bestellten Einzelrichter, Richter am Landgericht B., wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt und die zuständige Zivilkammer dieses Gesuch am 24.3.1998 für unbegründet erklärt hatte, trug er mit einem Schriftsatz vom 1.4.1998 dem Landgericht nochmals seine Bedenken gegen den Richter vor. Darin beklagte er sich nicht nur, "so (werde) mit der Ehre eines Anwalts umgegangen", sondern äußerte auch mit Bezug auf ein 1997 ebenfalls beim Landgericht anhängiges Zivilverfahren, in dem er von einer früheren Mandantin auf Auskehrung von Mandantengeldern in Anspruch genommen worden war und in dem ihn der abgelehnte Richter, nachdem die Kammer Prozesskostenhilfe bewilligt hatte, mit Endurteil vom 12.5.1997 nach Klageantrag verurteilt hatte, über den Richter:

"... stellt es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine dienstliche, wenn nicht gar eine strafrechtlich relevante Verfehlung eines Richters dar, wenn er Prozesskostenhilfe bewilligt, in voller Kenntnis nämlich, dass eine solche nicht bewilligt werden darf. Eine klarere Rechtslage kann man sich kaum vorstellen".

Die Besorgnis der Befangenheit leitete der Angeklagte im wesentlichen zum einen daraus her, dass der Richter als früherer Staatsanwalt gegen ihn ermittelt und auch eine Durchsuchung seiner Kanzleiräume veranlasst habe, zum anderen aus dessen Mitwirkung an der PKH-Bewilligung (und wohl auch aus dem Erlass des Endurteils vom 12.5.1997). Er hielt diese Entscheidungen deshalb für falsch, weil dem Anspruch der Klägerin Honoraransprüche seinerseits entgegengestanden hätten, über die er teilweise noch nicht habe abrechnen können, die aber jedenfalls ein "Zurückbehaltungsrecht" seinerseits begründet hätten.

Seine Berufung gegen das Endurteil vom 12.5.1997 hatte das Oberlandesgericht am 23.1.1998 zurückgewiesen.

Mit einem Schriftsatz vom 13.2.1998 hatte der Angeklagte beim Amtsgericht Ka. die Bestellung eines Betreuers ("Pflegschaft") für eine frühere Mandantin, mit der er sich zerstritten hatte, beantragt; daraufhin wurde er von dieser im weg einstweiliger Verfügung beim Amtsgericht K. auf Unterlassung der Verbreitung dieses Antrags in Anspruch genommen, nachdem Abschriften an Dritte gelangt waren. Diesem Antrag gab der Richter am Amtsgericht K. mit am 21.4.1998 verkündeten Endurteil statt.

Nachdem der Richter im Rahmen der mündlichen Urteilsbegründung am 21.4.1998 darauf hingewiesen hatte, im Fall eines neuerlichen Erscheinens des "Pflegschaftsantrags" müsse daraus "nicht unbedingt darauf geschlossen werden ..., dass Rechtsanwalt S. dies nochmals weitergegeben habe", rief der Angeklagte "mit hochrotem Kopf":

"Was Sie jetzt gesagt haben, ist eigentlich eine Rechtsbeugung!"

Die Aufforderung des Richters, sich zu entschuldigen, beantwortete der Angeklagte dahin, dass er sich "nur formell entschuldige, weil das, was Sie hier gesagt haben, eine Rechtsbeugung ist".

Den schriftlichen Urteilsgründen zufolge hatte der Angeklagte als Beklagter bestritten, - dass das Betreuungsschreiben "von ihm selbst oder seiner Kanzlei direkt... versandt wurde", sich jedoch nicht zu dem Vorbringen der Klägerin geäußert, "dass er das Schreiben vom 13.2.1998 an fremde Dritte versandt hat bzw. das Schreiben neben der Übermittlung an das Amtsgericht Ka. noch auf anderem Wege die Kanzlei des Verfügungsbeklagten verlassen hat".

Am 22.4.1998 richtete der Angeklagte ein als "Vertraulich/ Persönlich" bezeichnetes Schreiben an den Richter am Amtsgericht K., in dem es einleitend heißt: "... am 21.4.1998 haben Sie gegen 15.55 Uhr erklärt, dass Ihnen voll bewusst sei, dass die von Frau B.S. beanstandeten Schreiben, die offensichtlich Fotokopien einer Abschrift sind, von einer dritten Person verschickt worden sind, nämlich einer Person, die am Verfahren 3 C... des Amtsgerichts K. nicht beteiligt ist. Damit steht fest, dass allenfalls eine dritte Person möglicherweise etwas getan hat, was nicht zulässig ist. Jedenfalls nicht der Beklagte jenes Verfahrens. Dennoch haben Sie den Unterzeichner verurteilt."

Anschließend führte der Angeklagte aus:

"Sie haben damit vorsätzlich verurteilt, obwohl Sie wissen, dass Sie dazu nicht berechtigt sind. Damit ist der dringende Verdacht der Rechtsbeugung erfüllt."

Schließlich forderte der Angeklagte den Richter noch auf, "vor Einleitung eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens und zur Vermeidung desselben" eine Erklärung dahin abzugeben, dass ihm "bewusst (sei), vorsätzlich entgegen Ihrer eigenen Wahrnehmung entschieden zu haben". "Obwohl die Rechtslage ausführlich erörtert wurde, haben Sie entschieden wie geschehen, was die Möglichkeit einer fahrlässigen Fehlentscheidung ausschließt".

Das Amtsgericht verurteilte den Angeklagten am 17.2.1999 wegen übler Nachrede in zwei Fällen sowie wegen Beleidigung zur Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 100 DM. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht am 19.2.2001 als unbegründet.

Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führte zum Freispruch durch den Senat.

Gründe:

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil das Landgericht die beanstandeten Äußerungen zu Unrecht lediglich als Tatsachenbehauptungen und nicht auch als Werturteile eingestuft und daher verkannt hat, dass die Äußerungen des Angeklagten (noch) in den Schutzbereich des Grundrechts auf Meinungsfreiheit fallen und der Angeklagte daher aus rechtlichen Gründe n freizusprechen ist.

Der Senat bemerkt vorab, dass die Entscheidung nicht als Billigung der Äußerungen und der Vorgehensweise des Angeklagten missverstanden werden darf. Die Auseinandersetzung mit tatsächlich oder vermeintlich falschen Entscheidungen der Gerichte hat grundsätzlich allein mit den Mitteln zu erfolgen, die die jeweilige Verfahrensordnung zur Verfügung stellt, ohne dass Anlass und Raum für verletzende und kränkende, die gebotene sachliche Atmosphäre lediglich vergiftende Angriffe auf die Person der entscheidenden Richter wäre.

1. Die Prüfung einer ehrverletzenden Äußerung auf ihre Strafbarkeit hat nach den Vorgaben des Verfassungsrechts und der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung in der Regel in folgenden Schritten zu erfolgen:

a) Zunächst ist zu untersuchen, ob die Äußerung eine Tatsachenbehauptung oder die Kundgabe eines Werturteils, einer Meinung, darstellt. Dabei steht bei der Tatsachenbehauptung die objektive Beziehung zwischen der Äußerung und der Realität im Vordergrund, weshalb sie auch einer Überprüfung auf ihren Wahrheitsgehalt zugänglich ist, während Meinungen, auf die sich der grundgesetzliche Schutz in erster Linie bezieht, durch die subjektive Beziehung des Einzelnen zum Inhalt seiner Aussage und durch die Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt sind (BVerfG NJW 1994, 1779; StV 2000, 416/418). Unter Umständen fallen aber auch Tatsachenbehauptungen in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 GG, nämlich dann, wenn sie im Zusammenspiel die Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, weil sich diese in der Regel auf tatsächliche Annahmen stützen oder zu tatsächlichen Verhältnissen Stellung beziehen (BverfG aaO; BGH NJW 1997, 2513/2514).

Diese zunächst dem Tatrichter obliegende Einstufung unterliegt in rechtlicher Hinsicht uneingeschränkt der Nachprüfung durch das Revisionsgericht, weil der sich Äußernde durch eine unzutreffende Beurteilung möglicherweise den Schutz des ihm zustehenden Grundrechts verlieren würde (vgl. BVerfG NJW 1991, 1529; 1999, 2262/2263; BayObLGSt 19914, 152/153; 2000, 69/71).

b) Ergibt die Prüfung, dass es sich um eine Tatsachenbehauptung handelt, hängt ihre Zulässigkeit von ihrem Wahrheitsgehalt ab. Ihr Schutz endet da, wo sie zu der verfassungsrechtlich vorausgesetzten Meinungsbildung nichts beitragen können, so dass jedenfalls die bewusst oder erwiesen unwahren Tatsachenbehauptungen nicht vom Schutz der Meinungsfreiheit umfasst sind (BVerfG NJW 1991, 2339; 1994, 1779; vgl. Berkemann JR 1999, 177). Bei bewusst unwahren Tatsachenbehauptungen scheidet daher auch eine Berufung auf den Rechtfertigungsgrund des § 193 StGB (Wahrnehmung berechtigter Interessen) grundsätzlich aus.

Erweist sich die Äußerung dagegen als Werturteil bzw. als Meinungskundgabe, geht die Meinungsfreiheit grundsätzlich dem Persönlichkeitsschutz vor ohne dass es darauf ankommt, ob die Äußerung begründet oder grundlos, emotional oder rational, scharf oder verletzend formuliert ist, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingestuft wird (BVerfG NJW 1994, 1779). Im "Kampf um das Recht" darf ein Verfahrensbeteiligter auch starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seine Kritik anders hätte formulieren können (BVerfG StV 1991, 458).

Zurücktreten muss die Meinungsfreiheit allerdings dann, wenn sich die Äußerung als Angriff auf die Menschenwürde oder als Formalbeleidigung oder Schmähung darstellt (BVerfG NJW 1999, 2262/2263). Gleiches kann gelten, wenn Meinungsäußerungen mit Tatsachenbehauptungen verbunden und letztere erwiesen unwahr sind (BVerfG NJW 1994, 1779/1780).

c) Handelt es sich hiernach um eine Meinungsäußerung, die die vorgenannten Grenzen nicht verletzt, ist eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehrenschutz geboten, deren Ergebnis verfassungsrechtlich nicht vorgegeben ist, bei der jedoch alle wesentlichen Umstände des Falls zu berücksichtigen sind und bei der es auf die Schwere der Beeinträchtigung der betroffenen Rechtsgüter ankommt (BVerfG NJW 1996, 1529; 1999, 2262/2263).

2. Der gegen Richter und Staatsanwälte erhobene Vorwurf der Rechtsbeugung hat die Rechtsprechung wiederholt beschäftigt.

In einem die Verfassungsbeschwerde eines Rechtsanwalts betreffenden Beschluss vom 20.5.1999 (1 BVR 1294/96) hat das Bundesverfassungsgericht diesen Vorwurf dahin beurteilt, dass "jedenfalls dann, wenn (er) in Zusammenhang mit einem bestimmten, den sich Äußernden betreffenden Urteil steht, in sachliche Einwände gegen das Urteil eingebettet ist und damit als - wenn auch scharfe - Zusammenfassung der Urteilskritik dient,... dem Begriff der Rechtsbeugung nicht die Qualität einer selbständigen, allein in der Wortwahl liegenden Ehrverletzung zu (kommt), welche die Annahme einer Formalbeleidigung rechtfertigt".

Das Bundesverfassungsgericht hat demnach die Verwendung des Begriffs offensichtlich jedenfalls in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall im Ergebnis als Meinungsäußerung qualifiziert. Ebenso hat das Bayerische Oberste Landesgericht in einem Beschluss vom 22.8.1994 (BayObLGSt 1994, 152/153) angenommen, die Äußerungen eines zu einer Freiheitsstrafe verurteilten Angeklagten - darunter die Behauptung einer Rechtsbeugung - "(stellten) weder offenkundig noch sonst eindeutige Tatsachenbehauptungen dar, vielmehr (bedürfe) es zu solcher Qualifizierung einer... nachprüfbaren Auslegung".

Den in einer Dienstaufsichtsbeschwerde eines Rechtsanwalts geäußerten, mit einer bestimmten Entscheidung in Zusammenhang stehenden Vorwurf, dem erkennenden Richter sei entweder eine bestimmte Vorschrift nicht bekannt oder es liege ein Fall der Beugung des Rechts vor, der Richter sei entweder zu dumm oder er habe absichtlich ein Fehlurteil gesprochen, wertete das Kammergericht in einem Urteil vom 20.9.1996 (StV 1997, 485) insgesamt als Meinungsäußerung.

Der Bundesgerichtshof hat allerdings in einer neueren Entscheidung vom 17.10.2000 (BGHR StPO § 138 a Abs. 1 Nr. 1 Tatbeteiligung 3 Verjährung) den Vorwurf, "dass Ihr Urteil... den Tatbestand der Rechtsbeugung erfüllt und Ihr Verhalten daher ein Verbrechen gemäß §§ 336, 12 StGB ist", als beleidigende Tatsachenbehauptung beurteilt. Dies betraf jedoch einen Fall, in dem nicht nur neben dem Rechtsbeugungsvorwurf auch der Vorwurf eines Verbrechens ausdrücklich erhoben worden war, sondern auch die Verbreitung dieser Behauptung mittels Flugblatts erfolgte und ferner lediglich der dringende Tatverdacht im Sinn von § 138 a Abs. 1 Nr. 1 StPO zu prüfen war. Fehlt es jedoch an einer ausdrücklichen Verwendung des Begriffs eines Verbrechens, darf dieser nicht schon ohne weiteres aus dem Rechtsbeugungsvorwurf abgeleitet werden (vgl. BVerfG Beschluss vom 20.5.1999 - 1 BVR 1294/96).

3. Die Anwendung dieser Grundsätze auf die dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerungen hat zunächst folgendes Ergebnis:

a) Im Fall des Schriftsatzes vom 1.4.1998 hat sich das Landgericht - auch wenn man ihm darin folgt, dass implizit dem Richter Rechtsbeugung vorgeworfen wird - den Weg zu einer zutreffenden Lösung von vornherein dadurch verstellt, dass es die Äußerung aus ihrem Zusammenhang genommen und so bei der sich dann ergebenden isolierten Betrachtung zur ausschließlichen Annahme einer Tatsachenbehauptung gelangt ist. Dabei hat die Strafkammer aber verkannt, dass der Vorwurf lediglich ein Glied einer Argumentationskette des Angeklagten war: Der Richter habe als Staatsanwalt gegen ihn den Prozessbevollmächtigten der Beklagten und deren Vater ermittelt, der Richter habe in einem gegen ihn persönlich gerichteten Verfahren wissentlich eine falsche Entscheidung zu seinem Nachteil getroffen bzw. daran mitgewirkt, deshalb halte er den Richter für befangen. Die tatsächlichen Elemente dieser Argumentationskette dienen daher lediglich der Begründung eines typischen (prozessualen) Werturteils, nämlich der vom Standpunkt des Ablehnenden aus zu beurteilenden Besorgnis, der Richter stehe ihm bzw. seinen Kindern nicht unparteiisch und unvoreingenommen gegenüber (§ 41 Abs. 1, Abs. 2 ZPO; § 24 Abs. 1, Abs. 2 StPO).

Diese Herauslösung eines einzelnen Elements aus einer komplexen Äußerung und ihre vereinzelte Betrachtung ist daher unzulässig, weil dies den Charakter der Äußerung verfälscht und ihr damit den ihr zustehenden Grundrechtsschutz von vornherein versagt (BGH NJW 1997, 2513).

Stellen sich somit die Auslassungen des Angeklagten in seinem Schriftsatz vom 1.4.1998 als eine auf Tatsachenelementen beruhende, komplexe Meinungsäußerung dar, die insgesamt den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG unterliegt (BVerfG StV 2000, 416/418), erweisen sie sich aber auch nicht als Angriff auf die Menschenwürde, Schmähkritik oder Formalbeleidigung:

Von einem Angriff auf die Menschenwürde des Richters in dem Sinn, dass ihm die personale Würde abgesprochen, er als unterwertiges Wesen beschrieben werden sollte (vgl. BVerfG NJW 1987, 2661/2662; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 130 Rn. 7 m.w.N.), kann im Hinblick auf die Umstände der Äußerung, ihren Inhalt und ihr Argumentationsziel nicht die Rede sein.

Der Äußerung fehlen aber auch die Merkmale der Schmähung. Sie ist gegeben, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person und ihre Herabsetzung im Vordergrund stehen (BVerfGE 93, 266/294; BVerfG NJW 1994, 2413/2414). Auch das trifft vorliegend nicht zu; dem Angeklagten ging es um die Durchsetzung einer prozessualen Position und ihre Begründung.

Ebenso verhält es sich im Ergebnis bei der Frage nach dem Vorliegen einer Formalbeleidigung, deren Kennzeichen es ist, dass sich die Kränkung bereits aus der Form der Äußerung ohne Rücksicht auf ihren Inhalt ergibt. Auch davon kann keine Rede sein; der Angriff auf den abgelehnten Richter ergibt sich aus dem Inhalt der dem Angeklagten vorgeworfenen Äußerung und nicht aus ihrer Form.

(Zu der hiernach lediglich noch erforderlichen Grundrechtsabwagung unten Ziffer 4).

b) Auch die Beurteilung der Äußerung des Angeklagten im Anschluss an die mündliche Urteilsbegründung vom 21.4.1998 gegenüber Richter K. setzt zunächst voraus, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (BVerfGE 93, 266/295). Das ist aber nicht der Fall, wenn das Landgericht auch diesen Angriff unter Vereinzelung des Vorwurfs lediglich als Tatsachenbehauptung qualifiziert, ohne den Sinnzusammenhang und ohne das eigentliche Angriffsziel in die Bewertung einzubeziehen oder erst im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 193 StGB zu berücksichtigen.

Die Äußerung des Angeklagten auf den Vorwurf der Rechtsbeugung zu reduzieren und isoliert zu betrachten, führt auch hier dazu, ihrem Sinn nic ht gerecht zu werden und den dem Angeklagten zustehenden Grundrechtsschutz zu verkürzen. Nach den vom Landgericht mitgeteilten Umständen handelte es sich um eine spontane Reaktion des Angeklagten auf das von ihm für falsch gehaltene Urteil und auf eine - von ihm möglicherweise missverstandene - Passage in der mündlichen Urteilsbegründung. Der bereits hiernach naheliegende Schluss, dass es sich letztlich nur um eine - wenn auch völlig unangemessene - Urteilsschelte handelte, wird bestätigt durch die Feststellungen des Landgerichts zum weiteren Sitzungsablauf dahin, "der Angeklagte setzte weiterhin mit seiner Kritik am verkündeten Urteil fort", wie auch durch den Inhalt des Schreibens an Richter K. vom 22.4.1998, das hiermit in engem Zusammenhang steht und daher zur Auslegung herangezogen werden kann und muss. Aus ihm ergibt sich als Kern der Urteilskritik die Überzeugung des Angeklagten, er habe nicht verurteilt werden dürfen, weil feststehe, dass nicht er das Antragsschreiben den Empfängern zugänglich gemacht habe, sondern allenfalls ein Dritter, und das wisse auch der Richter.

Der gegen den Richter erhobene Vorwurf der Rechtsbeugung stellt sich daher wiederum lediglich als Teil einer Argumentationskette und damit als Teil einer (komplexen) Meinungsäußerung etwa dahin dar, dass das Urteil falsch sei und der Richter dies auch wisse. Der Rechtsbeugungsvorwurf steht daher nicht selbständig im Raum, sondern dient lediglich der Untermauerung der Urteilskritik. Welche Bedeutung hierbei der Einschränkung "eigentlich" und der "nur formellen Entschuldigung" zukommt, braucht hierbei noch nicht einmal untersucht zu werden.

Das Vorliegen eines Angriffs auf die Menschenwürde, von Schmähkritik oder einer Formalbeleidigung ist aus den gleichen Gründen wie im Fall des Schriftsatzes vom 1.4.1998 zu verneinen; hierauf kann verwiesen werden.

(Zur Abwägung siehe unten Ziffer 4).

c) Das gleiche Ergebnis ergibt sich im Fall der Auslassungen des Angeklagten in seinem Schreiben an Richter K. vom 22.4.1998. Die tatsächlichen Behauptungen stellen sich als Elemente einer Argumentationskette dar, die in ein Unwerturteil über die Entscheidung vom 21.4.1998 mündet. Auf das vorstehend Gesagte kann daher Bezug genommen werden.

(Zur Abwägung nachfolgend).

4. Mit der Verneinung eines Angriffs auf die Menschenwürde wie auch der Voraussetzungen von Schmähkritik oder einer Formalbeleidigung wird daher eine Abwägung zwischen dem Recht des Angeklagten auf Meinungsfreiheit und den Persönlichkeitsrechten der angegriffenen Richter unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände erforderlich (vgl. oben unter 1 c).

Dabei ist auf der Seite der Meinungsfreiheit zunächst wesentlich, dass der Angeklagte seine Äußerungen nicht als unbeteiligter Dritter, sondern als Beteiligter an einem gerichtlichen Verfahren im Kampf um Rechtspositionen gemacht hat, wobei es nicht darauf ankommt, dass der Angeklagte seine Kritik auch anders hätte formulieren können (BVerfG StV 1991, 458/459). Dabei kann allerdings einschränkend nicht übersehen werden, dass über das Ablehnungsgesuch von der Kammer bereits entschieden worden und auch im Unterlassungsverfahren bereits ein Urteil ergangen war, so dass die Äußerungen des Angeklagten nicht mehr geeignet sein konnten, die Entscheidungen zu beeinflussen. Darauf kann es jedoch nicht entscheidend ankommen, denn jedenfalls waren die Verfahren noch nicht rechtskräftig abgeschlossen, und der Angeklagte mag sich eine positive Auswirkung und Fortwirkung seiner Kritik im weiteren Ablauf der Verfahren versprochen haben. Schließlich ficht zugunsten der Meinungsfreiheit noch, dass der Angeklagte in beiden Verfahren nicht nur als Prozessbevollmächtigter, sondern auch persönlich involviert war: im einen Verfahren als Vater der beiden Beklagten, im anderen selbst als Beklagter. Seine hohe emotionale Beteiligung ergibt sich deutlich aus der Feststellung des Landgerichts, er habe den Rechtsbeugungsvorwurf gegenüber Richter K. "mit hochrotem Kopf" erhoben. Hinzukommt schließlich, dass der Angeklagte die Besorgnis der Befangenheit im Hinblick auf die frühere Tätigkeit des abgelehnten Richters und den Erlass eines ihm nachteiligen, aus seiner subjektiven Sicht falschen Urteils nicht völlig aus der Luft gegriffen hatte und er im Fall des Endurteils vom 21.4.1998 die mündliche Urteilsbegründung, möglicherweise auch eine weitere Bemerkung des Richters, nicht verstanden oder missverstanden hatte und hierüber empört war, so dass jedenfalls aus seiner subjektiven Sicht und aus seiner Betroffenheit eine scharfe Reaktion nicht ganz unverständlich erscheint.

Der Grundrechtsposition des Angeklagten steht die Schwere der Ehrkränkung der angegriffenen Richter und ihr Anspruch auf Wahrung ihrer Persönlichkeitsrechte gegenüber; wenn die Angriffe des Angeklagten auch (gerade noch) nicht die Qualität von Wertungsexzessen erreichen (BayObLG NJW 2001, 1511 m.w.N.), kann nicht zweifelhaft sein, dass der - ausdrücklich oder implizit - erhobene Vorwurf der Rechtsbeugung für jeden Richter eine schwere, nicht akzeptable Kränkung bedeutet.

Gleichwohl muss jedenfalls in Fällen wie hier, in denen der Vorwurf nicht selbständig im Raum steht, vielmehr lediglich Teil einer (komplexen) Meinungsäußerung ist, die der Durchsetzung legitimer prozessualer Rechte dient und jedenfalls aus der Sicht des Äußernden auch nicht völlig aus der Luft gegriffen ist und daher nicht die Qualität eines Wertungsexzesses erreicht oder sonst missbräuchlich erscheint, der Meinungsfreiheit der Vorzug gegeben werden. Bei der Abwägung muss nicht zuletzt ins Gewicht fallen, dass an einer unparteilichen und objektiven, ausschließlich Gesetz und Recht folgenden Rechtsprechung ein überragendes öffentliches Interesse besteht; ein Beteiligter muss und darf daher - sofern nur die aufgezeigten Grenzen eingehalten werden - Kritik üben und angebliches oder tatsächliches Fehlverhalten aufzeigen dürfen, ohne sogleich befürchten zu müssen, Strafverfolgung ausgesetzt zu sein (vgl. KG StV 1997, 485/486).

Schließlich ist es aber auch deshalb hinnehmbar, den Ehrenschutz in Fällen wie hier im Rahmen der Abwägung zurücktreten zu lassen, weil Richter derartigen Angriffen jedenfalls in der Regel auch unterhalb der Schwelle der strafrechtlichen Ahndung keineswegs schutzlos ausgesetzt sind. Kaum einem Richter wird es im Lauf seines Berufslebens erspart bleiben, sich unberechtigten und haltlosen, ja maßlosen Vorwürfen ausgesetzt zu sehen. In der Reaktion hierauf wird er im Spannungsfeld zwischen der Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes einerseits und seiner privaten Berührtheit andererseits bedenken müssen, dass seine Entscheidungen für die Betroffenen häufig überaus schmerzhaft und einschneidend sind und daher zu Reaktionen führen können, die sich - trotz gegenteiliger oder auch nur missverständlicher oder ungeschickter Formulierung - letzten Endes gar nicht gegen seine Person und seine Ehre, sondern vielmehr gegen die getroffene Entscheidung selbst und die Rechtslage als solche richten. Als durchaus angemessene Mittel der Verteidigung hiergegen werden daher beispielsweise die - auch scharfe - Zurückweisung oder Zurechtweisung, eine Unterbrechung der Sitzung und Protokollierung des Vorgangs, die Anregung berufsrechtlicher Maßnahmen bei Rechtsanwälten und dergleichen zur Verfügung stehen und ausreichen, ohne dass die Persönlichkeitsrechte weitergehende Sanktionen verlangen und ohne dass das Ansehen des Richters Schaden nimmt.

5. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil im Hinblick auf die umfangreichen Darlegungen des Landgerichts weitere erhebliche Feststellungen nach einer Zurückverweisung ausgeschlossen werden können und weil die Aufhebung des Urteils nur wegen fehlerhafter Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt erfolgt (§ 354 Abs. 1 StPO).

Der Angeklagte ist aus rechtlichen Gründen freizusprechen, weil seine Äußerungen aus den aufgezeigten Gründen nicht als Tatsachenbehauptungen, sondern als Werturteile zu beurteilen sind, die sich weder als Angriffe gegen die Menschenwürde, noch als Schmähkritik oder Formalbeleidigung darstellen, und der Persönlichkeitsschutz im Rahmen der Abwägung der jeweiligen Grundrechtspositionen zurücktreten muss.

Ende der Entscheidung

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